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Riesaer G Tageblatt und Anzeiger MetlM m-Lyeiger). 8<«IPrechsteLi Nr. SO Amtsblatt der König!. Amtshauptmannschast Großenhain, des König!. Amtsgerichts nnd des Stadtraths zn Riesa. 51. Sonnabend, K Miirz 1884, Abends. 47. Jahr,. ros Riesaer Tageblatt erscheint jeden Tag Abends mit Ausnahme der Sonn» und Festtage. Vierteljährlicher Bezugspreis bet Abholung m den Expeditionen in Riesa uno^SlrehIas, den Ausgabestelle», vwie am Schalter der tatserl. Postanstalten 1 Mark 25 Ps., durch die Träger frei inS HauS 1 Mark 50 Pf., durch den Briefträger frei ins Haus 1 Mark Ü5 Pf. Anzelgr».«>mah«t für die Nummer deS Ausgabetages bis Vormittag S Uhr ohne Gewähr. Druck und Verlag von Langer L Winterlich in Riesa. — Geschäftsstelle: Kastantenstraße 5S. — Für die Redactton verantwortlich: Herm. Schmidt in Riesa. Bom Reichstag. . Der Reichstag hatte auch gestern eine interessante Sitzung. ES stand zur Berathung der M i! i t ä r - E t a r. Herr Bebel ging als erster Redner ins Zeug. Er kam auf den hannoverschen Spielerprozeg zurück und klagte über die zunehmende Berschwendungssucht und Spielwuth im Osfiziercorps. Die Reitschule in Hannover sei geradezu eine. Hochschule des Spiels. Die ehrengerichtlichen Erkennt nisse seien in jenem Fall viel milder gewesen, als andere ehrengerichtliche Urtheile, beispielsweise gegen den Bertheidiger AhlwardtS, Rechtsanwalt Hcrtwig. Reserve- und Landwehr- Offiziere müßten vielfach ihrer politischen Gesinnung wegen den Abschied nehmen. Gegenüber den Socialdemokraten bestehe im ganzen Heere ein ausgedehntes Spionirsystem. Als der Redner auf eine Rede des Kaisers eingehen wollte, ward er durch den Präsidenten unterbrochen. KriegSminister Bronsart v. Schellendorf erklärte, der ha moversche Spielerprozeß gehöre nicht zu den Dingen, über die das Haus verfassungsmäßig zu berathen habe. Die hannoversche Reitschule befördere nicht die Spielwuth. Die Kabineksordre über den Luxus und die Verschwendung werde in der Armee streng befolgt. Die Behauptungen des Abg. Bebel betreffs des ehrengerichtlichen Verfahrens seien durchaus unzutreffend. In dem Falle Hertwig habe zunächst das Ehrengericht der Anwaltkammer sein Urtheil abgegeben. Das militärische Ehrengericht habe erst eingegriffen, als Hertwig auf wieder holte Aufforderung seiner Vorgesetzten nicht erschien. Die Militärverwaltung habe ein Interesse daran, zn erfahren, ob die eintretenden Soldaten zielbewußte Socialdemokraten seien; dagegen sei es gleichgiltig, ob sie gelegentlich einmal eine socialdemokratische Versammlung besucht hätten. Gegen über dem Abg. Rösike, welcher die einjährige Dienstpflicht der Volksschullehrer anregte, erklärte der KriegSminister, die preußische Militärverwaltung sei principiell vollkommen damit einverstanden und hoffe, daß sich ein UebergangSstadium werde finden lasten, das die Interessen der Unterrichtsverwaltung nicht schädige. Die Lehrer seien im Kriegsfälle ein sehr wichtiges Element. Auf eine Anfrage des Abg. Rickert er widerte der Kriegsminister, der Entwurf einer einheitlichen Militärstrafprozeßordnung in Anlehnung an das Reichs strafgesetzbuch sei in Vorbereitung, der Zeitpunkt der Vor legung jedoch noch unbestimmt. — Im weiteren Verlaufe der Debatte erklärte Abg. Freiherr von Manteuffel, die in der Presse verbreiteten und auch von dem Abg. Bebel angeführten Gerüchte, daß konservative Abgeordnete, die Offiziere des Beurlaubtenstandes seien, infolge der Aeußer- ungen des Kaisers den Abschied genommen hätten, für völlig unwahr. Abg. Graf Roon erklärte, er gehöre ebenfalls zu denen, die angeblich ihre militärische Stellung niedergelegt hätten, und das sei durchaus unwahr. Abg. Bebel be kämpfte die Absicht, den Lehrern das Privilegium des ein jährigen Dienstes zuzuerkennen, weil die Partei die Privilegien des GeldsackeS überhaupt bekämpfe. Die Nachrichten über Abschiedsgesuche konservativer Abgeordneter habe er dem konservativen Blatte „Das Volk" entnommen. Der Kriegs minister habe erklärt, die allerhöchsten Ordres würden stets streng befolgt. Niemand wäre vergnügter als die Social demokraten, wenn da» so wäre. Aber denken Sie doch nur an die Erlasse wegen der Soldatenmißhandlungen. Gegen die Aeußerungen de« Krieg-ministerS, daß meine Bemerkungen über militärisches Gigerlthum durch den Neid auf die Sauberkeit der Offizier-uniformen eingegeben seien, muß ich protestiren. Ich bin nicht ein Vertreter von Schmutzfinken. (Große Heiterkeit.) Ich wollte nur die Auswüchse hier zur Sprache bringen. Daß Disziplin nöthig ist, weiß die Sozial demokratie am besten. Unter den Unteroffizieren und Feld webeln sind jetzt schon zahlreiche Socialdemokraten; unserer Fraktion allein gehören 13 Unteroffiziere an. Im nächsten Kriege wird die Führung der Compagnien und Züge in hohem Maße den Unteroffizieren zufallen müssen, denn die Offiziere werden von den neuen Gewehren zuerst weggeblasen werden. Der nächste Krieg, den Deutschland führen muß, wird ein BertheidigungSkrieg sein, wie wir ihn noch nicht gehabt haben. Sie sollten deshalb froh sein, eine so große Partei wie die socialdemokratische auf ihrer Seite zu haben. Die Ausbreitung der socialdemokratischen Lehren ist nicht mehr zu hindern; dafür sorgen schon die Agrarier. (Lärm recht«.) Abg. v. Kardorff (Rp.) meinte, die Volksschul- lrhrer könnten auch jetzt schon, wenn fie die gesetzlichen Be, dingungen erfüllen, ihre Dienstpflicht al« Einjährig-Freiwillige ableisten; ihnen diesen Vorzug aber allgemein zu gewähren, gehe nicht an. Abg. Werner (Reformpartei) bemängelte die Berurtheilung de« Rechtsanwalt« Hertwig zu Festung wegen seines Verhaltens bei der Vevtheidigung Ahlwardrs. « Abg. Freiherr v. Manteuffel (kons.) wendete sich gegen den Abgeordneten Bebel und erklärte, die konservative Partei habe mit der Zeitung „Das Voll" nichts zu thun. Die Konservativen hätten nie geglaubt, die Socialdemokralie durch das Socialistengesetz unterdrücken zu können. Die Socialdemokraten könnten nur unterdrückt werden durch das Christenthum (Lachen bei den Socialdemokraten), daher auch die socialdemokratischen Angriffe gegen das Christenthum. Abg. Tutzauer (Soc.) beschwerte sich über die Konkurrenz, die die Militärmusiker den Civilmusikanten machten. Kriegs minister Bronsart v. Schellendorf: Der Rechts anwalt Hertwig wurde aus folgenden Gründen bestraft: Hertwig legte den militärischen Zeugen die Frage vor, ob sie auf Offiziersparole versichern könnten, daß sie sich bei ihren Aussagen nicht in Widerspruch mit dem Fahneneid und Zeugeneid gesetzt hätten und ob sie nicht unter einem gewissen Zwang durch die Vorgesetzten Günstiges über die Löweschcn Gewehre aussagen müßten. (Hört! hört! links); das ist nicht in der Ordnung. Hertwig behauptete ferner, die militärischen Sachverständigen machten lange Ausführ ungen, um die Zeugen zu verwirren und den Thatdestand zu verdunkeln. Das ist auch nicht in der Ordnung. (Heiter keit.) Ich habe aus den Ausführungen des Abg. Bebel zu meiner großen Befriedigung ersehen, daß, wenn Roth am Manne ist, wenn wir Krieg bekommen, wir uns auf die Socialdemokraten in der Armee verlassen können. Dnses Zeugniß aus dem Munde des Abg. Bebet ist sehr werlhvoll und geeignet, unsere Besorgniß hierüber zu vermindern. (Heiterkeit rechts.) Abg. Oo. För st e r (Anlis.) wünschte, daß die Einjährigen, welche das Offiziers-Examen nicht be stehen, das zweite Jahr nachdienen. Das beste wäre, wenn das Institut der Emjährigen überhaupt nicht bestände. Abg. Oo. Osann (natl.) tritt für die Zulassung der Volks schullehrer zum Einjährigendienst ein und betonte gegenüber dem Abg. Bebel, die einjährige Dienstpflicht sei kein Privi legium des Geldbeutels. In der Berechtigung der Lehrer zum Einjährigendienst liege keine Bevorzugung, sondern eine Gleichstellung. Abg. Di-. Müller (Sagan) schloß sich dem Vorredner an und forderte die Gleichstellung der Seminare mit anderen Anstalten, welche die Berechtigung zum Einjährigendienste gewähren. Abg. Bebel hielt seine Behauptung aufrecht, daß die einjährige Dienstzeit nur den Wohlhabenden zugute komme. Ueber die nothwendigen Qualifikationen der Offiziere würde er sich mit den Konser vativen niemals einigen. Sicherlich hätten manche bedeutende Offiziere und Feldherrn die jetzt geforderten Offiziers qualifikationen nicht besessen. Hierauf wurde der Gehalt des Ministers bewilligt. Bei dem Artikel „Militärgeistlich keit" wünschte Abg. Schall (kons.) die Vermehrung der Garnisongeistltchen. Auch liege eine Härte darin, daß der Militärgeistliche beim Uebertritt in eine Livilstellung alle Ansprüche auf Pension, Wittwen- und Waisen-Versorgung verltere. GeneralUeutenant Spitz erwiderte, bisher jeien noch keine Anträge auf Vermehrung der Mtlitärgeistlichen eingebracht worden. Die Militärverwaltung erachte natür lich eine ausreichende Militärseelsorge für nothwendig. Nach dem Abg. Schall nochmals an das Wohlwollen der Ver waltung gegenüber den Mtlitärgeistlichen appellirte, wurde die Weiterberathung auf Sonnabend vertagt. Tagesgeschichtr. Deutsche- Netch. Die Kommission für den russischen Handelsvertrag besteht aus folgenden Mitgliedern: Freiherr v. Manteuffel, Graf v. Mirbach, Dr. v. Frege, Freiherr v. Hammerstein, v. Salisch (sämmtlich konservativ), Holtz, Frerherr v. Stumm, v. Kardorff, (sämmtlich Rp.), Möller, Dr. v. Bennigsen, Schulze-Henne, Dr. Hammacher (sämmt lich nl.), Dr. Bachem, Freiherr v. Buol, Dr. Lieber, Frhr. v. Heereman, Klose, Werdenfeld, Aichbichler, Weber (sämmtl. Zentr.), Richter, Lenzmann, Anker (sämmtlich fr. Bp.), Lotze (Neformpartci), Herbert, Schippel, Schulze (sämmtlich Soz.) und ein Pole. Der nationalliberalrn Korrespondenz zufolge sind von diesen 14 Anhänger und 11 Gegner des Vertrage-, drei seien zweifelhaft. Die Berathungen begannen heute. Nach der „National-Zeitung" bringt die nationalliberalß Fraktion im Reichstage eine Interpellation betreffs der Fortbildungsschulen ein, um im Wege der Gesetzgebung den Fortbildungsumericht an Sonntagen über den 1. Oktober hinaus zn ermöglichen. Die von den preußischen Behörden in Angriff ge nommene Statistik über die Lage der Landwirthschaft erstreckt sich, den ..Berliner Neuesten Nachrichten" zufolge, nicht allein auf die Verschuldung der Landwirthe, sondern auch auf deren Einnahmen und fortlaufende Lasten. Die Erhebungen stehen im Zusammenhang mit der geplanten Ausarbeitung eines Agrarrechts. „Zum Fall Thüngen" bemerken die „Hamb. Nachr." in einem Artikel, der sich in bemerkenswenher Schärfe gegen den derzeitigen preußischen Justizminisler richtet, u. A. Fol gendes: „Mr halten es für politisch ungeschickt, das Vertrauen unserer bayerischen Landsleute auf das Maß von Unab hängigkeit, welches sie sich in ihren Verträgen harten reser« Viren »vollen und in dessen Besitz sie sich wohl fühlen, zu erschüttern." Im weiteren Verlauf des Artikels wird dann die Frage erörtert, inwieweit die Unabhängigkeit eines „einzelnen Staatsanwalts" überhaupt gehe und darauf hin- gewlesen, daß im verfassungsmäßigen Staate der Justiz minister die Verantwortlichkeit für das Verhalten der Staats anwaltschaft trage. Der Artikel schließt: „Sobald das Verhalten einer Staatsanwaltschaft eine politische Färbung annimmt und noch dazu eine solche, die nicht ohne Anklang an die divcrgircnden Interessen der einzelnen Bundesstaaten ist, gebietet unserer Ansicht nach die ministerwlle.Pflicht dem Justizminister, offen mit seiner Ueberzeugung darüber vor zutreten, ob die Thätigkeit auf dem bayerischen Gerichtsgebiete mit seinem Einverständniß erfolgt und ob er die Verant wortlichkeit dafür übernimmt." Auf die Ernennung des Fürsten Bismarck, des jetzigen Chefs des 7. Kürassirregimenls, zum Ehrenbürger von Halberstadt hat der Fürst folgendes Dankschreiben gesantt: „Euer Hochwohlgeboren Antrag, Bürger Ihre« altberühmten Gemeinwesens zu werden, Hai mich hoch geehrt. Ich bitte Euer Hochwohlgeboren und die Herren Mitglieder der städtischen Kollegien, für die mir durch Ihren Beschluß ge währte Auszeichnung meinen verbindlichsten Dank entgegxn- zunehmen; sie ist mir um so werthvoller, als ich mit der Stadt durch provinzielle Landsmannschaft, durch meine mili tärische Stellung zu dem heimischen Regiment und durch persönliche Erinnerungen in alter Beziehung stehe. Den Wunsch und die Hoffnung, mit meinen neuen Herren Mit bürgern persönlich bekannt zu werden, hoffe ich zu verwirk lichen, sobald mein körperliches Befinden es mir erlauben wird. Bis dahin bitte ich Euer Hochwohlgeboren, den Aus druck meines herzlichen Dankes auf diesem Wege entgegen zu nehmen. Gez. v. Bismarck." Aus Hamburg wird gemeldet, daß aus der Mitte der Bürgerschaft ein Antrag eingebracht worden tst, durch welchen für einen besonderen Ausschuß ein Kredit von zehn Millionen Mark zur Sanirung Hamburgs, insbesondere zur Niederreißung einer Anzvhl enger Straßen, gefordert wird. Frankreich. Der „Gaulois" läßt sich aus Peters burg von angeblich unbedingt zuverlässiger Seite mittheilen, daß thatsächlich eine nach diplomatischen Formen unterzeichnete französisch-russische Militärübercinkunft zu gegenseitigem Schutze bestehe. Die Errichtung des russischen Mittelmeer geschwaders bedeute die Vollziehung einer Bestimmung dieser Uebereinkunft. England. Mit einer unverkennbaren Vorsicht, wie etwa, wenn man die traurige Pflicht zu erfüllen hat, einer geliebten Person die Nachricht von einem Todesfall zu melden, so haben die Freunde Gladstones dem englischen Volke und ihrer Partei nach und nach die Thatsache beizubringen gewußt, daß der große alte Mann, wie sie Gladstone verehrungsvoll nennen, nicht länger als Premier seines Amtes walten, daß sich der Vierundachtzigjährige in das Dunkel de« Privatlebens zurück ziehen werde. — Wenn sich Gladstone jetzt, dem Erblinden nahe, von der ausübenden Gewalt zurückzieht, so hinterläßt er das von ihm beeinflußte liberale England in einem Zu stande, der Demjenigen ähnlich ist, welcher einst nach dem Tode Alexanders des Großen rintrat. Ts ist kein Mann vorhanden, der auch nur annähernd die geistige Bedeutung und die hinreißende Beredtsamkeit besäße, welche Gladstone unbezweifelt sein eigen nannte. Wie er wußte und weiß Keiner dre Massen durch da» Wort zu gewinnen und zu be-