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PeS StreÜPostenstehenr durch örtliche Polizeimaßnahmen unmöglich macht? Was gedenkt die Kgl. LtaatSregierung zu tun, um diesen Zustand zu beseitigen? Abg. Winkler < (Lo-) begründet die Interpellation und bemerkt, daß die Behörden niemals die Bestrebungen der Arbeiter auf Verbesserung ihrer Tage unterstützt hätten. Alles bisher Tagewesene übersteige aber das Vorgehen der Polizei in Plauen i. V. bei den Streiks im Februar und März. Redner schildert eine Anzahl von Einzel fällen, wonach die Plauensche Polizei gegen Streikposten rigoros vvr- gegangen spi. LtaatSminister (Präs Vitzthum v. Eckstädt: Tie Re gierung wünsche durchaus, dass die Polizei entsprechend den Gesetzen dckS uvalitionorecht der Arbeitnehmer ebenso achte ioic das der Arbeitgeber und sich grundsätzlich jedes einseitigen Eingreifens in die Lohnkämpfe enthalte. Er werde daher auch cktumige Versuckse äblehnen, 'dem Ltreikpostcnstcheu grundsätzlich entgegenzutreten. Tie Polizei habe sich vielmehr auf die Ausrechterl^ltung der öffentlichen Ordnung zu beschränken. Freilich dürf ten weder Arbeitsn i,liae noch andere Personen belästigt, bedroht oder beleidigt werden. Aus dem Recht der Strei kenden, Streikposten auszustellen, gehe nicht das Recht hervor, Arbeitswillige zu belästigen. Tie Polizei habe mit allen Mitteln dafür zu sorgen, das; der freie Ver kehr der Arbeitswilligen zur Arbeitsstätte ungestört bleibe. Er habe nach de» augestelltcn Erörterungen sich nicht überzeugt, das; die Polizei i» Plauen der Arbeiter schaft das koalitiousrccbt unmöglich gemacht habe. Die Regierung tönnc deshalb in der fraglichen Angelegenheit nicht eingreifen. Auf Antrag des Abg. Linderman» lLoz.) wird die Besprech»»;; der FnlcrpeUaiioii beschlösse». Tie Abgg. Nietzschkc lNall.) u»d Opitz ikons.) erklären sich namens ihrer Fraktionen im wesentlichen mit den Ausführungen deS Ministers ciiiverstaude». Tie Abgg. Müller (Soz.) und Riem lSvz.j erhebe» nochmals scharfe Angriffe gegen die Plauensche Polizei und fordern, das; das koalitions recht unangetastet bleibe. Abg. Brodaus lFortschr. VP ): TaS Ltreikpostenstehcn sei als ein ganz notwendiges Kampfmittel zu betrachten. Tic Erklärung des Ministers sei zwar »ich; zn beanstande», doch müsse daran sestge- halten werden, das; die Nachgeordneten Behörden auch der Ausfassnng deS Ministers gerecht werden. Rach einer AnSeinandersetzung zwischen den Abgg. Winkler (Loz.) und Nictzschtc (Nntl.) wird die Besprechung geschlossen. Tie Tagesordnung ist erschöpft. Nächste Sitzung Mittwoch vormittag lljUhr. Vermischtes. , CK. Einer, der» o ch, R aPolcon I. ge s e h c n hat. „Pierre Lchamel-Ron. Hundertjähriger" — so steht ans einem kleinen Schild an einer schmalen Tür ganz am Ende von Jvry, wo in stiller Einsamkeit, umgeben von Erinncrnngen einer hundertjährigen Vergangenheit, nocl> ein Mann lebt, der den großen Napoleon in seinen Rnlnneslageu geschaut hat. Maurice Level hat den rüsti gen Greis, der zn Anfang de-k Jahres 1807 das Licht der Well erbticlte, ausgesucht »ud läßt nun den Alten in Je saiS tont von dem größten Eindruck seines Lebens er zählen. Tas Bild des Kaisers hat sich dem Geiste des Knaben jo unauslöict lich eiugevrägt, das; es Henle, nach hundert Jahren, noch in alter Lebcudigteit vor seinem inneren Auge stellt. Lchamels Vater war Ordonnanz bei Napoleon und seine Mutter war eine Verwandte Tal mas, die bei dein großen Schauspieler wohnte. Ta Talma vietsach beim Kaiser in Laiul Eloud war, kau; das Kind in Napoleons Nähe und sah ihn oftmals. Leine „erste Begegnung" mit dem Kaiser hat ihm seine Groß mutter erzählt. Es war am August 1807, als Napo leon bei einem Spaziergang im Park von Saint Cloud einer alten Frau begegnete, die ein kleines Kind im Arm trug. Ta der Kaiser lächelte, sagte die Fran: „Sire, ich stelle Ismen einen neuen Bürger vor . . ." „Sie sokl- Waldesrauschen. Roman von I. Hutten. 4 „Wenn ich die keusche Liebe meines Weibe', ihr unbeding te? Vertrauen sehe, daun drückt eS mich, daß ich ihr manches aus meiner Vergangenheit verheimlichen muß." „Das sagst Du!" rief Bruno in maßlosem Erstaunen, „Du/der uüs immer ein Vorbild war in Solidität und zarter Gesinnung." Eine schnelle Röte verbreitete sich über das Gesicht deS Oberförsters. „Laß nur, Freund, wir verstehen uns in diesem Punkte wohl nicht. Doch jetzt denke wirklich au Deine Toilette, sonst überfällt uns die Dunkelheit. Hedwig wird uns auch bald zum , Abendessen erwarten." „Willst Du nicht lieber gleich hinabgehcu und die Da men in guter Laune erhalten? Ich folge Dir in Kürze." Egon entsprach ohne weiteres dem Vorschläge, und Bruno machte sich wirklich an die Arbeit, aber langsamer, als es sonst seine Art war, weil ihn die Worte deS Freundes lebhaft in Anspruch nahmen. Ob die Ehe alle Männer so philiströs machte? Dem widersprachen seine bisherigen Erfahrungen. Stand diese Hedwig so viel höher als wie ändert Franen, oder war nur Egone Gefühl so überaus zart? Als Bruno wieder unten erschien, hatten sich seine Wirte schon in das Zimmer zurückgezogen, wo bei Heller Lampen- belenchtungdergedeckte Abendtisch bereit stand. Jetzt erst konnte er die Damen näher in Augenschein neh men, und er fühlte sich angenehm berührt durch ihre vorneh- men und hübschen Erscheinungen. Sie sahen sich ähnlich, obwohl bei Fräulein Ida von Gmunden alles lebhafter, pikanter al» bei der Schwester war, von der zierlichen Fi gur an bi« zu dem schmalen Gesichtchen, da« mit seinem im mer wechselnden Mienenspiel einen ganz eigenen Reiz aus- übte. Mit übermütiger Schalkhaftigkeit musterte sie den Assessor ausdrucksvoll, al« er einttat, und beantwortete dann seinen fragenden Blick mit der Bemerkung, er sähe allerdings so verändert und elegant au», daß man ihm die halbe Stunde »u.s«iner^.roilk1te zugute halten müsse. ten sagen einen Franzosen," unterbrach sie der Kaiser. Da verbeugte sich die alte Frau und sagte bescheiden: „Cure Majestät entschuldigen, aber 'ich erinnerte mich daran, daß der erste Konsul und der Kaiser ein und die selbe Person sind." Diese Großmutter, die in den Tagen der Revolution ihrck größten Eindrücke empfangen hatte, weckte in dem Knaben die Erinnerung an die nahe Ver gangenheit; die Mutter lebte ganz in der Gegenwart. „Ich ivar etwas über vier Jahre, Mqma verbrachte die Tage mit mir unter den Bäumen, und da habe ich zum erst«,; Male bewußt den Kaiser gesehen. Mama sagte: „Hast Du Deinen Papa gesehen?" Aber bei dem raschen vorbeireiten der Kavalkade hatte ich ihn nicht erblickt; ich hatte niemanden anders gesehen als den Kaiser. . . Ja ich habe ihn gesehen, und mir ist, als sähe ich ihn immerdar. Ich habe ihn seitdem oftmals gesehen, bei den Revuen, Theater, in Saint-Cloud. Er hatte eine Erscheinung, die man nicht vergisst Ich kann nicht sagen, ob er groß oder klein war, denn dein! Alter, in den; ich damals stand, gibt man sich darüber noch keine Rechenschaft. Aber was mir lebendig geblieben ist, das sind seine Augen. Ach, diese schönen Hugen! Er sah einen nicht oft au, aber wenn er einen ansah! Ich habe nie wieder solche Augen gesehen. Sie waren nicht schwarz, nicht braun, nicht blau, sie waren mauvefarben, von einem dunklen tiefen Mauve, das eine andere Farbe, annahm, wenn er in Zorn geriet. Ich sah ihn so eines Tages in einer Allee, und ich ivagte nicht, mich ihm zu nähern. Dabei hatte er mich gern und tätschelte mich oft in« Vorbeigehen auf die Backe. Als der König von Rom geboren ivar, wählte man mich für ihn als Spielkame raden. Man hat mir dann auch altes Spielzeug von ihm gegeben und ich bewahre noch! eine Puppe, die er oft im Arme hatte. Das ist so ziemlich alles, was mir von der kaiserlichen Familie gebkielen . . ." Schamel hat mit offenen Augen und fühlenden« Herzen die ganze franzö sische Geschichte nach dem Sturz des Kaisers durchlebt; durch Talma kau« er ans Theater und wurde Garderobier an der Großen Oper. Auch! mit Lamartine kam er in Ver bindung und wurde während der Revolution von 1848 im Tienstc des Dichters und Staatsmannes sogar ver wundet. Als Belohnung dafür sollte er das Kreuz der Ehrenlegion bekommen, aber er zog ein bescheidene? siche res Auskommen Lei der Tabakregie dieser Auszeichnung vor. Er hat auch den dritten Napoleon oft gesehen — „er war ein guter Mann, aber ich hatte den anderen zu gilt gekannt, nm mir durch ihn imponieren zu las sen:" die Tage deS zweiten Kaiserreiches und der Re publik hat er durchlebt . . . >,äber," so schloß er, „sehen Sie, «nein Herr, all das bedeutet nur ivenig, wenn man, wie ich, Napoleon I. gesehen hat!" CK. Tie „Sh c rlo-cki n e t t e" — der ne neste Tanz. Ten tanzenden Heldei« des spiegelglatten Par ketts winkt eine neue. Aufgabe, die Mode fordert ein neues Opfer, neues Studium, neue Arbeit: die Lher- lockinette mns; gelernt sein, der neueste Modctanz, der Tanz der kommenden Saison. Es genügt nickst wehr, Boston, Twostep, Onesbep oder auch den Grizzlybär zn beherrschen, der argenitiniscb-c Tango ist überholt, der Flicgertanz überwunden: wer die Sherlockinelte nicht tanzen kann, wird in« Ballsaal fortan eine Null sein, wird überhaupt nicht existieren. Tic internationale Aka demie der Tanzmcister hat den Ruhm der Sherlockinelte verkündet und sa.on strömt ganz Paris zu ihrem Er finder, dein bekannten Tanzmcister Giraudct. Was ist die Lhcrloclinctte? Sie ist einfach, sie hat nur vier Figuren, die bestimmt sind, „die vier Verwandlungen des Sherlock Holmes in den vier sozialen Massen darzn- stcllcn." TaS klingt verheißungsvoll. Eine Art getanz ter Conan Doyle. In« Figaro verrät ein Eingeweihter die Cinzcshcitcn dieser neuen Schöpfung. Erste Figur: der Tänzer — Sherlock HolmeL — prüft und beobachtet verstohlen, aber scharf die Tänzerin: er will ihr die Juwelen entführen. Tiefe Prüfung zwingt ihn vor allem zu vier Schritten Twostep. Aber das ist nur ein Auftakt, s „Gnädiges Fräulein sind sehr gütig, das zu bemerken," ! sagte er, sich tief verneigend, mit leicht ironischem Lächeln. ' Fran Hedwig bat zn Tisch, und Bruno erhielt seinen Platz zwischen den beiden Schwestern. Sie faße«« noch kaum, als Ida schon begann, ihn ein wenig ««ach seinen Erlebnissen zn fragen. Vergebens bat der Oberförster, seinem Freund zu nächst noch Ruhe zu lassen, vergebens unterstützt« die Haus frau diesen Wunsch durch bittende Blicke auf ihre Schwe ster, Ida mußte so gewandt nach diesem und jenem ganz harmlos zn fragen, daß Bruno bald im vollsten Erzählen war. AIS der Name deS Försters Borke fiel, fragte Egvn er freut: „Da bist Du in gute Hände gekommen, «das «st em braver und recht gebildeter Mann. Hast Du anch schon seine schöne Tochter kennen gelernt?" Des Assessors Kopf fuhr in die Höhe. „Ncip, leider nicht, denn schön muß sie wirklich sein, «venu sie ihrem Schlingel von Bruder ähnlich sieht, der so unhöf lich war, mich ohne Abschied fortgehen zu lassen." Egon lachte und war im Begriff, etwas zu erwidern, als unter den« Tisch ein leichter Stoß seiner Schwägerin und ihr sehr ausdrucksvoller Blick ihn daS Wort unterdrücken ließ. So sagte er nur: „Ja, sie ist sehr schön, vielleicht hast Dir ein mrdermal mehr Glück. Du wirst doch jedenfalls wieder nach Lanzken zu BorkeS gehen wollen." „Du hättest keinen so überschwänglichen Ausdruck wählen sollen," tadelte ibn seine Schwägerin. „Du hast Schuld daran, wenn der Herr Assessor diese Nacht nicht schlafen kau», denn wer läßt sich gern den Anblick eines schönen Gesichtes entge hen!" „V, bitte sehr, gnädiges Fräulein," sagte Bruno schnell, „wem die Götter so viel Gunst erwiesen haben, wie mir heut, der darf sich über nicht» beklagen. Aber Sie lächeln so eigen. Steckt «ine kleine Fopperei dahinter? Ist Fräulein Borke wirklich schön, anch nach Ihrem Geschmack?" Mit einem madonnenhaften Augenaufschlag und einein spitzbübischen Lächeln nm den Mund nickte sie ihm feierlich zu: „Ja, auch nach meinem Geschmack." WaS Hedwig bei dem allen dachte, sprach sie nicht aus, und Brnno konnte eS ihrem still freundlichen Gesicht nicht ansehen. der jeder Figur ovraufgeht- Mit dem fünften Schritt ginnt die eigentliche Sherlockinette. Tänzer und Tänzerin stehen einander in der klassischen Pose des Boston gegen über. Tabei steht jedoch nicht une beim Boston där eine Fuß der Tome zwischen denen des Harr,« und der eine Fuß des Herrn zwischen denen der Tame; jeder Tänzer hält seine Füße nebeneinander, in der Figur erscheint da« Paar Tamenfüß« zur Rechten und das Paar Herren süße zur Linken. Und nun — aufpassen! setzt der Tänzer die Spitze des linken Fußes vor, die Täuferin aber die Spitze des rechten Fußes zurück. Ter Tänzer erhebt ein wertig den linier« Fuß und stellt «hu glatt vor, die Tän zerin hebt den rechten Fuß und stellt ihn zurück. Mer Sherlock Holmes beugt mit forschendem Blick den Ober körper nach! links und beobachtet die Tänzerin, die ihrer seits iviedct den Körper nach rechts beugt. U,rd man be ginnt von neuem, indem man mit dein anderen Fuße anfängt. Zweite Figur: der tanzende Tetektiv setzt sein Studium fort. Er umkreist sein Opfer. Selbstverständlich! vier Schritt Twostep. Tann trennen sich die Tänzer, um sich nebeneinander, Angesicht zu Angesicht, wiederzufin den. Ter Tänzer nimmt mit der rechten Hand die linke Hand der Tänzerin. Sie hebt den rechten Arm und macht drei kleine Twostepschritte vorwärts, während Sherlock Holmes durch die gleiche Bewegung um die Dame kreist und unter ihren« rechten Arn« hindurchgeht. Während dieser Bewegung rollt sich der Arn« der Tänzerin um ihre Taille: Sherlock zieht am Arme, die Tänzerin „rollt ab" und kehrt mit einer Pirouette wieder. In der dritten Figur folgt Sherlock HolmeS der Tänzerin auf den Fuß spitzen; bau«« schließt der Tanz in der letzten Figur mit vier Schritt Twostep und acht Galoppschritten. Tie Akademiker der Tanzkunst aber sind begeistert, da die Sherlockinette in« Gegensatz zu de,« anderen Modetänzen „dezent" und anmutig «st. CK. Mecaillcn 'ür pünktliche Cteuer zähle r. Von einem interessanten Verfahren, das die Stactbehörden von Kobe cingeführt haben, um die Bür ger zu einer recht pünktlichen Bezahlung der Steuern anzuregcn, berichtet der Japan Chronicle einige Einzel heiten. Auch rn« Laiche der ausgehenden Sonne drän gen sich die Bürger nicht in übergroßer .Hast zur Steuer kasse, man zahlt so spät als möglich! und möchte natür lich auch so ivenig als niöglich bezahlen. Tie Behörde ist dadurch! gezwungen, einen recht umfangreichen Be amtenapparat zn unterhalten, der unausgesetzt säumige Steuerzahler mahnt; dazu kommen noch die Zinsen, die die Steucrkassc durch die Trägheit der Steuerpflichtigen einbüßt. Um all diese Nachteile zn beseitigen, haben die Stadtväter von Kobe ei,« geistreiches Mittel er sonnen: eine Belohnung, eine Prämie für pünktliche Ste,«erzahler. Jeder Bürger, der seine Steuer pünktlich an« Tage der Fälligkeit entrichtet, erhält einen kleinen Papicrstreiscn: ei«« Freilos zu der Lotterie für pünkt liche Steuerzahler. Diese Lotterie verfügt über eine ganze Reihe von Preisen in« Werte von einer bis zn hundert Mark. Und da man die Steuer ja schließlich, doch be zahlen muß, will jede«' diese Chance nicht versäumen, winkt ihm noch die Möglichkeit, ohne einen Pfennig besondere«: Auslagen vielleicht fünfzig oder gar hundert Mark zn gewinnen. Aber Vic schlauen Stadtvätcr von Kobe benutzen nicht nur den menschlichen Spicltricb und die Hoffnung ans Gewinn, um die Steuerzahler zur pünktlichen Zahlung zu erziehen, alle Bürge«', die uach<- iveisbar eine bestimmte Anzahl von Jähren hindurch ihre Steuer pünktlich und ordnungsgemäß bezahlt haben? erhalten von der Stadtverwaltung eine Porzellan medaille, die dazu bestimmt islj, an der HanStür ange bracht zn werden, so daß der pünktliche Steuerzahler auch äußerlich von allen Nachbarn und Passanten als eil« Vorbild eines guten Staatsbürgers beneidet oder be wundert werden kann. Nach dem Abendessen erging man sich noch eine Weile im Freien, da die Luft nach dem Gewitter ganz besonders er quickend ivar, und Mond «rnd Sterne freundlich am Him mel funkelte««. Bei der Rückkehr bat Egon die Damen um ein paar Lieder, und als sich die Schwestern sofort anschick» len, seine«« Wunsch zn erfüllen, winkte er dem Freunde, fei nen« Beispiele zu folgen und es sich in einem Schaukelstubl auf der Veranda bequem zu imachen. Da der Flügel der geöff neten Tür gegenüberstand, konnten sie gar keinen besseren Platz finden, um zn sehen und zn lauschen. Hedwig übernahm die Begleitung, und ihrer wundervollen Altstimme schmiegte sich der weniger kräftige, aber klare Sopran der Schwester aufs Anmutigste an. Bruno ivar Mnsiklicbhaber genug, um an diesen schonen, guten Stimmen und dem herrlichen Zu sammenklange reine Freude zu haben, und als «lach Schluß des ersten Liedes Egon sich zn ihm herüberbeugte und ver» klärt sagte: „Sieh/das ist meine schönste Feierstunde," da konnte er nur mit einem Seufzer erwidern: „Ja, Du hast Glück gehabt." „Du könntest Dir es auch erringen." Der Beginn eines neuen Liedes überhob dm Assessor fe der Antwort. Während er wieder lauschte, ging eS ihm durch den Kopf: Meint Egon, daß ich seine Schwägerin heiraten solle? Fast hatten ihn« die Worte so geklungen, aver das hätte ivenig des Freundes Art entsprochen. Und wie er nun in dem bequemen Stuhle leise schaukelnd, die Zigarre zwischen dm Lippen, die anmutige«« Gestalten am Klavier mit Ken nermiene betrachtete und auf die verführerischen Töne horchte, da wollte eS ihm beinahe bedünken, als wäre hier auch für ihn ein Weg zum Glück, auf den« Bedauern und Reue aus geschlossen sein müßten. Bei abwechselnd Musik und heiterem Geplauder verging eine weitere halbe Stunde, dann schlug die Uhr zehn,und der Oberförster erhob sich mit der Bemerkung, es sei Schlafens zeit und kein Grund, um des Gastes willen die Hausordnung abznändern, da Bruno selbst müde sein müsse. Niemand widersprach, und der Assessor verabschiedete sich von der Familie. Während er langsam die Treppe empor stieg, kam ihm zum Bewußtsein, was er über der angeneh men Unterhaltung der letzten Stunden gar nicht gemerkt hatte, daß er wirklich mehr als müde, daß er erschöpft war. ISS,20