Volltext Seite (XML)
Beilage znm „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und «erlag »an Langer L Winterlich In RI,la. — Flir dl« RedakNon vernntworlllch: Arthur Hähne! UnRlela. 120 Freitag, 2«. Mai Ii»11, «beuds 04 Jahrg. Deutscher Reichstag. ISS. Sitzung, Mittwoch, den 24. Mai 1911, 12 Uhr. Am Tische de» Bundesrat»: v. Bethmann Hollweg, Dr. Delbrück, Zorn von Bulach, Mandel. Der französische Botschafter hat dem deutschen Reichstag den Dank seiner Regierung sür die Anteilnahme an dem Jssyer Flugunglück übermittelt. Di« Matt« Les«»g da« elsaß-lothringische« Wahlgesetzes- S 1 enthält die WahlkreiSeinteilung. Der Kommissions beschluß sieht sechzig Mandate vor, die sich aus 23 Wahlkreise verteilen; davon entfallen auf Straßburg und Mülhausen je sechs, auf die anderen Wahlkreise je zwei oder drei Mandate. Die elsässische Gruppe Dr. Rrcklin-und Genossen beantragt, Straß burg und Colmar in ländliche und städtische Wahlkreis« »u teilen, wovon die beiden Straßburger je drei, Colmar Stadt ein» und Colmar Land zwei Mandate erhalten sollen. Weiter beantragen die Elsässer die Listenwahl. Zu S 2 beantragen die Elsässer auch das Wahlrecht von der Boraussetzung der LandeS- zugehörigkeir abhängig zu machen. Die Sozialdemokraten haben ihre Anträge auS der Kommission wiederholt: Frauenwahlrecht, Herabsetzung des Wahlalters vom 25. aus da» 20. Lebensjahr, durchweg nur einjährigen statt eines dreijährigen Wohnsitze» im Lande als Voraussetzung für das Wahlrecht. Abg. Emmel (Soz.): Von der Gestaltung des 8 1 hängt unsere endgültige Stellungnahme zum ganzen BerfassungS- werk ab. Bon der Einlegung eines ProporzantragS sehen wir wegen feiner Aussichtslosigkeit ab; unsere Anträge halten wir für notwendige Verbesserungen. Entschieden verwerfen wir aber die Anträge Nicklin. Man sieht da so recht die parteipolitischen Ziele dieser Herren; der kleinere Landkreis Colmar soll zwei Mandate haben, der größere Stadtkreis einen, und die beiden Mandate wollen Sie sich durch Listen sichern! Abg. Haußmann (Vp.): Die Verbesserungen in der Kom mission haben eine große und rettende Mehrheit gebracht. DaS Land wird von Stufe zu Stufe um so mehr Autonomie erhalten, je mehr es selbst mitarbeitet an den deutschen Dingen. Das allgemeine Wahlrecht hat seine Kraft wieder erprobt. Die Kon servativen haben geglaubt, daß die übrigen Parteien sich nicht zu einer Mehrheit zufammensinden würden, wenn sie beiseite ständen, und daß dann die Regierung ihre Abhängigkeit von den Konservativen empfinden wurde. Sie haben die Rechnung falsch ausgestellt, sie haben die Regierung förmlich auf die linke Seite herübergedrängt. Wer anderen eine Grube gräbt, fallt selbst hinein. (Sehr gut! links.) Das ist der Bankrott der konservativen Politik. Das Scheitern der Vorlage wäre ein Fia-ko vor ganz Europa, und Preußen al« der führende Staat würde mit hineingezogen. Vielleicht ist die Gruppierung von gestern eine Perspektive auf die Zeit ve» nächsten Reichstag», der fruchtbare Arbeit machen und eine starke Mehrheit unter Ausschaltung der Konservativen haben könnte, wenn die Wahl parole, dir der Reichskanzler gestern auSaegeben hat, in den Wahlkampf übertragen wurde, entiveder Pillestehen oder vor« wärtSschreiten! (Lebhafter Beifall links.) Abg. v. Oertzen (Rp): Wir stimmen nur unter Zurück stellung sehr wesentlicher Bedenken für die Vorlage. Wenn wir sür das vorliegende Wahlgesetz sind, so lediglich mit Rück sicht auf die elsaß-lothringischen Verhältnisse, weil dort bereits die politischen Wahlen nach diesem Maßstabe vorgenommen werden und eine rückläufige Wahlrechtsänderung nicht mög lich ist. Aber ich betone ausdrücklich, daß wir das nur mit Rück sicht auf Elsaß-Lothringen tun und es nicht als Präzedenzfall für unsere Stellung in anderen Staaten gelten lassen. Der Redner spricht gegen die Anträge und erklärt, daß der größte Teil seiner Freunde für dte KommissionSbeschlüss« stimmen werde. Abg. Beck-Heidelberg (ntl.): Meine Freunde sehen in dieser Vorlage eine gute Grundlage, wenn auch manches nicht so gestaltet ist, wie wir «S gewünscht hätten. Aber gegenseitiges Entgegenkommen war notwendig, an sich sind wir nicht gegen ein Pluralwahlrecht, aber eine Abstufung nur nach dem Alter halten wir nicht für richtig und besonders in Elsaß-Lothringen. Gltschieden lehnen wir eine Listenwahl ab, da diese chikanöS gegen die Minderheit wirken würde. Die Anträge werden abgelehnt und in einer auf Antrag Emmel (Soz.) namentlich vorgenommenen Abstimmung 8 S mit dem gleichen Wahlrecht mit 262 gegen 87 Stimtnen der Konser vativen und eines Teil» der Reichspartet angenommen. Der Rest des Wahlgesetzes wird ohne Erörterung erledigt. Nach Erledigung von Rechnungssachen folgt die erste Lesung der Vorlage über die vorläufige Regelung der Handelsbeziehungen zu Japan. Staatssekretär Dr. Delbrück sagt Auskünfte In der Kom- Mission zu, in der Hoffnung, daß trotz der Kürze der Zeit noch die Verabschiedung de» Entwurfs vor Pfingsten gelingt. Abg. Dr. Rvesick« (k.): Die Regierung will dte Vollmacht haben, daß sie «inen Handelsvertrag mit Japan in Kraft setzen kann, falls er zustande kommt. Da müssen doch schon Grund lagen vorhanden sein. Hoffentlich haben unsere Unterhändler nicht wieder den Fehler gemacht und dem Gegner die Meist begünstigung von vorichereln dargebracht. Abg. Speck (Z.): Wir haben Bedenken gegen so weitgehende Vollmacht. , , , Abg. Kämpf (Vp.): Wir werden ja in der Kommission hören, welch« Absichten die Regierung hat. Oarto blaaodo-Voll- macht wollen wir nicht geben. Wir müssen ungefähr wissen, wa» sie will. Unsere Unterhändler haben beim schivedischen Handelsvertrag vorzüglich gearbeitet, sie werden es auch hier tun. Wer den Verhandlungen »des Wirtschaftlichen Ausschusses beigcwohnt hat, weiß, daß unsere Vertreter eine große Sach kenntnis besitzen. Freilich gegen die Zollmauer können sie nicht anrennen. Die Vorlage geht an die Kommission sür den schwedische« Handelsvertrag. ES folgt die erste Lesung de» neuen Niederlassung-Vertrag«» in der Schweiz. Abg. Dr. M Üller-Mciningeu (vp^: Leider sind in dem Vertrag noch einige Spuren de» alten Polizetgetstes geblieben. Wir begrüßen aber jede internationale Annäherung und wünschen, daß sie auch auf die postalischen und BerkehrSverhältnisse aus gedehnt wird. Abg. Stadthagen (Soz): Der Vertrag bringt eine Verschlechterung. ES ist ein Ausnahmegesetz per preußischen Regierung gegen die Arbeiter. Der Redner redet sich in große Erregung hinein und spricht von Recht-Widrigkeit, Vertrags bruch usw. (Vizepräsident Schultz ersucht ihn, diese scharfen Ausdrücke zu vermeiden.) Geheimrat FrantziuS erklärt, daß eS schlecht möglich fei, eine Verständigung über Polizeivorschristen mit fremden Staaten herbeizusühren. Der Vertrag wird in erster und zweiter Lesung genehmigt, ebenso die Vorlage über die Schiffsmeldungen bei den Kon sulaten deS Deutschen Reiches, nachdem Abg, Dr. Heckscher (Vp.) um eine milde Behandlung der Kapitäne gebeten hatte, die sich erfreulicherweise noch eine tief eingewurzelte Abneigung gegen die Schreibseligkeit unseres Zeitalters bewahrt haben. Auch die Ueberetnkunft über das Seerecht (Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen usw.) wird nach einer zustimmenden Erklärung des Abg. Eichhoff (BP.) in erster und zweiter; Lesung angenommen. Da» Gesetz über die Beseitigung von Tierkadavern wird mit einem Antrag« Stubbendorf (Rp.), wonach es gleich zeitig mit dem Blehseuchengesetz in Kraft treten soll, in zweiter Lesung debattelos angenommen. Es folgt die zweite Lesung des Gesetzes über den Patent ausführungszwang. Die Abg. Srzbvra«r (Z.) und Freiherr v. Gamp (RP4, weisen auf die Angriffe hin, die in der Presse gegen da» Patent amt gerichtet worden sind. Sie sind ganz unberechtigt, und unser« Industrie ist mit der Judikatur des Patentamt» durch«»» zu frieden, —- - - WilkMiMkauZ Kedr. kieüel, Kien Inti. viMll S-me. — Lekr k«Me-M SMtMlrtniAL !.siel>1e llWen- unü IWMMM I.8iekts sokrv. Nansvpalstots „ „ kurrs Jacketts „ kalstots „ LuokLscbpalstots, sinkarbi's, vviü - Limoaos LtnudmLntsI, bsixv, kollxrnn, xrün w. sokv^vL. dosstrt Lioäsrpiüstots, vs-iö, rot, blau auä vQßlisofi xownstsrt Nir Rviso nnä Sport kür Vnmvo, Lorrvn auä Liaäsr. Künsttertieöe. Roman von G. v. Schlippenbach. 13 Er dachte oft an seine kleine Freundin Ernesta und kehrte in Gedanken zu jenen Tagen zurück, die er mit ihr gelebt. Anfänglich schämte er sich, ihr zu schreiben, wegen der Feh ler, die er machte. Als er es endlich tat, kam wohl eine Antwort, aber sie klang so wenig ermutigend, daß ernte mehr einen Brief an sie rich tete. Es hieß in Ernestas Schreiben unter anderem: „Mama sagt, daß ich jetzt ein großes Mädchen bin und Dich nicht mehr dutzen darf, auch meint sie, daß wir uns nicht zu schreiben brauchen. Deine Mutter und Mama könnten es statt dessen, so werden wir von einander hören. Lieber Oskar, ich bin wirklich sehr traurig, aber ich muß doch gehorchen, ich werde Dich nicht ver sessen." Die einstigen Spielgefährten haben sich nicht wiedergesehen »nd in 10 Jahren verblaßt die Erinnerung, wenigstens in Ernestas Herzen, die noch im zarten Alter stand, als sie Os kar kennen lernte. Nur sein hinreißendes Spiel blieb ihr un vergeßlich und mischte sich nachts in ihre Träume. Bald nachdem Wesebachs Petersburg verließen, wo Oskar Wine vier Konzerte gab, die einen reichen Ertrag lieferten, bald nach dem gemeinsam verlebten Sommer, zogen Baron Moll- Leck und seine Familie nach Deutschland, und später führte ihn sein Amt nach Kopenhagen. Anfänglich wurden zwischen den beiden Müttern Briefe gewechselt, bald hörten sie auf und die angeknüpften Bande lockerten sich. OSkar Wesebach oder wie er genannt sein will, Viktor Au rich, war vor einigen Monaten aus Amerika nach Europa zu- rückgekehrt. Trotz seiner Verschwendung war er reich geworden, sein Wunsch war eS, eine Villa zu kaufen, die in einer schö ben Gegend lag, um dort em Heim zu haben, das ihm, dem -komaden, al» Zuflucht dienen könne, wenn er sich nach Ruhe und Einsamkeit sehnte. Der „Walter Fürst" hatte den Bodensee durchquert und rauschte in den Hafen von Rorschach, der bereits viele große Dampfer und kleine Fahrzeuge gastfrei ausgenommen hatte. > Die beiden Freunde stiegen im goldenen Anker ab, von wo man die herrlichste Aussicht über die Ufer des Sees hatte. Als Gustav Temow und sein Begleiter in den großen Speisesaal traten, fanden sie bereits alle Plätze besetzt. „Bitte, meine Herrschaften, hier," sagte der Wirt verbindlich und rückte die Stühle für die Neuangekommenen. Viktor saß neben einem Herrn, der recht auffallend auSsah, er trug einen groß gewürfelten Anzug, ein rot and weiß gestreiftes Hemd und bunte Halsbinde. Er sprach englisch mit seiner Begleite rn, die ebenfalls den Ursprung ihrer Geburt nicht verleugnen konnte. „ES sind Amerikaner," sagte Ternow leise zu Viktor, „nicht wahr» Dos Englisch klingt fremd." Viktor war aufgestanven und schob feitttzn Stuhl heftig zu rück. „Es ist hier unerträglich heiß," sagte er zu seinem Freunde, „ich will mir auf den Balkon das Essen bestellen." Der junge Arzt blickte ihn erstaunt an, oer Speisesaal war kühl und gut gelüftet. Aber er war cm die Launen des Künst lers gewöhnt. Viktor war unberechenbar, deshalb nickte ihm Ternow nur zu und beendete ruhig seine Mahlzeit, dann trat er auf den eisernen Balkon hinaus. „Sie haben nichts gegessen," sagte der Wirt bedauernd, „ist meine Küche nicht schmackhaft, mein Herr?" „Ja, ja, ich bin aber nicht hungrig, lassen Sie mir noch eine Flasche Wein bringen, von dem spanischen, den ich zuerst be stellt hatte." Ternow hörte daS Gespräch und setzte sich zu dem Freunde. „Warum ist er verstimmt," dachte er, laut sagte er: „Höre mal, Alter, als Arzt müßte ich Dir verbieten, das feurige Zeug zu trinken, ich hoffe, Du gibst mir den Löwenanteil davon." „Wenn Du mich mit Deinen Verordnungen quälst, so brenne ich durch," versuchte Viktor zu scherzen, aber es grollte dabei in seiner Stimme. „Nun, nun, ärgere Dich nicht," beschwichtigte Ternow gut mütig, „ich möchte nur wissen, maS Dir Deine Tischnachbarn getan haben, Du warfst ihnen einen Blick zu, als haßtest Du sie.« „Ja, daS tue ich," rief Viktor wild, „ich hasse alles, was amerikanisch ist, dieses Krämervolk, das mit seinen Dollars groß tut, daS kein Herz hat und bei dem alles Berechnung ist. Ich hasse daS Land, das solche Menschen trägt, und ich wünschte, ich wäre nie, nie dorthin gekommen." Die letzten Worte erstarben in einem undeutlichen Mur meln, Viktor hatte die Hände geballt und sein sonst verschleier tes Auge funkelte. Gleich darauf sank er schlaff in sich zusam men und saß teilnahmslos da bis der Wein gebracht wurde. In fieberhafter Gier trank er davon und ärgerte sich über Ter now, der ihn in dem Genuß beschränken wollte. Der Mond ging rund und groß auf und märchenhaft la gen See und Berge da. Die beiden Freunde verließen den Gasthof und schlenderten langsam auf der Steinmole, die sich als Schlitz des Hafens weit nach rechts hinzieht. Die Schiffe kamen und gingen, ihre Scheinwerfer erstrahl ten, die Lichter von Romanshorn, Lindau und Bregenz schim merten durch die klare Nachtluft herüber. Ernst und groß schau ten die Berge zu Tal, tiefer Frieden lullte die Erde in Traum und Schlummer. Gustav Ternow sprach mit einem Fischer, der ihm allerlei erzählte, und bemerkte nicht, daß Viktor verschwunden war. Erst als der weiche Ton einer Geige durch die Stille zitterte, been dete er seine Plauderei mit einem Schweizer. „Da spricht er wieder mit seiner Geliebten," dachte der Arzt, „er gefiel mir heute abend gar nicht. Ein dunkles Geheimnis schwebt über seinem Leben, selbst mir, dem Freunde, enthüllt er es nicht. Wie er spielt, seine Kunst ist bewundernswert, aber sie reibt ihn auf vor der Zeit, in jedem Ton jubelt und weint sein heißes Herz." Allmählich waren auS allen Häusern die Bewohner getre ten, die Dampfer verzögerten die Abfahrt, der schrille Pfiff durfte das Konzert nicht stören. Und die Nacht selbst schien zu lau schen, die Berge und der See lagen im Mondlicht träumerisch eingesponnen, wahrlich ein würdiger Saal für die Kunst desge nialen Meisters. Die wilde Klage um ein totes Älück, die Ver zweiflung eines brechendenMenschenherzenSunddie tiefeSchwer- mut einer müden Seele, das alles glaubte Ternow zu verneh men. Plötzlich änderte sich die getragene Weise; in kecken Stri chen ging sie in einen ausgelassenen Tanz über, ein toller Czar- das folgte, man ylaubte die schlanken Söhne der Pußta vor sich zu sehen, die, ihre schwarzäugigen Liebchen im Arm, vor beiflogen. Immer schriller, immer zügelloser wirbelte es durch einander, dann ein kurzer Ton von einer zerspringenden Saite und nichts weiter. 185,20