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46 alten Geschlechts bin, und daß ich nicht allein mein Herz fragen darf, wenn ich einen Gatten wähle. Du darfst vollkommen ruhig sein, Vater, die Freiin Eugenie von Utten wird niemals einem Bürgerlichen ihr Jawort geben." „Dann aber erwecke auch einem Bürgerlichen nicht Hoff nungen, welche er nicht hegen darf," entgegnete die Geheim räthin, welche bisher an dem Gespräch keinen Theil genommen hatte. „Du hast recht, meine liebe einzige Mama," sagte Eugenie, ihre Mutter umarmend. »Ich bin zwar überzeugt, daß Herr Utten garnicht daran denkt, mir seine Hand bieten zu wollen, — er ist wohl gütig und freundlich gegen mich, aber er be handelt mich saft noch wie ein Kind, trotzdem will ich Deinem Wunsche und dem deS Vaters folgen. Diese schönen Spazier gänge sollen aushören, ich werde Herrn Utten künftig nur in Deiner Gegenwart, wenn er einen Besuch in Treuenfeld macht, sehen!" »Das heißt wie meine Tochter gesprochen!" sagte der Geheimrath, indem er Eugenie auf die Stirn küßte. »Ich verlange nicht von Dir, daß Du Herrn Utten ganz vermeiden sollst, aber " Er wurde durch den Eintritt eines DienerS, der auf einem Präsentirbrett einen eben eingetr.'ffenen Brief trug, unterbrochen, kaum hatte der Geheimrath die Schriftzüge der Adresse gesehen, als er hastig den Brief ergriff, ihn öffnete und begierig las. Das Schreiben lautete: Hochgeborener Herr Freiherr! Hochverehrter Herr Wirklicher Geheimrath! Ew. Excellenz mögen mir nicht zürnen, wenn ich erst heute meiner Pflicht nachkomme, um Ew. Excellenz mitzu- theilen, was in Sachen deS verlorenen Briefes bisher geschehen ist. Lange Zeit waren alle meine Bemühungen fruchtlos, erst in diesem Augenblick ist mir eine hochwichtige Nachricht zugegangen, welche ich nicht verfehle, Ew. Excellenz sofort mitzutheilen. Durch einen befreundeten Beamten der Polizei habe ich vernommen, daß Ew. Excellenz Schwager, der Justizrath von Wredner, sich außerordentlich für einen Fremden interessirt, einen Oesterreicher namens Hudler, der hier Anfangs Juli plötzlich im Gasthof zum grünen Baum an einem Schlagflu,; verstorben ist. Jetzt hat es sich herausgestellt und zwar durch Privatnachforschungen des JustizrathS von Wredner, daß dieser Fremde wahrscheinlich einen falschen Namen getragen hat und daß er ein Sohn des Schlotzxrwalters Schuckert von Treuen feld ist. Ist dies, und ich Zweifle nicht daran, richtig, dann ist sicherlich der Schuckert der Verlierer deS Brieses und dann befindet sich sein Vater in dem Besitz derjenigen Dokumente, welch« Schuckert Sohn bei dem Obersten von Utten verkaufen sollte. Der mir befreundete Polizist glaubt dies ebenfalls. Er hat in dem Notizbuch deS sogenannten Hubler folgende Notiz gefunden: »Zuerst den Obersten Freiherrn v. Utten, Friedrichstraße Nr.—* besuchen, erst wenn kein Erfolg, den Geheimrath, Doro- theenstraße Nr.***.- Durch diese Notiz ist der Polizist zuerst auf das Interesse, welches Ew. Excellenz an der Sache haben können, aufmerksam gemacht worden und hat mir heut die betreffende Mittheilung gemacht. Andere Schriftstücke haben sich im Nachlaß des Ver storbenen nicht vorgefunden. Es ist wohl dringend nothwendig, daß Ew. Excellenz schleunigst bei dem Schloßverwalter Schritte thun, um die Dokumente, an denen Ihnen so viel zu liegen scheint, von ihm auf eine oder die andere Weise zu erhalten, da sonst vielleicht der Justizrath v. Wredner Ew. Excelleuz znvorkommen könnte. Wredner ist jedenfalls in dieser Sache sehr thätig, er scheint einen eigenen Agenten nach Tirol gesendet zu haben, wenigstens theilte mir der befreundete Polizeibeamte mit, daß der Justiz rath gestern eine Schriftprobe des Aloys Schuckert, die er aus Treuenfeld erhalten, produzirt habe und daß diese Schrift mit der im Notizbuche enthaltenen identisch sei, wodurch der Ver dacht, Aloys Schuckert habe sich in Berlin Hubler genannt, fast bis zur Gewißheit erhöht wird. In den nächsten Tagen wird die Behörde sich bezüglich des Nachlasses des Schuckert aiiu8 Hubler an die österreichischen Gerichte wenden; ich stelle anheim, ob Ew. Excellenz es für geboten erachten, schon vorher bei dem Vater des Verstorbenen Schritte zu thun. Mit der Versicherung, daß ich hoch erfreut sein würde, wenn es mir möglich wäre, Ew. Excellenz zufrieden zu stellen, zeichne ich als Ew. Excellenz Gehorsamster Diener Zehrfeld, Justizrath. Mit immer wachsendem Interesse hatte der Geheimrath gelesen, als er jetzt zu Ende war, ging er mit großen Schritten sinnend im Saale hin und her, er hatte das wichtige, durch die Ueberbringung der Briefe unterbrochene Gespräch mit seiner Toch ter ganz und gar vergessen. Eugenie erinnerte ihn daran. „Du wolltest noch etwas bemerken, Vater," sagte sie. »Richtig! richtig! Was war es doch gleich?" erwiderte der Geheimrath zerstreut. „Wovon sprachen wir doch? Ah, ich erinnere mich, — von dem jungen Utten. Nun, die Sache ist ja abgemacht. Du magst Deinem Lebensretter mit gesellschaftlicher Freundlichkeit begegnen, auf welche er Anspruch machen kann, jede weitere Annäherung wirst Du Dir aber fern halten." Wieder setzte er seine Wanderung durch den Saal fort; der Brief des Justizrath Zehrfeld beschäftigte ihn so ausschließ lich, daß er die Außenwelt darüber völlig vergaß. Ein Agent des Justizraths Wredner sollte in Treuenfeld für diesen wirken. Wer konnte es sein? Nur einer, jener kleine Herr Wiebe, der am Achensee sich der Geheimräthin genähert und in Treuenfeld die Bekanntschaft fortgesept halt ! Jetzt plötzlich erinnerte er sich, daß er wohl früher schon das falten reiche Gesicht irgendwo gesehen habe, aber wo? darüber ver mochte er sich keine Rechenschaft abzulegen. War Eugen vielleicht der Sohn des Verschollenen? Bei dem Gedanken, der schon einmal in ihm aufgetaucht, aber von ihm als thöricht zurückgedrängt war, zuckte der Geheimrath er schreckt zusammen. Dann lebte auch der tief Beleidigte, der aus dem Vaterhaus Verstoßene in der Nähe, er stand in Ver bindung mit Wiebe, dem Agenten Wredners und dieser Agent wieder hatte den Beweis herbeigeschafft, daß jener Hubler der Verlierer des verhängnißvollen Brieses, der Sohn des Schloß verwalters von Treuenfeld sei; auch mit dem Schloßverwalter war Wiebe bekannt, in der Hand dieses einen Mannes vereinten sich alle Fäden einer gefahrdrohenden Jntrigue. War denn aber wirklich die Gefahr so groß? Ja, sie war es, der Geheimrath konnte daran nicht zweifeln. Zeigte ihm nicht der junge Eugen Utten offen seine tiefe Abneigung ? Waren nicht Eugens Eltern, als sie erfahren hatten, wer in der Pertisau eingetroffen sei, plötzlich abgereist?'Verkehrte nicht Wiebe täglich im Schloß mit dem kranken Schuckert? Wiebe war der Agent Wredners, er intrigirte in dessen Auftrage, aber zu welchem Zwecke? Vergeblich sann darüber der Geheimrath nach, es fehlte ihm zur Lösung des Räthsels an jedem Anhaltepunkt. Und doch — einen hatte er, den verlorenen und gefundenen Brief. Er trug ihn in der Brief tasche bei sich. Schon ost hatte er ihn gelesen, und jetzt las 4? er ihn abermals: „Der Freiherr Theodor von Utten ist nicht, was er scheint. Jemand, der die Verhältnisse genau kennt, ist im Stande, Aufschlüsse zu geben, welche die berechtigten Erben, wenn sie ihr eigenes Interesse recht verstehen, gern mit einer reichen Belohnung erkaufen werden, da sie einen hohen Kapitalwerth haben. Der Ueberbringer dieses Briefes ist be auftragt, mit dem Herrn Freiherrn Emil von Utten Unterhand lungen anzuknüpfen." So lautete der Brief, den — der Justizrath Zehrfeld war sicherlich im Recht — der alte Schloßverwalter durch seinen Sohn an den Obersten hatte schreiben kaffen, um von diesem eine bedeutende Geldsumme zu erpressen. Schuckert besaß jene wichtigen Dokumente, nach denen der Geheimrath seit vielen Jahren vergeblich geforscht hatte, er wollte sie dem Obersten verkaufen. Den Geheimrath überlief ein Schauder, wenn er an die Folgen eines solchen Verkaufes und daran dachte, daß Wiebe vielleicht über denselben mit dem alten Schuckert unterhandle. Eugen Utten, der ihn haßte, erhielt dann die Macht, seinen Vater zu rächen, den unberechtigten Eindringling in das stolze Uttensche Freiherrngeschlecht zu entehren und mit Schmach zu überhäufen. Ein plötzlicher glücklicher Gedanke zeigte dem Geheimrath einen Ausweg aus dem Labyrinth. Der junge Mann liebte Eugenie! Durste er dm Vater entehren, wenn er die Hand der Tochter sich erwerben wolle? War Eugen gewonnen, dann drohte keine Gefahr mehr, dann mochte der alte Schuckert immerhin seine Dokumente an den Justizrath von Wredner, oder auch an dm wieder auftauchenden Eugen, den Vater, verkaufen. Nach einer Verbindung Eugens mit Eugenie mußte es im Interesse aller Familienglieder liegen, jene schmachbringenden Papiere zu vernichten. Diese Verbindung mußte herbeigeführt werden, und es war sicherlich leicht, es zu thun. Liebte doch Eugenie ihren Lebensretter, hatte sie doch nur widerstrebend dem Befehle ihres Vaters, den vertraulichen Umgang mit ihm abzubrechen, gehorcht. Der Geheimrath lächelte. Wie seltsam war es, daß er noch vor wenigm Minuten seine Tochter mit ungewohnter Härte behandelt hatte wegen ihrer Liebe, die ihm jetzt plötzlich der Zielpunkt der glühendsten Wünsche war. Glücklicherweise war noch nichts verloren, noch konnte er mit dem Anschein väter licher Liebe die Herzenswünsche der Tochter erfüllen und damit seinen eigenen Interessen am besten dienen. Er hielt seinen Schritt an. Eugenie stand noch immer fast regungslos neben ihrer Mutter, sie schaute träumerisch durch das Bogensmster hinab in das blühende Innthal,- von der Landschaft aber sah sie nichts, denn eine Thräne stand ihr im Auge und umflorte ihren Blick. »Ich war zu hart gegen Dich, mein armes Kind," sagte der Geheimrath zärtlich. „Ich habe von Dir eine Selbstauf opferung verlangt, zu der Du nicht fähig sein wirst. Wenn ich es mir recht überlege, so wäre es doch eine Thorheit, wollte ich das Lebensglück meines einzigen Kindes albernen Standes- vorurtheilen opfern." „Ich verstehe Dich nicht, Vater!" entgegnete Eugenie befremdet. „Liebst Du Eugen Utten?" fragte der Geheimrath gütig. „Hebe daS Köpfchen in die Höhe und schaue mir ins Auge. Habe Vertrauen zu mir und meiner Baterliebe, sage mir offen die volle Wahrheit, mein Kind." Sie hob den Kopf und schaute ihm ins Auge; aber nicht, wie er es erwartet hatte, schüchtern und sanft erröthend, sondern stolz, mit flammendem Blick. „Habe ich Dir je eine Unwahrheit gesagt?" fragte sie ernst. „Laß es Dir genügen, daß ich Dir versprochen habe. fortan Herrn Utten keine Gelegenheit wieder zu einer vertrau lichen Annäherung zu geben." „Nicht doch, mein liebes Kind, Du mißverstehst mich," fuhr der Geheimrath verlegen fort; „ich verlange ein solches Ver sprechen nicht von Dir und gebe eS Dir sogar zurück. Ich war einen Augenblick verblendet von meinen thörichten StandeS- vorurtheilen, und in der Auflegung habe ich Dir harte Worte gesagt, deren ich mich bei ruhiger Ueberlegung schäme. Mein einziges Kind soll nicht unglücklich werden. Ist auch Herr Eugen Utten kein Freiherr, so ist er doch ein trefflicher, wohl habender, hochgeachteter Mann, und liebst Du ihn, wie ich überzeugt bin, so soll Dir mein väterlicher Segen, wenn er um Deine Hand wirbt, nicht fehlen." Die Geheimräthin hörte mit unbeschreiblichem Staunen der unerwarteten Auseinandersetzung ihres Gatten zu. Sie glaubte ihren Ohren nicht trauen zu dürfen, die Stickerei ent sank ihrer Hand, sie beugte sich vor und schaute mit weit ge öffneten, starren Augen dem Geheimrath in daS Gesicht. „Theodor!" rief sie, als dieser geendet, ganz außer sich vor Entsetzen. „Höre ich denn recht? Ist eS denn möglich? Du willst einwilligen, daß unsere Eugenie eine bürgerliche Madame Utten, eine Bauernflau, wie Du selbst gesagt hast, werde? Und wenn Du einwilligst, ich dulde eS nun und nimmermehr!" Auch Eugenie hatte mit kaum geringerem Staunen als ihre Mutter die Worte des Vaters gehört. „Beruhige Dich, Mutter," sagte sie fest. „Der Vater spricht wohl kaum im Ernst, er will mich prüfen, ob ich schwach genug bin, mich einer Leidenschaft hinzugeben, der er, wenn ich eS thäte, kräfthg ent gegentreten würde." „Du irrst, Eugenie! Ich habe das lächerliche StandeSvor- urtheil, welches mich bewog, Deinem Glücke entgegenzutreten, überwunden." „Ist der berechtigte Stolz auf die Abstammung auS einem alten, edlen Geschlecht ein lächerliches Standesvorurtheil?" fragte Eugenie verletzt. »Ist dem so, dann ist ja alles falsch, wa» Du und die Mutter mich seit frühester Kindheit gelehrt haben! Aber nein, Du willst mich nur prüfen, Vater, und so will ich Dir denn antworten. Wäre Eugen Utten ein einfacher Edelmann oder hätte ich nicht das Unglück, eine Freiin von Utten zu sein, dann wüßte ich für mich kein größeres irdisches Glück, als daS an seiner Seite. Ich liebe, ich verehre ihn! Aber ich kenne meine Pflicht und ich werde sie erfüllen, auch wenn mir daS Herz brechen sollte. Laß uns jetzt dies Gespräch abbrechen, Vater, es schmerzt mich." Eugenie wartete eine Antwort ihres Vaters nicht ab; um das unbehagliche Gespräch kurz abzubrechen, verließ sie dm Rittersaal. „Das Kind hat recht!" sagte die Geheimräthin; »ich be greife Dich wahrhaftig nicht, Theodor." „Schweig, Auguste, was versteht ein thörichteS Weib von meinen Plänen?" so unterbrach sie der Geheimrath unwirsch, und ohne weiter auf sie zu achten, trat er in eins der Bogen fenster, von welchem aus sich ihm ein Blick auf dm Weg er öffnete, der von Wandelstein nach Dorf Treuenfeld führte, er erkannte Herrn Wiebe, der mit Eugen Utten auf dem Wege stand und lebhaft sprach. „Hat er die Dokumente schon?" so fragte sich der Geheimrath. „Sind sie noch im Besitze Schuckerts? Ich muß sie erringen, kein Preis darf mir zu hoch sein. Wenn Schuckert noch im Besitz ist, wird er sie mir verkaufen, oder ich nehme sie ihm mit Gewalt ab, besitzt jener nichtswürdige, verrätherische Agent sie schon, dann wiä> auch er sich käuflich finden lassen. Wer solchen Schurken daS Meiste bietet, der hat sie. Aber gehandelt muß werden und zwar schnell!"