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48 13. Schuckert. Der alte Schloßverwalter konnte schon seit acht Tagen das Bett nicht mehr verlassen. Er litt an keiner bestimmten Krankheit, aber das Alter machte seine Rechte geltend und seine Kräfte schwanden um so schneller, da ihn eine fortwährende Unruhe peinigte. Die langen Nächte hindurch lag er schlaf los; oft Verließ ihn das klare Bewußtsein, dann sprach er verworrene, sonderbare Worte, deren Sinn keiner der Schloß diener zu deuten wußte. War Herr Wiebe, der ihn täglich besuchte, zu solchen Zeiten bei ihm, dann lauschte der kleine Mann mit athemloser Spannung ans die unzusammenhängen- den Reden, die er zum Theil zu deuten wußte; wenn den« Kranken das Bewußtsein zurückkehrte, hatten die geschicktesten Versuche des gewandten Mannes, ihn zum Sprechen zu bewegen, keinen Erfolg. Nur gegen Eugenie war der alte Schuckert mittheilsamer. Wenn sein Engelskind, sein Herzens-Fräulein — so nannte er Eugenie — an seinem Lager saß, und ihn Pflegte, und dies geschah viele Stunden des Tages, fühlte er sich weniger krank und matt, dann verlor er auch niemals das Bewußtsein, dann schaute er mit liebevollem Blick dem schönen Mädchen zu, wie es die mühsamen Pflichten der Krankenpflege so freudig erfüllte. „Ehe ich sterbe," so sagte er ost, „sollst Du noch erfahren, wie lieb Dich der alte Papa Schuckert hat, Du Engelskind! Lieber, als er sollte und dürste!" fügte er seufzend hinzu. Er erzählte dann viel von dem alten Freiherrn Waldemar, wie gut der gegen seine Diener und die armen Leute im Torf Treuenfeld gewesen sei, viel besser als andere vornehme und reiche Herren, des halb werde ihm auch dort oben vergeben werden, wenn er gesündigt habe. Als Eugenie nach dem ernsten und aufregenden Gespräch, welches sie mit ihrem Vater gehabt hatte, den Rittersaal verließ, eilte sie zu ihrem alten Freunde. Sie setzte sich neben das Bett des Kranken und indem sie seine Hand ergriff, fragte sie theilnehmend: „Wie geht es heute, Papa Schuckert?" „Höre, Engelskind, Du bist eine kleine Zauberin. Wenn Tu bei mir bist, wird mir immer gleich wohler, aber gegen den Tod bist Tn doch ohnmächtig, und da ich nun bald fort muß, will ich Dir noch etwas erzählen, damit ich nicht einmal plötzlich abgche, ohne mein Herz erleichtert zu haben. Aber tvas ist das? Wer kommt da die Wendeltreppe heraus? Das ist der Schritt des gnädigen Herrn! Was will er, gerade er in diesem Augenblick bei mir?" Der Kranke hatte richtig gehört; wirklich stieg der Geheim rath langsam die steile, steinerne Wendeltreppe in die Höhe, welche zur Wohnung des Schloßvcrwalters führte. „Das ist recht fatal!" sagte Eugenie unmuthig. „Jetzt möchte ich nicht gern mit dem Vater Zusammentreffen." „Dann gehe "hier in die Kammer und warte dort, Dein Herr Vater wird wohl nicht lange bei den« alten, kranken Schloßverwalter bleiben. Wir sind keine so besonders guten Freunde." Eugenie ging in die Kammer, und kaum hatte sie die Thür hinter sich geschlossen, als der Geheimrath in das Kranken zimmer trat. „Wie befindet Ihr Euch, Schuckert?" sagte er freundlich, indem er sich auf den Stuhl am Bett, den Eugenie eben ver lassen hatte, niederließ. „Ich wollte doch einmal persönlich sehen, wie cs Euch geht." „Das ist recht freundlich, Excellenz," entgegnete Schuckert trocken, „freundlicher als ich es, ehrlich gesagt, erwarten kann. Es geht zu Ende, Excellenz, und da ich nicht viel Zeit mehr zu verlieren habe, würden Sie gut thun, mir gleich zu sagen, weshalb Sie die steile Wendeltreppe heraufgestiegen sind. Bitte, ohne Umschweife, gnädiger Herr!" „Ihr habt recht, Schuckert, ich komme allerdings einer wichtigen Angelegenheit wegen zu Euch." „Das wußte ich." „Ich habe Euch schon früher häufig gefragt, ob Ihr k.ine Ahnung hättet, wo gewisse, von meinem verstorbenen Vater jedenfalls auf Schloß Treuenfeld Vorborgene Dokumente sich be finden. Ihr habt mir stets geantwortet, daß Ihr nichts von den Dokumenten wüßtet." „Wird wohl richtig gewesen sein, Excellenz!" „Nein, es ist nicht richtig gewesen. Ihr wißt, wo die Do kumente sind und Ihr habt Euren Sohn Aloys nach Berlin gesendet, um sie meinein Bruder Emil zu verkaufen." Der Alte fuhr jäh ini Bett in die Höhe. Mit weit auf gerissenem Auge starrte er den Geheimrath an. „Sprechen Sie die Wahrheit, gnädiger Herr?" rief er angstvoll. „Ist der Bube wirklich nach Berlin gegangen, um die Ehre seines Vaters zu verschachern? Aber nein, cs ist ja garnicht möglich, er wußte ja garnicht, wo die Dokumente sich befanden. Ich habe sie nach seiner Flucht ja noch oft in der Hand gehabt. Einen Augenblick konnten Sie mich täuschen, Excellenz, und mir einen Schrecken einjagen. aber es ist schon vorbei; ich durchschaue Ihre Absicht und von mir werden Sie nichts erfahren!" „Ihr habt zugegeben, Schuckert, daß Ihr wißt, wo die Dokumente sind, ich fordere als Euer Herr von Euch, daß Ihr mir dieselben überantwortet." „Fordern Sie?" fragte Schuckert höhnisch. „Es wird Ihnen nicht viel helfen." „Ich bin bereit, Euch diese DokumeUte abzukaufen. — Nennt einen Preis, so hoch Ihr wollt. Ich biete Euch daS Doppelte von dem, was Ihr von meinem Brudet Emil, oder meinem Schwager Wredner fordern wolltet." „Geld, elendes Geld bieten Sie mir!" rief Schuckert ent rüstet. „Was soll dem Sterbenden der Mammon, den er nur einem ungerathenen Sohne hinterlassen könnte! Gehen Sie, gnädiger Herr, bei mir verlieren Sie Ihre Zeit." „Aber Ihr habt doch Euren Sohn nach Berlin entsendet, um die Dokumente zu verkaufen und er würde, wenn er nicht so plötzlich gestorben wäre, sie an meinen Bruder, oder viel leicht auch an mich verkauft haben?" (Fortsetzung folgt.) Schneeglöckchen. Der Lenz will kommen, der Winter ist aus Schneeglöckchen läutet: „Heraus, heraus! Heraus, ihr Schläfer, in Flur und Haid. Es ist nicht länger Schlafenszeit! Ihr Sänger hervor, hervor aus Feld und Wald, Die Blüthen erwachen, sie kommen bald; Und wer noch schlummert im Wmterhaus — Zum Leben und Weben heraus, heraus!' So läutet Schneeglöckchen durch s weite Land,' Da hörens die Schläfer allerhünd; Und es läutet fort zu Tag und Nacht, Bis endlich allesammt ausgemacht: Und läutet noch immer und schweigt nicht still. Bis auch dein Herz erwachen will. So öffne nun doch den emen Schrein; Zeuch aus, in die junge Welt hinein! In das große, weite Gotteshaus, Erschwing' dich, o Seele, und fleuch hinaus Und halte Andacht, und stimme erstellt In daS volle, süße Friihlingsgrläuk. Georg Scheuerlin. Druck von Langer K Wtnierltch tn Riesa. Für die Redaktion verantwortlich: Herrn. Schmidt in Rtesa. Erzähler an der Elbe. Belletrist. Gratisbeilage zu« „Riesaer Tageblatt-. Rr. 12. Riesa, den 21. März 18SS. 18. Jahr». Ein Familiengeheimnitz. Von Adolf Streckfutz. (Fortsctzung.) 11. Das Dunkel lichtet sich. Berlin, den 1. August 1868. Lieber Herr Wiebe! Herzlichen Dank für ihre rastlose und von so glänzenden Erfolgen gekrönte Thätigkeit. Sie beklagen in Ihrer übergroßen Bescheidenheit, daß Sie noch wenig erreicht hätten! Ich kann Ihnen dagegen versichern, daß mein guter Schwager Emil, der in diesem Augenblick hinter mir auf dem Sopha sitzt und zum zweiten Mal Ihren eben angekonimenen Bries vom 30. Juli durchstudirt, vor Bewunderung über Sie und Ihre Erfolge ganz außer sich ist. Hätten Sie nur den Aufenthaltsort meines Schwagers Eugen erforscht, dann wären wir Ihnen schon zum äußersten Danke verpflichtet, jetzt aber heben Sie auch noch die Spur des verstorbenen, räthselhaften Herrn Hubler auf gefunden, ich bin überzeugt, daß es die richtige ist. Damit Sie Gewißheit erlangen können, sende ich Ihnen hierbei Hublers Notizbuch, welches ich mir für einige Tage verschafft habe. Schicken Sie es mir sofort zurück, sobald Sie die Schriftzüge mit einer Probe von der Handschrift des Aloys Schuckert ver glichen haben. Ich habe Ihnen bis jetzt nicht geschrieben, weil ich nicht genau wußte, wohin ich meinen Brief adressiren sollte; ich kann Ihnen deshalb auch heute erst mittheilen, daß mein Schwager Theodor richtig in die durch die Adresse 8. 117 ge legte Falle gegangen ist. Ich selbst habe, versteckt hinter dem Gebüsch, ihn beobachtet, als er wohl eine Stunde lang zu der bezeichneten Zeit am Goldfischteich spazieren gegangen ist, ohne auf der bestimmten Bank den Verlierer des Briefes zu finden. Am folgenden Tage erschien an allen Anschlagsäulen Berlins ein riesiges Plakat mit der in großen Buchstaben gedruckten Ueberschrift „Verlorener Brief". Der Verlierer wurde sehr dringend und unter Verheißung bedeutender Belohnung einge laden, seine Adresse unter 8.117 in der Expeditton der Vossischen Zeitung abzugeben. Natürlich blieb die Aufforderung erfolglos, und dies scheint meinen Herrn Schwager bewegt zu haben, schleunigst nach Tirol abzureiscn. Offenbar fürchtet er, daß von dort her ihm Unheil drohe. Auch über die Art, wie er zu dem verlorenen Brief ge kommen ist, sind wir jetzt aufgeklärt. Der junge Herr Labich, der Schreiber des Justtzraths Zehrfeld, hat sich freiwillig bei meinem Schwager, dem Obersten, gemeldet und ist von diesem zu mir geschickt worden. Er hat mir reuevoll, wahrscheinlich durch die schlechte Behandlung, die er von dem hochmüthigen Herrn Geheimrath erfahren hat, erglimmt, mitgetheilt, daß er selbst den verlorenen Brief in der Friedrichstraße gefunden habe. Tie Adresse: „An den Obersten, Freiherrn von Utten" habe ihn neugierig gemacht und da der Brief nicht verschlossen gewesen sei, habe er der Lust ihn zu lesen, nicht widerstehen können. Aus dem Inhalt des Briefes sei ihm klar geworden, daß dieser für seinen Prinzipal, den Justizrath Zehrfeld, den Geschäfts führer des Geheimraths von Utten, gewiß von höchster Wichtig keit sei, er habe deshalb den Brief dem Justizrath übergeben und sei dann damit betraut worden, die in der Expeditton der Vossischcn Zeitung cinlaufenden Adressen in Empfang zu nehmen, er habe aber trotz mehrfacher Anfrage nur eine Adresse 8. 117 (also die unsrige) erhalten. Sie sehen, lieber Herr Wiebe, das Dunkel lichtet sich nach allen Seiten hin, und ich bin überzeugt, wir werden dank Ihrer Thätigkeit bald ganz klar sehen. Ich verlasse mich ganz auf Sie und folge unbedingt Ihrer Anweisung, auch mein Schwager Emil, der Ihnen danken und Sie grüßen läßt, ist dazu bereit. Sobald Sie telegraphiren, kommen wir beide sofort nach Dorf Treuenfeld, unsere Koffer stehen zur Abreise gepackt bereit, verfügen Sie also über uns. Ihr freundschaftlich ergebener Leopold von Wredner. 12. Erziehungsresultate. Ein Sturm war im Anzuge. Die Geheimräthin saß, eine Stickerei in der Hand, aber ohne zu arbciten, in der tiefen Fensternische des früheren Treuenselder Rittersaales; neben ihr, den einen Arm auf die Lehne des Sessels ihrer Mutter gestützt stand Eugenie, ihre Wangen glühten, ihr Auge biitzte in heftiger Aufregung, die eine herabhängende Hand war fest zusammen geballt, die andere umschloß krampfhaft den Löwcnkopf deS Uttenschen Wappens, der in kunstvoller Holzschnitzerei die Sessel lehne krönte. Der Geheimrath ging mit dröhnenden Schritten in dem weiten Saale auf und nieder; er blieb endlich vor seiner Tochter stehen und indem er sie scharf und forschend anblickte, sagte er fest: „Es muß klar werden zwischen uns, Eugenie. Ich dulde cs nicht länger, daß Du mit diesem jungen Manne so vertraulich verkehrst. Du leugnest es garnicht, daß Du ihn seit den fast vier Wochen, die wir nun in Treuenfeld sind, täglich siehst — " „Nie allein, stets in Gesellschaft des Herrn Wiebe!" „Ich weiß es. Der alte Narr könnte auch etwas Besseres thun, ich werde auch ihm das Schloß verbieten müssen. Ich begreife Dich nicht. Du bist oft genug Zeugin von der brutalen Ungezogenheit dieses Herrn Utten gegen Deine Eltern gewesen und dennoch verkehrst Tu so vertraulich mit ihm." „Er ist mein Lebensretter!" „Deshalb bin auch ich ihm so freundlich wie möglich entgegengekommen, bis er selbst es mir unmöglich gemacht hat, ihn ferner zu empfangen. Er hat die ihm entgegenge streckte Hand stolz und hart zurückgestoßen. Du entwürdigst mich und Dich selbst durch Deine Vertraulichkeit mit diesem Menschen." „Vater!" „Dies Verhältniß muß ein Ende nehmen, ich dulde eS nicht länger. Du bist es mir und Deinem eigenen Rufe schuldig, zu gehorche». Oder hast Du etwa gor die Absicht, diesen obscuren Herrn Utten zu meinem Schwiegersohn z« machen? Glaubst Du, daß ich eine solche Mißheirath zugeben werde, daß ich Lust habe, der Schwiegervater eines Bauers zu werden?" „Ich kenne die Pflichten, welche ich Dir und meinen Vor fahren schulde," entgegnete Eugenie fest; eine dunkle Röthe flammte auf ihren Wangen auf, als sie fortfuhr: „Herr Eugen hat nie ein Wort gesprochen, welches darauf, daß er sich um meine Hand bewerben wolle, angedeutet werden könnte, thäte er es, dann würde ich nicht vergessen, daß ich die Tochter unseres