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/ Von poker DorNer Und auf einmal «egen Ende des Heumonats geschah ein seltsames Naturereignis. Durch das Tal, mitten her, lief ein tiefer Graben, in dem man fett Menschengedenken nur Tümpel und Schneeivasser gesehen hatte. Er hieß Hungerbach, und siche, dieser füllte sich auf einmal an einem sonnenhellen Tag mit Ouellwasser, das an einem waldbedeckten Hügel, eine halbe Stunde oberhalb des Städtchens, aus dem Gestein einer starken Ader hervorschoß. Als seine Wasser so plötzlich und unvorher gesehen aus der Tiefe ausbrachen, erschrak nicht allein der Schä fer, der in feiner mageren Zeit, da ihm alle guten Wiesen und Felder verboten waren, seine Herde auf die üppige Weide des Trockenbaches trieb, der sich quer über das anmutige Gesicht des Tales zog. Das ganze Städtchen erschrak mit ihm; denn die alten Leute wußten zu erzählen, daß cs immer eine schlimme Vorbedeutung habe, wenn der Hungerbach hervorbrcche. Sei er nicht namon ot ninon, und prophezeie er nicht ein mageres Jahr, so gewißlich Krieg oder Pestilenz. Der Hungerbach künde so deutlich Gottes Strafe an wie ein Komet. Sie erschraken noch mehr, als das Wasser, ganz ohne Geräusch oder Gewalt, langsam und sacht« schleichend, den Rand des Grabens überqucllcnd, in den Straßen erschien, die Keller füllte, die Brunnen trübte und allen Verkehr hemmte. Es war keine Gefahr, das, jemand ertrank oder von der Wildheit der Wellen sortgcrissen wurde, denn das Wasser tat so seicht und unentschieden, als wüßte es nicht woan und woaus, cs staute sich schließlich zu einer einzigen, großen Psiiße. Der Nat der Stadt, der innere und äußere, setzte sich zusammen, um zu erwägen, „wie man die Wassersnot inhibieren und in ovonlunr unschädlich machen könne". Der Syndikus zog eine alte Urkunde hervor, in der geschrieben stand, daß schon Anno 1632, also im Jahre der großen Pest, da 536 Sterbesälle in dem Totenbuch standen, ein Beschluß des Rates gefaßt worden sei, einen Kanal vor den Mauern der Stadt zu ziehen, groß genug, um die Wasser des Hungcrbaches, der etwa alle Menschenalter einmal übertrat, in den Fluß zu leiten, ehevor sie alle Keller, Straßen und Winkel mit Feuchtigkeit und Schmutz füllten, und die Luft mit dem Gestanks der Fäulnis und die Gär ten und Tempel mit pesthauchcndcn Kröten und Maurachen ver derben könnten. Es sei damals infolge der argen Zeitläufte unterlassen worden, aus den Worten Werke zu machen. Das Wellen klingt. Sie widerstand der geheimen Mahnung der plätschernden, murmclden, ja redenden Flut nicht lange. Als die Angelusglocke verklungen war, nahm sie, ungeachtet der Er- innerung, daß nun die bösen Geister des Feldes Gewalt hätten, eine alte, breite Tür, legte sie flach ins Wasser und stach mit ihr, wie mit einem Floß vom Ufer ab. Sie trieb es nicht gegen die Stadt zu, sondern talaufwärts. Der Wind wehte warm aus dem Süden, kräuselte die Wellen und spielte mit ihrem Haar. Die Stacht brach rasch herein. Die Hügel und Wälder verschwan den. und nur das Wasser leuchtete aus der Tiese. Man hätto meinen können, mitten im Ozcan zu fahren. Sie blickt« in die Ferne und stellte sich ein Meer vor. Die Missionäre hatten so harte Arbeit in Indien und China. Eie brauchten nicht nur Männcrkrast, sondern auch Frauenarbeit. Wie, wenn sie ihr Haus verlauste, ihren Garten, ihre Tanne, wenn sie ein Schiss nahm und über den Ozean suhr? Den hei ligen Vätern erst das Geld aus den Tisch legte, dann nach Arbeit fragte, nach pestkranken Hindus und siebernden Mongolen? Wenn sie ein Beispiel gab, und zeigte, daß die Christusmagd Schlangen und Fieber, Hitze und Fremde nicht scheut um der Liebe willen! O das Meer und die Ferne — bringen ihr die Erlösung! Einmal das Meer unter den Füßen haben, vom Meer geschaukelt werden, endlich einmal eine Größe erleben! Der Himmel ist auch groß, allein ihn können nur die Blicke be fahren. Alles Schauen und Betrachten führt keinen Schritt aus der Enge der Heimat und Untätigkeit hinaus. Keine Gefahr droht, keine Ausgabe lockte, man liegt behaglich in seinem Tal wie das Kind in der Wiege. O Meer, Meer, o Abgründe un ermeßlich unt^r dem dünnen Brett. O Meer, o Meer, deine Wellen reißen aus dem behaglichen Boden fort zu großen Welt- teilen und kühn blickenden Menschen, wo man kämpscn und ringen muß jeden Augenblick, und wo man die Zukunst der Völ ker sät. Du lehrst erkennen, wie groß Gott ist und wie rebellisch gegen Menschentum die Schöpfung, die wir unterweisen sollen. Judiths Stange suhr eben in die Tiese, ohne Grund zu er reichen. Das Floß glitt wohl über eine Kriesgrube hinweg oder war unvermerkt in eine Talsenkung gelangt. Die Wellen waren plötzlich bewegter und gewaltsamer und tieben das Floß in wlegenden Stößen westwärts. Durch dle Ritzen der schlecht genagelten Bretter quoll das Wasser und netzte Judiths Fuß. Sie sah nichts mehr von ihrem Hause. Nur die Tanne dunkelt« aus grauen Dünsten, und die wenigen Lichter der Stadt war fen ein schweisigcn Schimmer in die Nacht. Da suhr ein leises Grauen durch ihre Seele, und sagte ihr mit ahnungsvoller Deutlichkeit, daß cs wirklich ein Meer gebe und Schrecken, die in jede Brust greisen. Und daß das Leben erst süß werde in der Gefahr. „O, wär' ich nur zu Hause!" Aber, schon fühlte sie wieder Grund, ja ihr Floß suhr aus einen Maulwurfshügel aus und war nur mit Mühe weiterzubringen. Da lachte sie: „O, bei uns gibt es kein Meer, keine Berge — nur Maulwurfshügel und Pfützen! Auf, die Wasser sind dir gesandt als Gottes Voten. Sie wollen dich wecken und rufen!" Und sie hastete durch die seichten Gerinnsel dem Bereiche der Tanne zu. Eben in dem Augenblick, als Judith zu Hause angelangt war. brachten Buben aus einem der primitiven Flöße die alt« Dienerin an das User. Das verschüchterte und geängstigte Weiblein schaute aus di« Mellen hin wie auf drachenersiillte Abgründe. „Allweil noch steigt die Flut", jammrcte sie, „die Sintflut kommt . . . oder ist das Meer ausbrochen?" Judith griss dieses Wort sreudig aus: „Agath, das Meer, das Meer! Bald kommen Schisse angcsegelt. Dann steig ich ein und fahr nach Jndia!" „Nach Jndia, Judith, nennet doch das Land nit! Das ist ja das Pestland, hat es noch der Pater Guardian predigt am Sonntag. Man soll etwas nit berufen. Denn wenn auch das Land bleibt, wo es ist, die Pest könnt kommen, wie ich's schon hab erlebt." „Ohne Spaß, Agath — ich will aufs Meer, ich sahr nach Indien." Jetzt ging ein flüchtiges Lächeln über das Gesicht der Alten: „Jawohl", sagte sie, „so etwa» wie die Buben heut. Die schreien allweil: Einsteigen nach Venedig und Roma, nach Indien und Portugal. Der mich hat hierher stichelt, hat gar geschrien: Ein steigen zum besseren Jenseits!" MN Genehmigung de, Verlages entnommen der Neubearbeitung de« Romans ..Judith ginftcrwatdertn" von Peter Portier «Mitglied der Deutsch» Picht-rakademie). 20.-2«. lauirnd. tlgS Seiten. Iterlag Z. Nüsti ch gr. Pustet^ München. müßten sie nun büßen. So wollten sie also für die künftigen Generationen Fürsorge treffen, nicht achtend, daß auch sie nicht im goldenen Zeitalter steckten. Der Stadtphysikus habe srci gesagt, wenn der Hungerbach vor hundert Jahren ein Pest wasser gewesen sei, so könne er solches auch heute noch abgeben. Darauf faßten sie einen Beschluß, den der Syndikus aus dem alten Pergament mit geringer Aendcrung einzelner, nicht mehr gebrauchter Wörter Gottlieb Jakob in die Feder diktierte. Dann gingen sie mit schweren Sorgengcsichtern auseinander. Nur die Buben waren am Hungerbach nicht erschrocken. Sie stellten sich auf Bretter und Balken, in Echwcinskistcn und Back tröge, nahmen lange Stangen in die Hand und waren Gondolieri mit nackten Maden und Armen und mit großem Geschrei. Auch Judith freute sich des vielen Wassers. Der Garten war zum Teil überschwemmt, und nur die Ecke mit der Tanne und der Platz vor dem Ctiegcnhaus lagen frei und grün in der trüben Flut. Vor dem Hause aber, nach der Seite des Stadtgrabens, war alles eine große Flut. Zwar konnte man während des Tages deutlich sehen, daß die Wasser nur seicht waren. Die Schierlings stengel und die großen Grashalme ragten fest und ungebrochen hervor, und da und dort erschien ein großer grüner Fleck in dem anscheinenden Meer. Aber als die Dämmerung hereinbrach, da hätte man wahr haft meinen können, am Gestade weiter, tiescr Wasser zu stehen, lieber Judith kam die Lockung in die Ferne, die aus allen Oie 25000 Dollar kür clen Tclireckon Ncuyork, im März. Der Trick mit der „zersägten Frau" ist in der ganzen Welt bekannt und wohl schon aus allen Varictebiihnen vorgcsübrt worden. Eine — meist junge und hübsche — Dame wird in eine Kiste gelegt und die Kiste vor den Augen des Publikums in zwei Teile zersägt. Natürlich handelt es sich hier um eine ge schickte Täuschung der Zuschauer und die junge Frau entsteigt schließlich heil und unversehrt ihrem Versteck. Aber die Sen sationslust des Publikums ist aus ihre Kosten gekommen. Ein amerikanischer Artist halte siir diesen alten Trick eine neue Abwandlung gesunden. Er ließ seine Partnerin aus einem Holzblock seslschnallen und setzte dann eine Kreissäge in Betrieb. Die Zuschauer sahen mit Hellem Gruseln, wie die Säge immer tiefer in den Körper der Unglücklichen cindrang, trotzdem sie natürlich wußten, daß der Artistin in Wirklichleit kein Haar gekrümmt wurde. Der „Mann, der eine Frau zersägt", erhielt täglich ein Paket von Briefen, die teils empörte Stellungnahme gegen Dame" KIgZL seinen drastischen Trick, teils auch Angebote der ungewöhnlichsten Art enthielten. Junge Mädchen und Frauen, darunter auch solche aus den reichsten Gesellschaftskreisen, baten den Artisten, es auch mit ihnen einmal zu versuchen und sie vor den Augen der Zuschauer zu zersägen. Manche boten ihm dafür sogar Geldbeträge an. . . . Eines Tages meldete sich in Washington bei ihm eine junge und sehr elegante Frau, die ihm solange zusetzte, sie zu seiner Schaunummer heranzuziehen, daß er schließlich nachgab und sich bereit erklärte, sie in össcntlicher Vorstellung zu .zersägen»'. Er erhosste sich von der Sache auch eine kräinge Reklame, denn seine freiwillige Partnerin war mit einem reichen Bankier verheiratet und in der Washingtoner Keselkichast sehr bekannt. Talüichlich war der Saal an diesem Abend bis aus das letzte Plätzchen gesüllt. Die Karten wurden von den Agioteuren um das Mehrsache ihres Preises verlaust Jeder wollte die Dame aus den oberen Zehntausend sehen, die so mutig war, sich der Prozedur des Zersägens auszusetzen. Die junge Frau lächelte, als sie an den Sägeblock geschnallt wurde, aber ihre Hände zitterten vor Nervosität. Totenstille Laetare äsrum Plauderei sm Von ^karsbu. „Ach, tut das wohl, wenn einem die Sonne wieder auf den Buckel scheint", sagte Kilian, als wir uns auf der Brühlschen Terrasse zu einem bescheidenen Nachmit- tagsspaziergang trafen. „Es ist ivahrhaftig wahr", stimmte Chrysostomus zu, „man sollte garnicht glauben, was die junge Marz sonne schon für eine Kraft hat. Es wird einem ordentlich warm unter dem Wintermantel. Und man denkt, man wird noch einmal ganz jung, wenn man die ganze Natur so frisch gewaschen und frühlinghaft und leuchtend sieht." „Deshalb heiszt ja dieser Sonntag auch Laetare, „Freue Dich", belehrte ich die Freunde. „Wie eine leuclz- tcnde Vorahnung der Osterherrlichkeit steht er mitten in den Fastenwochen darin. Und ich habe wenige Jahre erlebt, in denen nicht am Sonntag Laetare schon so etwas wie das richtige Osterwetter gewesen ist . . Champagner ohne Alkohol „Man kommt wahrhaftig in Stimmung!" rief Kla bautermann fröhlich, während wir oberhalb der Elbe entlang schlenderten. „Die Luft dieser Vorsriihlingstage ist wie ein berauschender Trank, den man mit Wonne schlürft. Champagner ohne Alkohol!" „Und so billig!" fügte ich hinzu. „Der Champagner ist für jedermann erschwinglich." „Aber er macht auch müde", meckerte Kilian da- 80 86kr! zwischen", „wie eben anderer Champagner auch. Ich bin jetzt diese ganzen Tage in einem weg müde, es ist ganz schrecklich. Ich könnte fortwährend und ohne Pause schlafen." „Das ist bei niederen Lebewesen so", grinste Chry sostomos, „bei denen wirkt der Winterschlaf noch nach." „Besonders, wenn der Winter so mild gewesen ist, wie in diesem Jahr", lachte ich. „Ich glaube, diesmal sind kaum die Dachse zum Winterschlaf gekommen." „Bei anderen Lebewesen wirkt die Frühlingsluft freilich ganz anders", stellte Klabautermann fest. „Bei denen steigt das Pegel des Gefühlslebens. Wer dazu neigt, sich zu verlieben, für den ist diese Zeit gefährlich. Ebenso für den, der über einen Ucberschwang des Tem peraments verfügt. Da schäumen auch leicht die Herzen über, wie die Gicßbäche, die von der Schneeschmelze angeschwollen sind . . . Und wehe, wenn gar ein solcher Temperamentsausbruch einen solchen Zeitgenossen am Steuer eines Kraftwagens überfällt. Dann gibt es eine Unfallmeldung, wie sie ja gerade um diese Jahreszeit besonders häufig sind .. ." Neue Arbeit, neue Hoffnung „Aber es ist doch groszartig, zu sehen", rief ich, „wie sich überall ein neuer Wille regt, neue Lebendig keit, neue Hoffnung, neue Pläne in Angriff genommen werden . . . Seht Ihr da drüben auf dem Königsufer, da wird es mächtig losgehen in den nächsten Wochen. Da wird der große Plan zur Durchführung gebracht, der diesem Ufer ein ganz neues Gesicht, eine der Stadt Dresden würdige Gestalt geben soll." „Und das ist nicht die einzige Stelle, ivo die Hände ans Werk gelegt werden", nickte Klabautermann. „Auch der Nathausplatz wird umgestaltet. Der Marstall in eine würdige Form gebracht. Und ün Opernhaus soll eine innere Ausgestaltung erfolgen, die die Altertümlichkeiten beseitigt und dies Haus geeigneter macht, als Stätte für eine festliche Theaterwoche, wie sie in diesem Sommer geplant ist." „Ich war am Dienstag bei der Grundsteinlegung des Nichard-Wagner-Denkmals in Leipzig", berichtete Chrysostomus. „Das war eine ganz große Sache. Da war der Geist des Ausbauens, des mit Mut und frischen Kräften Neuansangens so ganz lebendig." „Es war aber auch Zeit", nickte Klabautermann, „daß Leipzig endlich seines großen Sohnes in würdiger Weise gedachte. Der jahrzehntelange Streit um das Nichard-Wagner-Denkmal in der Messestadt ist doch wirk lich unwürdig gewesen. Wie mail in Leipzig dem größ ten Sohn dieser Stadt in der Vorkriegszeit den Dank abgestattet hat, dafür war beweiskräftiges Zeugnis die Tatsache, daß man an der Stelle seines Geburtshauses ein Warenlzaus, das Kaufhaus Brühl, hatte errichten lassen . . ." Ino Leben hinaus „Ja, wenn man so wüßte, was aus den Kindern wird", sagte Chrysostomus. „Wie unwahrscheinlich an sich, daß ausgerechnet in einem Haus auf den, Brühl in Leipzig einer der größten deutschen Musiker gebaren wird, der deutschem Fühlen so lebendigen Ausdruck gegeben hat, wie kaum einer vor ihm und nach ihm. lind wer könnte ahnen, welche Schicksale, welche Erfolg» und Miß-