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Vas Rätsel Das Büro des Detektivinstituts Holmes befand sich in einer stillen Straße des Tiergartenviertels. Die Räume rochen leise nach Aktenstaub und eingetrockneter Tinte. Aber die Einrich tung war modern und sachlich nüchtern. Ein alter Herr, Direk tor Holmes-Smigula, empfing Fernanda. „Ich habe Ihr Bewerbungsschreiben au» zahlreichen an deren ausgewählt." Fernandas erwachender Hochmut erhielt sofort einen Dämpfer, als der Direktor fortfuhr: „Natürlich noch einige andere auch..." Er blickte in das vor Ihm liegende Schreiben: Fernanda Müller, 28 Jahr« alt, ledig, zuletzt Waren« hausdetekttvin... „Ihre Schrift gefällt mir, Fräulein Müller — Ihr Aus sehen ebenfalls. Sie brauchen nicht zu erröten!" Fernanda tat es gar nicht. Der weißhaarige, untersetzte Herr Holmes-Smigula lacht«. Sein Lachen klang ganz eigenartig. „Ich suche eine erstrangige Kraft, die demgemäß bezahlt wird. Wie gesagt, Sie gefallen mir, Fräulein Müller! Falls Sie die Prüfung bestehen, werde ich Sie vielleicht engagieren." „Darf ich wissen, Herr Direktor, worin die Prüfung besteht?" Herr Holmes-Smigula lächelte. „Es ist eine rein praktisiize Prüfung. Eine kleine Probe für Ihren Spürsinn und Ihre Detektivbegabung. Bitte, hören Sie genau zu: Dr. N., der bekannte Augenarzt, vermißt seit gestern seine goldene Uhr. Ein äußerst kostbares Stück und für den Doktor von ganz besonderem Wert. Die Uhr verschwand während der Sprechstunde aus einem kleinen Ankleideraum, der an das Ordinationszimmer des Augenarztes anstößt. Der Dok tor mußte dieses mährend der Sprechstunde mehrere Male ver lassen; der Diebstahl wurde ohne Zweifel während seiner kurzen Abwesenheiten verübt. Als Täter kämen folgende Besucher des Arztes in Betracht..." Direktor Holmes-Smigula griff nach einem Blatt. „Bitte, machen Sie sich Notizen! Ich möchte »och bemerken, daß Dr. N. außer seiner Privat- auch eine ausgedehnte Kassen praxis besitzt. Also Nr. 1: Karl Schmitz, Vcrsicherungsdirektor. Nr. 2: Hermann Schulze, Kassenbole. Nr. 3' Valentin Ober mann, Rentner. Nr. 4: Franz Wiener, Arbeiter. Nr. 5: Eotthold Fink, Literaturprosessor. Nr. 6: Hermann Kolberg, Rittergutsbesitzer. Nr. 7: Martin Meyer, Kellner. Der Dieb befindet sich unter diesen sieben Personen. Jetzt noch etwas sehr Wichtiges: Der Täter hat, wie es ja zum Glück meist der Fall ist, eine Spur hinterlassen . ." Holmes-Smigula griff in ein Schreibtischsach und holte einen kleinen Zettel hervor. ,Licr ist das corpu, «ielicti! Hoffentlich Hilst es Ihnen, den Dieb zu entdecken. Er muß diesen Zettel verloren haben, als er noch im Ankleideraum die Uhr eilig in die Tasche stopfte.." Er reichte Fernanda das Papier. Mit einem Bleistift waren einige Worte darauf geschrieben: „V. diUV/V- ^1881-«. 32 /X." „Sie sehen, Fräulein Müller, die Adresse ist mit lauter großen Drnckbuchstaben nicdcrgeschrieben. So was kommt bei Kurzsichtigen vor, die ihre Bille verlegt haben Wir müssen also aus eine Schriftprobe der Verdächtigen verzichten — So und jetzt Gott mit Ihnen, Fräulein Müller. Eine halbe Stunde spater befand sich Fernanda in der No- »altestraße. Sie mußte gleich sestslellen. da« es eine Haus- Von p. nummer 32 -V in der Straße gar nicht gab. Die Novalisstraße besteht nur aus 18 Häusern; ihre Fortsetzung in der Richtung des Stettiner Bahnhofs heißt schon Eichendorssstraße; aber auch diese besitzt nur zweiundzwanzig Hausnummern. Fernanda erkundigte sich in sämtlichen sechzehn Häusern der Novalivstraße. Der Name Auenhoss war jedoch unbekannt. Auch im Adreßbuch kam er nicht vor. Fernanda seufzte; sie sah bereits, die Nuß war härter, als sie angenommen. Falls dieser V. Auenhoss überhaupt existiert«, mußte er irgendwo in Unter miete wohnen. Sie fuhr nach dem Alexanderplah. Im Zentralmeldeamt füllte sie einen Fragebogen aus, d. h. sie schrieb auf den Vogen: „B. Auenhoss". „Können Sie keine näheren Angaben machen? Beruf, Alter?" fragte der Beamte. „Leider nicht!" Der Beamte lam bereits nach wenigen Minuten zurück. „Ein V Auenhoss ist nicht gemeldet in Berlin . . ." Er sah das enttäuschte Gesicht der hübschen jungen Dame und fragte: „Soll das vielleicht v Auenhoss heißen? Dieser Name kommt nämlich bei uns vor." Fernanda hätte ihm am liebsten auf seine große Glatze geküßt Natürlich konnte V Auenhoss auch v Auenhoss heißen. Wenige Minuten später wußte sie, daß ein Fräulein von Auen- Hoss in Eharlottenburg, in der Fasanenstraße b7, Gartenhaus, ll Treppen, bei Frau Kranicke, wohnte. Frau Kranicke össnete Fernanda selber. „Ich möchte Fräulein von Auenhoss sprechen", sagte freund lich Fernanda Sie erfuhr, daß die Gesuchte, eine Nichte von Frau Kranicke. zur Zeit im Ausland weilte. Während Frau Kranicke sprach, dachte Fernanda: Die alte Dame kommt mir so bekannt vor. wo mag ich dieses Gesicht schon gesehen hab?... Schade, daß Fräulein von Auenhoss verreist war Frau Kra nicke sah so furchtbar ehrlich aus! Fernanda holte den Zettel hervor, aus dem die Namen der sicben Patienten des Augenarztes standen. „Entschuldigen Sie, gnädige Frau, die etwas sonderbare Frage: Ist Ihnen einer dieser Herren naher bekannt?" Frau Kranicke setzte ihre Brille aus. „Leider nicht, mein Fräulein!" „Sckzade, gnädige Frau! Wann kommt Ihre Nichte zurück?" „Das kann noch sehr lange dauern." Fran Kranicke lachte. Betroffen horchte Fernanda. Anch dieses Lachen kam ihr so furchtbar bekannt vor Es hörte sich wie ein Wiehern an. Sie war schon unten aus dem Hose und fragte sich noch immer: „Woher kenne ich dieses Lachen? In Gedanken ver sunken lenkte sie ihre Schritte dem Ausgang zu. Plötzlich stand sie aus der Hardcnbergstraße. Das Eckhaus hatte nach zwei Straßen einen Ausgang. Automatisch hob Feranda ihren Blick zum Nummernschild Uber dem Tor: 32 o. nicht Novalis straße 32 a, durchzuckte ihr Gehirn. Sie erzitterte vor freudiger Erregung. Sie winkte einem vorbeisahrcndcn Taxi. Es war noch nicht sechs Uhr, als Fernanda das Direktions büro des Detektivinstitutes Holmes betrat. „Herr Direktor, ich weiß wer die Uhr gestohlen hat!" Das Gesicht von Herrn Holmes Smigula verwandelte sich in ein Fragezeichen „Der Dieb ist — Fink, der vlteraturprofcsior? v Auenhoss, übrigens ein Fräulein von Auenhoss, wohnt nicht in der No valisstraße 32a sondern in der Hardcnbergstraße 32a! Das ist der Schlüssel zur Lösung. Der Dieb hat, als er die Adresse aus schrieb, die beiden Straßen verwechselt." „Aber schließlich sind nicht nur Professoren zerstreut", wandte Holmes-Smigula ein „Zugegeben. Aber der Dieb war nicht nur zerstreut, son dern auch in der Literatur bewandert. Novalis Hardenberg! Merken Sie den Zusammenhang, Herr Direktor! Der Dichter Novalis hieß bekanntlich mit seinem Jamaliennamen Harden berg. Der Dieb ist also . . ." „Der Literaturprosessor Gotthold Fink! Ich gratulier« Ihnen, Fräulein Müller! Sie haben die Prüfung mit „sehr gut" bestanden. Ich werde Sie engagieren — wahrscheinlich." Er lachte. Fernanda stutzte, und plötzlich wußte sie, warum ihr Frau Kranicke so bekannt vorkam. „Herr Direktor', sagte sie schnell, „der Fall der gestohlenen Uhr des Augenarztes N. wurde von Ihnen erfunden ... um mich zu prüfen." „Wie? . . .« „Frau Kranicke, die Wirtin und Tante von Fräulein Auen- Hoss ist nämlich Ihre . . ." „Schwester . . ." beendete den Satz Holmes-Smigula. „Bravo, Fräulein Müller! Sie haben die Prüfung nicht „sehr gut" bestanden, sondern „ausgezeichnet". Sie können jederzeit Ihre Stelle antreten . . ." Fernanda wurde diesmal, vor Freude, wirklich rot. Herr Holmes-Smigula lachte. Es klairg wte das Wiehern eines alten Ponys. Der ungetreue Bäckermeister Der Fürst Iwan Nagmatulian mußte zu Beginn der Revo lution als Ibjähriger aus Rußland fliehen. Er hatte sich den gegen den Bolschewismus kämpfenden tichpchoilowatischen Legi onen angeschlossen, war mit ihnen nach Prag gekommen und verdiente sich hier als Bäckerlehrling seinen Lebe»sunt«rh>rlt. Später kehrt« er nach Rußland zurück, um den dort versteckten Familienschatz zu holen. Es gelang ihm auch, die verborgenen Juwelen über die Grenze zu schmuggeln, und nachdem er in Riga und Stettin einen Teil des Scbmuckes gegen Valuten ver laust hatte, brachte er den Nest des Vermögens mit Hilfe russi scher Emigranten nach Prag. Als der Fürst noch einmal »ach Rußland wollte, übergab er den Fämil.enichatz seinem Bäcker meister zur Ausbewahrung. Nun behauptet er, daß der Bäcker ihn mit der Masse gezwungen habe, die icknistliche Bestätigung des Erhalts wieder herauszugebeu, und sich auf diese etwas unzarte Weise in den Besitz von Juwelen, Gold, Platin und Va. luten im Werte von einer halben Million Mark gesetzt habe. Der Fürst erstattete Anzeige, wurde aber abgewiesen und wegen Verleumdung verklagt. Mittlerweile wurden indessen einige Quittungen im Rock eines Eisenbahners eingcnäht gesunden, und ein Zeuge meldete sich, der gcselzen haben wollte, wie der Bäckermeister den Fürsten mit einem Revolver zur Herausggb« der Bescheinigungen zwang. Aus Grund dieser Beweise wurde neuerdings, wie es scheint, mit Ersolg ein Prozeß gegen den Bäckermeister angestrengt, auf dessen Ausgang man in der Tsck)«- cknn'lowakei mit Spannung wartet. Meltsnscksulicke (ieäsnken bei einer ^eistiicben kesun§ PIsu6erei sm ^ockenen6e Von ZUsrsku. Man soll die HI. Schrift lesen, man soll sie öfter le sen. Es steht alles darin.. Freilich nicht in dein Sinne, wie das die „Ernsten Bibelforscher" oder die Adventisten ge meint haben. — „Wenn Wilhelm ll. den Propheten Isaias richtig gelesen hätte, dann hätte er gewußt, das; er den Weltkrieg verlieren mußte!" hörte ich einmal einen „Bi belforscher" als Diskussionsredner in einer Versammlung sagen. Den Propheten Isaias hat ja seinerzeit der Kö nig Manasse lebendig zersägen lassen; aber was die Bibel forscher und Adventisten mit seinen Schriften anstellen, ist noch schlimmer. Nein, in diesem Sinne soll man wirk lich nicht die Bibel lesen. Die Zukunft weiß allein Gott, und es wäre gar nicht gut, wenn wir sie mit Hilfe der Bibel oder auf anderem Wege erforschen könnten. Aber für die Dinge des täglichen Lebens, die sich zu allen Zei ten, so lange Menschen auf dieser Erde leben, in gleicher Weise wiederholen, darüber sagt die Hl. Schrift wirklich alles, was notwendig ist. Ehrfurcht vor Eseln Wenn man das Evangelium des Palmsonn tags, den Bericht über den Einzug Jesu in Jerusalem, liest, dann kann man sich dabei allerlei Gedanken machen, die den Nahmen einer rein geistlichen Betrachtung über schreiten. Ist es nicht schon seltsam, daß ausgerechnet ein Esel dazu auserwählt wird, um den Herrn bei seinem Einzug in die hl. Stadt zu tragen? Ein feuriges Noß wäre doch viel dekorativer gewesen, und den Juden, die sich unter dem Messias einen Kriegshelden in der Art des Judas Makkabäus vorstellten, wäre dieser Aufzug sicher viel sympathischer gewesen als das demütige Einherreiten auf einem Eselein. Und auch die Maler aller Zeiten hät ten auf diese Weise ein viel schmuckeres Motiv bekom men. Aber die Gedanken Gottes sind andere als die der Menschen; er läßt es sich von menschlicher Phantasie nicht vorschreiben, wen er zum Träger seiner göttlichen Maje stät berufen will. Der Esel vom Palmsonntag ist nicht nur ein Sinnbild der Demut, mit der der Gottmensch in dieser Welt gewandelt ist, sondern auch ein Sinnbild dafür, daß das Göttliche sich auch an eine unscheinbare Gestalt, an das Alltägliche, ja sogar Verachtete heften kann. Mancher gescheite und gebildete Mensch schaut auf Mitmenschen, die beschränkter lind nicht mit so glänzen den Gaben ausgestattet sind, mit leichtfertiger Verachtung herab. Und es ist ja üblich, daß gern der eine Zeitge nosse den andern als „Esel" bezeichnet. Vei solchen klei nen Anfällen von Hochmut sollte man an den Esel vom Palmsonntag denken. Vielleicht haben auch die Veraclftc- ten, die andere leichtfertig als „Esel" bezeichnen, mehr Gnade vor Gott als ihre hochmütigen Verächter. Erlaubter Baumfrevel Dem Juristen, der dieses Evangelium liest — mein Freund Fred hat darüber oft tiefsinnige Betrachtungen an gestellt—wird auffallen, daß darin sehr ehrenwerte Män ner strafbare Handlungen begehen. Denn die Jünger des Herrn sollen doch gewiß für uns ein Vorbild sein. Aber eben diese Jünger sind es, die ein ihnen nicht gehöriges Eselfüllen losbinden und, ohne die Erlaubnis des Besitzers abzuwarten, in Benutzung nehmen. Und dieselben Jün ger beschädigen die Bäume an der Landstraße und die Stauden auf den Feldern, indem sie Zweige davon los hacken und auf die Straße streuen. Damit ist der Tat bestand des Baumfrevels in einwandfreier Weise erfüllt. Es wäre ganz verkehrt anzunehmen, daß solche Straftaten zu Zeiten Christi nicht von den Paragraphen des Gesetzes bedroht gewesen wären. Gerade hinsichtlich der Eigentumsdelikte ist ja unser Recht getreu dem Rechte nachgebildet, das im Bannkreis des römischen Reiches galt. Aber gerade dadurch, daß die Jünger im Ucber- schwang ihrer Freude diese sonst selbstverständlichen Grenzen überschreiten, wird der außergewöhnliche Cha rakter des ganzen Vorganges deutlich. Göttliches Recht steht über dem menschlichen, und es kann außergewöhn liche Umstände geben, durch die eine formale Verletzung des Gesetzes vor Gott nicht als Uebeltat, sondern als Erfüllung der Gewissenspflicht gelten wird. Dom Nüßen des Mantelkragens Nicht nur Palmenzweige, auch ihre Mäntel breite ten die begeisterten Jünger auf dem Weg des Heilands bei seinem Einzug in die Stadt. Damals waren die Män tel freilich noch praktischer und für solche Zwecke geeig neter. Heute, wo inzwischen Aermel, Knöpfe und ähn liche Ucberflüssigkeiten erfunden worden sind, wäre eine solche Verwendung des Mantels nicht so ohne weiteres möglich. Und doch gibt cs auch heute noch genug Leute, die sich wenigstens im übertragenen Sinne bemühen, mit ihrem Mantel einem anderen den Weg angenehmer zu bereiten. Freilich nicht immer aus ganz selbstlosen Mo tiven. Schon oft in der Weltgeschichte ist es vorgekom men, daß kluge Leute ihren Mantel auf den Weg eines Mächtigen breiteten in der Hoffnung, er würde, „wenn er in sein Reich kommt", dafür sorgen, daß sie selbst einen besseren Mantel erhielten. Und auch unter den Jüngern Christi waren ja nicht wenige, die nur ihren