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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.04.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-04-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140417010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914041701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914041701
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-04
- Tag 1914-04-17
-
Monat
1914-04
-
Jahr
1914
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der Vorlage des Reichstheatcrgeseftcs in allen Städten zu demonstrieren. Dieser 'Antrag be weist, dast man im Reiche Thalias über die Vorgänge ans den« Gebiete der inneren Politik nnr mangelhaft unterrichtet ist. Seit Wochen wird in der gesamten Presse über die Unfrucht barkeit der gegenwärtigen Reichstagung geklagt, die man znm Teil ans das zu grafte Maft an Beratungostvff in Form von (^eseftesvorlagen zuriickfiihrt. Jedermann, der sich mit inner politischen Fragen beschäftigt, weift, daft die überwiegende Zahl der un Reichstag tingebrach- len Vorlagen nicht verabschiedet werden kann, sondern bis zum nächsten Winter zurückgestellt werden mnft. Und bei einer solchen Sachlage wirft man der Reichsregierung Verschleppung vor, wenn sie sich nicht entschtieftt, auch noch das Theatergesep dem Reichstag zu unterbreiten. Daft der (rntwnrs fertiggcstellt ist, wird auch den beteiligten Kreisen kein Geheimnis sein. Ihn dem Reichstag vorzulegen, hatte doch aber erst dann einen Zweck, wenn irgendwelche 'Aus sicht besteht, daft seine Beratung auch in An griff genommen werden kann. Die Fertigstellung des Reichstheatergesetzes hat geraume Zeit in Anspruch genommen; weshalb, mnft den Schau spielern wohl bekannt sein. Denn kaum aus einem Gebiet der Gesetzgebung gehen die Wünsche der beteiligten Parteien, hier der Bühnenleiter und der Schauspieler, so iveit auseinander wie beim Reichslheatergcsetz. Soll trotzdem ein Ge setzentwurf zustande lammen, der beiden Teilen annehmbar erscheint, dann muft eine mittlere Linie gefunden werde», die zwischen den extremen Wünschen der beteiligten Parteien nach Mög lichkeit vermittelt. Daft dies nicht leicht ist, dar über wird man in Schauspiclerkreiscn nicht im Zweifel sein Vas Gemein-ewahlrecht üer Militärperfonen. Ginc weitreichende prinzipielle Bedeutung muft einer Entscheidung zuerkannt werden, die vor kurzem vom Fürstlichen Ministerium in Gera getroffen wurde. Es handelte sich dabei um die Frage, der auch unbestreitbar eine poli tische Wichtigkeit innewohnt, ob Bürger, die z >i m H c e r e s d ic n st c i u b c r u f c n sind, noch an deii G c m e i n d c r a t s w a h l e n als ak tive Wähler teilnehmen dürfen. Die Mili tärbehörde, in diesem Fall das Bezirkskominandv, stellte sich von vornherein auf den Standpunkt, daft nach Analogie des Verbots für Personen des Soldatenstandes, an Land- und Reichstags- wählen sich zu beteiligen, auch das aktive Wahl recht zu den kümmuualwahlen für alle Bürger ruhe, die zur Zeit der Wahlen ihrer gesetzlichen Dienstpflicht genügen. Der Stadtrat von Gera vertrat demgegenüber die gerade entgegengesetzte Anschauung, wonach sehr wohl auch Militär- personeu während ihrer Militärzeit das Gc- mciudewahlrccht ausüben können. Da cs hier von höchster Wichtigkeit erschien, eine Klärung der gegensätzlichen Meinungen durch eine end gültige Entscheidung von höchflzuständigcr Stelle herbeizuführen, wandte sich der Stadtrat mit einer Anfrage an das fürstliche Ministerium nut der Bitte um eine Aeufterung. In seiner darauf hin ergangenen Entscheidung pflichtete das Fürstliche Ministerin in der Anschauung des Stadtrates bei und erkannte damit allen M i l i t ä r pe r s o ne n das Recht zu, auch während der Zeit ihrer Angehörigkeit zum Heere am k o m m n n a l politischen Leben der Gemeinden durch Wahlbetätigung teilzunchmen. Es wurde aber ausdrücklich in derselben Ent scheidung darauf hingewiesen, daft das aktive Wahlrecht der Militärpersonen nur für Gemeinde wahlen nicht allster kraft gesetzt ist, nicht aber für die Wahlen zu den Parlamenten des Reichs und der Bundesstaaten. Die Analogie des Be- ürkskvmmandos kann daher nach Ansicht des Ministeriums nicht länger aufrecht erhalten werden. Vas Spionagegefetz in Nußlanö. (Zu dem bevorstehenden Spionageprozeft gegen Berliner.) Jll dem Verfahren gegen den Ingenieur Berliner kommt bereits das ne ne Spio- nngeaesetz zur Anweudung, das vor meh reren Monaten in Russland in .Kraft trat und gegen das alte Gesetz sehr grosse Verschärfun gen bringt. Das neue Geseft kommt dem eng lischen Spionagegesctz nahe, das auch sehr scharfe Mastnahmen gegen die Spionage kennt, viel schärfere als die entsprechenden deutsclfen gesetzlichen Bestimmungen. Insbesondere inter essiert in dem vorliegenden Fall die Tatsache, daft in dem neuen Gesetz zum erstenmal Mass nahmen über Spionage vom Luftschiff ans vorgesehen sind. Es wird jeder für strafbar erklärt, der 20 bis 2.'» Werst im Umkreise einer Festung oder bei Festungsforts vorüber fliegt. Wichtig für den deutschen Luftfahrer Berliner ist dabei die Bestimmnng, daft auch das Vorüberfliegen in Luftballons als schwere Spionage bestraft wird. Die deutschen Luft schiffer müssen darum in Zukunft sich unter allen Umstünden davor hüten, in die nähere oder weitere Umgebung russischer Festungen zu fliegen. Es kommt für Berliner auch noch eine grvste Reihe anderer Bestimmungen in Betracht, da bewusste oder vorsätzliche Spionage zur Be strafung gar nicht einmal erforderlich ist, denn eine weitere wesentliche Ausdehnung der Be kämpfung der Spionage in Russland ist die ge setzliche Bestimmung des neuen 8 111, dass mich die nur beabsichtigte Spionage oder die Mithilfe zur Erlangung von Nachrichten, die die Ver teidigung Rüglands betreffen, bestraft wird. Auf diese Weise kann jeder als Spion belangt werden, der einmal die Grenze überfliegt oder einer fremden Macht irgendeine Mitteilung über die russische Armee oder die Reichsvertcidigung macht. Die Mitteilung oder die Veröffentlichung von Geheimnachrichtcn im Interesse eines frem den Staates erscheint somit als die schwerste Form von Landesverrat, die dem neuen Gesetz nach mit Jahren Zwangsarbeit (statt mit acht Jahren, dem früheren Gesetz nach» bestraft wird. Um strafbar zu sein, braucht der Schuldige nicht einmal gewnsst zu haben, daft die von ihm gemeldeten Nachrichten ein militärisches Geheimnis bildeten. Es genügt, das; er bei der Veröffentlichung diese Möglichkeit anuahm. Der Unterschied zwischen dem alten und neuen Gesetz liegt ferner darin, daft das frühere Gesetz den Nachweis einer gewissen Absichtlichkeit forderte, während das neue Gesetz mit keiner Absichtlich keit rechnet, sondern auch in dem Falle ein Ver brechen sieht, wo jede Absichtlichkeit gefehlt hat. Eine umfassende Aufmerksamkeit schenkt das Ge setz den mit der Spionage verwandten Ver brechen, die gcwissermaften als Anfangsstadien der Spionage bezeichnet lverden. So ist jede Mithilfe zur Spionage strafbar, wie das Aus« findigmachcn oder die Vermietung eines Kon- spirationsquartiers, das Schmuggeln von Spio- uagLkorrcspondewz über di,e Grenzy pder cin Her- überschniuggeln chon Spionen. Ferner wird cs verdösen, in fiUeu militärische» Grenzpunlten ohne ('l«iehmigung der mititärisHen Obrigkeit Brieftauben zu halten. Allerorten ist die An lage drahtloser telegraphischer Anlagen von einer solchen Kraft, daß man mit dem Auslande in Verkehr stehen kann, ohne Genehmigung des be treffenden örtlichen Militärchefs untersagt. Wenn solche Uebertretungen zum Zweck der Spionage stattfinden, so werden die dafür angcsetzten Strafen verdoppelt. Während der Kriegs zeit lverden die Strafen für die hier auf gezählten Vergehen erhöht, selbst wenn die ein zelnen Vergehen nicht zum Nutzen des Feindes unternommen werden. Mexiko. Wilsons energisches Vorgehen hat überall tiefen Eindruck gemacht, nicht zum mindesten, wie es scheint, in Mexiko selbst. Während die atlantischen und pazifischen Geschwader der Union auf die Küsten Mexikos losdampsen, während der Kongreß die Maß nahmen Wilsons vollständig deckt und ihn wissen läßt, daß er seine weitestgehenden Forderungen zur Blockade Mexikos annehmen werde, da wird dem mexikanischen Präsidenten das Spiel mit dem Feuer doch zu gefährlich und er lenkt ein, wie fol gende Depesche erkennen läßt: Washington, 1«. April. Nach amtlichen Depeschen hat Huerta so gut wie zu gesagt, den Salut für die amerikanische Flagge abzuseuern. Leider sind — wir teilten dies bereits in der gestrigen Abendnummcr kurz mit — bei den Kämpfen der Negierungstruppen und der Aufständischen um Tampico auch zwei Matrosen des im Hafen liegenden deutschen Petroleumschiffes „Osage" verletzt worden, davon der eine so schwer, daß mit seinem Tode zu rechnen ist. Es wird zu untcrjuck>cn sein, ob die Verwundungen von ver irrten Kugeln hcrrühren, oder ob das deutsche Schiss absichtlich beschossen worden ist. Sollte eine Be schießung des deutschen Dampfers stattgefunden haben, dann wird die mexikanische Regierung dafür ver antwortlich gemacht werden müssen. „Eine honorige Gesellschaft!"' Wir erhalten folgende Zuschrift: „Unter der Spitzmarkc „Eine honorige Gesell schaft" erschien am 1. April in der „Leipziger Volks zeitung" ein Artikel, in dem der Wortlaut einer von nationalen Arbeitgebervcrtrctern des Leipziger Ortskrankenkassen-Ausjchusses an das Ministerium des Innern gerichteten Eingabe wiedergegeben und mit den dem Sprachschatz dieses Blattes eigenen Bemerkungen kritisiert wurde. Der Entwurf jener Eingabe zirlulrerte damals zwischen zwei Bureaus beteiligter Arbeitgeberoertreter und bezweckte, an gesichts der in Dresden beabsichtigten Wiederwahl des Laildtagsabgeordneten Fraßdorf zum Vor sitzenden der Dresdner Ortskrankenkasse auf zwei Jahre und der damit geplanten Teilung der im Ge setz einheitlich au; vier Jahre festgeregtcn Wahl periode des Versitzenden zwischen einem Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitgeber das Ministerium des Innern als höchste Aufsichtsbehörde um die Nichtgcnehnugung dieses ungesetzlichen und be sonders als Präzedenzfall abzulehnenden Wahlakts zu ersuchen. Mail hat sich jedoch schließlich — und zwar noch ehe die Volkszeitung aus Grund des Dieb stahls eines Angestellten der beiden Bureaus di« Veröffentlichung brachte — aus Zweckmäßigkeits gründen entschlossen, die Eingabe zurzeit noch nicht abgehen zu lassen. Der in der Volks zeitung zum Beweise des Abgangs am Schluffe des Wortlautes stehende Satz: „Folgen die Namen" ist also ein Phantasiegebildc. Ihr Eoschrei über den Inhalt der geplanten Eingabe ändert selbst verständlich an der Legitimation der Ausschußver- tretcr, in allen Fällen, in denen es ihnen zur rich tigen Eesetzcshandhabung angemessen erscheint, mit Vorstellungen oder Anträgen an die Aufsichtsbehörde heranzutrete», ebensowenig wie an der Absicht der beteiligten Arbcitgebervertreter den Entwurf der Eingabe nach Bedarf in Zukunft zu verwerten. Die „Leipziger Volkszeitung" könnte sich aber in Zukunft ersparen, zur Offenbarung solcher ganz offen behandel barer Eingaben an Behörden einen Angestellten-Dieb zu bemühen utid dadurch in „Honorige Gesellschaft" zu kommen, denn auf Wunsch würbe ihr solcher Ein- gabünentwnrf iZur gütigen Besprechung und Mck- äußerung bcreitwilligst von den anderen selbst zur Verfügung gestellt." Koloniales. * Die Grenzen von Neu-Kamerun. Die an« 11. März in Brüssel au (genommenen Schluß besprechungen der Obcrleiter der Kame runer Krenzver Messung sind am 9. April mit der Unterzeichnung eines Protokolls geschloffen worden, das noch der Prüfung und Genehmigung durch beide Regierungen bedarf. Im allgemeinen ist über den Verlauf der !',000 Kilometer langen Grenze zwischen den Kommissaren volle Eini gung erzielt. Streitig geblieben sind «ine Strecke von sechs Kilometern am Ubangiufer, oberhalb Singa, um eine Insel im Logone« fluß namens Waleache. Außerdem ist noch eine Karl henckell, -er Zünftigjährige. Zum 17. April. Es war einmal ein König — Friedrich Rückert hat seine lehrreichen Erfahrungen köstlich gereimt —, der seine große Bibliothek aus den Rücken von ein- hundcrtundcinem Kamel bei allen Reisen mit sich siihrte, da ihn seine Büchersckstitze unentbehrlich diinkten. Aber während der laugen und oft beschwer« licken Fahrten ließ er ihren Inhalt immer mehr zu« se.mmenziehen in ein leicht tragbares Buch, ja schließlich in ein noch leichter erlernbares Sprichwort ziisammenschmelzen. Diesem König ähnlich l>at Karl >5 e n ck e l l über seinen poetischen Reichtum gewul'rt; immer wieder sind Auswahlzusammenstellungen aus seinen Gedichtbüchern erschienen, ohne daß die ein zelnen Gedichte wesentlich Veränderungen aufzu- wciien haben. Soeben wurden in der Reihe: Deutiche Lyriker „Hundert Gedichte, in der Auswahl des Vcr- iassers" veröffentlicht (im Verlage von Hesse Beckers, in denen »i> ovo und in nn<-o die Hcnckcllsche Lyrik kunst enthalten ist. Freilich — durch die stets größer und gefräßiger wert-enden Sieblöcher der Zu kunft wird auch aus dieser streng gesichteten Aus wahl noch Lied um Lied fallen, so unzweifelhaft, wie bereits jetzt eine Fülle Blüten seiner Iugcndsamm- lungcn verwelkt sind. Auch eine gewiß lehrreiche kritische Gesamtausgabe der Hcnckcnschcn Lyrik ist bereits angekiindigt. Unter den zweiundzwanzig Lyrikern, die vor etwa einem Menschenalter in den „Modernen Dichter charakteren" programmatisch und produktiv hervor traten, ist Karl Hencke ll, der gemeinschaftlich mit Hermann Eonradi das Vorwort schrieb, weil er sich treu blieb, am meisten veraltet, dem jungen Ge schlecht fremdest geworden. Eine so starke schöpferische und reif kritische Natur wie Ernst Lissauer hat seinen neuesten Gedichtband: „Im Weitergehen" (1911) als durchaus epigonenhaft, als vollkommen Ker und flach, als (beibelverslerci angesprochen. Man braucht sich dieses harte Urteil nicht wortwort« lich zu eigen zu machen; doch kann man nicht ver kennen, daß sich in ihm eine typische, zeitgemäße Auffassung und Bewertung ausprägt. Nur wenn man Karl Henckells gesamte literarische Tätig keit einglicdert in den geschichtlich»! Verlauf der allgemeinen Geistesentwicklung, kann man auch dein Lyriker gerecht lverden. Er hat selbst bekannt, „mit an der Schmiedc- esse der modernen Dichtung gestanden zu haben". Und in der Tat: er, der anabhangtge Bürgerssohn, ist der starke Rückhalt der neuen Bewegung gewesen. Wer ihren Wert für die kulturelle Zukunft an erkennt, kann auch ihrem tätigsten und rücksichts losesten Vorkämpfer wohlverdientes Lob nicht ver sagen. Karl Henckell wurde am 17. April 1864 in Hannover geboren und entstammt einer rZch- aewordcnen niedersächsischen Büraerfamilic. Ueber seine lyrisch Begasung und ihre Quellen hat er sich häufig ausgesprochen: Ich bin kein gotterkorner, Kein himmlischer Prophet, Ich bin ein stanbgcborner, Ein irdischer Poet .... Vom Vater trotzig-schweigender, Von Mama weicher Sinn, Vom Ahnen liedersteigender Poet ich worden bin. Schon in diesem frühen Gedicht nennt er sich einen „schwertgegiirteten, zartbcmyrtcten Spielmann ans stiller Wacht": immer wieder hat er nachdem auf seine „Volker"natur hingewiesen. Schon auf der Schule „paßte ihm die ganze Richtung nicht mehr, die Richtung auf Drill, Veftctzcn und Examcnochsen", Während seiner Berliner Studien und hannoverschen Militärzeit begann der literarische Kampf, an dem sich Henckell lebhaft bald in München, dann in Lenzburg lAargau) beteiligte. In Zürich setzte er seine Studien fortz lernte hier die hervorragendsten Schriftsteller und Künstler kennen — aus seiner Be geisterung für Böcklin entstand ein Zyklus Dick), tungen zu dessen Gemälden — nnd siedelte erst im Jahre 1902 wieder nach Deutschland, nach Charlotten- burg über. Nach sechsjährigem Aufenthalt verlegte er seinen Wohnsitz nach München. So laut wie bei ihrem Erscheine»» vermag man heute die Jugendwcrke Karl Henckells: „Poe tisches Skizzcnbuch" s188'»), „Strophen (1887), „Aniselrufc" (1888), „Diorama" (1890), „Trutz nachtigall" (1891) und „Zwischenspiele" — die 1898 als umfangreiche „Gesammelte Gedichte" vereinigt wurden — keineowcsts mchczuvreisen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Erlebnisse, auf die sich diese Kunst gründet, kernhast echt und snbjektiv notwendig sind, daß sich in diesen zuerst unförmigen, strophen- reich» Gedichten eine stürmische Leidenick-ast und nie gebrochene Kampffreudigkeit für Freiheit, Gleichheit I und Menschlichkeit austoben. Von der sozialdemokra tischen Bewegung hat sich der einst so revolutionäre I Gesellschaftkritikrr und anarchistische Poet sehr bald I abgewendet, wenn schon er stets der .^Dichter des sozialen Mitleids" geblieben ist. In seinen Versen sprüht ein Pathos, das in vieler Hinsicht an den jungdeutschen Hcrwegh gemahnt, der ihn an Lauterkeit und Folgerichtigkeit der Gesinnung und des Handelns nicht übertrifft. Aber wie konnte man je übersehen, daß Henckell eigentlich keil» „Künstler", kei>» „Dichter" ist, daß die Form seiner Lyrik keinerlei Fortschritt erkennen läßt? Seine Strophen scheinen unmittelbar aus den» Glutball des Erleb nisses geformt zu sein, ohne feilende und glättende Nacharbeit. Mit einer Anschmiegsamkeit sonder gleichen hat er bedichtet, was sich ihm bot: den Reichshund Tyras nnd jüngst den Pfarrer Jatho — wohl gelingt den» lyrischen Leitartikler hin und wieder ein kecker Wurf, aber meist bedeute»» derlei Erzeugnisse eine üble Geschmacklosigkeit. Auch seine Natur- und Liebeslyrik ist davon nicht frei, obgleich ihm schon früh einige Versgcbilde von makelloser Schönheit gelungen sind. In die Gedichtbändc „Neues Leben", „Gipfel und Gründe", „Schwingungen" und „Jin Weitergehen" hat Karl Henckell die lyrischen Ernten der Jahre 1899 bis 1919 cingcbracht. Unter den in diesem Zeitraum erschienenen Auslese»» sei besonders auf das iin Jahre 1906 herausgcgcbene Werk: „Mein Lied", Ausgewählte Gedichte, mit Beiträgen von Richard Strauß und Buchschmuck von Fidus, hingcwiesen, durch das man einen nahezu un- getrübten Eindruck vor allem vom Künstlertum Karl Henckells erhält. Einige seiner Lieder sind wirklich kleine Meisterwerke, die fortl«b«n würden, auch wenn sic der hervorragendste Musiker unserer Zeit nicht so gelungen vertont hätte und durch sie ein ko fein- sinniger nnd gedankenreicher Zeichner wie Fidus zur bildmäßigcn Wiedergabe ihres lyrischen Ge haltes nicht gereizt worden wäre. Auch vom Stand punkt der Bibliophilie erscheint „Mein Lied" als ein wertvolles Buch. Bereits im „Zwischenspiel" hatte sich der damals Dreißigjährige von jeder einseitigen Parteinahme losgelöst. Sein srcihcitliebendes, Menschenfreund- liches Herz wurde nicht leidenschaftsloser und wett- verschlossen, aber sein grüblerisches, zweiflerisches Hirn ward reifer, lernte bewußter erkennen und ge schichtlich gegründeter urteilen. Klar spiegelt diese Wandlung die Sammlung „Neues Leben" — in der zugleich eine Beichte nnd Eigenlossprechung von dec Sünde wider dae> innere Gesetz seiner Entwicklung, iu der manche einen unsittlichen Bruch witterten und tadelten, steckt. Noch klingt hier und da eil» gelles Echo aus der politischen Kampf- und Dtchtzeit. Aber die Eesamthalchmg ist doch mehr liliencronisch als Entscheidung zu treffen über die Führung der Grenz linie vor den deutschen Uferstrecken am Kongo und Ubangi, womit das Schicksal der diesen Strecken vor gelagerte»» Inseln und der bisher zu Kamerun ge hörigen Schariinsel zusammenhängt. Di« deutscher seits erhobene Forderung auf die Talweggrenzc ist von Frankreich noch nicht anerkannt worden. Deutsches Reich. * Der König von Sachse« und der Herzog von Sachsen-Altenburg trafen ain Donnerstag nachmittag >«5 Uhr im Kraftwagen, von Schloß Fröhlichen wiederkunft, wo dor König seit gesteri» als Jagdgast des Herzogs weilt, kommend, im Residenzschlosse zu Altenburg ein. Beide Fürsten trugen Jagduniform. Der Aufenthalt des Königs in Altenburg gilt der Begrüßung der Frau Herzogin. Die Fürsten begaben sich abends ins Jagdrevier zurück. * Der bekannte Antisemitenführer Rektor a. D. Ahlwardt ist am Donnerstag in Leipzig im Krankenhause zu St. Jakob gestorben. Er war vor etwa acht Tagen von einem Geschirr über fahren worden und ist nun den schweren inneren und äußeren Verletzungen erlegen, die er bei diesem Unfall davongetragcn hatte. — Ahlwardt wurde am 21. Dezember 1816 in Krien bei Anklam geboren, besuchte das Seminar in Oranienburg, wurde 1866 Lehrer und 1881 Rektor einer Berliner Gemeinde schule. 1894 wurde er Wege»» seiner scharfen agita torischen Tätigkeit pensioniert. Seine politische Be deutung gründet sich auf seinen Antisemitis mus, und seine Lebensschicksale sind aufs engste mit dieser Parceirichtung verknüpft gewesen. Von 1892 bis 1903 gehörte er als Vertreter des Wahlkreises Friede berg Arnswalde dem Reichstage an. Wegen der in den „Judenftinten" ausgestellten Beschuldigung, üic Löwesche Waffenfabrik habe bas Reich durch Liefe rung schlechter Gewehre wissentlich betrogen, wurde er zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Mit dem Antisemitenführer Böckel zusammen gab er das „Deutsche Volksrecht", vorher bereits allein den „Bundschuh" heraus, worin er die Jude»» aufs heftigste bekämpfte. Sein« oft mehr als eigenartige Betätigung führte schließlich zum Ausschluß Ahl wardts aus der Deutschen Reformpartci. In» neuen Jahrhundert trat er in antisemitischen Versamm lungen vielfach noch als Redner aus, ohne indes größere Beachtung zu finden. Vor einiger Zeit »nachte er erneut von sich reden, als er in Leipzig eine neue Partei gegen Juden und Jesuiten gründen wollte. Dieser recht seltsame Plan wird wohl nui» mit dem Tode Ahlwardts endgültig abgetan sein. O * Der Kaiser in Korfu. Dor Kaiser »nachte am Donnerstag früh Len gewohnten Spaziergang, an dem der Reichskanzler tcilnahm. Zur Mittagstafel beiin Kaiserpaar waren n. a. geladen die griechischen Minister Venizclos und Streit sowie der Gesandte Graf Quadt. Der Reichskanzler empfing am Vor mittag den griechisckfen Ministerpräsidenten Venizelos und den griechischen Minister des Aeußern Dr. Streit. " Besuch des Kaiserpaares in Braunschweig. Der Kaiser und die Kaiserin werde»» am Vormittag des 8. Mai (Freitag) in Braunschweig zu den Tauffeicr- lichkeiten eintreffen. Die Taufe des Erb prinzen findet abends 6 Uhr iin Dome statt. Um 8 Uhr ist Galarafcl. Ihre Majestäten werden Braun schweig am Sonntag gegen Abend wieder verlassen. * Zum 8V. Geburtstag des Generals von Seebeck. Anläßlich seines 80. Geburtstages wurden dem Ge neral der Infanterie z. D. Exzellenz von Seebeck NeuekebenzIullundZÄaffenLkrafl. Ich war seit Mitte Oktober sehr krank, der Arzt stellte Nervenstörung fest und empfahl mir zur Kräfti gung Ihr Broson. Schon nach 14 Tagen sah ich wieder besser aus und, während ich vorher sehr elend, appetitlos, niedergeschlagen war und kaum gehen konnte, bin ich jetzt lebenslustia, arbeitsfreudig und versorge meinen Haushalt wie früher. Frau E. Heß, Stuttgart, Seneielberstr. 67. Unterschrift beglaubigt: 8. 1. 14. Gerichtsnotar Joos. Bioion, das Paket, mehrere Wochen ausreichend. Mk. 3,— in Apotheken, Drogerien. Verlangen Sie von» Biosonwert, Frank furt (Main) Gratisprobe und Broschüre. herweghisch. Dein „Neuen Leben" mangelt ebenso wie dem folgenden Bande: „Gipfel und Gründe" (1904), um wirtlich starte und rein« Nacherlebnisse im Genießenden zeitigen zu können, die strenge künst lerische Zucht. „Mensch, sei wesentlich!" — des alten Angelus Silcsius ernste Forderung gilt dem Künstler zuerst und am lautesten. Auch Karl Henckell weiß nm ihre Bedeutung, doch achtet er ihrer gar zu wenig. Trotzdem findet sich in dieser und in den späteren Sammlungen: „Schwingungen" 11906), die eine Fülle aus Kraft geborener Lebensfroheit und im Schmerz erworbener Gedankentiefe in Strophen voll weicher nnd wuchtiger Melodik ent halten, und in dem jüngsten Buche: „Jin Weiter gehen", obgleich hier das Bild des Lyrikers Henckell empfindlich verblaßt und an Eigenfarbe ein büßt, manche wundervolle lyrische Enadengabe. In des — auch die gelungensten Gedichte aus neuerer Zeit bezeugen mehr die Reise seiner schöpferisch«»» Persönlichkeit, als daß sie eine wirkliche Bereicherung unseres Kunstgutes darstcllen. Karl Henckell. der einst mit bissigem Hohn über Literaturwissenschaft und -kritik herfiel, hat sich selbst literargeschichUichen Arbeiten zugcwandt, allerdings ganz gewiß nicht im „philologischen" Sinne. Ein kurzer Hinweis auf seinen „Streif zug durch fünfzig Jahre Lyrik: Deutsche Dichter (eit Heinrich Heine" und auf seine „Weltlyrik", ein Lebenskrcis in Nachdichtungen, worin eine Reihe seiner Wesensart zusagende Gedichte ausgcwählt und getreu dem Geiste der Urbilder verdeutscht sind, »nag hier genügen. Man kann nicht leugnen: Karl Hencke lls Name hat seine frische Wcrbekraft nicht bew-ihren können. Wenn dahcr auch sein 50. Geburtsto g kein Anlaß werden kann, ihm eine»» üppigen Kr> ,nz zu winden, so bietet er dennoch erwünschte Geleg enheft, seine Verdienste in den heißen Kämpfe»» der a chtziger und neunziger Jahre des vergangenen Jahrh unberts laut zu rühmen. Und loviel Unkrautiges un y Halb reifes sein letzter Gcdichtband enthält: cs k lingt in ihm etwas Wirres, Unsicheres, das mai» , vielleicht so deuten darf, daß eine neue Wandlung in Henckell sich vollzieht, daß er auf dein Wege zu einem schönen Zicle ist. Denn er ist noch nicht verarnrt, na ch nicht abgetrieben: sei»» reiches Herz und reifes Hlr n ent- schcichtcn ihren T'esei» vielfachen aoldhaitigen Stoff. Nur der orbeitsluitigc Wille zur Formung fehl t den» Dichter. Vielleicht wird er vcm Fünfzigjäl nigen noch zuteil. Dann erst wird sein Liedersame la usend- fältige Frucht tragen", wie er selbst ersehnt. klriod ir.
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