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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.08.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140808027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914080802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914080802
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-08
- Tag 1914-08-08
-
Monat
1914-08
-
Jahr
1914
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Abend - Ausgabe Srzvgsprelsr: L monatlich I.rr m., »lerteljührlich r.75 m. ort Ser 0»<chbft»n»u«, unsrra Ztttolen unü Nu»gob,st»U«n ad,»hoU: monatltch 1M., »terteljbhrUch Z M. Lorch »i, Post- tnarrhald vrutfchlonb» oab ö« beotfchra Lol»M»o monatlich 1^0 M., virrtrliührlich 4.»» M., auofchUostllch postdrstrUgolü. V«o Lrtpitgrr Laaedlott »rschiint wirkt««» rmal, Sonn» t». Zrtertagotmal. 2» Lripzig. Son Nachbarorten un» ö»n tvrtrn mit riarnrn Zillalrn wir» bl« flbrnüauogad« noch am stbrn» b«o «rschetnrn» ln, yau» ««llrfert. P«rlia«rR«Sakti»n:2nSrnZ,lten>7.;ernsprech.s'.nfchIu8: Kans« Nr.4»7. Nr. 400. ^curdelsFeituns /lrrrtsblrM desRnte» und despokseuuntes der Stcrdt Leipzig NrSaktlon an» »rfchaftostrll«: ?oi>annl»,aff« Nr.«. 4 Zrrnsprrch.stnschluft Nr. 14b«, 14 »43 un» 14»44. 108. Jahrgang fln,rlg°nprelft: L von auowart» X Pf.. Nrklamrn 1.20 IN., stlrln« Nn,«ig«n »trprtttzrtl« nur rspf.».wt«b»rd»t.Nad., Inserat» von vrhbrbrn im amtlichrnirlt bl« p«ttt» ,»N» so Pf. ch»fchäst»on,»Io»n mit Planvorschrift im pr«ise «rh-ht. N-datt na» Laris. S«ila««n: Sesamtaufl.SM.ba»raus«nb auoschl.postgrbahr. stn,eigen.ftnnabm«: lohanniogaste«, bei sämtlichen fillolen b», Leip,«,« bagedlalte» un» allen stnnoncen.stxpeblttonen -»» In» un» yuslaateo. SeschästosteU« für Srrlin u.Sie pr.Vraabenburg: direktionwalterZliegel, Vertin s.14. VreeSener Strafte 47. Zernsprech.stnschluft: MoriNplah ISSN. vonnabenü. üen s. stuyull. ISI4. Die ersten gefangenen Franzosen. Einzelheiten über den Rampf bei Lüttich stehen noch aus. — Die belgische Aönigsfamilie hat sich nach Antwerpen begeben. — Neue Besprechungen zwischen den Grafen Berchtold und dein japanischen Botschafter in Wien. — Aann Italien neutral bleiben? — Die Einberufung der italienischen Aammer steht bevor. — Nisch. — Ausweisung der Gesterreicher aus Montenegro. Ist Gott für uns, wer mag wider uns fein! Von Pfarrer Liz. Gottfried Naumann. Am Freitag abend sprach Pfarrer Liz. Gottfried Naumann in dem Bet- g o t t e s d i e n st e, der im Schulhofe der 4. höheren Bürgerschule in Gohlis gehal ten werden mutzte, da der grotze Betsaal der Schule nicht ausreichtc. Wir geben den In halt dieser Predigt im folgenden wieder: „Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt cs sich, das unsere Väter gegründet, um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens." Wir fühlen s alle, wie recht unser Kaiser mit diesen Worten seines Aufrufes an sein Volk hat. Es liegt ja am Tage, wir sind ihnen zu grotz und stark ge worden; nun wollen sie uns klein machen. Es gilt den Kampf um die ganze Zukunft unseres Volkes. — Aber der Kampf ist schwer. Feinde ringsum! Nie mand kann sagen, wie dieses nun beginnende Völker ringen enden wird. Jetzt ist für uns alle, alt und jung, Mann und Weib die ernsteste Zeit, die wir erlebt haben. Und wenn auch durch unser Volk eine herrliche Begeisterung geht, wenn wir auch mit Zu versicht und Stolz auf unsere mutig kämpfenden und noch hinausziehenden Krieger blicken, den Geist der Ordnung bei der Mobilmachung bewundern müssen, aus der Tiefe unseres Herzens kommt das Bekennt nis: „Mit unserer Macht ist's nicht getan." Der Kampf wird zu schwer. Wir blicken auf im Gebet: „Gott sei du für uns, wer mag dann wider uns sein!" Aber auch unsere Feinde beten so. Auch bei ihnen in Ost und West werden in diesen Tagen Bittgottesdienste adgehalten. Und wir wollen nicht in den Aberglauben verfallen, ohne weiteres arvunehmcn, Gott mühte unbedingt für uns sein. Gott ist der Herr aller Völker. Die Frage ist ernst: Für wen istGott, auf welche Seite stellt sich der le tz t e, c n t s ch e i d c n d e Wille im Welten- all? — Vor 100 Jahren zog ein Grotzcr unter den Menschenkindern mit einem gewaltigen Heer nach dem Osten; er war der Meinung, datz Gott immer mit den stärksten Bataillonen sei. Aber „mit Mann und Rotz und Wagen hat ihn der Herr geschlagen". N<;in, Kott kann nurmitdenen sein, dieseinen Willenzutunbereit sind und in seines Geistes Kraft ans Werk gehen. Und das ist ein anderer Geist als der, den Rußlands Herrscher be seelte, als er unserm Kaiser depeschierte: „Ich ver traue mit aller Kraft auf Gottes Gnade und hoffe auf den Erfolg Deiner Vermittlung", und dabei zum Kriege rüstete. Hier kann nicht der heilige Gott der Wahrheit sein. Wer mit Gottes gnädiger Hilfe rech net, dessen Seele mutz allen guten Geistern von oben offen stehen. Gott kann nur für die Völker sein, die seinen großen heiligen Gedanken, wie sic der Welt in Jesu Cristo aufgeleuchtet sind, zu dienen sich be mühen und so an seinem großen Werk der Erziehung des Menschengeschlechtes Mitarbeiten. Gehört unser Volk zu diesen? Kann der Lenker der Nölkcrgeschicke mit uns sein? Bangen zieht durch jedes deutsche Herz, das Sinn für frommes, sittliches Leben hat; denn wer kann's bestreiten, in der langen Friedenszcit drang in unser Volk immer weiter um sich greifend ein Geist, der nicht von Kott ist und nicht seine Wege zieht. Acutzerlich ist unser Volk groß, reich geworden, auf allen Gebietender Technik, der Wirtschaft ging es mit Riesenschritten vorwärts; aber es war in der Hauptsache eine ma terielle Kultur; innerlich an seelischer, moralischer Kraft ging es zurück. Das Vertrauen auf die eigene Kraft ward zum llebcrmut; ohne ein höheres Wesen meinten Tausende auszukommen, oben und unten. Der Geist des Gebetes wich. — Und es kamen dafür die Geister von unten. Leichtsinn, äußer liches Wesen, Unsittlichkeit aller Art, äußeres Wohl leben, rücksichtlose Gewinnsucht, Verbrechen wider die Natur aller Art griffen um sich. Seien wir uns nur in solch ernster Zeit rücksichtslos offen gegen uns selbst: wir waren nahe dem Abgrund. Berge von Sünde und Schuld haben sich in unserem Volk auf gehäuft; wieviel wertvollste Kraft ward vergeudet in den letzten Jahrzehnten! Kann Gott für uns sein? Wir müssen auf die Knie: „Herr vergib uns unsere Schuld, vergib unserm Volke, zieh deine helfende Hand nicht von ihm!" — Und Gott hat uns nicht verlassen, hat un,er Volk nicht losgelassen. Was er uns jetzt schickt, das soll in uns nur den guten Geist von oben wieder aufwecken, die bösen Geister bannen. Wie für den einzelnen Menschen, so kommen auch für die Völker, die in Gefahr sind, innerlich zu Grunde zu gehen, aber noch die Kraft haben, zu neuem Leben zu erstehen, ernste Zeiten, die alles durchrütteln. Solche Zeit ist jetzt in unserm Volk. Gott möchte unser Volk erhalten, darum faßt er es jetzt so hart an, indem er es in den Kampf um seine Existenz führt. Deutsches Volk, Volk der Reformation, Volk der Befreiungskämpfe wach« aus! Gott redet mit dir und will dich zu neuer Kraft führen! — Gott will für uns sein! Zum beginnenden Kampf gibt er uns das Wertvollste, was es für einen Krieg gibt: ein gutes Gewissen. Das Schwert ist uns in die Hand gedrückt. Wir wollten den Frieden; der Krieg ist uns aufgezwungen. Wir müssen ver teidigen unser heiligstes irdisches Gut, das Vater land. — Gott wird mit uns sein, wenn wir für unser gutes Recht vor seinem Auge kämpfen und alles Kleinliche, Gemeine nun ablegen, innerlich ver bunden mit ihm. Und wir dürfen hoffen, daß in unserm Volk noch einmal der gute, fromme Geist durchbricht, der unseres Reiches Größe im letzten Grunde ge schaffen. Gott wacht schon auf in unserem Volke und hat sein Werk der Verjüngung, der Heiligung be gonnen. Die bösen Geister des Zwistes, der Selbst sucht, des Uebermutes beginnen zu weichen. Gott arbeitet unter uns! Aller Streit hat aufgehörk, alles gehässige Wesen, das unser Volksleben besonders auf dem Gebiets der Politik io vergiftet hatte, ist ver schwunden. Ein Volk von Brüdern! Lkas ist jetzt Geld, Rang und Stand? Der Gott des Friedens steht unter uns auf und ist für uns! — Groß wird allem kleinlichen Egoismus zum Trotz der Sinn zu opfern, sich und das Seine an ein höheres Gut hin- zngcven. Mit froher Bereitschaft ziehen die Männer zum Krieg; Frauen, eben verheiratet, reden mit zujamm-engebisscnen Lippen ihren Männern zu, frei willig hinauszuzirhen; zu Opfern an Leben und Hab und Gut ist man überall bereit. Im Feuer dieses Geistes schmilzt die klägliche Selbstsucht. Gott ist mit seiner Gnade unter uns! — Und mit seinem Grists der Zucht! Selbstbeherrschung hat die Massen erfaßt; das ganze Leben ist reiner, tiefer geworden. Unser Volk hat viel gewonnen in diesen Tagen an innerer Kraft, an Gottes Kraft. — Lagt uns alle unsere Seelen mit dem heiligen, allmächtigen Gott verbinden, daß diese guten, jetzt wach gewordenen Geister stärker werden, weiter vor dringen und uns erhalten bleiben. Das alte Schiech!«', es vergehe! Alles soll neu werden! E- ist Hane Zeit! Unser König sagte in seinem Aufrufe an sein Volk: „In Demut beuge ich mich mit meinen Sachsen vor dem allmächtigen Lenker der Völkcrgeschichtc." Sprechen wir das ihm aus der Tief« unserer Herzen nach. Gottes Wille geschehe! In diesen Tagen des Abschiednehmens und erst recht in den folgenden Wochen und Monaten wird es vielen in unserem Volke schwer werden, so zu denken. Aber wir müssen um Kraft dazu bitten; denn nur wer sich in Demut beugt vor Gottes Tun, mit dem ist Gott, in dessen Seele zieht eine unwiderstehliche Kraft. — Wir kennen die Verschuldung, die auf unserem Volke liegt, wir bitten Gott um Vergebung, aber wir stehen auf an seiner Hand und gehen mutig der ernsten Zukunft entgegen. Noch ist die Geschichte nicht am letzten Ende, Noch sind stärker, als der Feinde, Gottes Hände.— Kann Italien neutral bleiben? Mißstimmung der Partei Giolittis wegen der Neu- tralitätsertlärung Salandras. — Einberufung der Kammer. — Man erwartet den Rücktritt des Minister präsidenten Salandra und des Ministers des Aeutzern Marquis di« San Giuliano, l?) :s: Wir erhallen von unserem ^.-Mitarbeiter, der sich zurzeit an der österreichisch-italienischen (kreuze befindet, einen Bericht mit wichtigem Inhalt. Rus politischen Rücksichten begnügen wir uns zunächst, unter Weglassung von gewissen Einzelheiten, mit einigen Andeutungen. Nach diesen Mitteilungen soll Vas Ministe rium La landen nur unter schweren Bedenken die Neutralitätserklärung erlassen haben, und es sei dies nur auf den Wunsch des Königs ge schehen, der die Haltung Italiens von der rL ng la u os abhängig gemacht wissen wollte. Jedenfalls sei der Vertreter Englands im Quiri- nat f e h r s charf ausgetreten, um die Neu- lralität Italiens trotz des Dreibundes zu er zwingen. Der König selbst sei keineswegs für Frankreich eingenommen, er lfabe aber be fürchtet, daß Italien, lvenn es sich der Forde rung Englands entgegenstelle, in eine Gefahr ohnegleichen gerate. Diese Befürchtung hat der König drahtlich Kaiser Wilhelm vorgestellt. Gleichwohl sei es nicht sicher, daß Salandra in der Deputiertenkammer, deren Einbe rufung bevorstehe, ohne Widerspruch bleiben werde, da die dreibundfreundliche Partei Gio littis mit dein Neutralitätsbeschluß nicht ein verstanden sei und den Rücktritt Salandras und des Ministers des Aeußern keineswegs fürchte. Die Aufregung sei um so stärker, als gerüchtweise verlaute, Salandra beabsichtige, die albanische Frage kurzerhand durch eine Be setzung des Fürstentums zu lösen, und sei es gegen den Einspruch Oesterreichs und Griechen lands. Tatsache sei, daß die Regierung ein Heer von einer Viertelmillion Mann aufgestellt und die Kriegsflotte in Tarent zusammengezogen habe. Bestätigen sich diese Mitteilungen, so wird, wie wir dies schon gleich augedeutet, die Neu tralität Italiens nur als ein vorläufiger Zustand zu bewerten sein. Vie belgische Königsfamilie in Antwerpen. Köln, 8. August. (Eig. DrahtberichtI Flücht linge, die aus Brüssel in Köln eingetroffen sind, teilen mit, datz die belgische Königin bereits am Montag nach Antwerpen abgereist sei. Der König befindet sich mit dem Hauptquartier der belgischen Truppen cb en falls in Antwerpen. Antwerpen habe eine Besatzung von 8V vvv bis 85 OVO Mann. Segeisterung über -ie Erstürmung Lüttichs in Prag. Prag, 8. August. Als gestern abend 8 Uhr Extrablätter das siegreiche Vordringen der deut schen Arme« meldeten, zog die deutsche und tschechische Bevölkerung in grotzen Masten vor das deutsche Konsulat und stimmte in d e u t- scher und darauf in tschechischer Sprache die Volkshymne an. Daraus wurden in deutscher und tschechischer Sprache Reden gehalten, woraus sich die Redner in die Wohnung des deutschen Konsuls begaben, der ihnen unter brausendem Jubel der Menge für die Kundgebungen dankte und ihnen die Hand reichte. Die Menge zog dann weiter zum R a d e tz t n - D e n k m a l, zur Statthalter«; und vor das Korpskommando. Ueberall wurden patriotisch« Ansprachen gehalten, patriotische Lieder gesungen und auf die verbündeten Herrscher und Armeen Hochrufe ausgebracht. Vie ersten gefangenen Zranzosen. Frankfurt a. M., 8. August. lEig. Drahtm.s Etwa KO gefangene Franzosen trafen gestern nach mittag auf dem Frankfurter Gütcrbahnhos ein und wurden sofort weitertransportiert. Sic werden in einer preußischen Festung interniert werden. Ver Postverkehr zwischen Veutschlan- un- Selgien ist gänzlich eingestellt und findet auch auf dem Wege über andere Länder nicht mehr statt. Es werden daher keinerlei Postsendungen nach dem an gegebenen fremden Lande mehr angenommen, bereits vorliegende oder durch die Briefkästen zur Ein lieferung gelangende Sendungen werden den Ab sendern zurückgegeben. Der private Tele graphen- und Fernsprechverkehr zu und von diesem Lande ist ebenfalls eingestellt. Vie Deutschen in Lüttich. Nachdem die deutschen Waffen bei Lüttich den ersten, großen Sieg errungen haben, wird es inter essieren, über die Erlebnisse und das Schicksal unserer Landsleute in dieser Stadt näheres zu erfahren. Eine gestern aus Lüttich in Leipzig eingetroffene Dame hatte die Liebenswürdigkeit, ein Mitglied unserer Redaktion zu empfangen und diesem etwa folgendes zu erzählen: „Am Sonntag, den 2. August, teilte uns der deutsche Konsul in Lüttich mit, daß der Deutsche Kaiser die Mobilmachung anaeordnct habe. Zu gleicher Zeit wurde auch in Belgien zu den Waffen gerufen, und von diesem Augenblick an schlug die Oapierne Siegesberichte aus Stimmung der Bevölkerung um. Ich habe sieben Jahre in Lüttich gelebt, aber bis dahin niemals etwas von Deutschenhaß gemerkt. Wohl gab es öfter unter den vielen in den Lütticher Bergwerken beschäftigten Bergleuten und den einheimischen Arbeitern Zu sammenstöße, aber auf andere Kreise hatte sich die Feindschaft nicht übertragen. Am 2. August wurde es anders! Wo ein Deutscher sich auf den Straßen sehen ließ, wurden wüste Schmährufe gegen ihn ausgestoßen, einem deutschen Geschäftsmann zertrümmerte man die Scheiben der Schaufenster, uns die wildesten Ge rüchte durchschwirrten die Stadt. So hieß es, deutsche Spione hätten unter die belgische Grenz bewachung Bonbons mit betäubenden Flüssigkeiten verteilt, an die Kinder hätte man Süßigkeiten verschenkt, die mit Cholera- und Typhus bazillen gefüllt seien, und andere Behauptungen mehr, die überall willigen Glauben fanden. Am Sonntag konnte man auch in Lüttich vereinzelt französische Offiziere und Gendar merie erblicken, ein Zeichen, daß man in Paris sicherlich keine Lust verspürte, die Neutralität Bel giens zu achten. Am Montag erfuhren wir, daß die deutschen Truppen in Verviers e igerückt seien, und an demselben Tage begann die Verstärkung der Garnison Lüttich. Diese Truppen waren in Löwen zusammengezogen und sollten zur Verstär kung der Festungsbesatzung dienen. Dazu scheint es aber gar nicht gekommen zu sein, denn als die aus wärtigen Regimenter in Lüttich ankamen, hatte man keinen Platz für sie. Die Soldaten warfen daher ihre Tornister auf die Straßen und zerstreuten sich, von niemandem gehindert, in die Casds und Gastwirtschaften der Stadt. Besonders gute Disziplin herrscht überhaupt nicht in der belgischen Armee. Eine Ausnahme machen nur die Garde von Brüssel, die nur Flämisch spricht, die Artillerie und die Besatzungstruppen der Festungen. Alles große, stramme Gestalten, deren Tüchtigkeit di« Bevölkerung blindlings vertraute. Infolgedessen wird auch der Fall der Festung in Lüttich und ganz Belgien furcht bar niederschmetternd wirken. An die Möglichkeit hatte sicherlich niemand geglaubt! Und in der Tat, wer den Gürtel der Forts gesehen hat, die mächtige Zitadelle, zu der M ungeheure Steinstufen emporsüh- ren, der wird nie daran gedacht haben können, baß diese starken Anlagen im Sturm hätten erobert werden können. Zum mindesten hätte man eine lange Be lagerung vorher erwartet! — Am Dienstag, den 4. August, wurde durch Gen darmen in der Stadt verkündet, daß alle Deutschen binnen zwei Stunden Lüttich zu verlosten hätten. Wir eilten sofort zum Konsul und kamen vor dem Konsulat gerade in dem Augenblicke an, als 15 Mann der Bürgerwehr, der Garde civilc, vor dem Hause aufzogen. Der Eintritt wurde uns verwehrt. Wenige Minuten später fuhr ein Auto aus der Torfahrt, in dem sicherlich der Konsul saß. Die Bürgerwehr schloß das Haus ab, und wir waren ohne Schutz in einer feind lichen Stadt. Der nächste Zug, den wir zur Abfahrt benutzen konnten, fuhr nachmittags um 5Uhr. In einem Viehwagen mußten wir Platz nehmen, und gleich zeitig wurde uns bekanntgegeben, daß wir, wenn wir nicht im Besitze gültiger, d. h. bezahlter Fahr karten wären, sofort verhaftet würden. Von diesem Geschicke wurden zwei Bergleute mit ihren Frauen betroffen, die darauf hinwiesen, daß sie doch nichts getan hätten, weshalb sie denn da ihre Ar beit verlassen sollten. Sie wurden von den Gendarmen mit Stricken aneinander gefesselt und ins Gefängnis gebracht. Wir übrigen fuhren dann ab. Plötzlich hielt der Zug auf offener Strecke wieder an. Nun hörten wir auch aus der Ferne, aus der Richtung von Verviers, die ersten Schüsse. Am Zuge erschienen jetzt holländische Gendarmen, die uns auf einer geraden Landstraße nach Maastricht brachten. Hier wurde uns von holländischen Damen Erfrischungen und Lebensmittel gereicht, man gab uns wollene Decken, tat überhaupt alles, um uns unsere furchtbare Lage zu erleichtern. Da in diesem Augenblick kein SVagen zur Verfügung stand, um uns an die deutsche Grenze zu bringen, so lagerten wir uns in unsere Decken gehüllt auf dem Bahnsteige, bis uns der Bescheid wurde, daß wir nach Aachen weitcrfahren könnten. Inzwischen war noch ein zweiter Trupp deutscher Flüchtlinge au« Belgien in Maastricht angekommen, unter ihnen zahlreiche Kurgäste aus Ostende, mit denen wir zu- sammen die Reise nach Deutschland antraten. Auch in Aachen erwartete uns liebevolle Hilfsbereitschaft, und» nach dreitägiger, beschwerlicher Fahrt durch das waffenstarrcndc Deutschland kamen wir am Freitag abend in Leipzig an." Vie Neutralität -er Nie-erlan-e. Berlin, 8. Angnst. lSig. Drahtmeldung, f Wie au, Amsterdam gemeldet »ird, hat di« niederländische Regierung die Grenz, qegen Belgien für Flieger, Lufts,hr, zeuge und Automobile gesperrt, um di« Reutralitätspflichten Deutschland gegenüber zu er« fülle«. Für di« niederländische« -äsen erging der
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