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Er setzte den Leuchter auf den Tisch und nahm die Kleine aus dem Bettchen, aber sie schlug um sich, und strampelte mit den Händen und Füßen, daß der Kapitän fürchtete, sie fallen zu lassen. Er setzte sich daher eiligst auf «inen Stuhl und nahm das Kind auf den Schoß. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er ein Kind in seinen Armen hatte. Aber die Kleine weinte noch immer. Um sie zu be ruhigen, ließ er sie auf seinen Kinen reiten, indem er ineinemsort dazu rief: -,Hopp, hopp, hopp, hopp!" Der Versuch schien zu glücken, denn das Schluchzen Wurde seltener- und die Tränen flössen weniger reichlich. Plötzlich hatte sich die Kleine beruhigt, freundlich blickten ihre blauen Augen den Kapitän an; sie streckte ihre Händchen aus und machte alle die Zeichen, die Kinder- die schon denken, aber noch nicht sprechen, zu machen pflegen, um Begierde und Verwunderung aus- zudrücken. Der Kapitän ließ die kleinen Aermchen, die sich gegen ihn ausstreckten- gewähren; sie griffen nach seinem Ehren kreuze, das er auf der Brust trug. Dias rote Bändchen- der lEmaillestern schienen dem Kindchen- wie für viele auf der Welt- die begehrenswerteste Tändelei zu sein. Der Kapitän ließ also die zarten Fingerchen das Ordens kreuz erfassen- und-je Kleine, glücklich über das erlangte Spielzeug, begann zu lachen. > Da fühlte sich Kapitän Chereau überaus stolz, stolz wie ein Sieger nach gewonnener Schlacht. Auch der freundlich^ Blick eines hübschen Mädchens hatte ihm! iie solchen Triumph,- solche Freude bereitet. Er stand auf und hielt das Kind in seinen Armen, -welches, eingehüllt in ein langes Nachthemdchen, ruhig mit dem Ordenskreuze spielte. Mit den Augen eines Entdeckers- der ein gesegnetes Land gesunden, be trachtete er die Kleine, gerührt über die glänzenden, von den Tränen befeuchteten Wangen Und das rote- von Bewunderung und Freude halb geöffnete Mündchen. Un äußer sich vor Entzückung- näherte er seinen rauhen Schnurrbart dem Gesichtchen des Kindes und sagte: -,Ein Küßchen dem Papa!" Aber das fcote Ordensbändchen hatte größere An ziehungskraft; indes b ei? Kapitän modulierte die Stimme und- um einen besseren Erfolg zu erzielen- die des Leutnants nachahmend- wiederholte er mit weicher Stimme; -Mn Küßchen dem Papa!" Freilich mußte er sein Kominando tvohl zwanzigmal wiederholen- bis die Kleine gehorchte, O, wie würde - er sich vorgekommen sein, wenn er- der alte Jung geselle, sich selbst jetzt hätte beobachten können! Er ließ sich küssen von einem kleinen einjährige» Kinde und —- seltsam —diese frischen feuchten Lippen, die auf seinen Wangen ruhten, machten- daß ihw die Augen feucht wurden- und erfreuten ihm das Herz. Es schlug Mitternacht. Niemand kam nach Hause, weder die Herrschaft noch-aS Dienstmädchen. Die Kleine wurde schläfrig- aber der alte Kapitän verstand die Kunst- Kinder in Schlaf zu bringen, nicht. Er erinnerte sich indes- daß die Nachbarin gewöhnlich mit leiser Stimme sang. Tas Wollte er auch machen- aber o toeh, er kannte nur Kriegslieder. Er machte die Bettchen zurecht- legte die Kleine, der es gelungen War- das Ordenskreuz loszutrennen, Und die eifrig an dem Ordenskreuz! lutschte- hinein Unh fing an zu wiegen. Tann stimmte er den Zapfen streich an, dabei die oft etwas derben Worte mit rühren der Delikatesse durch leises Summen übergehend, als Wollte er die zarten Ohren dieses kleinen Wesens nicht beleidigen. ! - Mer die süße Kleine schnitt Grimassen und sperrte die Augen auf. - Der Kapitän glaubte, daß der Rhthmus seines Ge sanges -u flott wäre, und begann ein getragencrcs Lied- ein Lied vor der Schlacht- zu singen. Dabei entwickelte er einen solchen Eifer und solchen guten Willen, daß die Kleine endlich einschlief. Ta er aber fürchtete, sie wieder auszuwecken, wenn er sie in ihr feines mit Spitzen besetztes Nestchen niederlegte, setzte er sich lieber auf einen Lehnstuhl und rührte sich nicht. Im tiefen Schweigen der Nacht bezeichnete das Pendel der Uhr mit seinem gleichmäßigen Ticken den unaufhalt samen Schritt der Zeit. Kapitän Chereau betrachtete das Kindchen, welches auf seinem Schoße schlief; der Schlaf schien es überrascht zu haben, denn das eine Händchen- zu einer Faust zusammengeballt, ruhte auf der Brust während es in der andern, das Aermchen ausgestreckt- das Ehrenkreuz hielt. Welch tiefer, süßer Friede ruhte auf den reinen- geschlossenen Augen, den von Schweiß feuchten Locken, den zarten Wangen und dein halbge öffneten roten Lippen, denen ein regelmäßiger, frischer Atem entquoll! Tie Wärme des kleinen Körpers, toelcher in seinem Schoße ruhte, ging auf ihn selbst über und stieg ihm zu Kopfe wie ein Rausch. Es gab also doch eine Freude, die von den Kindern auf ihre Umgebung ausstrahlt? Tie Zärtlichkeit existierte wirkliche welche sie 'denen mitzuteilen wissen, die sie ans Herz drücken? O- Welch ein himmelweiter Unterschied war zwischen seinen galanten Garnisonabenteuern und der Liebe- die solch ein kleines Wesen einflößt, Nlinnte für Minute, von dem Tage an, wo es unter Angst und Schmerzen geboren wurde, bis zu der Zeit, da es sich der Elternliebe zarten Sorgen entzieht, uni in die Arme eines andern zu eilen! Plötzlich rüttelten die Glockenschläge der Uhr den Kapitän aus seinen Gedanken auf, der unversehens sich altern fühlte. Ach,' »oie eilte doch so schnell das Leben dahin! Er hatte das schmerzliche Gefühl und Bewußtsein, Jahre verloren und unnütz vergeudet zu haben, wie ein Egoist- der keine Spur von sich zurückgclässen, den niemand beweinen würde. Und ein! tiefer Seufzer ent quoll seiner Brust. . . Da wurden draußen Schritte vernehmbar. Die jungen Eheleute kehrten nach Hause zurück, die Gattin eingehüllt in ih'ren Pelz- der Leutnant die Nase in da» Lufgeschlagenen Klagen seines Mantels vergraben. Wie versteinert blieben sie auf der Schwelle ihres Zimmers stehen. Neben der brennenden Kerze, in einem Lehnstuhl, saß ihr Machbar, der Kapitän, und hielt in den Armen ihr Töchterchen- welches sanft schlummerte und in einem Händchen das Ordcnskreuz des alten Offiziers hielt. „O, Herr Kapitän!" riefen beide wie ans einem Münde. Mer er hob sein tränenfeuchtes Antlitz zu ihnen auf und- den Zeigefinger auf seinen granen Schnurr bart legend- sagte er mit leiser Stimme: Still, still! Sie schläft!" Leak- »ad Sinnsprüche. Suche die Weisheit, als würdest ewig du hier sein; Tugend, als hätte der Tod dich schon am sträubenden Haar. Herder- Ein heit'rer Geist, ein froher Sinn — Sie sind der Menschheit beste Gabe — Und wird die Weisheit früh die Gutsverwalterin, So reicht der Vorrat bis zum Grabe. Der Ozean liegt still und groß und hehr, Die Sonne sinkt in die kristallnen Fluten, Da baut sich eine Brücke übcrS Meer Aus lichten Strahlen und au« gold'nen Gluten. Hinüber zieht gedankentief mein Sinn, Den süße Märchenträume heiter wiegen, Mir wird, ich säh' im Lichtglanz sernehin, Mit gold'nein Strand die set'gen Inseln liegen. Wolfgang Müller von KönigSwinier. O, der Mensch sieht «S oft spät ein. wie sehr er geliebt wurde, wie vergeßlich und undankbar er war und wie groß da« verkannte Herz. Jean Paul. Druck und Verlag von Langer ä Winterlich, Riesa. — Für die Redaktion verantwortlick« Arthur Hähnrl, Riesa. Rr. 36. SNesa, de« S, September 1S11. GrMler an der Elbe. Belletr. Gratisbeilage „Riesaer Tageblatt Das Saaversatioaslexikon. Novelle von E. Krickeberg. Fortsetzung. Ein neues Entsetzen für Tante Brigitte! — Er hat Ursprünglich zwei Monate bleiben wollen, und jetzt will er schon nach drei Wochen wieder gehen — aus Aerger natürlich über diese kindische Sache Mit der Annedore. — Um eine solche Lappalie kann er seine treue alte Tante verlassen wollen? Sie sagt cs ihm mit Tränen in den Augen.- . > „Dm irrst, Tantchen! Nicht deshalb — das ist mir nicht so wichtig — aber es ist diesmal alles in allem nicht so gemütlich bei Dir, wie es sonst gewesen ist! Warum hast Du die fremden Menschen sich zwischen uns drängen lassen?" ' Sie hat sich selber schon hundertmal dafür gescholten und möchte es für ihr Leben gern rückgängig machen. Mit ängstlicher Beflissenheit sorgt sie fortan, ein Zusam mentreffen mit Direktors zu vermeiden, und als sie sie eines TageS, Mutter und Tochter, bei einem Blumenein kauf beim Gärtner erblickt, zu dcM auch sie mit ihrem Neffen ihre Schritte lenkt- will sie schnell verstohlen RcißauS nehmen. Mer Hans Peter erfaßt sie am ArM. -Das geht doch nicht- Tante- was sollen sie von uns denken? Und wir haben doch wahrhaftig nicht nötig", unS vor den Leuten zu verbergen!" Man begrüßt sich und tauscht ein paar nichtssagende Höflichkeiten aus. Tante Brigitte- die sonst so ruhige- trägt im Bewußtsein ihres schuldbeladenen Gewissens «in zerfahrenes, unsicheres Wesen zur Schau- die Frau Direk tor hat ein seines, amüsiertes Lächeln in ihrem noch im mer schönen und sympathischen Gesicht, und die Snne- dore hüllt sich in absolutes Schweigen, während Hans Peter über das herrliche Wetter und die guten Aussich ten der Obsternte so angelegentlich spricht, als ob es niemals interessantere Themata für ihn gegeben hätte. Man will sich voneinander verabschieden, da fällt dem Gärtner ein, daß er den Herrschaften ja noch nicht seine schöne- neue Rosenart gezeigt habe — so begibt man sich jn den Hinteren Teil des Gartens. Annedore bleibt etwa» zurück; sie hat sich gebückt, um ein Stengelchen Reseda zu pflücken, das aber faßt eine Biene als frevelhaften Ein griff in ihre Rechte auf und rächt sich dafür durch einen empfindlichen Stich Annedore schlägt im ersten Schreck nach der Missetäterin und schlendert dabei den schönen alten Ring von ihrem Finger . Sic ist in der letzten Zeit etwas blaß und dünn ge worden, die Annedore. Hans Peter hat ihren Aufschrei gehört und ist-im Augenblick an ihrer Seite. „Was ist Ihnen denn ge schehen, gnädiges Fräulein?" Seine Augen forschen erschreckt in ihrem Gesicht- aber sie hat sich schon gefaßt. „Ach nur ein Bienenstich!" sagt sie, während sie sich in verlegener Hast damit beschäftigt, den Stachel aus der Wunde zu brücken. Plötzlich ruft sie entsetzt: „Ich habe ja meinen Ring verloren!" Er bückt sich, um ihn zn suchen, und sie beteiligt sich dabei. Es Lauert eine ganze Weile, bis er ihn im Gewirr der Resedaranken entdeckt; währenddessen neigen sich ihre Köpfe zusammen über das Beet, und ihre Hände kommen beim Auseinanderbiegen der Zweige oft in Berührung miteinander. Als sie sich aufrichten, sind sie beide heiß und rot. „Es tut mic leid. Ihnen so viele Mühe bereitet r» haben, aber der Kerlust des Ringe» würde «ich sehr ge schmerzt haben — ich danke Ihnen herzlich!" Er hat das corpus delicti hin und her in seine« Fingern gedreht Uiw eifrig betrachtet. -,Tarf ich fragen. Woher er stammt?" sagt er, wäh rend er ihn ihr überreicht. -Mein Vetter Hartwig hat ihn mir vor feiner Mreise gegeben." , „Pardon — das meinte ich nicht," sagt er frostig; -,ich hätte nur gern den Ursprung de» Ringe» gewicht. Er ist ei>n antike» Kunststück, und ich glaube, daß er an» Byzanz stammt." -,Tas mag sein," sagt sie ebenso kühl, „mein Bett« reist viel im Orient,, er hat ihn sich« von ein« sein« Reisen mitgebracht." Sie haben sich den Damen wich« angeschlossen, die die Annedore ob ihre» Menten«» mit der armen, un glücklichen Mene necken. -Menn die Hackd nur nicht schlimm wich," bemerkt die Frau Direktor, „dann bannst Du am Ende nicht zu« Ressourceball am Sonnabend gehen." „O doch — dahin würde ich trotzdem gehe», habe mich nun schon so lange darauf gefreut, wich« einmal tüchtig tanzen zu können — überhaupt, ist» Martin dann doch wich« hier ist." „Sie werden da» Fest wohl nicht besuchen?" wendet sich die Frau Direktor an Tante Brigitte. „Nein — ach «ein," sagt sie schnell, verlege«. -Han» Peter ist für so etwa» nicht." -,M« Diu hast mir doch »och gar nicht» davon gesagt, Tantchen." . -Lch dachte nur, da Da doch nicht tagest." „Das schadet doch nicht» — «nm amüsiert sich in einer passiven Rolle ost besser- al» i« ein« aktiven. Da» Tanzen überlasse ich ger» denen, denen e» Spaß macht." „Wie — Da wolltest wirklich? ..." Die Taste glaubt ihren Ohren nicht träne» zn dürfen. -Mena » erlaubt ist, werde ich gern einmal eine» Ressourcefest hier beiwohnen." „Ich fürchte. Sie werden nicht ans Ihre Koste« kommen- Herr Doktor," sagt «nnedore spch, -unsere Tänze bilden ganz und gar keine ethnologische Mertz- Würdigkeit." „Mer eine kulturgeschichtliche ist e» in jedem Fast, mein gnädige» Fräulein, bei sün im Schatten Menschen freiwillig Hüpfen zu sehen." Sie habe« beide ihre kühle Gelassenheit eingebüßt, scharf gehen Rede nnd Segenrttw hin und her. , Ns Tante und Reffe allein sind, fragt Hans Pet« so nebenher: -,Wa» ist dieser Doktor Hartwig?" » „Privatgelehrier, Schriftsteller, ein großer Reisend« vor dem Herrn, Stadtverordneter im Ort, Präsident der Ressource und noch alle» möglichie " < „Im Grunde also eigentlich nichts — Amateur ans allen Gebieten." „Ta» kannst Da nicht sagen, « ist gnmdgckchrt, tüchttg und gewissenhaft. Seine angenehme BernGgaw- lage gestattet ih« nur, unabhängig z« leben. Er ist ei« steinreich« Mann" Direktor» scheine« sehr vertrant «tt ihm,» sei«