Volltext Seite (XML)
42 ein langes Leben voller Kälte und Armut und befriedig ten Stolzes? Und wenn sie auch in der Folgezeit viel leicht an Ludwigs Leite noch tausendmal Gelegenheit gehabt haben würde, über ihn zu weinen, war denn ihre Liebe nicht groß und stark genug, um mit Freuden sieben mal siebenzigmal zu verzeihen? Gewaltsam suchte sie diese Gedanken abzuschütteln. „Ich bin kein Spielzeug, das man nach Belieben wegwirft und wieder aufnimmt," dachte sie. Rach dem Abendbrot schickte sie sich an, zu den Pvcheikrs zn gehen. Sie hatte sich auf einen Barwand be gonnen, wußte auch durch Ferdinand, daß sein Vater in ein Nachbardorf gegangen war, um dort womöglich Arbeit als Handlanger bei einem Baue zu finden. Tie Leute schienen ernstlich in Not zu geraten. Seitdem die Geschichte mit den» SchinÄn vvrgefallen war, wollte niemand mehr den Pocheike in Arbeit nehmen; und auch die Hauptstütze der Familie — die unternehmende Frau — war in Ge fahr, ihre Kundschaft zu verlieren. Daß sie, wie sie be- temrte, in aller Unschuld nnd ShnungsS. sigk-it den be wußten Lchinken in Hans und Magen ausgenommen hatte, wollte niemand glauben: Nur wenige unter den , großen" Bauernfrauen hielten ihr noch die Stange, weil cs ihnen bequem war. Ihre diskrete Art, Handelsgeschäfte zu be sorgen, war eben angenehm. Aber würde sie sich auf die Tauer durch die Kundschaft dieser wenigen nähren können, — gut nähren, wie sie es brauchte? Lor gen voll überdachte sie ihre Lage, wahrend sie am Tischchen vor dem dampfenden Glase Grog saß: durch das sie die Abwesenheit ihres Gatten feierte. Nachdenklich wickelte sie die Neste eines feinen Spickaals in Zeitungs papier, der heute ihr einsames Mahl gebildet hatte. Für die Mannspersonen war die Existenz dieses Spickaal- natürlich ein Geheimnis. Für sie war Boot mit hartem Hand käse gut genug. „Mel z« gnt doch," dachte sie. Ter Mann verdiente nicht da- Salz zum Brot, und der Jung; lieferte nur die Hälfte seines verdienten Gebe in die Wirtschaft. ,La, hält' ich nur fü; mich allein W svrgen," sie schnalzre mit der Zunge, „feinfein? Fein Km ich durch!" Und plötzlich stiegen ihr der Zorn und der reichlich geuvsscne Grog hochrot in die runden Wangen. Sie pautte mit de» Fäusten auf den Tisch. „Ja, wenn ich diesen Kkvtz von Mann nicht Hätte. Aber das schleppt man nun mit sich herum wie an 'ne» eisernen tkUhkette! Bär' ich damals Nicht so dumm ge wesen, so blitzdumm " Gin Pochen an die Tür unterbrach ihr Selbstgespräch. Sanft und einschmeichelnd wurden ihre Züge, als sie in der Eintretenden Elisabeth erkannte. „Sie liebe- Herzchen! Wußte ich es nicht, daß Cie Kommen würden?" rief sie gefühlvoll. „Tenn wenn die Not am größten, ist di« Hilfe am nächsten. Sch bei un armen Leuten wird'S bald heißen: Kein Brot i« Schrank, kein Geld im Haus ! Tie Miete fehlt, man jagt unS hinaus! Elisabeth setzte sich an den Tisch und warf einen aus drucksvollen Blick auf die Grvgkanne. Frau Pocheike seufzte. „Ach, ich hatte so Zahnschmerzen. Sie sagen ja, da stall man Grog trinken, soviel man irgend Vertrags« kann. Wie ist es denn. Kindchen, darf ich Ihnen ein Gläschen Lubieten?" „Tanke. Zahnschmerzen habe ich nicht. Warum ich Kimme, ich habe ein paar Mandel Eier übrig. Bürden Sie vielleicht morgen auf dem Gute anfragen, ob Mamsell pe haben will?" „Aber natürlich! Und Mamsell wird sie mit tausend Freuden nehmen. Ich bin ja, das kann ich wohl sagen, Mamsells beste Freundin. „Wenn ich Sie nicht hätte, Frau Pocheike!" sagt sie. Sie sind die einzige Seele, aus die ich «ich verlassen stmn l" Elisabeth- Augen mutzerteg wieder nutz wieder kl- arm selige Gerät des Zimmers. Zwei mlorschc Bettstellen, einige Stühle, der wackelige Geschirrschrank, — das war neben der Truhe das ganze Mobiliar. Im kleinen Ver schlage nebenan schlief wohl der Junge. Weitere Räum lichkeiten standen den Pvcheikes nicht zur Verfügung. Tine gwße Verzagtheit wollte sich des jungen Mäd chens bemächtigen. Wie hatte sie nur denken können, daß man hier wage, Tinge aufzubewahren, deren Vorhanden sein eine so große Gefahr für die Leute bedeutete! Frau Pocheike beobachtete ihren Gast mit schlauem Blinzeln. „Und das Geld für die Eier, das holen Sie Wohl morgen abend selbst, Kindchen?" Elisabeth errötete. Die Frau dächte offenbar, daß sie sich ohne Bissen des Vaters durch den Eierverkauf ein Seines Taschengeld verschaffen wollte! Nun, was kam es darauf au, waS die Frau dächte. Sie hatte auf diese Weise aufs neue Veranlassung, die Pvcheikes aufzufuchen. „Schön, ich werde kommen," sagte sie. Tie Fran seufzte. „Jaja, Leute wie ihr, die haben immer ihre Hllfs- truppen, wenn sie Geld brauchen. Da gibt'S Eier, da gibt- junge Hühner, junge Dauben Aber unsereins, du lieber Gott? Was sollte denn unsereins wohl verkaufen! Ta gibt es weiter kein Jungvieh als Fliegen." Elisabeth betrachtete sinnend die alte Truhe. Wenn sie di: Krau bewegen könnte, sie bvr ihren Sugen durch- zukromen „Wer Weitz!" sagte sie. „Haben Sie nicht irgend etwas Hübsches, Altmodisches — ein geschnitzte- NadelbüchvHen etwa, eine Sranatenkett« oder fo etwas? Ich mag so etwas st» gern. Ich würde es Ihnen gut bezahlen." Tie Fran schüttelte den Kopf. „Ach, was sollt' ich wohl haben! Höchsten- aber nein, das hat wohl keinen Wert für Sie !" „BaS ist eS denn?" „Ra, st»»n komisches Kästchen — AoH von meiner Großmutter stammt es her. Aber es ist wohl nicht- damit." „Zeigen Sie e- doch mal her, Pochpiken." „Na ja, zeigen kann ich's ja mal." Mit Köpfendem Herzen sah Elisabeth, wie die Frau den Teckel zurückkkappte. Sch, nicht einmal verschlossen war di« Truhe! Wie stollte sie da Geheimnisse bergen? Kleidungsstücke aller Art waren in wirrem Durchein ander darin aufgestapelt. Tie Frau riß sie heraus und warf sie einfach aus die Diele. Endlich brachte sie ein ziemlich großes HolzNstchen hervor, das mit bunten Blumen reich bemalt und pnt Messingbeschlägen hübsch verziert war. „Ci, wie hübsch!" rief Elisabeth. „Wie sieht e- denn inwendig aus?' „Es ist ganz mit bfauem Samt anSgepvlstert und hat viels kleine Fächer. O ja, hübsch ist es wohl." Elisabeth machte sich am Teckel zn schaffen. „Aber eS gehr ja nicht auf!" „Ich habe es zugeschlossen. Ter Zunge braucht mir nicht alles durchzuschnüfseln. Weiß nicht gleich wo ich den Schüssel habe." „Ich möchte das Kästchen haben," rief Elisabeth mit leuchenden Augen. „Wunderhübsch ist es. WaS meinen Sie? Sechs Mark gebe ich Ihnen dafür." Tie Krau überlegt«. Ihre Sugen glänzten. HsschL Mark — sechs Spickaale. Schon für zwei hätte sie das Kästchen portgegeben. „Es ist «in Andenken an meine alte Großmutter,^ sagte sie seufzend. „Ich weiß doch nicht — und über haupt, nzein Herzchen, polche allen Sachen Pollen ja sehr teuer sein." ' „Mehr als sechs Mark gebe ich nicht.'? Frau Pocheike suchte einige Dränen heraillSzubrücken, was ihr infolge des reichlich genossenen Punsche- auch ziemlich gut gelang, „Ach, wenn man arm ist — wenn man arm ist! Tas letzte gibt man hin, um die Seinigen nicht hungern zu sehen! Tann kann ich es wohl bis morgen abend für Sie zurechtstellen?' „Nein, ich nehme es heute schon mit. Ich kann es doch auch nicht kaufen, bevor ich nicht weiß, wie es in wendig aussieht." Tie Frau bekam unruhige Augen. „Wenn ich nur gleich den Schslüssel wüßte. Mein Mann kann jeden Augenblick kommen. Lassen wir es doch bis morgen." - Elisabeth schien zu Überlegen. „Lassen wir es lieber überhaupt. Wer weiß, ob Vater über den Handel nicht ärgerlich wird." Frau Pocheike stand auf und ging unruhig auf und ab. „Mer warum denn, Kindchen? Warum stollte er Ihnen die unschuldige Freude nicht gönnen? Wo Die doch sonst aucki man bloß Aerger haben —" Eifrig schien sie zu suchen, im Spind, im Bett, und endlich brachte sie ein kunstvoll geschprörkeltes Schslüssel- chen herbei. „Na, nu Wollen wir mal sehen." Sie zog das Kästchen dicht an sich heran, machte den Teckel auf und legte den Inhalt mit hastigen Fingern auf Len Tisch: Knöpfe, ein Halsband von Glasperlen, eine wertlose Brosche und Nähutensilien. Einen in Seiden papier gewickelten Gegenstand legte sie Po, daß er von den andern Sachen bedeckt war. Elisabeth blickte nach diesem Gegenstände mit Heißen Angen. Plötzlich beugte sie sich weit über den Disch, wie um besser sehen zu können, und stieß dabei mit dem weiten Kleiterärmel gegen die Sächelchen, daß sie durcheinander rollten und zum Teil auf'iie Erde fielen. Tas Seiden papier des eingewickelten Gegenstandes riß babei und ließ das matte Gold einer feingliedrigen langen Kette durch schimmern. „O wie hübsch!" rief Elisabeth. „Was haben Sie da?' Tie Fran griff hastig zu und warf die Kette in die Truhe. „Ich — ich glaube, «ein Mann kommt," sagte sie verwirrte „Er — schenkte mir mal die Uhekette, als wir Brautleute waren. S-ie hat ja natürlich keinen Wert -- eine Jahrmarltskette!" Es wurde Elisabeth nicht ganz leicht, Po zu tun, als ob sie den Borten der Frau Hlaubsr schenke. Teutlich hatt: sie gesehen, daß die sehr dünne Kette von feiner Arbeit und feinem Gvlde war, sehr unähnlich dem glänzend roten Tand, den die Mädchen sich äus Jahrmärkten zu kaufen pflegen. „Wenn Sie meinen, daß Ihr Mann kommt, Po will ich lieber gehen," sagte sie. „Aber das Kästchen nehme ich mit." Sie legte sechs Mark auf den Disch schob das Kästchen unter ihr Tuch und schlüpfte grüßend hinaus (Fortsetzung folgt.) Aus Pflichtgefühl. Erzählung non Adolf Stark Nachdruck verboten. „Es ist lange her," begann der alte Danitätsrat, als die Reihe zu «zählen an ihn kam, „sv lange her, daß keiner der Anwesenden die beteiligten Personen ge kannt hat, ja selbst ihre Namen dürften allen fremd sein, Obgleich ich dieselben nicht nennen werde, aus Gründen, die ich nicht anzuführen brauche, denn sie ergeben sich aus der Geschichte von selbst. Ich will darum den han delnden Personen andere Namen beilegen. Ich war erst seit wenigen Monaten zum Arzt pvo- mvviert und diente meine Zeit im Hospital ab, als eines Tages ein Kollege mich aufsuchte, den ich, allerdings nur ziemlich pberflächsich, von. der Universität Her kannte. Konrad Hopf, wie ich ihn nennen will, wär einige Jähre älter wie ich. Lr war stets ein ruhiger, fleißiger Mensch gewesen, den wir alle lieb hatten, ohne abe? mit ihm besonders intim zu sein. Er war eben so ganz and.rs wie wir, die wir die Freiheit und Ungebundenhcü des Stndcntenlebens mit vollen Zügen genoss n. Niemals besuchte er ein Gasthaus oder eine Kneipe, nie sah man ihn ber irgend einer lauten, fröhlichen Studcntcnunter- Haltung. Geldmangel, wie dies bei anderen der Fall war, konnte bei ihm nicht die Ursache dieser Zuriil- gezvgenheit sein, denn er war von Haus aus wohlhabend. Tabei fiel es aber niemandem ein,- ihn einen Philister oder Mucker zu nennen und selbst die übermütigsten . Burschen hatten vor seinem stillen Wesen Relp.kt. T. otz unserer Jugend fühlten wir instinktiv, welch tiefer, heiliger Ernst in diesem Menschen steckte. Allgemein prophezeite man ihm, daß er dereinst eine Zierde der medizinischen Wissenschaft sein, und es galt für ausgemacht, daß er sich der akademischen Laufbahn widmen werde. Zu aller Erstaunen tat er dies nicht, sondern kurze Zeit nach seiner Promotion lietz er sich als Lrzr in einem kleinen Jrduflriestädtchen nieder. Trotzdem, wie gc.ag!, unser Verhältnis kein sehr intimes war, benützte iu; doch eine Zusammenkunft vor seiner Abreise, ck n ihm v.n diesem Vorhaben abzuraten. Aber die verlockenden Bil der von Karriere, Ruhm und Ehre machten auf ihn gar keinen Eindruck. „Ich bin nicht ehrgeizig," gab er mir zur Antwort, „Und ich glaube auch nicht an meine Eignung zum Lehr amt oder zum Forscher. Aber selbst, wenn ich wirklich ein so besonderes medizinisches Talent wäre, wie Lis annehmen, könnte ich mich nie dazu entschließen, gemä i - sich in irgend einem Labvraborium mein L ben zu ver bringen. Ich weiß, meine Ansichten weichen stark v. n dc» landläufigen ab und ich will auch gab nicht behoup e i, daß sie die richtigen sind. Aber als Arzt üt des Wortes vollster nnd schönster Bedeutung kann ich doch nur d n anlehen, welcher mitten im Leben steht und w kt Und je schwieriger und schlechter der Posten ist, desto scnör stelle ich mir den Beruf vor. Mein Gott, hier in d.r Großstadt ist der Arzt nur eixicr von vielen Troußeir auf dem Lande aber, wo er allein ist, wo die Bevö.re- rung ganz auf ihn angewiesen i^, erst dort wird er in Wahrheit zu dem, was er immer sein jiollte: ein Freund, ein Tröster, ein Berater in der schwersten N t. Und da ich in der glücklichen Lage bin, nicht aufs GeldverLiencn «'gewiesen zu sein, kann ich mir eine Gegend mi: recht armer Bevölkerung wählen, einen Ort, wo ponst kein Arzt es aushält." TieS Programm führte er tatsächlich durch Eine Zeit lang blieb er in seiner Einöde für uns verschollen, dann kam eine Bermählungsanzeige und dann h rce ich wieder nichts von ihm, bis zu dem Tage, da er mich im Hospital aufsuchte. Ich hieß ihn freudig willkommen und bestürmte ihn sofort mit einer Reihe von Fragen, auf welche er nur kurze rvvrtkarge Antworten gab, was mich aber bei seiner Gemütsart nicht weiter wunderte. Sein Wesen schien im Laufe der Jahre noch verschlossener und ernster geworden zu sein. Endlich stellte ich h>ie Frage, was ihn hierher geführt habe. „Ich komme, Dich um einen grüßen Freundschafts dienst zu ersuchen," sagte er stockend. „Nämlich, Tu warst ja Korpsstudent und kennst Ach in dergleichen Assoircn aus. Ich — ich erwarte eine Tuellsvrderung und Habs Tich als meinen Vertreter nominiert." Wenn man mir gesagt hätte, daß der Himmel auf die Erde herabstürzen werde, hätte Mich dies weniger gewundert, als die Nachricht, daß Hopf, der ruhige, ge- setzte Mann, der Pogar schon Familienvater war, sich schlagen würde. Natürlich fragte ich nach der Ursachr der Herausforderung, aber was ich erfuhr, konnte meine Nyrgier nicht befriedigen.