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Ahrem Bruder wurde es unheimlich zumute. .Komm doch zu vir!' bat er beschwörend. ,Du kannst nichts mehr ändern. Schließlich haben wir doch alle beide gewußt, was auf dem Spiele stand.' Helge blickte ihn an. Wie aus weiter Ferne war dieser Blick. .Ich laste — ihn — keiner — anderen! Er soll — nur mir gehören!' Plötzlich sank sie ohnmächtig zusammen. Theo alarmierte das Haus. Der alte Baron war nicht zu Hause. Als der Arzt kam, runzelte er bedenklich die Stirn. »Ein Nervensieber. Ich will hoffen, daß ich mich täusche. In drei Stunden werde ich es feststellen können.' Der Arzt sagte es zu dem jungen Baron, der, von Vor würfen gepeinigt, im Vorzimmer hin und her lief. Wenn doch nur Papa endlich heimkäme!, dachte er immer wieder. * Bernkoven aber schritt durch den Sommerabend, selt sam bedrückt und doch erleichtert. In seiner Tasche knisterte Raßmussens Brief. Er lautete: Lieber Bernkoven! Mein grenzenloser Leichtsinn braucht nicht in Lum perei auszuarten. Ich will anständig Dir gegenüber sein: Deine Braut wird heute in Begleitung ihres Bruders mein Ateliersest besuchen — ohne Dich! Das verantworte ich nicht! Ich weiß nicht, was vorgefallen ist, daß die Baronesse das wagt. Es geht mich auch nichts an, nur — ich will Dein Freund sein. Ich überlaste das Weitere Dir. Es sind nur Damen zweifelhaften Rufes da, aus diesem Grunde hast Du eine Absage auf meinen.Arbeitstisch legen lasten; und ich kann mir nun nicht denken, daß Du Dein Einverständnis zum Besuch Deiner Braut gegeben haben könntest. Dieser Besuch ist unmöglich. Bitte, verhindere den Unfug. Ihrem Bruder, dem Luftikus, müßte man gehörig aufs Dach steigen. Was ich noch sagen wollte: Es weiß niemand außer mir von der Sache. Unh ich werde schweigen! Dein alter, leichtsinniger Raßmuffen. , Das hatte Helge tun wollen! Eine Dame der besten Gesellschaft, seine Braut hatte das tun wollen! Es war nicht auszudenken. Aber es war der Fall! Sie hatte ja vor hin noch das Festgewand getragen. Bernkoven ging am Strom dahin, her ruhig und dunkel dahinlief. Das Band war gelöst! Und es war etwas zerbrochen in ihm. Aber er hatte das Gefühl, daß es sein mußte! Er hatte sich frei machen müssen. Er konnte niemals eine Frau heiraten, die sich seinem Willen so offen widersetzte, die ihn in den Augen seiner Freunde und Bekannten lächer lich machen wollte und den eigenen Ruf leichtsinnig aufs Spiel setzte. Immer weiter ging Harald Bernkoven, immer weiter dem dunklen, breiten Strome nach. So verlosten hatte er sich noch nie gefühlt. Und er hatte doch nicht anders gekonnt, wenn er sich nicht selbst verlieren und seine Kunst opfern wollte. Der einsame Mann nahm den Hut ab. Kühl wehte es um seine heiße Stirn. Am Gebüsch stand eng umschlungen ein Liebespaar. Bernkoven ging Wetter, ganz dicht am Waster dahin. Und es war ihm, als klucksten die Wellen: »Vorbei! Vorbei!' Bernkoven hatte von der schweren Erkrankung seiner Braut nichts gehört Einfach aus dem Grunde, weil er wie ein Einsiedler dahinlebte. Die schöne Italienerin kam tu den Stunde». Ga>>» nünwich dielt Le diese Stunden «in. — Und diese Stunden brachten einige Abwechslung in das Leben des Künstlers. Er dachte mit Bedauern an ihre baldige Abreise. Doch sein Herz berührte diese Abreise nicht. Auch jetzt nicht, wo er frei war. Frei?! Eigentlich war er es noch nicht. Helge hatte nichts von sich hören lassen, hatte ihm auch den Ring nicht zuriickgegeben. Er wartete täglich darauf. Doch es blieb alles still. Und er vergrub sich mehr denn je in seine Pläne. Die blonde Frau! Noch war sie wie ein Traumgebilde, noch zweifelte er am Gelingen seines Werkes, das noch nicht in Angriff genommen worden war, das aber sicher lich etwas ganz Großes wurde, wenn er die blonde Frau fand An diese Idee hinein verrannte er sich. Und er sprach fast immer mit Sarella von dieser blonden Frau. Ihre Augen sahen ihn so eigen an, und einmal fragte Sarella fast mütterlich: »Sie lieben diese blonde Frau, die S« »och nie ge sehen haben.' Am nächsten Augenblick bereute sie ihre Worte. Waren sie nicht taktlos gewesen? Professor Bernkoven war ver lobt! Wie konnte sie eine solche Anspielung machen? Er antwortete nicht. Aber seine Augen gingen sinnend über sie hinweg. Und eines Tages sagte er: .Nun kann ich das Gemälde ohne Sie vollenden. Wohlnt soll ich es senden? Sie sagten doch, daß Sie von hier aus nach Amerika gehen?' .Ja, senden Sie es in meine Heimat — nach Nom.' Und sie nannte ihm die genaue Adresse. An diesem Nachmittag saßen sie noch ein Stündchen länger beisammen und plauderten. Und Sarella verriet mit keinem Wort, daß sie wußte, daß er sein Verlöbnis gelöst hatte. Und sein kühles, freundliches Wesen, seine Worte, da- sie nun nicht mehr zu den Sitzungen zu kommen brauchte, hatten es ihr bestätigt, daß sie auch jetzt noch nichts zu hoffen hatte. Sarella, die schöne, gefeierte Sarella prägte sich sei, geliebtes Gesicht ganz, ganz fest ein. Zum letzten Male! Denn sie würde kein Wiedersehen mehr suchen, es tat zu weh. Und fröhlich klang ihre Stimme, als sie beim Abschied sagte: .Dann leben Sie wohl, Herr Professor, und irgendwo auf dieser schönen Welt einmal auf Wiedersehen. Doch immer als treue Jünger der Kunst! Man lernt nie aus.' Er hielt ihre wohlgeformte Hand in der feinen. Sein Blick ruhte in den dünnen Frauenaugen, und er sagte: »Die Kunst! Das Höchste, Schönste! Wir wolle» sie über die Liebe stellen, sie allein ist treu.' Sarella lächelte eigen. .Ja, sie allein ist treu!' " * * Der Pariser Maler hatte auf BernkovenS Brief geant wortet. Er teilte mit, daß Cloe, das blonde Modell, vor kurzem an der Schwindsucht gestorben sei. Der Künstler bedauerte es lebhaft, seinem deutschen Freund nicht ge fällig sein zu können, doch Blondinen gäbe es doch gerade in Dsu.'Lland genug. Dann kamen noch einige flotte ErlctzMTv, oie Frage, ob man sich Nicht in Monte Carlo treffen könnie? Es sei da doch immer sehr amüsant? Bernkoven dachte: Alter, lieber, lustiger Kerl, wer doch dein leichtes Blut und dein frohes Gemüt hätte! Cloe, die schöne blonde Cloe war also tot! Sie war höchstens zwanzig Jahre alt, als er sie damals in Pari» krnnenlernte und sie das gesuchteste Modell der Seine stadt war. Sein BUd! Wer sollte ihm zu feinem Bild« Modell stehen? Und er mußte dieses Bild malen; eine unerhörte Schaffensfreude und Kraft war in ihm. Sollte er reisen? Ein Zufall mußt« ihm diese Frau in den Weg führen, ein glücklicher Zufall. Würde es sein? Antonia Merlin! Das blond« Modell Berlins l Doch sie kam nicht in Frage. Nein, sie nicht! Sie enk sprach nicht dem Ideal seines Bildes. Grübelnd blickte Bernkoven Dor sich hin. Ein zer- quälter Ausdruck kam nach und nach in sein Gesicbt. Ich werde reisen, der Zufall wird mir güttstig sein, dachte er. Draußen klingelte es. Er hörte einen kurzen, erregten Wortwechsel. Dann kam seine Hausdame, die er gebeten hatte, heute niemand mehr vorzulaffen, nach kurzem An klopfen ins Zimmer. .Verzeihung, Herr Professor! Herr Baron von Lohofs läßt sich nicht abweisen.' Er zuckte zusammen. Schon wollte er ablehnenden Bescheid geben, da wurde hinter Frau Eisner das Gesicht des alten Lohofs sichtbar. .Verzeihen Sie, Harald, aber eine unaufschiebbare An gelegenheit.' .Ich bitte recht sehr, ich stehe selbstverständlich zur Ver fügung', sagte Bernkoven höflich, die Ueberrumptung als Tatsache beiseite schiebend. Still ging Frau Eisner hinaus. .Bitte, nehmen Sie doch Platz, Herr Baron.' Der alte Herr sah ihn mit müden, eingesunkenen Augen an. .Vor kurzem war ich der Papa für Sie, lieber Harald. Ich sehe bis jetzt keine Ursache, daß wir uns plötzlich kalt und fremd gegenüberstehen müßten.' Bernkoven richtete sich auf. Jetzt wußte er, wie und woher der Angriff auf ihn erfolgen würde. .Ach nahm an, daß die Baronesse Ahnen alles erzählt Hai, und ich wartete in all der Zeit auf die öffentliche Lösung der Verlobung', sagte er. Der alte Herr sah ihn an, nickte und sagte: .Es war Ihnen wirklich so bitterer Ernst, Harald? Und was ist eigentlich geschehen? Helge hat das Fest nicht besucht. Was hat sie sich sonst zuschulden kommen lassen?' .Nichts. Wir verstehen uns nur nicht. Daß Helge Himer meinem Rücken das Fest bei Raßmussen besuchen wollte, scheint Ihnen nicht wichtig genug zu sein, wahr scheinlich, weil doch Baron Theo es für gut befunden hatte, seine Schwester auf das Fest der Kokotten zu führen.' »Theo ist ein leichtsinniger Mensch. Ich habe wirklich nicht gewußt, ob ich ihn ohrfeigen soll, oder was sonst am besten für ihn wäre. Er scheidet auch vorläufig hier aus, Harald. Es steht viel Ernsteres auf dem Spiel: Nachdem Helge an einem hitzigen Nervenfieber danieder lag, haben Sic nicht ein einziges Mal nach ihr gefragt. Und heute nacht hat sie Gift genommen, weil sie um Sie sterben wollte, weil sie ohne Sie nicht leben will.' Bernkovens Gesicht war fahl, förmlich versteinerr. »Helge hat sterben wollen? Sie hat — Gift. ?* Baron Lohoff nickte. .Ja! Werden Sie mit mir kommen, Harald? Es gilt ein Menschenleben. Helge wird es ja doch immer wieder tun, wenn Sie nicht mitkommen. Si« sind ein Mann, sind: der Stärkere. Vergessen Sie den dummen Streich mit Raßmussens Fest; Helge wird so etwas nie wieder tun; da hat sie viel zu viel gelitten um Sie.' Schweigend stand Bernkoven. Irgendwo hörte er ein feines Klingen. Wie eine feine, goldene Kette. Und er fühlte, wie diese Kette sich um ihn schlang, unmerklich, sicher, unbarmherzig. .Werden Sie mitkommen, Harald?' Fast demütig klang die Stimme des BaronS, der früher nie verleugnet hatte, daß er die Wahl seiner Tochter nicht begriff. Bernkoven riß sich zusammen. Ein kurzer Kampf, dann sagte er ruhig: »Ich wußte von Helges Erkrankung nichts, denn ich habe vollständig zurückgezogen gelebt. Wie geht es ihr?' .Schlecht. Man weiß nicht einmal, ob sie nach der heutigen Nacht mit dem Lede» davonkommen wird.' Die Stimm« des alten Herr» klang in Schmer- förmlich tonlos. »Ich begleite Sie', sagte Bernkoven fest. »Ich danke Ihnen, Harald. Wir wollen gleich gehen. Mein Wagen wartet unten.' Rasch warf Bernkoven den leichte» Mantel über, Hut und Handschuhe behielt er in der Hand. Unterwegs Ne er noch einmal halten und kaufte im Blumengeschäft einen großen Strauß langstieliger, dunkler, duftender Rosen. Teilnahmslos starrte der Baron auf di« Blumen. Man sah ihm die Angst an, di« ihn folterte. Und da war in Bernkoven ein großes, echtes Mitleid mit dem alten Herrn. Und er dachte immer wieder: Um mich hat Helge sterben wollen? Kurz darauf standen di« Herren am Lager Helges. Bläulich-weiß sah das Gesicht aus den Kissen. Die fiebernden Augen hingen an Harald Bernkoven, streiften die dunklen, süß und schwer duftenden Rosen. „Du bist wieder gut, Harald? Du hast mich wieder lieb?' flüsterte der blasse Mund. Da beugte sich Professor Bernkoven über bie Kranke und küßte sie. „Du hast geträumt, Helge! Ich bleibe doch bei dir.' Und Helge lag wochenlang, ohne daß die Aerzte zu sagen vermocht hätten, ob sie gesunden würde oder nicht. Manchmal schlief sie viele Stunden, dann wieder lag sie apathisch da, und Bernkoven fragte sich erschüttert: So leidet sie um mich? Aber kein noch so großes Mitleid konnte die alte Liebe mehr in seinem Herzen wecken. Für ihn gab es nur einen Weg eiserner Pflicht. Und diesen Weg würde er gehen, weil Helge um ihn hatte sterben wollen. Der Sommer verging. Wie eine welkende Blume lag Helge während dieses Sommers im Park des Lohoffschen Anwesens. In den letzten Wochen hatten die Aerzte eine zu nehmende Besserung festgestellt. Bernkoven verbrachte viele Stunden bei ihr, immer von quälender Reue erfüllt. Der Sanitätsrat meinte schließlich: „Heiraten Sie und reisen Sie mit Ihrer jungen Gattin längere Zett fort; es wird das Beste sein. Sie muß hier heraus aus all dem Gewohnten, muß täglich Neues sehen, Eindrücke der allgewaltigen Natur empfangen.' Und Bernkoven war auch damit einverstanden. So wurde die Hochzeit auf den sechsten November festgesetzt. Anschließend sollte dann die Abreise nach Arosa, Meran, im März ein Aufenthalt in Rom, von da die Weiterreise nach Kairo erfolgen. Helge lebte sichtlich auf. Sie wurde wieder lebhaft und gesprächig, war scheu und zärtlich gegen den Verlobten und entwarf Pläne für ihr Heim, das während ihrer Reise fertiggestellt werden sollte. Professor Bernkoven aber wußte, was ihn diese Stunden an Ueberwindung kosteten. Und noch etwas anderes kosteten sie ihm: Sein Selbstvertrauen in seine Kunst! Seit Wochen schaffte er nichts, kam keinen Schritt vor wärts. Seit er das Porträt der Sängerin vollendet, fehlte ihm jede Schaffensfreude. Run kam die Reise doch, die er sich vorgenommen hatte. Wenn auch alles anders sein würde, ganz, ganz anders. Run, ein Menschenleben war schließlich mehr wert al- alle Arbeit und Kunst zusammen. Er wollte vorläufig nichts anrühren, seine alte Schaffenskraft würde eines Tages schon wieder da sein. Der Herbst kam mit kaltem, unfreundlichem, regne rischem Wetter. Er vertiefte die trostlose Leere in Harald Bernkoven. An einem dieser stürmischen, kalte« Abende ging er wieder am Strom entlang. Schwarz und aufgewühlt trieb das Wasser dahin. Ein paar Kähne fuhren noch hin und her. Man schien noch irgendeine Ladung zu löschen. Sonst war es «infam vier, ganz «infam. Bernkoven stand da nnd blickt« auk das WaS«r. Plötzlich fröstelt« «S itz» l-tM