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" " .- '- ' - -- ' 1. Beilage zum „Riesaer Tageblatt". Notationsdrmk »b Verlag vmi Laag«, t Winterlich »a Vies«. — Fi», die Redaktion »eranttoortUch! Herman« Schmidt in Vies«. Sonnabend, IS. Oktober 1SSS, abends. S4i. Tagesgeschichte. Dentsche« «eich. Lev Reichstag wird gutem vernehmen näch am 88. November zusammentreten. Wie ferner verlautet, sollen die Neuwahlen für die nächste Legislaturperiode d«L Reichstages im November 1911 stattfinden. Zur Einführung eines internationalen Post« scheckverkehrS finden in der nächsten Woche Berat ungen im Reichspostamt in Berlin statt, an denen Ver treter Oesterreich-UngarnS und der Schweiz sowie der deutschen Reichspostverwaltung nebst den bayrischen und württembergischen Verwaltungen teilnehmen. Es soll ein internationaler Postbureauverkehr Deutschlands mit Oesterreich-Ungarn und der Schweiz eingeführt werden. Am Beginn der nächsten Woche wird sich eine Kom mission von Vertretern deutscher Reichs- und preußischer Staatsbehörden nach Wien begeben, um dort mit öster reichisch-ungarischen Kommissaren über strittige Fragen der Aolltarifauslegung zu verhandeln. Mn der Spitze der deutschen Abordnung wird der Ministerial direktor im Auswärtigen Amt von Körner stehen. Anlaß zu den Kommissionsberatungen gaben die Meinungsver schiedenheiten, die sich seit Bestehen des deutsch-östier- reichisch-ungarischen Handelsvertrages von 1906 in zahl reichen Zweigen der Warenverzollung über die Ausleg ung der Ausführungsbestimmungen geltend gemacht ha ben. Man glaubt, daß die Verhandlungen in 14 Tagen bewältigt werden können, zumal das Material vorher gesichtet worden ist und insbesondere Vertreter der In dustrie und des Handels gehört wurden. Tie dritte Strafkammer oes Landgerichts zu Berlin verhandelte gegen den Kaufmann Max Müller-Hamburg. Dieser hatte an den Reichstagsabgeordneten Bebel einen Bries gerichtet, auf dessen Inhalt Bebel in den kolonialen Reichstagsdebatten vom Dezember 1906 seine Angriffe gegen Offiziers der Schutztruppe, darunter Hauptmann Scheunemann, stützte. Ter Angeklagte ließ vor Eintritt in die Verhandlung erklären, daß er aus dem Ermitt lungsverfahren gegen Scheunemann, das mit Einstellung des Verfahrens geendet habe, und Scheunemann glänzend rechtfertige, die Ueberzeugung gewonnen habe, daß die in dem Briese erhobenen Beschuldigungen völlig grundlos seien Nachdem der Angeklagte die von Scheunemann und dem Komma nb.i der Schutztruppen geforderten Er klärungen abgea«- n und um Entschuldigung gebeten hatte, wurde der Strafantrag zurückgezogen. Sämtliche Kosten des Verfahren) übernahm der Angeklagte, der daraufhin sofort aus der Haft entlassen wurde. Tre antisemitische „Staatsbürgers." rückt jetzt von Herrn Bruhn und seiner „Wahrheit" weit ab. Die ge nannte Zcitnng wird von ihr als Skandalblatt schlimm ster Sorte bezeichnet, und der Eisenbahnminister wird angerusen, endlich die „Wahrheit" vom Bahnhofsbuch, handel auszuschließen. Weiter erklärt das antisemitische Organ, es wäre ein verdienstliches Werk, wenn Herr Bruhn endlich einmal aus dem Reichstage verschwinde. — Die Rechtsanwälte Werthauer und Puppe haben in zwischen Strafantrag gegen Bruhn wegen Beleidigung gestellt. Herr Bruhn seinerseits verkündet, daß er gegen die beiden genannten Rechtsanwälte und außerdem gegen Tahsel Beleidigungsklage erheben werde. Infolge der neuen Steuern hatte der Schmuggel an der holländischen Grenze, besonders in Kaffee und Tabak, derart überhand genommen, daß die Zahl der Zoll beamten seit einiger Zeit bedeutend verstärkt werden mußte. Tiefe Verstärkung hat ebensowenig wie neue In struktionen eine Zunahme des Schmuggels verhindern können, sodaß sich die preußische Regierung veranlaßt sieht, 15 neue Zollämter an der holländischen Grenze zu errichten. Frankreich. Sin französisch-spanischer Zwischenfall scheint im Anzuge zu sein. Der Minister deS Aeußeren hat mit Rücksicht auf Gerüchte, nach denen in Barcelona auch drei Franzosen standrechtlich erschossen worden wären, den französischen Botschafter in Madrid durch ein Tele gramm aufgefordert, schleunigst Bericht über die Angelegen- heil zu erstatten. Der Minister hat nach 36 Stunden noch keine Antwort, und man hegt in Paris den Verdacht, daß die Depeschenzensur auch diplomatische Telegramme aufhält. Man beabsichtigt, von dem hiesigen spanischen Botschafter über diesen Punkt amtlich Aufschluß zu verlangen. SS. Fuhr, In einem eingehenden Bericht de» Lpz. Tbl. über die letzten Straßenkundgebungrn in Frankreich heißt eß: ... Herr Löpin« uni» mehrere der höchsten Beamten wurden durch Steinwürfe verletzt. Aber erst al» die Nachricht kam, daß man auf dem Boulevard Barrikaden baue, att die Laternen umgeworfen wurden und da» entwichene Ga» in «normen Flammen aufloderte, al» man mehrere Kaufläden demo lierte und in «ine Filiale einer Kreditgesellschast einzu dringen suchte, al« zwei Trambahnen auf der Seit« lagen und drei Autobusse lichterloh brannten — da entschloß sich Hzrr Löpine, durch die Garde attackieren zu lassen. Die ^heimliche dreimalige Trompetenausforderung zum AuSeinandergehen ertönte, dann blitzte« die Säbel in der Luft — sofort krachten auch wieder Revolverschüsse au» der Menge, und der Leutnant Simon stürzte mit einer Stirn wunde aus dem Sattel. Eine ganz/Reihe von Gardisten und Polizisten wurden mit Revolverkugeln gespickt, und zwei oder drei werden außer DufreSne noch diese unerhörte Begeisterung für Ferrer mit dem Tode bezahlen müssen. Die Garde revanchierte sich und die Säbelhiebe regneten nur so auf die Widerspenstigen nieder. Selbst ein sozia listischer Gemeinderat ließ ein Ohr auf dem Kampfplatz. — Bis 1 Uhr nacht» dauerte diese Emeute. Spanien. Wie der Madrider Korrespondent der „Inf." Ml» spanischen Hoskreisen erf ihren haben will, soll sich König Alfons lange geweigert haben, das ihm vorgelegte Todesurteil Ferrers zu unterzeichnen. Wie man sich erzählt, machte insbesondere Königin Ernt ihren gan zen Einfluß bei dem König geltend, daß er den Verurteil ten begnadige. Tie Königin stützte sich insbesondere auf Depeschen, die ihr von England aus, wie man sagt, auch vom König Eduard, zugegangen waren, und die insge samt die Begnadigung Ferrers erbaten. Alfons erklärte zuerst rundweg, daß er sich nicht vor der ganzen gebil dete» Welt als Mensch bloßstellen wolle, und daß es mit seinen modernen Ideen der Humanität nicht verein bar sei, wenn er den Tod eines solchen Menschen ver- schulde. Erst als Ministerpräsident Maura den König aus suchte und ihm in einer langen Konferenz datlegte, daß Richard Nathan OptUer Riesa — Hauptstr. 57 empfiehlt allen Brillevbetzürftigeu sein auf daS modernste eingerichtetes WNßW INSlllül. Ich milde an Ihrer Stelle sofort einen Versuch mit „Kathreiners Malzkaffee" machen, der sich eit 20 Jahren als bekömmliches, wohl- chmeckendes und billiges Getränk überall Gewährt hat und heute von Millionen Menschen täglich getrunken wird. DerBWHlW iß Mer -a! vlanon Mnmni i ISIIViI, NMM Epftch» In verlch. Qual, zu bill. Preisen üriisr Mlsnck flseiif., Vordrüalter 8tr. S8L. LI Dornenwege. Roman von C. Dressel. (Nachdruck vrriolcn.) Zum offenen Fenster, an dem Marion malte, lachte der blühende Frühling herein. Sie selber, frisch und lieblich wie das junge Jahr, hielt jetzt einen Augenblick in ihrer Arbeit inne, als der Luftzug starken Fliederdust herauftrug, den sie mit geweiteten Nüstern aufsog. Dabei sah sie fast zärtlich in den grünen, sonnenbeglänzten Erdwinkel hmab, den man in der Großstadt einen Garten hieß. Ein winziges Stückchen Welt, das da in Blüten stand. Kaum mehr als ein Rasengrund, von etlichen Remontants umfriedet, deren Rosenprangen einstweilen noch in bräunlichen Knospeuhüllen steckte. In den Ecken aber, die man dem Rasenkreise abgetrennt, wucherte allerlei blühendes Gesträuch. Zumeist Azaleen und Syringenbüsche, welche die geringen Mühen um sie dankbar lohnten und farbenfröhlich und duft- berauschend sproßten, als ständen sie in den Gärten der Hesperiden und nicht zwischen den hohen Steinwänden einer Charlottenburger Straße. Und noch einen Reiz besaß diese blühende kleine Wildnis, nämlich eine Perspektive, die sich in duftblauer Ferne aus den alten Schloßgarten öffnete und der Phantasie gar keine Grenzen zog. Marion, welche ihren ermüdeten Augen mitunter die tranmweite Fernsicht gönnte, versagte sich gegenwärtig den beliebten Genuß. Nur so viel Zeit nahm sie sich, um den erhöhten Farbenzauber der bunten Blütendolden nn blanken Sonnengold zu beachten, und als sie so ihr ästhetisches Interesse befriedigt hatte, gab sie dem zurückgelehnten Körper «men straffen Ruck und setzte ihren Pinsel von neuem in eilende Bewegung. Die heitere Genußfreude schwand aus dem jungen Gesicht, daS sich nun mit einem Ernst über die FLchermalerei neigte, der etwas von berufsmäßiger Samm lung hatte. Dem lockenden Maienzauber nicht den kleinsten Blick mehr schenkend, malt« sie so eifrig, al» ginge eS umS lieb« Brot. Ganz so wichtig war die Sache nun nicht, wenn auch mehr al» Zeitvertreib. Marion» Vater, Oberst Nardeck pflegte sie häufig zu »ecken wegen ihrer Liebhaverkünste. Kürzlich noch hatte er gespöttelt, ,hre Fächersammlung werde nächstens an Zahl, wenn auch nicht an Wert, die einer Prinzeß übersteigen, Marion aber hatte den mokanten Scherz ruhig hingenommen. Hätte sie gestanden, daß diese Fächerkollektion nebst manchem anderen von ihr gefertigten Zierstück längst aus dem Hause gewandert sei in ein Berliner Luxusgejchäft, das ihr seit einiger Zeit kunstgewerbliche Aufträge zuwies, sie würde einen peinlichen Auftritt herbeigesührt haben, während sie sich doch so ängstlich mühte, dem nervösen, kränkelnden Mann jede ihn aufregende Verdrießlichkeit zu ersparen. Wie viele pensionierte Militärs, auälte auch ihn, der Soldat mit Leib und Seele gewesen, die Dienstlosigkeit mit starker Langeweile. Und sie hatte ihn so reizbar gemacht, daß es nicht immer leicht war, mit ihm fertig zu werden. Ein schlechter Gesundheitszustand — er litt an nicht unbedenklichen Herzaffektionen — kam dazu, um seine Kinder, des ärztlichen Rates eingedenk, an die vorsichtigste Behandlung ihres Vaters zu gemahnen. Marion, die bei großer Feinfühligkeit auch etwas zaghaft war, ging wirklich mit ihm um wie mit einem rohen Ei. So hatte sie auch gar nicht den Mut, den Vater mit ihren Wirtschastssorgen zu behelligen, während es in dem vornehmen Haushalt häufig genug an allen Ecken und Enden fehlte, obschon sie der Ersparnis halber bereits die Hausdame entlassen und sich nun mit einem einzigen Mädchen behalf. Ebensowenig nne die ungenügende Wirtschaftskasse, wollte ihr schmales Nadelgeld reichen, und da sie einen Appell an wohl habende Verwandte erst recht scheute, verfiel sie darauf, ihr nettes Maltalent zu verwerten. Lieber Gott, Großes erreichte sie nicht damit. Und wenn sie geahnt hätte, daß sie, gleich so manchen anderen jungen und alten Damen höherer Stände, mit diesem Taschengeldmalen um jeden Preis den Erwerb der Berussmalerei existenzgefährdend herabdrückte, sie würde sich lieber auf das knappste beschränkt haben, als sich in eine so mörderische Konkurrenz einzulaffen. Allein sie fehlte m völliger Unkenntnis und hatte ihre Helle Freude daran, dem Vater nun hin und wieder einen Leckerbissen oder einen besseren Bordeaux auf den Tisch setzen und sich selber mal ein hübsches Kleid, einen modernen Hut anschaffen zu können. Nur daß sie den Ihren die kleine Erwerbsquelle verheimlichen mußte, hatte zuweilen etwas Bedrückendes für sie, aber auch daS tat sie ja nur aus pietät voller Schonung für ihres Vaters Empfindlichkeit, nicht etwa, weil sie sich des Geldverdienens schämte, und schließlich fand sich ihr zartes Gewissen mit der heimlichen Tätigkeit ganz aut ab, und sie hatte nur noch das erfreuliche Resultat im Auge. An dem Apfelblütenzweig, den sie mit ziemlichen Ge schick und in viel gewissenhafterer Ausführung auf den Gaze- sächer gemalt, als es die billige Dutzendware im Grunde ver langte, war jetzt der letzte Strich getan. Marion ließ ihn einstweilen auf der Unterlage haften und sah unschlüssig zu der eleganten Bouleuhr hin, welche den Aussatz eines zierlichen Rokokomöbels krönte. Der kostbare Zeitmesser mochte sich gegenwärtig deklassiert erscheinen. Ehedem, mehr Zierstück als Notwendigkeit, hatte er natürlich keiner gewerbmäßigcn Arbeit die Stunden teilen müssen, sondern war das Eigentum einer schönen Frau, der glücklichen Verschwenderin sorgloser Zeiten gewesen. Auch die übrige Ausstattung des Zimmers redete von den luxuriösen Bedürfnissen einer verwöhnten Dame. Marion hatte die hübsche Einrichtung, welche einem Boudoir ihrer srühgestorbeuen Mutter entstammte, von dem Vater für ihr eigenes Ziinmcrchcn erhalten, als sie erwachsen aus der Pension heimkchrte. Freilich war an der inzwischen verblichenen und teilweise schadhaft gewordenen Pracht der einst kostbaren Sachen nichts restauriert worden. Von Ergänzungen oder gar Neuanschaffungen konnte seit des Obersten Pensionierung keine Rede mehr sein. Den vornehmen Ursprung verleugneten die zierlichen Möbel aber keineswegs, und der große schlichte, aus Eschcnholz gefügte Arbeitstisch an seinem Hellen Fensterplatz wollte schlecht zu ihnen passen. Im Familicnsalon wäre der ausdringliche Pro letarier auch nicht geduldet worden, hier aber war Marion Gebieterin; hier ließ sie die Zweckmäßigkeit entscheiden, ohne sich durch den Mißton stören zu lassen. „Ob Günter mich zu einem Spaziergang holen kommt?" dachte ste. „Hoffentlich lockt auch ihn dies himmlische Wetter hinaus. Vor fünf Uhr wird er aber schwerlich hier sein können, bleibt mir also noch eine volle Stunde. Die darf ich aber unmöglich vertrödeln. Drum rühr Dich, liebe Marion. Wenn Günter zum Abend bleibt, wird's heut doch nichts mehr. Ein hübsches Sommerkleid hast Du aber recht nötig. Kannst doch nicht ewig mit derselben Fahne vor dem Herrn Assessor paradieren. Der liebt noch weniger dieselbe Couleur in Blau als Du." Sie lachte laut vor sich hin. Ein Helles herzfrohe» Lachen, dem nicht die leiseste Bitterkeit anhastete. Dann stellte ste hurtig den Fächer beiseite und machte sich an einem Mappen«