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— 168 — dem Förster an der Brandstätte eintraf. Bon der einen Hälfte des Torfes wär nichts mehr vorhanden als rauchende Ruinen. Ueber zwanzig Wohnhäuser und ebensoviel« Mallgebäude waren in einer Stunde bis auf die steinernen Grundmauern verbrannt. Mit düsterer Mine standen die Männer schweigend an der Trümmer- statte. Sonsr, wenn sie heimkehrten, blinkte ihnen aus dem niedrigen Fenster ein tröstlicher Lichtschein entgegen; sie fanden das Essen bereit, das ihren.kräftigen Sunger stillte. Jetzt waren sie Bettler, hungrige Bettler,' auf die Mildtätigkeit der Mitmenschen angewiesen. Tie Frauen rannten nicht umher und schrien, wie sonst, sondern saßen, von der Größe des Unglücks bewältigt, ' am Feldrain und weinten still vor sich hin, während den Kindern das Unglück eine angenehme Abwechslung dünkte. Diese dachten im Augenblick nicht daran, daß die Eltern ihnen jetzt weder einen Bissen Brot noch ein Obdach für die hereinbrechende Nacht zu bieten ver mochten. Gewohnheitsmäßig, wie vor jedem Höherstehenden, rückten die Männer dre Mütze, als der Assessor heran trat. Sie kannten ihn nicht und wandten sich daher in ihrer unterwürfigen Manier an den Förster. „Ach, Herr Wohltäter, welch ein Unglück! Me hat uns der liebe Gott gestraft!" „Schwatzt keinen Unsinn! Ihr seid ja große Ver brecher, aber der liebe Gott hat Euch nicht gestraft; das besorgt die irdische Obrigkeit, wenn es nötig ist. Wie ist das Feuer ausgekommcn?" „Man" erzählt, Herr Wohltäter, daß die alte Kcglcrsche die Kohlen aus dem Backofen auf den Hof geschüttet hat." „Unglaublich! Lange Haare, kurzer Verstand. Das gilt bis zu neunzig Jahren hinauf." Jetzt kamen von der anderen Seite mehrere Wagen angerasselt. Allen voraus in schlankem T!vab ein Ein- svänner, auf dem Tora Ternburg und Lotte Braun saßen. Dahinter ein Wagen mit den alten Herren und einigen Inspektoren. Als letzter folgte ein bepackter Leiter wagen. Tora sprang als erste ab und kam auf den Assessor zu. „Es ist gut, Herr Landrat, daß Sie hier sind, das freut mich!" „Verehrtes Fräulein, Sic haben sich im Titel ver griffen, ich brn noch nicht Landrat." „Ach was, hier vor den Leuten sind Die der LanT- rat und sollen als solcher auftreten. Gestatten Sie, daß ich Sie jetzt so anrede. Später kann ich ja wieder Herr Landratsamtsverweser sagen, obwohl ich mir an diesem Titel beinahe die Zunge zerbreche." „Gut, mein Fräulein, ich füge mich." „Haben Sie schon etwas, beschlossen?" „Nein." „Tann bitte ich Dich, Onkel Adam, die Leute vor dem Kruge zusammenzutrommeln. Ich habe einige Dutzend grobe Brote, zwei Dutzend Speckseiten und einen Zentner Magerkäse mitgebracht." „Mich wundert's, daß Sie so schnell hier sind." „Sehr einfach, Herr Landrat. Ich sah das Feuer aufflanimen, ritt schnell nach Hause, ließ die Wagen : anspannen und aufpackcn, was ich im Hause fand. ' Eine Viertelstunde später.kamen wir nach Signotcn. Tort requirierte ich auch noch, was zu haben war, nahm Lotte mit ans meinen Einspänner, und nun sind wir hier." Das Wort „Landrat" war schnell von Mund zu Mund geflogen. Jetzt drängten sich die Weiber um ihn und haschten nach seiner Hand, nach seinen Rock zipfeln, um sie zu küssen. Tie Männer standen mit abgezogener Mütze dahinter und verneigten sich einmal über -as andere. Auf masurisch rief Tora ihnen zu: „Geht alle zum Krug, und Wartet vor der Tür, bis wir kommen. Ihr dummen Weiber, laßt mal den Herrn Landrat in Ruhe. Er wird Euch schon helfen." Mit vielen Danksagungen zogen die Leute ab, schon halb getröstet. Inzwischen hatten sich auch die Herren eingefnnden. Sie waren Erstaunt, den Assessor hier zu sehen, und freuten sich darüber, insbesondere als er erklärte, daß er sofort eine energische Hilfsaktion für die Abgebrannten einleiten werde. Als die Gesellschaft nach länger»! Gespräche zum Torskruge kam, war Tora schon in voller Tätigkeit. Sie hatte den Gemeindevorsteher und ein paar Bauern yerbeigeholt, stand auf dem Leiterwagen und verteilte mit ihrer Hülfe die Liebesgaben. Jede Familie mußte herantreten und erhielt nach der Kopfzahl ihrer Mit glieder Brot, Speck und Käse. Einige Familien saßen oder lagerten schon ringsumher auf dem grasbewachsenen Torsanger und stillten ihren Hunger. Vergnügt rief Dora den Herren zu: „Es wird reichen! Ter ersten Not ist gewehrt. Nun sorgen Sie, Herr Landrat, daß die Bauern die ganze Mendmilch herschaffen. Tie werden lvir, Lotte und ich, von unserm Taschengelde bezahlen. Für das andere müssen Männer sorgen." Nach einer Weile — die Herren saßen schon bei einem Glase Bier in der Krugstube — kamen die beiden jungen Damen herein. Doras erstes Wort war: „Haben Sie noch nicht daran gedacht, wo alle die Menschen heute nacht bleiben sollen? Es lmrd schon ganz eklig kalt, da können die Leute mit den kleinen Kindern doch nicht im Freien liegen." Die Herren sähe., einander etwas verblüfft au. Sie hatten schon über alles mögliche beratschlagt, wie das Gelt» zum Aufbau der Häuser beschafft werden sollte, und wie die sicher zu erwartenden milden Gaben zu verteilen wären; aber daran, au das Nächstliegende, hatte noch niemand gedacht. (Fortsetzung folgt.) Herbst. Tahin ist des Sommers buntblühende Zier, Ter Blumen Duft ist verflogen. Verlassen und still liegt das Waldrevier, Die Sänger sind fortgezogen. Verwelkt und müd' sinkt-' das Blatt vom Baum, Wild wirbelnd im sausenden Winde, Ter trägt es laut schluchzend durch weiten Raum Bis zum Sterben ein Plätzchen cs finde. Durch den Wald und über das öde Feld Weißwattende Nebel wehen. Ein Trauerschleier liegt über der Welt, Tu sollst ihr Weinen nicht sehen. llnd willst du auch bangen, mein schwaches Herz, Vo» Todesschatten umgeben? Sieh auswärts voll Hoffnung, schau himmelwärts, — Tort oben ist ewiges Leben! H. Wolff. Druks und Sinnsprüche. Ein Kluger muß den Sinn auf das Vergangene lenken, DaS Gegenwärtige tun, das Künftige bedenken. * Behalte Hoffnung stets bei widrigem Geschick Und eine hcit're Stirn bei trüben Sorgen, Genuß für jeden Augenblick, Und einen Wunsch noch für den Morgen. * Wer eine Wohltat nicht mit Dankbarkeit vergilt. Trübt selbst die Quelle sich, die ihm den Durst gestillt. Druck und Verlag von Langer L Winterlich, Riesa. — Für die Redaktion verantwortlich: Hermann Schmidt, Riesa. Esiithler an der Gibt. Belletr. Gratisbeilage zum „Riesaer Tageblatt". Sir. 42. Ries«, -e» 1«. Oktober LSVS. SS. J-Hr^ Der Sonntagsjäger. Roman von Fritz Skowronnek. Forsetzung. Ehe ich sagen konnte, daß her Mann vor einige» Wochen in Königsberg gewesen sei und sich die Nase habe operieren lassen, fragt der Förster ganz harmlos: „Tas wissen Sie nicht, Herr Major? Vor vierzehn Tagen, nach dem Forstgerichtstag, sitzen lvir drei, Klotzkowski, ich und der Förster Neureiter, bei Grinda am Markte vor der Tür und spielen unfern Merino. Nun müssen Sie wissen, meine Herren, daß der Klotzkowfti nicht nur stark raucht, sondern noch stärker schnupft. Plötzlich ist ihm der Tabak ausgcgangen. Er schickt den Stift in den Kaufmannsladen nebenan, um die Dose frisch füllen zu lassen. Tie jungen Leute dort mögen sich wohl vergriffen oder einen schlechten Scherz gemacht haben; denn Klotzkowski schimpfte über den merkwürdigen Schniefte. Dabei raucht er immerfort weiter. Mit einem Male gibt's einen Knall — Klotz- kowski fällt vom Stuhl, wir heben ihn auf, die Nase ist in mehrere Teile zerrissen. Er hatte Schießpulver ge schnupft, und dieses hatte sich an der tief herabgebrann ten Zigarre entzündet. Zum Glück ging eben der Meis- physikus über den Markt." — „Ich merkte Wohl," fuhr Erich fort, „wie der alte Spaßvogel dem Arzt, der zwischen uns saß, einen schnell«! Blick zuwarf. Und nun begann dieser, der auch kein Spaßverderber ist, zu berichten, daß er sofort sein Besteck aus der nahen Wohnung ge holt und Klotzkosski, der noch in Ohnmacht lag, die Nase operiert und genäht habe. Tas Eingreifen des Arztes zerstreute wohl den Argwohn, der bei einigen gegen die Geschichte des alten Försters aufgestiegen war, und die. Sache wurde tatsächlich geglaubt. Nun ist Klotzkowski wohl schon reichlich mit der Explosion seiner Nase geneckt worden und hat sich weidlich darüber geärgert. Es scheint aber, als ob die alten Freunde sich bereits versöhnt haben; denn dort steuern sie einträchtig über den Platz zur nächsten Kneipe." Ter Assessor hatte sich vor Lachen geschüttelt. „Und diesen Spaßvogel haben Sie mir als Lehrmeister aus gesucht? Ter wird mir morgen einen gewaltigen Bären ausbinden." „Ich wüßte einen Lehrmeister für Sie oder viel mehr eine Lehrmeisterin," hätte Erich gern gesagt, aber er biß sich aus die Zunge und schwieg. Tas hätte ja so ausgesehen, als ob er für die Schwester auf den Freund ^agd machte. V. Ter Lag graute kaum, als der Assessor mit seinem Wagen vor der Försterei hielt. Tas Haus lag nur wenige Kilometer von der Kreisstadt entfernt. Bon stiller Bergeshöhe sah inan über den großen See die Gebäude und Türine der Stadt aufragen. Ter Förster stand vor der Tür und nötigte den Gast ins Haus zu einer Tasse Kaffee und einem kleinen Imbiß, der schon aus dem Tische bereit stand. Burmeister nahm die Einladung mit Tank an. In dem von einer Lampe traulich erhellten Vorder- zimmer fand er eine freundliche ältere Frau, die Gattin des Grüncocks, und einen Jüngling, den ein paar Schmisse auf der Wange als Studenten kennzeichneten. „Das ist mein Dritter, Herr Assessor, der soll Pastor werden," sagte die Frau Förster. „Die beiden Netteren sind aus dem Gehege der vier geheiligten Fakultät«« ausgebroche» und zur fünften übergegangen." „Wie darf ich das verstehen, verehrte Frau?" „Sic sind beide Schriftsteller geworden. La" — sie wies mit der Hand auf ein Paneelbrett — „das sind alles Bücher, die meine Jungen geschrieben haben." Er trat näher und griff eins heraus. Herrgott, wo hatte er bloß seine Gedanken gehabt! Die beiden kannte er ja! In Berlin hatte er mit ihnen so manchen tiefen Trunk getan. Und hier in diesem abgelegenen Erdenwinkel lebten ihre Eltern. Nun gab's eine große Freude, une er fich als guter Bekannter der älteren Söhne vorstellte. Endlich mahnte der Förster zum Aufbruch: »Ihr Fuhrwerk schicken Sie zur Stadt zurück und bestellen es zum Spätnachmittag. Wir fahren auf meinen! Einsvänner dorthin. Ter Gaul kennt den Dienst." Einige Minuten später rasselte der federlose Wage« mit dem Förster und seinem Gaste zum Dore hinaus. Tie Hühnerhündin war ohne Aufforderung zu ihnen hinaufgesprungen und sah sie mit ihren klugen Ange« an, als ob sie jedes Wort verstände, was da gesprochen wurde. Ter alte Herr führte selbst die Leine. Er brauchte aber nicht viel aufzupassen; denn der im Dienst ergraute Braune schien ganz genau zu wissen, wohin die' Fahrt ging. „Ich danke Ihnen herzlich, Herr Förster, daß Sie mein Lehrmeister sein wollen," Hub der Assessor an, „da ich mich als Freund Ihrer Söhne bezeichnen darf. Nebenbei möchte ich auch über manches von Ihnen osfene Auskunft haben, über Tinge, die ich meinem Freund Erich nicht fragen kann, oder die er mir vo« seinem etwas einseitigen Standpunkt als Sohn eine- Großgcundbesitzers darstellen würde." „Ich stehe Ihnen sehr gern zur Verfügung, Herr Assessor; zuerst aber sollen Sie bei mir Schießen ulkst Treffen lernen. Ter Tag ist lang, wir haben noch genug Zeit, über dieses und jenes za sprechen." „Vor allem sagen Sie mir eins, alter Herr: Ist es wirklich so wichtig, daß ich mir eine Kunst aneigne, für die ich so wenig Interesse besitze?" Ter Förster strich nachdenklich mit der Hand seine« ungewöhnlich langen Kinnbart, der ihm ein äußerst charakteristisches Gepräge gab. „Als Jäger muß ich Ihnen antworten, daß ich es nicht recht begreise, wie man für diese königliche Kirnst nicht Passion empfinden kann. Wenn Ihre Frage aus etwas anderes hinzielt, dann will ich Ihnen auch da reinen Wein einschenken. Ja, ich halte eS sür not wendig, daß Sie die Jagdverhältnisse Ihres Kreise sachverständig beurteilen können! Doch darüber könne« wir in der Frühstückspause sprechen. Wir sind bald am Ziel, und ich muß Ihnen noch eine kleine Vorlesung über unser heutiges Wild und seine Jagd hatten." Er wies mit dem Peitschenstiel geradeaus. „Da sind unsere Torfwiesen." - Ter. Wagen hatte eben den Wald verlassen. Bon der steilen Anhöhe sah man über eine weite Ebene, durch die sich ein schmaler Fluß schlängelte. TaK Bild erschien ganz eigenartig, weil die Ebene nicht grün, sondern braun aussah. Einige Stelle« dazwischen wrren mit Gestrüpp und Gesträuch bewachse«, dessen Laub be reits in den Hellen Farben des Herbste- schimmerte. Weit hinten am Horizont z »g sich eine Hügelkette, mit dunkelni Wold bestanden, über dem es wie ein blau« Hauch lag.