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wieder beim Herrn H. Herbert ist do. Ich sage ihm, daß am kommenden Sonntag in P. Gottesdienst ist. Sein Freund ?ldolf wird für den einstündigen Marsch die Führung übernehmen. Sie alle sollen kommen. Herbert sagt zu. Eine Religionsstunde. Fritz hat mich mit seinem Fahrzeug schon viele Kilo meter weit gebracht. Fast in jedem Dorfe haben wir Halt gemacht. Ich habe meine Kinder und ihre Pflegeeltern besucht. Soweit die Kinder nicht da waren, werden sie herbeigeholt. Hier finde ich sie beim Spiel, dort beim Schweineschlachten, wieder wo anders bei häuslichen Ar beiten. Ich erzähle einer Bauersfrau, daß die Kinder am nächsten Sonntag zum Gottesdienst nach P. kommen sollen. „Ja, aber die Kinder sind doch katholisch", sagt mir die gute Pflegemutter. Als ich ihr darauf bestätigte, datz ich katholischer Geistlicher bi», hat sie keine Bedenken mehr. In einer Familie, es ist ein Gutsbesitzer, treffe ich mehrere Kinder an. Es sind Mädchen. Sie empfangen mich mit dem Erutz: „Gelobt sei Jesus Christus!" Das eine Mäd chen ist ein ganz besonders gewelktes Kind. Ich höre sie ab: zuerst Gebete, dann Lieder. Dann müssen sie singen. Das tun sie auch. „Kinder", frage ich, „wann wart ihr das letzte Mal zur hl. Kommunion?" Die Antwort: „Als wir von zu Hause weggcfahrcn sind!" Ich frage: „Habt ihr auch eure Gebetbücher mit?" Sie antworten: „Ja!" Ich frage weiter: „Auch euren Rosenkranz?" Käthe hat ihn mit. Die Else hat ihn vergessen und die Hedwig mutz gestehen, das; ihn die Mutter wieder aus dem Koffer ge nommen hat aus Angst, Hedwig könnte ihn verlieren. Die Pflegemutter ist mit ihrem Kinde sehr zufrieden und erzählt, das; die Kinder schon gesprochen haben, sie möchten doch mal in die katholische Kirche nach Z. fahren. Doch habe das Kind nur wenig Taschengeld mitgebracht. Ein Herr aus dem Dorf will die Kinder per Auto in die Stadt zur Kirche bringen. Nun werden sie am Sonntag zusam men laufen. Der Werner, der Sohn des Wachtmeisters, will den fremden Kindern den Weg zeigen. Zwei Stunden werden sie zu gehen haben. Das Kommunionkind. Es ist abends 6 Uhr. Wir sind bei der letzten Sta tion für heute angelangt. Im Dorfe beherbergt der Pfar rer ein Kind. Es ist in diesem Dorfe das einzige. Jose- sine ist etwas schwächlich aber gut und fromm. Ich erzähle dem Herrn Pfarrer, das; die Kinder aus dem Nachbardorfe die Josefine zum Kirchgang abholen wollen. Herr Pfarrer verrät mir, das; die Joses ine gern zur hl. Kommunion gehen möchte und wegen ihrer schwachen Gesundheit den weiten Weg zu Fuss nicht gut überstehen könnte. Er fragt, ob das Kind nicht nach Z. kommen könnte und dort zu einer früheren Stunde zur Beicht und zur Kommunion gehen könnte. Ich sebe, das; für die Josefine dieser Weg zu Fus; zu anstrengend ist. Ihre Pflegemutter wird also mit dem Kinde in die Stadt fahren und Fine wird in der Pfarrkirche die hl. Kommunion empfangen, wie zu Hause. Heimfahrt. Unser Nad trägt uns schnell nach Hause. Es ist schon 9 Uhr, als wir ankommen. Fritz will noch in den Gesellenvereinsabend. So haben wir einen Tag zusam men totgeschlagen, nein, nicht totgeschlagen, das Leben ha ben wir ihm abgelauscht. ollvr Welt Schweres Autobusunglück in Spanien. — 24 Tote. Cordoba. 17. Nov. Ein Autobus, mit dem zahl reiche Personen heimkehren wollten, die an einer Sozia- listenversammlung teilgenommen hatten, stürzte in der Nähe von Huescar in eine Gebirgsschlucht. Die Folgen waren entsetzlich. Nicht weniger als 24 Insassen blitzten das Leben ein, viel« andere erlitten Verletzungen. Wie hierzu noch ergänzend mitgeteilt wird, geriet der Kraftwagen in einer sehr scharfen Kurve ins Schleu dern und stürzte etwa 80 Meter in die Tiefe. Der Wagen war mit 25 Personen beseht. Ein Insasse stürzte bei dem Unfall aus der Tür und konnte sich im Fallen am Ge büsch festhalten. Nach einiger Zeit wurde er aus seiner gefährlichen Lage befreit. Verhaftung führender Wirtschaftler in Ostoberschlesien. Kattowitz, 17. Nov. Auf Veranlassung der Kat- towitzer Staatsanwaltschaft wurden heute bei mehreren Industrieverwaltungen Revisionen vorgenommen, so bei der Wirek AG. in Morgenroth, bei der Verwaltung der Ballestrem-Werke in Ruda, bei der HUttenverwaltung der Fürsten von Donnersmarck in Neudeck und bei der Rqbniker Stelnkohlengewerkschaft in Kattowitz. Diese Untersuchungen sind bisher noch nicht abgeschlossen. Der Generaldirektor der Godulla- und Wirekwerke (frühe ¬ ren Schasfgotsch'schen Werke) Dr. Gogol! und Oberberg werksdirektor Dr. Iungels wurden verhaftet. Die Grün de sind unbekannt. Es soll sich um Steuerangelegenhei ten handeln. Die Untersuchungen werden von vier Staatsanwälten und dem Untersuchungsrichter geführt. Der neue Letter der Natlonalgalerie. Berlin, 17. Nov. Als Direktor der Nationalgalerie und des Kronprinzenpalais wurde der Leiter der Städti schen Kunstsammlungen in München, Dr. Eberhard Hanf- staengl, berufen. Polsterung der 3. Klasse? Berlin, 17. Nov. Die zuständigen Stellen der Reichsbahn befassen sich neuerdings wieder mit dem bereits vor Jahren erörterten, aber aus mehrfachen EvÄnden immer wieder zurückgestell ten Plan, der Polsterung der Dritte-Klasse-Wagen. Wie verlautet, soll diese Angelegenheit jetzt wieder Gegenstand ernsthafter Besprechungen der zuständigen Stellen gewor den sein. Der Vorstand und der Verwaltungsrat wollen zu dieser Frage demnächst Stellung nehmen. Man neigt der Ansicht zu, das; eine behaglichere Ausstattung der Dritte-Klasse-Wagen den gesamten Reiseverkehr ausseror dentlich fördern und die Ausgaben für den Ilmbau in ab sehbarer Zeit wieder wettmachen würde. Für einen solchen Umbau kommen rund 50 000 Personenwagen in Frage. Die Kosten würden sich auf mehrere Millionen Mark be laufen. Es handelt sich für die Reichsbahn vor allem darum, eine Bauart zu finden, die mit beschränkten Geldmitteln diese Polsterung möglich macht. Sine Fahrkarte für das gesamte Reichsbahnneh Die Reichsbahngesellschaft hat jetzt Monatskarten her ausgegeben, die aus sämt lichen Strecken innerhalb Deutschlands gültig sind. Diese Neueinrichtung dürfte' besonders für Hai^dels- reisende oder Betriebsinspek- tcure grötzerer Konzerne eine nicht unbeträchtliche Verbilligung ihrer Reisen darstellen. Vie Lame mit Sem Otterpek Vie tzesMMe einer rätrelWeu Mer Von Laren 15. lortselrung dlacbäruck verboten 8. Am.31. Oktober, einem Sonnabend, ging Donald Grau in erwartungsvoller Unruhe in seinem kleinen Atelier auf und ab. Er hatte seinen besten Anzug an und macht« den Eindruck eines Mensche», der vor einem ungewöhnlichen und feierlichen Ereignis steht. Das blasse Licht eines frostigen Herbsttages kam durchs Fenster. Ein zäher Kiistcnncbel kämpste gegen ein paar kraftlose Sonnenstrahlen. Der strenge Geruch von Herbst- astern erfüllte das Zimmer. Alle Gegenständ« waren damit geschmückt — wie zu festlichem Empfang. Von Zeit zu Zeit sah Grau nach der Uhr. Es ging aus zwei. Von unten aus der Küche kam energisches Tellergeklapper. Ab und zu wurde eine Tür geschlagen, und die Hauspantofsel der braven Frau Schnee schlurften über den Flur. Endlich ritz dem Maler die Geduld. Er stürzte auf den Vorplatz und rief gereizt über das Treppengeländer: „Sind Sie denn immer noch nicht mit Ihrer Arbeit fertig, Frau Schnee? Wag drücken Ei« sich denn heute so lang im Hause herum?" Frau Schnee setzte eine tiesbeleidigte Miene aus und entgegnete spitz: „Ick) kann nicht zaubern, Herr Graul Und von allein wäscht sich das Geschirr leider nicht. Sie wissen sehr gut, das; ich am Sonnabend nie vor 3 Uhr wegkomme. Merkwürdig, datz Sie mich heute schon so früh los sein wollen!" Und sie stelzte mit puterrotem Kops in ihre Küche zurück und lies; die Tür mit Nachdruck ins Eckstoß fallen. Bald darauf erschien ihr Dienstherr auf der Schwelle. Sie ließ vor Schreck über sein finsteres Gesicht einen Porzellanteller fallen, „Es ist jetzt dreivicrtel zwei. In spätestens zehn Minuten sind Sie aus dem Hause, verstanden? Oder Sie brauchen über haupt nicht wiederzukommen," sagte er barsch. „Ihr« Schlüssel lassen Sie hier. Sie brauchen das Eartentor nicht abzuschliehen. Adiö!" Er ging wieder nach oben in sein Atelier. Zehn Minuten später hörte er Frau Schnee das Haus verlassen. Er sah sie mit tragisch gesenktem Kops über den Kiesweg wandeln Bald darauf fiel das Gartentor ins Schloß. Und ein« bc klemmende Stille blieb im Hause zurück. . . Kurz nach zwei ging die Hausglocke. Grau fuhr zusammen. Er fühlte sein Herz in harten Stößen gegen die Rippen schlagen. Ein ganz dünnes und irgendwie begluaenvcs Schwindclgcfühl zog ihm die Kopfhaut zusammen. Die Knie wurden ihm schwer. Sie trugen ihn kaum zur Tür. Und mit einer dumpfen Anost, die sich schmerzhaft und wollüstig zugleich in sein Herz krallte fühlte er deutlich, daß sein Schicksal ihn streifte. Abermals bellte die Glocke, zweimal, gereizt nnd hen'sck Der zornige Alarm gab Grau seine Selbstbeherrschung wiedc. In überstürzten Sprüngen polterte er die Treppe hinunter. In der Haustür stieß er beinahe mit Fuchs zusammen, der ihn ver drießlich anfuhr: „Warum lasten Sie mich denn erst Sturm läuten, bevor Sie sich bequemen mir zu össnen? Oder haben Sie unsere Ver abredung vergessen?" Er sah fast wie ein Hausierer aus, in seinem schäbigen schwarzen Ulster und dem lies in die Stirn gedrückten Schlapp hut. Untcrm Arm trug er den Regenschirm und ein großes, slnrhes Paket. Der Maler überhörte die unfreundliche Be grüßung. Er sah sich suck-end um und stammelte enttäuscht: „Sind Sie denn — allein gekommen. Herr Fuchs? Haben Sie die Dame nicht mitgebracht?" Fuchs schob ihn beiseite und trat in den Hausslur. „Ich bin vorausgcgangen. Mein« Nichte wird losort nach kommen. Sind Sie allein zu Hause." Grau bejahte eingeschüchtert. „Gut, dann zeigen Sie mir jetzt Ihr Atelier! Im Dach geschoß, links von der Treppe? Danke, ich bin orientiert! Ich werde meine Nichte selbst hinaussiihrcn. Sie warten solange hier in diesem Zimmer und rühren sich nicht über die Schwelle!" Er stieß ohne Umstände die Tür zur Wohnstube aus und schob Grau hinein. „Ich will nicht, daß Sie die Frau anders als im Kostüm zu sehen bekommen. Aus Gründen, die Eie nichts angehen. Sobald sie umgekleidet ist, rufe ich Sie." Die Tür fiel zu. Und Grau glaubte ein Geräusch zu hören, als ob von außen der Schlüssel umgcdreht würde. Die rück sichtslose Energie des andren lähmte seine Willenskraft. Wie angewachsen blieb er mitten im Zimmer stehen, unfähig, auch nur einen Schritt zu tun. Nur sein Gehör arbeitete fieberhaft. Er hörte Fuchs zur Haustür gehen und wieder zurückkommcn. Und es war ihm, als mische sich in die schiversälligen Tritte der leicht« Rhythmus eines Frauenschrittes. Dann wurde es eine Weile still. In seinen Ohren war nur noch das dumpfe Brausen seines Blutes. Seine Hände wurden eiskalt vor Spannung. Die Viertelstunde des Wartens dehnte sich ihm ins Uferlose . . . Endlich ächzte die Treppe unter plumpen Stieseln, und in der nächsten Minute betrat Fuchs die Wohnstube. „Sie können jetzt hinausgehen, meine Nichte ist bereit." Sein glasheller Blick drang gebieterisch auf Grau ein. „Sie haben drei Stunden Leit, Ich sehe mich inzwischen in der Statz» nm. Um halb sechs vin Ich zurück und höre meine Nichte ab. Vis dahin ist das Bild so weit, daß Sie die weitere Ausführung nach dein Gedächtnis mack>en können! Prägen Sie sich aus genaueste alles ein! Und sorgen Sie dasstr, daß niemand das Bild zu sehen bekommt! Niemandl Verstanden?" Wenn Donald Grau sich diese Szene später ins Gedächtnis zu rufen versuchte, hatte er auss neue jenes Gefühl vollkom mener Wehrlosigkeit, das ihn diesem Mann gegenüber schon da mals im Zug bcsallen hatte. Er Hütte nicht erklären können, warum Er fühlte nur dunkel — gleichsam an der Peripherie seines Bewußtseins —. daß irgendeine unerbittliche Gewalt sich seiner bemächtigt hatte. Alle Einwände, die er gegen diese ein malige Sitzung vorzubringen entschlossen war, blieben unaus gesprochen. Sie schienen ihm aus einmal selbst gegenstandslos. Eine große Sicherheit war plötzlich über ihn gekommen. Ein nie empsuudenes Selbstvertrauen. Die unerschütterliche Ge wißheit. baß er dieser Ausgabe gewachsen war. Jeder Nerv spannte sich ihm in Schassensdrang. In Sätzen jagte er di« Treppe hinaus und klopfte an die Tür. Niemand sagte „Herein" Nichts rührte sich hinter dieser Tür. Die Stille hatte etwas Atemloses. Eie senkte sich wie ein dünner singender Nebel ans sein Denken. Wieder verspürte er diesen Schwindel, dieses süße Vergehen. Wie die letzt« Bewußt- seinssekunde vor einem Aetherrausch . , . Dann stand er im Zimm«r. In der Nähe des Fensters saß regungslos ein« Frau. DI« gleiche Frau, die er bereits von der Photographie her kannte. In demselben schweren und kostbaren Kostüm eines vergangenen Jahrhunderts: über starrem Faltensall von malvensarbenem Brokat eine weite Mantille aus Otterfell. Unter dem Pelz barett quoll rotslimmerndes Geringe! um eine Stirn von be. zaubernder Klarheit. Dunkle Brauen spannten sich in stolzem Bogen über einem Auge, das stark und golden leuchtete wie alter Tokaycr — mit einem unvergeßlich zärtlichen und zugleich melancholisthen Blick. Aber das Ergreifendste war der Mund. Feucht und rot. wie eine fremde Blume, blühte er in dem zarten Gesicht. Die Mundwinkel waren zu einem Lächeln ver tieft. Einem Lächeln, das etwas seltsam Verhülltes hatte, wie hinter einem Schleier. Aber eine unvorstellbare Gewalt ging von diesem Lächeln aus. Ein unentrinnbarer Zauber, der die Wirklichkeit anslöschte und alle Vernunft . . . Donald Grau empfand diese Begegnung wie etwas Körper liches. Wie einen tödlichen Schlag auf fein Herz, der ihm für Sekunden den Atem abschnürte. Er wußte — mit einer über wachen und schmerzlichen Eewischeit — daß diele Frau sein Schicksal mar, Daß er ihr verfallen war. Vis zur Vesestenheit. Vis zur Verzweiflung ... Es dauerte lange, bis «r sich zu einer Begrüßung fein«» Modells ausrasfen konnte, (Fortsetzung folgt.)