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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 21.07.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140721012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914072101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914072101
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-07
- Tag 1914-07-21
-
Monat
1914-07
-
Jahr
1914
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Morgen» Ausgabe kür Lelpzjq un» Vororte Sur» vnser» TrTger * » »nö Speüiteure rmoltügllck in« hau» gebracht» monatlich ISS M., vlerteliührllch Z.7S M. Sei Ser SeschüftofteU», uiisrrn Zilialen unS Ausgabestellen abgebolt: monatlich ttN., vierteljährlich SM. vurch Sir Post: innrrbald Veutscblanü» unS Ser Seutschen Kolonir« monatlich 1.SS M„ vierteljährlich 4.SS M., ausschließlich postbrstrllgelS. Vas Leipziger Tageblatt erscheint werktags rmai. Sonn« u. Zeiertagstmal. In Leipzig, Sen Nachbarorten unS Sen Drten mit eigenen Malen wirS Sie stdenSausgadr noch am flbrnS Se» Erscheinens in» hau» geliefert. Serllner Neöaktion: In Sen Zelten 17, Zernsprrch-stnschluß: Moabit Nr. 4»7. hmrdelsFeikurg ^rntsblrUt desRcrtes und des potrzürrrrrtes der Stadt LerpZro NeSaktion unS Seschäftsstell«: Zohanni.gast« Nr.«. * Zrrnsprech.ftnfchluß Nr. 1«»»r, 1«»»Z unS «4S4». ISS. Mrgang L—für Inserat« au« Leipzig unS Umgebung Sie /llIAkiALnprelf». ispaltigeprtttzeilersps.SieNeklameeetlel M.» von au«wärt. 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Letzte Dcp.) * Zm Caillaux-Prozeß gab am Montag nachmittag Frau Caillaux eine Schilderung der Vorgänge vor ihrer Tat. (S. bes. Art.) * In Petersburg streikten am Montag 75 000 Personen. (T. Ausl.j * Die türkische Kammer verhandelte am Sonntag über den Antrag, die früheren Kabinette Gjalib, Mukhtar Pascha und Kiamil Pascha in den Anklagezustand zu versetzen. (S. Ausl.) * Die bosnischen und herzegowinischen Gestel lungspflichtigen werden vom 1. Oktober ab außer halb des Reichslandes dienen. (S. bes. Art.) vom Regierungswesen kn Deutschland und Frankreich. Hr Walther Rath en au hat sich kürzlich in beachtenswerter Weise in der „Wiener N. Freien Presse" über die französische Politik ausgelassen. Er wies, was wir übrigens auch schon öfter getan haben, auf die merkwürdige Tatsache hin, daß die französische Republik, trotz aller inneren Wirren, imstande war, eine äußerst erfolgreiche, gewinnbringende auswärtige Politik zu betrei ben, während das Deutsche Reich, obwohl es seine Kriegsmacht fort und fort vergrößerte und wirt schaftlich ausgezeichnet emporgedieh, nur spär liche und bestreitbare Erfolge ans dem Gebiete seiner Weltpolitik erzielte. Rathenau suchte dies durch das „Wesen der selbsttätigen Selektion" zu erklären. Er versteht darunter die Auswahl und das Emporkommcn der tüch tigen Kräfte. Er schreibt darüber: „Dieser Hebung verdankt Frankreich, das kräfte ärmste Land, ein ständiges Arsenal von führungs gewohnten und führungsbereiten Menschen. Hier wird ein Organisator gebraucht, hier ein Parlaments minister, hier ein Kenner der Flotte, ein Russen freund, ein Finanzpraktiker, ein Budgetkünstler, ein Allerweltsmensch, ein Vertrauensmann, ein Idealist: die Jahrgangslisten der abgedankten Ministerien sind mit jedem Stoff versehen. Bei uns: vor der Be setzung des Postens Verzweiflung, nach der Besetzung Enttäuschung. Wie kommt es nur, daß wir so wenige leitende Männer haben? Dazu die alt fränkische Fiktion, daß jeder Verabschiedete als ein Verungnadeter gilt: unter keinen Umständen darf er wiederkommen. Unsere Wirtschaft, die keine Anciennität, keine Standesrechte, keine Examina, wohl aber selbstwirkende Auswahl kennt, findet jahraus, jahrein führende Kräfte, um die sie die Welt beneidet: unsere Politik und Regierung findet sie nicht." Darin ist etwas Wahres. Offenbar ist bei uns von einer „selbsttätigen Auswahl" nicht die Rede. Wir erinnern an die Klagen wegen der Be vorzugung der „Namen" bei der Besetzung der auswärtigen Posten. Die Regierung hat den Fehler zugegeben, nnd es soll besser werden. Aber anch im inneren Dienst waltet die Scha blone vor, wird viel zu sehr auf die Regel- rechtigkeit der Laufbahn geachtet. Es ist immer noch ein seltener Fall, daß Männer aus dem wirtschaftlichen und öffentlichen Leben an hohe Regierungsstellen berufen werden, wie z. B. Möller, Dcrnburg. Ist diese Einengung der Auswahl ein Feh ler, so darf anderseits nicht übersehen werden, daß das von Rathcnan so sehr ge priesene französische System doch auch eine Kehr seite hat, und zwar, wie sich das gerade in diesen Tagen zeigte, eine recht bedenkliche. Ge wiß: die Republik hat eine erstaunliche Fülle von Kräften aufgebracht. Man kann aber auch sagen: eine Unmenge von Leuten hat sich re gierungsfähig gemacht. Was Rathenau ganz übersieht, ist die leidige Tatsache, daß es in Frankreich nicht so sehr die Sach- und Fach, künde ist, die den rechten Mann an die rechte Stelle bringt. Das parlamentarische Ansehen, oder vielmehr das jeweilige Parteibedürfnis entscheidet! Ein Ministerium ist gestürzt — ein anderes muß im Handumdrehen geschaffen werden. Die siegende Partei mnß zeigen, daß sie über die nötigen Kräfte verfügt. Oester wcroen ja bewährte Leute, auch wenn sic nicht gerade sonderlich zu der Färbe des Ministeriums passen, von neuem mit einem Posten betraut. Man denke z. B. an D e l c a j s 6, der unter ganz verschieden artigen Ministerpräsidenten „diente", oder an Miller and, den Sozialisten. Aber gerade Millerand ist em Beispiel dafür, wie wenig die Sachkunde entscheidend ist. Er begann als Rechtsanwalt — wie ja überhaupt die meisten französischen Staatsmänner aus dein Rechts- anwal'.sgande hervorgingen; nicht umsonst spricht man von der „Advotatenrepublik" — 18t)'.) wurde er H a n d e l s m i n i stc r, 1909 Minister für Berk e h r, P o st und Telegraphen, schon im nächsten Jahre Kriegsminister! Mag er die größten geistigen Fähigkeiten besitzen (als Kricgsminister wurde er >ogar besonders ge rühmt, und zwar nicht zum wenigsten wegen der Belebung des miliiärischen Geistes durch Musik und allerlei Aufputz), so ist es doch ganz unmög lich, daß er ans diesen drei Posten eine wirklich beherrschende Kraft entwickeln konnte. Und dem Beispiel Millerands ließen sich be liebig viele andere anreihen. Aber selbst wenn man trotzdem von dem Segen der Selektion im Rathenauschen Sinne sprechen wollte — dieser Segen würde doch in Frankreich schon dadurch wieder aufgehoben, daß dieses „Emporkommen der Tüchtigen" fortwährend beeinträchtigt wird durch die Unterbrechungen ihrer Laufbahn. Der jetzige Kriegsminister der Republik, Herr Mes- simy, ist dec Oiste! Man hat berechnet, daß ans einen Kriegsminister im Durchschnitt eine Amtszeit von 0 Monaten kommt. Das sagt genug! Wenn es also ein Fehler ist, den in Frank reich zu beobachtenden Reichtum an Krügen zn überschätzen und in der 'Art ihres Emporkvmmens ein besonders glückliches „Lnstem" zu sehen, so ist es doch auch eine nicht ganz richtige Schluß folgerung, wenn uns einige deutsche Blätter, so die „Hamb. Nachr.", zurufen: Da habt ihr das parlamentarische System! Abgesehen davon, daß wir in Deutschland von einer Gefahr in Ge stalt des „parlamentarischen Systems" nichts be merken, so ist doch das Beispiel Frankreichs als Wertmesser ans soundsovielen Gründen ab- znweisen. Es ist Frankreichs Schuld, wenn es am parlamentarischen System allerlei Uebcl empor- wnchern ließ. Diese Uebcl Müssen nicht not wendigerweise für die Abschätzung der Sache den Ausschlag geben. Das beweist England, das zwar auch längst nicht mehr unser Idol ist, das aber sehr wohl verstanden hat — der Neid muß es ihm lassen —, fort und fort Regierungen zu bilden, die nicht nur mit einer großen Stetigkeit die Geschäfte führten, sondern anch durch Männer vom höchsten Werte und vorzüglicher Sachkunde ausgezeichnet waren. Selbstverständlich gab es Unterschiede, aber wenn man so will, kann man allerdings ans England als ein Staatswesen verweisen, das ein verhältnismäßiges vorteil haftes System der Kräfteauswahl heraus gebildet hat. Der Laillaux-Prozeß. Der Prozeß gegen Frau Caillaux nahm am Mon tagmittag in Paris seinen Anfang. Der Schwur gerichtssaal war bis zum letzten Platz mit Zeugen, Berichterstattern und Advokaten gefüllt. Rur ein kleiner, durch ein Geländer von dem eigentlichen Saal getrennter Raum war für das Publikum reserviert. Gegen V,1 Uhr erschienen die Mitglieder des Gerichtshofes; alsbald wurde auch die Angeklagte Caillaux, von zwei Zustizsoldaten begleitet, in den Saal geführt. Gerichtspräsident Alb anel ermahnte die Zuhörer, mit Ruhe und Würde den Ver handlungen beizuwohnen, und richtete die vorschriftsmäßige Ansprache an die Geschwo renen. Nach deren Vereidigung verlas ein Gerichtsaktuar die Anklageschrift, die jedoch, da sie durch Veröffentlichung in den Blättern bereits bekannt ist, nur mit geringer Aufmerksamkeit angehört wurde. Bei dem Aufruf der vorgeladenen 75 Zeugen fanden nur die Ramen der Madame d'Estradre, ehemaligen Mitarbeiterin des „Figaro", und Eueydan, der ersten Frau Caillaux', sowie die der ehemaligen Minister Caillaux und Barthou einige Beachtung. Der Präsident forderte Frau Caillaux auf, den Geschworenen eine Darlegung der Tat zu geben. Frau Caillaux, die in einer schwarzen Toilette er schienen war und ziemlich blaß, aber durch die lange Untersuchungshaft keineswegs allzu angegriffen aussieht, schilderte ziemlich leise, manchmal stockend, zunächst ihr Vorleben. Sie berichtete, daß sie nach der Scheidung von ihrem ersten Manne, dem Schriftsteller Clarötie, den Mi nister Caillaux geheiratet und in dieser Ehe das vollste Glück gefunden habe. Sie erzählte eingehend mit großem Nachdruck, welch heftige Angriffe Caillaux von seinen politischen Gegnern, namentlich in der Presse, erfahren habe, wie man ihn ver dächtigt habe, den Kongo an Deutschland ver kauft zu haben, und erhob laut und zornig Einspruch gegen die Verleumdung, daß ihr Gatte seine Stellung dazu benutzt habe, um sich zu be reichern. Ihr Verteidiger würde den Beweis erbringen, daß sie und ihr Gatte nur das besäßen, was sie von ihren Eltern erhalten hätten. Die politische Fehae gegen ihren Gatten sei mit allen Mitteln geführt worden. Man habe einen intimen Brief ihres Gatten veröffentlicht, um ihn bloßzustellen, und andere intime Briefe veröffent lichen wollen, von denen man von der ersten Frau ihres Mannes, Frau Gueydan, photographische Ver vielfältigungen erhalten habe, die sich an Caillaux wegen seiner zweiten Ehe rächen wollte. Die Verhandlung wurde nach einer kurzen Unter brechung um 2 Uhr nachmittags wieder ausgenommen. Trotz der drückenden Hitze im Saale schien sich Frau Caillaux etwas e r h o l t zu Haden. Sie sprach über den Besuch des Präsidenten Monier bei ihr. Er habe auf ihre Frage nach einem Anklagegrunde gegen denjenigen, der Prioatbriese veröffentlichen wolle, geantwortet, daß es in Frankreich kein Gesetz gäbe, das Journalisten die Verleumdung öffentlicher Persönlichkeiten unmög lich mache. Damit müsse man sich entweder zu frieden geben oder sich mit eigenen Mitteln verteidigen. Das sei beklagenswert, und wenn man das französische Temperament bedenke, jo müsse man erstaunt lein, daß nicht öfter Leute vorhanden seien, die ihren Verleumdern den Schädel einschlügcn. Der Advokat oer Familie Calmette, Chnnu, wandte ein, ba^ Monier ver sichert habe, niemals einen derartigen lsatz gesprochen zu haben. Frau Caillaux sprach dann davon, wie sie den Tag der Tat verbracht habe; sie er wähnte besonders, daß Caillaux auf die Mitteilung von ihrer Unterredung mit Monier hin zu ibr gesagt habe: „Wenn es jo ist. dann werde ich Calmette den Schädel einschlagen" Frau Caillaux zögerte sichtlich, bevor sie das Wort „Schädel' äussproch. Der Verteidiger Chenu jagte, das Wort habe nicht Schädel, sondern S ch n a u z e gelautet. Es sei auch während der Unterjuchung 20mat gebraucht worden. Frau Caillaux jagte: „Jawohl; gewiße Worte aber kann man in der Oeffentlichkeit nicht gebrauchen" (Unruhe». Weiter führte Frau Caillaux aus, sie hätte ihren Mann für einen Feigling halten müssen, wenn er sich die Angriffe Calmettes weiter hatte gefallen lassen. Während des Gespräches habe Frau Caillaux ihren Mann auch ge fragt, ob er die Drohung noch an demselben Tage aus führen wolle. Darauf habe Caillaux geantwortet: Nein, an meinem Tage und zu meiner Stunde! Frau Caillaux fuhr fort: „Wenn Sie wüßten, was ich bei dem Gedanken gelitten habe, daß mein Mann einen Menschen töten wollte! Zu nächst dachte ich an Selbstmord. Ich wäre an jenem Tage glücklich gewesen, mein Leben für die Ruhe meines Mannes opfern zu können." Inmitten vollkommenen Schweigens fuhr Frau Caillaux fort: Es gab nur ein Mittel, nämlich selb st einen Schritt zu unternehmen und zu versuchen, etwas zu erreichen. Ich dachte: Ich werde wohl diese Veröffentlichung verhindern können. Ich trug immer einen kleinen Revolver bei mir, den mein Vater mir gegeben hatte. Auf Reisen trug ich iyn immer in meinem Necessaire. Aber der Revolver, den ich seit langem besaß, war verlegt. Ich ging zu GastienNe Benette. Ich werde Aufsehen er regen,sagte ichmir. Frau Caillaux führte ihr Taschentuch zum Gesicht und fügte weinend hinzu: Wenn ich de» schrecklichen Ausgang vorausgejehen hätte, hätte ich es vorgezogen, die Veröffentlichung der Briefe erfolgen zu lassen. Aufrechtstehcnd, die Hände gegen die Bank gestützt, erklärte sie, daß sic die Tat nicht mit Vorbedacht ausgeführt habe, oder zum mindesten, wenn sie den Gedanken, auf Calmette zu schießen, in Betracht gezogen habe, sei ihr Entschluß bis zuletzt unentschieden geblieben. Ich wollte nicht töten und ging nur zum Credit Lyonnais, um verschiedene Papiere abzuheben; vor allem die von ihrem Gatten vorgebrachte Agende vor der Rochette-Kommission. Sie habe nur einmal ge zögert, als sie im Bureau gestanden habe. Bei ihrer Rückkehr nach Hause habe sie nicht gezögert, ob sie sich zum „Figaro" begeben sollte oder zu einem Tee. Schließlich habe sie auf gut Glück den Brief an ihren Mann geschrieben. Frau Caillaux erklärte sodann, daß sie in dem Briefe an ihren Mann niemals habe sagen wollen, daß sie sicher sei, Calmette töten zu wollen. „I ch w a r nicht dazu entschlösse n," sagte sie. Außerdem gab ich genau an. daß man den Brief aushändigen sollte, falls ich bis 7 Uhr nicht heimgekehrt wäre. Bei ihrer Ankunft im „Figaro" habe sie den Diener über die Campagne Calmettes sprechen hören. Als der Diener sie angemeldet hatte, habe sie ihren Namen mit lauter Stimme aussprechen hören. Die Angeklagte senkte das Haupt. Als der Präsident sic fragte, was geschehen sei. erwiderte sic weinend: Ich weiß es nicht, ich habe geschossen und ge glaubt, ihn nicht getroffen zu haben. Alles das hat sich in einer Sekunde abgespielt. Diese Re volver gehen ganz von selb st los. (Lachen im Zuhörerraum.) In Erwiderung auf eine Frage des Präsidenten sagte Frau Caillaux: Ich bereue unendlich. Die Angeklagte schien von neuem zu schluchzen. Ihr Gesicht war halb hinter ihrem Taschentuch verborgen. Sie erklärte, sie würde die Behauptung aufrechtcrhaltcn, daß sie keinen Augen blick die Absicht gehabt habe, Calmette zu töten. Ich wollte, fuhr Frau Caillaux fort, einen Skan dalerregen. Ich schoß nach unten, nach den Füßen. Ich habe niemals gesagt, daß die Strafe Calmettes sein Tod sein müßte. Ich habe nichts vorbedacht. Di« Stimme der Angeklagten war stockend und von Schluchzen unterbrochen. Während ich die Katastrophe re.,n.'io:n wollte, habe ich ein Unglück über mich und meine Tochter gebracht, das nicht wieder gut zn mack 'n i't. Ich hätte gut daran getan, veröffentlich u zu losfen, was es auch sein mochte. Bei diesen Wo.i n sank Frau Caillaux er schöpft und schluchzend ans die Bant nieder. Bevor der Präsident das Verhör beendete, fragte er Frau Caillaux, cb s's den Geschworenen etwas zu sagen wünsche, worauf diese crw'derte: Ich möchte nur meinen Seelcnzustand in jenem Augenblick zn erkennen geben. Frau Caillaux führte mehrere Tat sachen an, die zeigen sollten, welche Campagne gegen ihren Gatten und sie selbst in der Gesellschaft man ge führt habe. Mein Gatte, sagte sie, wurde in den Schmutz gezogen. Ich vermöchte niemals zu sagen, was ich gelitten habe. Man wollte in meinem Gat ten den Republikaner treffen. (Unruhe; man hört den Ruf: Sehr richtig!» Man wollte mich in meiner Ehre und meinem mütterlichen Gefühl treffen Ich sollte vor meiner Tochter erröten müssen. Frau Caillaux sank unter einem Tränen strom neuerlich auf die Anklagebank nieder. Als der Präsident sie fragte, ob sie noch etwas hinzuzufügen habe, erwiderte sie dennoch mit klarer Stimme: Ich bereue aus dem Grunde meines Herzens. Ich hätte lieber die Veröffentlichung aller Schriftstücke zulassen sollen, als ein Verbrechen begehen. Um 3,10 Uhr war das Verhör beendet. Darauf begann die Vernehmung der Zeugen. Folgen -er öluttat von Serajewo. Die Untersuchung über den Serajewoer Anschlag nimmt ihren Fortgang, gleichzeitig aber mehren sich auch, und besonders unter den (ugendlichen „Irre geleiteten". die Anzeichen, daß die Blutlar von Serajewo für viele das Abschreckende verloren hat und immer mehr Billigung findet. Ein scharfes Vorgehen der Regierung ist hier durchaus wünschenswert. Eine militärische Vorbeuge maßregel wird vom 1. Oktober ab in Bosnien und der Herzegowina angewandt werden, daß nämlich die Gestellungspflichtigen von dieser Zeit an außerhalb der Rerchslande dienen werden — eine Maßregel, die der Zuverlässigkeit des öster reichischen Heeres zugute kommen wird und die bei der bisherigen wüsten jerdijchen Agitation in Bos nien nur allzusehr verständlich ist. Wir verzeichnen folgende Meldungen: Militärische Porbettgemastregeln. *Wicn, 20. J.rli. (bigener Trahtbcr.) TaS Reichste.egsmittistcrillm hat für Bosnien und die Her;< gowina kie Abhaltung von Manöver« bis znr Becndigilng des Standrechts vertagt. Mit Wirlfirukcit vom 1. Oktober d. I. sollen sämtliche Gestellungspflichtige in Bosnien und Herzegowina nicht mehr im Reichsland selb r eingestellt, sondcrn auf österreichische und nn- garische Garnisonen verteilt werden. Anch in Kroatien werden ab I. Oktober Tisloka» tio nsverleg ilngen der dortigen Garnisonen nach den übrigen Reichsteilen in Kraft treten. Hochverräterische Gesinnung der Jugendlichen. Wien, 20. Juli. (Eig. Drahtmeldung.) Wie die Blätter melden, wurden in Laibach vierzehn Schülerinnen des dortigen Ursulinerklosters in Strafuntersuchung gezogen, weil sie eine Kundgebung zur G u t h e i ß u n g des Serajewoer Anschlags ver anstaltet hatten. Ebenso wurden in Laibach 21 Mittelschüler verhaftet wegen Zugehörigkeit zu einer hochverräterischen Serbenver bindung. 2n den Laibacher Kasernen fanden Durchsuchungen nach serbischen Agitationsschriften statt. Privatnachrichten zufolge wurden mehrere Serben in Haft genommen. die Not -er griechischen Flüchtlinge. Die in der türkischen Volksvertretung verlesene Erklärung der Regierung ist auf einen sehr hoffnungsvollen Ton gestimmt. Uebcrall sollen die Anzeichen einer Besserung der Zustände bemerkbar sein, unp vom wirtschaftlichen Aufschwung ist viel die Rede. Es nimmt nicht weiter wunder, daß die türkische Regierung kein Bedürfnis fühlt, auf die Folgen der Griechenaustrcibung in Kleinasien einzugchen. Wie cs dort aussieht, schildert der nachfolgende Bericht unseres L-Mit- arbeiters. Die scharfe Spannung, die vor wenig Wochen zwischen Griechenland und der Türkei bestand, als man den Kriegsausbruch in Kürze erwartete, hat zwar nachgelassen; aber es fehlt viel, daß man Ver trauen auf die Erhaltung des Friedens hätte. So lange Enver Pascha am Ruder ist und die Jung türken das Heft in Händen haben, ist wenig Verlaß auf die Zukunft. Es wird auf beiden Seiten ge rüstet, und man darf wohl annehmen, daß ein neuer Krieg die Türkei nicht so hilflos finden würde, wie es 1912 d«r Fall war. Vor allem scheinen die Jungtürken durch eine radikale Lösung der Nationalitätenfrage ihr Land sichern zu wollen. Sie haben jetzt als fremde Volksteile in den gefährdeten Teilen des Reiches nur die Griechen. Aus Thrazien hat man sie entfernt. Was zurückgeblieben ist, ist bedeutungs los und kann nicht mehr gefährlich werden. Nun ist Kleinasien an die Reihe gekommen, und cs sollen bis jetzt 150 000 Griechen das Land verlassen haben, ohne daß man eine Bürgschaft hat, daß diese Völkerbewe gung schon ein Ende hat. Es handelt sich besonders um die Gegenden, die den Inseln Chios und M y - tilene gegenüberliegen und ganz von Griechen be. wohnt, Herde der Bandvnbcwegung und ewiger Un- ruhen zu werden drohten. Co ist das Mytilene gegenüberliegende Gebiet und Hinterland von Phokäa völlig geräumt worden. Es war wohl in Zeitungen viel von Grausamkeiten berichtet, die türkische Baschi-Bosuks begangen haben. Natur« lich ist mancherlei vorgekommen; aber viel ist übertrieben. Nach zuverlässigen Nachrichten kam es den Türken nicht darauf an. Es handelte sich auch nicht um elementare Ausbrüche moham medanischer Volkswut, sondern um ein wohlüberleg te» System. Eine Bande von etwa 500 Baschi-Bosuks tauchte im Hinterlande auf und trieb die Bewohner einiger Dörfer fort. Dann schickten sie Boten an di« anderen Dörfer mit dem Auftrag, das Land zu räumen, sonst kämen sie. Und in Panik haben dann die vielen Zehntausende das Land verlassen. An der Küste lagen Dampfer, zum Teil türkische, und so wurden sie nach den Inseln und Mazedonien ab-
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