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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 26.07.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-07-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191407265
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140726
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140726
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-07
- Tag 1914-07-26
-
Monat
1914-07
-
Jahr
1914
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§ § Unterhaltungsbeilage r* § - Dulde, gedulde dich fein! Ueber ein Stündlein ist deine Kammer voll Sonne. Ueber den First, wo die Glocken hangen, ist schon lange der Scl-ein gegangen, ging in Türmers Fenster ein. Wer am nächsten dein Sturm dec Glocken, einsam wohnt er, oft erschrocken, doch am frühesten tröstet ihn Sonneilschein. Wer in tiefen Gassen gebaut, Hütt' an Hüttlein lehnt sich traut, Glocken haben ihn nie erschüttert, Wetterstrahl ihn nie umzittert, aber spät sein Morgen graut. Höh' und Tiefe hat Lust und Leid. Sag ihm ab, dem törigen Neid: andrer Gram birgt andre Wonne. Dulde, gedulde dich fein! Ueber ein Stündlein ist deine Kammer voll Sonne. Paul Hey je. Jus -er Kulturgeschichte -es Blitzableiters. Ein« Studie von Oskar Wiener (Prag). (Nachdruck verboten.) Seit einem halben Jahrhundert verzeichnet die Statistik eine stete Steigerung der Blitzgefahr. Wenn auch der Grund dafür zum Teil rein meteorologischen Ursprunges sein mag, zur Vermehrung der Blitzschläge hat sicher die täglich wachsende Verwendung von Eisen na Häuserbau sehr beigetragen, und zuvörderst der Ersatz des Holzbalkens durch die metallene Traverse. Mindestens dreihundert Menschen werden alljährlich >n Deutschland vom Blitze getroffen. Die meisten oavon sind allerdings im Freien verunglückt, da sie unter Bäumen Schutz gesucht hatten oder von dem llnwetter auf dem Felde während der Arbeit über rascht wurden. Es gilt als erne alte Weisheit, dah ein Dach über dem Kopfe die beste Sicherheit der einem Gewitter bietet, namentlich dann, wenn da» Dach mit einem guten Blitzableiter versehen ist. Zwar har sich die Menschheit lange und standhaft gegen die Segnungen des Blitzablenkers gewehrt, wie sie ge wohnheitsmäßig jeder neuen Erfindung feindlich gegenübersteht, aber heute, nach yundertundfünfzig fahren, glaubt auch der einfältigste Dorfbewohner an den Nutzen des Blitzableiters. Anno 1755 gab es zu Nrendiz bei Znaim in Nähre» einen Bauernaufstand. Die biederen Land aben kamen mit Dreschflegeln und Aexten auf den lcarktploH gelaufen und zerschlugen dort unter großem Geschrei ein hohes Holzgerüst, das eine zum yimmel ragende Eisenstange krönte. Es war die crste Blitzableitungsmaschine, errichtet von dem Pfarrer Prokopius Diwisch in dem einsamen mähri schen Dorfe, und die Bauern machten für die Dürre ces Jahres die pfarrherrliche Vorrichtung verant wortlich. Sechs Jahre vor Franklin hatte jener chlichte Landgeistliche dies Instrument gegen den Wetterschlag aufgerichtet, ehe der große Amerikaner, der allgemein als Erfinder des Blitzableiter» ge priesen wird, U Philadelphia sein Gerät zur Ab wendung der Blitzgefahr an einem Gebäude an brachte. Prokopius Diwtsch würde also der Ruhm dieser Erfindung gebühren, wenn sie nicht in Wahr heit mehrere Jcchrtausende älter wäre, denn im Lande der Pharaonen, an den Ufern de» Nil», wußte man m grauen Altertum« bereits, den Blitz in die Erde zu leiten und ihn so um seine verderblichen Wir kungen zu bringen. Es ist erwiesen, daß di« alten Kulturvölker be reits Wetterstangen zum Schutz argen Gewitterschäden aufgerichtet haben. An der Stirnseite des Tempels von Ed>u verkünden zwei steinerne Tafeln, die mit Hieroglyphen bedeckt sind, der fromme Pilger möge bei Gewittergefahr in diesem Gotteshause Unterkunft Suchen, denn die vier das Gebäude überragenden Flaggenmasten würden den Zorn des Himmels ab wehren. Auch auf den Tempelruinen zu Dendrah gab es eine ähnliche Inschrift, und vor ihr ragten vierzig Meter hohe Holzstangen empor, die in eine Spitze aus liefen und über und über mit Kupfer beschlagen waren. Die Gelehrten haben sogar genau die Jahres, zahl festgestellt, da König Ramses Hl. zu Medinet Abu einige Blitzableiter anbringen ließ, deren Spitzen vergoldet waren. Das war anno 1300 v. Ehr., und die Masten trugen damal» schon goldene Spitzen, was drei Jahrtausende später als besonder« Neuerung ge priesen wurde. Man wird nicht fehlgeben mit der Behauptung, daß die in allen Wissenschaften und Künsten so erfahrenen ägyptischen Priester auch den Blitzableiter erfunden haben. Noch die Priester der Griechen sollen es ja verstanden haben, den Blitz vom Himmel yerabzulocken, und mancher fand dabei den Lod. Auch antike Herrscher zeigten, wie die Mythe berichtet, vor dem versammelten Volke dies Experi ment, um ihre Gottesähnlichkeit zu beweisen. Aber mit der Völkerwanderung, die so manche segens reiche Errungenschaft der Kultur vernichtete, ging auch die Wissenschaft vom Blitzableiter verloren. Diese Zeit der blutigsten Kämpfe erstickte jeglichen Fort- ichritt, finsterer Aberglaube brütete über der Welt, die neue Völker gebar: und wenn uns auch aus dem Mittelalter dunkle Kundschaft erhallen blieb von Versuchen, den Blitz und ferne Gefahren zu bannen, noch bis in die Tage der Reformation hält man an der Ueberzeugung fest, daß da» Rollen de» Donners die Stimme Gottes wäre, und ein Gewitter sein Strafgericht. Noch in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts lehrte der Jesuit Stengel in seiner vier dicke Quart bände umfassenden Schrift „De judiciis dioinis" (von den göttlichen Strafurteilen), daß Donner, Blitz und Stürme mit Gottes Erlaubnis von Dämonen hervor gerufen würden, und in der Regel nur arge Sünder mit Vernichtung träfen. So berichtet Henne am Rhyn und er fügt hinzu: Der protestantische Pfarrer Georg Nuber in Schwaben lehrte in seinen „Con- ciones meteoricae", die im Jabre 1661 in Ulm er- ichienen, daß Gott gewisse Vergehen, wie Unbußfettig- krit und Unglauben, durch Stürme, Ueberschwemmun- aen, Blitz und Hagel bestrafe. Und noch nachdem Franklin bereit» den Blitzableiter erfunden, schrieb Pastor Karl Koken in Hiloesbetm (1756) über „Die Offenbarung Gotte» im Wetter". Daß unter dem Zwange solch einer Auffassung sich lange niemand getraute, der Blitzgefahr zu begegnen, Ist begreiflich, «ine Vorrichtung, den ausbrechenden Blitz aufzu fangen und auf einem bestimmten Wege, ohne Scha den für die Gebäude und Menschen, zur Erde hinab zuleiten, konnte erst wieder geschätzl werden, nachdem das Licht der Aufklärung unter die Menschheit drang. Schon 1708 wurden Physiker beim Knistern elektrisch erregter Körper an die Erscheinung vom Blitz und Donner gemahnt, und ein Forscher namens Reimann beobachtete neun Jahre später in einem ungarischen Städtchen, wie der Blitz an eisernen Drähten zur Erbe fuhr und beim Ueberspringcn von einem Drahr zum andren, die dazwischenliegenden Steine zer schmettert hatte. Reimann kam zu dem Schluß, daß der Blitz eine besondere Vorliebe für das Eisen be sitzen müsse, aber «in gewisser Delor in Paris bewies ihm, daß man auch durch Errichtung hoher und isolier ter Stangen bei einem vorüberziehcnden Gewitter Funken zur Erde locken könne. Ein ähnlicher Ver nich gelang nur einen Monat später im nämlichen Jahre — man schrieb 1752 — Benjamin Franklin. Schon lange vorher hatte Franklin in einem Brief den ersten Gedanken an die Möglichkeit, Blitze abzu lenken, kundgetan, nun ließ der Forscher bet Phila delphia einen Drachen während eines Gewitters in die Luft steigen, und aus der hänfenen Schnur seines Fliegers sprühten Funken. Nun schritt Franklin daran, eine Anleitung zur praktischen Ausführung des Blitzableiters zu geben, und schnell bemächtigten sich seine Landsleute der Wetterstange: hatten sie doch hierzu weit mehr Veranlassung als wir in Europa, da in Nordamerika die Gewitter häufiger und schreck licher sind. In Deutschland war Winkler der erste, der die Errichtung von Blitzableitern anregte: in einer lateinischen Schrift, die 1753 zu Leipzig erschien, machte er einen solchen Vorschlag, und der Pfarrherr Prokopius Diwisch in dem mährischen Dörfchen Prendiz mag seinen Wetterableiter Winklers Schrift verdankt Haven, wenn sich dies auch nicht nachweisen läßt. Jedenfalls ist Prokopius Diwisch in Europa der erste, der mit einem eigens dazu verfertigten Apparat den Blitz in die Erde zu leiten sucht. Wie es dem guten Landpfarrer erging, weiß der Leser bereits, aber mit Dreschflegeln läßt sich kein Fortschritt niederschmettern, und ein guter Gedanke lebt immer wieder von neuem auf, bis er endlich festen Boden gesunden hat. Im Jahre 1762 errichtete Dr. Watson zu Payneshill einen Blitzableiter, 1760 wurde am Jakobsturm zu Hamburg solch Wetterschutz ange bracht, 1776 in Bayern auf dem Landhause des Ge heimen Rates von Osterwald, und 1777 auf der Kathedralkirche zu Siena im Toscanischen. Gar bald kam nun eine Bewegung gegen das zur Abwendung der Blitzgefahr übliche Gewitterläuten in Gang, in dem man Anno 1783 berechnete, daß in dreiund dreißig Jahren vierhundert Kirchtürme durch Wetter schlag beschädigt und hundertundzwanzig Elockenläuter getötet wurden. Man setzte Blitzableiter auf die Türme, und das Unheil schwand. Die ältere Ein richtung der Blitzableiter bestand au» etwa zwei meterlangen auf dem Dachfirste errichteten Auffange stangen mit vergoldeten Spitzen. Einen wohlfeilen Blitzableiter aus Blechstreifen empfahl Nicolai; der wurde zuerst in Lohmen bei Pirna ausgeführt. Saussure schlug einen Wetterleiter aus messingenen Drahtbündeln vor. ia, selbst Strohseile wurden von einem französischen Apotheker namens Lapostolle zur Leitung des Blitzes in die Erde voraeschlagen. Aber diese Idee fand gerechten Widerspruch, da wohl Stroh kaum für einen solchen Zweck geeignet ist. So ist man bis auf den heutigen Tag bet der eisernen Stange geblieben, und wer sie auf dem Dache hat, braucht nicht zu bangen, wenn der Himmel grollt. Ein unterirdisches wknzerdorf. Die Glocken von Pest verkündeten die achte Morgenstunde, als wir jenseits das Ufer in Ofen er reichten. Diese Stadt besitzt noch winkliche Berg gäßchen mit niedrigen Hütten, aber auch idyllisch ge legenen Landhäusern, die, mit reizenden Parkanlagen versehen, einen Stadtteil für sich bisden. Wir haben das Boot verlassen und nehmen nun in dem Frag ment von Mietkutsche Platz, die uns auf dem holprigen Pflaster durch eine der engen Gassen bringt, wo an den meisten Häusern ein Wirtshaus schild hängt, woran zu lesen ist: „Zum roten Ochsen" „Zum grünen Esel", „Zum polnischen Freiwilligen" und so weiter. Ein Muttergottesbild deutet an, daß in diesem Halbschiefen Gebäude eine Hebamme wohnt. Nm Ende der Gasse lehnt in seiner bunt beschnürten Uniform der bärtige Pandur lässig am Schlagbaum, während diesem gegenüber die Finanzier vor ihrer Wachtstube sitzen und nach Zoll lungern. Nachdem ihnen unser Kutscher versichert, daß nichts Steuerbares vorhanden, kann der Wagen ungehindert passieren. Etwa eine Viertelstunde weit von der Stadt entfernt, breitet sich unsern Blicken eine herrliche Landschaft aus. Die Donau teilt sich hier und bildet die große Tsepel-Jnsel, die neun Dörfer und einen Marktflecken auf ihrem Rücken trägt. Rechts neben uns aufsteigend, liegt das Gebirge mit seinen Weinanlagen und Villen. Mitten auf dem Jnsellande lag das Ziel unseres Ausflugs, das Dorf Promontor. Unterwegs auf der kreisförmigen Landstraße begegnen wir einem eleganten Gespann und stoßen sodann auf Bauern wagen sowie auf eine Zigeunerbande, die sich auf der Heimreise befindet und jubelnd an uns vorüber passiert. Endlich haben wir die ersten Häuser des Dorfes mit feinen blumengeschmückten Fenstern er reicht. Hier in dem etwas primitiv aussehenden Gasthofe halten wir Ausspann und lassen uns einen Führer geben, welcher uns nach der Felsenkolonie bringen soll. Ein schmaler Rain führt uns hinter den Wohnsitz der Gutsherrschaft, hinauf zu der Berglehne, wo sie breite Weinterrassen zeigten, die uns bis zu dem in Felsen eingehauenen Tore geleiteten, das den Ein gang zu den Wohnungen der dortigen Winzer bildete. Gleich nach Eintritt in die Hohle begegnen wir einigen Leuten, die im Schweiße ihres Angesicht» an den sonnigen Berghalden für kümmerlichen Lohn schaffen und in entsagender Weise ihr Dasein zu fristen suchen. Unser Begleiter, ein echt ungarischer Bauer, strich sich mit der knöchernen Hand durch die weihen Strähnen, wobei er uns bedeutungsvoll anblickt«. „Ei ja, arme Leute sind's freilich, aber sie be finden sich nach ihrer Art wohl!" Mit diesen Worten führte uns der Alte in die Tiefe, in eine aus mehreren Hütten bestehenden Gasse. Unweit davon auf einer Anlehne lag der Friedhof, der die wenigen Toten barg, die vom Sonnenlicht entfernt, aus diesem Leben schieden. „Unter ihnen befindet sich mein einziger Sohn;" bemerkte der Greis, wobei er auf einen Hügel zeigte, den ein schlichte» Holzkreuz zierte. „Woran ist er denn gestorben?" „Am Ungrtschen!" gab er zur Antwort, und über die faltige Wange floß eine Träne. „Kein Kraut konnte ihm helfen. Nun bin ich mit dem Weibe wieder allein..." Der Alte war ein geborener Deutscher und schon als junger Mensch nach Ungarn gekommen. Hier hatte er sich bald in die madjarischen Sitten und Gebräuche eingelebt und später rin kleines Bauern gehöft übernommen. Janz, so war sein Name, stellte uns den Höhlenbewohnern vor, und als diese er fuhren, daß wir nicht auf Exekution kamen, führten sie uns in eine Wohnung, deren Stetnbau einen fast malerischen Anstrich zeigte. Nur wenig« Möbel standen ringsum, während in der einen Ecke sich der Feuerherd befand, besten Rauch durch eine an der Decke befindlichen Oeffnung seinen Abzug fand. Bald saßen wir, von schwachem Tageslicht ge troffen, beim Weinkrug auf der aus Schwarzdorn ge flochtenen Bank und plaudern mit unserem Gast geber, den Nettesten des Dorfes. Draußen zieht ein Trupp junger Burschen und Mädel vorüber, fröhliche Volksweisen singend. Nach einer Weile folgen wir unserm Wirt, der uns zu einer anderen Gasse führt, in der sich sogar kleine Gehöfte mit Viehbestand vor finden. Es ist Sonntag, wir hören Musik, deren Töne aus dem kleinen Wirtshaus kommen. Bor der Tür desselben unter einem umrankten Bretterdache sitzen mehrere ältere Leute beim Schoppen, während drinnen in einem Saale sich die Jugend nach dem Spiele der Zigcunergeigen lustig im Kreise herumdrehen. Ein solches Treiben würde für den Maler eine in teressante Studie geben. Der Rückweg bringt uns durch die Finsternis dieser Unterwelt, wo uns ein Licht entgegenschimmert, in besten Schein wir einige Personen, umgeben von halbnackten Kindern, erblicken, die eine bunte Staffage vorstellen. Es ist einer jener Promontorer Weinkeller, in welchem man soeben mit dem Abproben eines Stiickfasses beschäftigt ist. Einer der Winzer teilt uns mit, daß in diesem Keller stets ein Vorrat von fünfzigtausend Eimer Wein lagern, der hauptsächlich für den Tisch der ungarischen Magnaten bestimmt sei und für das ganze Dorf den jährlichen Erwerb bilde. Die Sonne neigte sich bereits zum Untergang, als wir uns von unserem Führer verabschiedeten und das Hotel aufsuchten, in dem wir tags vorher logiert hotten. Hier war am Abend die Unterwelt von Promontor das Thema der Unterhaltung. Der Besuch des Winzerdorfes bleibt in Erinnerung. K. Ms -as tzaus auf -em hei-enberg brannte. Skizze von Hubert Kämper. (Nachdruck verbotm.) Heute waren sie alle da, die Bauern und Bäue rinnen aus dem unteren Dorfe und die von den Bergen. Kirmes war, und am Kirmcstage nicht im Tanzsaal sein, wäre eine ebenso große Schande, wie am Oster- oder Pfingsttage nicht im Hochamte zu sein. Selbst der schwarze Christian vom Heidenberg, der sich sonst immer nur allein beurmtrieb, war ge kommen. Der wohnte oben auf dem Hügel allein in seinem Häuschen. Ein Weib hatte er noch nicht, denn die Mädchen scheuten ihn mit seinem struppi gen, schwarzen Haar, seinen dicken Lippen, seinen tiefen, wie Kohlen glühenden Augen. Sie mieden ihn, obschon manches Mädchen ihn mehr begehrte, als er zu denken wagte. Aber sie hatten Furcht, sich mit ihm «inzulassen. Denn der Christian war ein Fremder unter ihnen, ein Rabe unter Tauben, eine wild« Kaktusstaude unter Weizen und Gersten. Was er eigentlich hier im Tanzsaal tun sollte, wußte er nicht recht. Er saß da an einem der immerwährend feuchten Tische, hatte sein Bier vor sich stehen und schaute fast unverwandt nach der kleinen Galerie, die am Ende des Saales fast unter der Decke hing, und wo die Musikanten saßen. Dann und wann warf er schon einen Blick nach links, wo an der Wand auf einem Stuhle die blonde Stina saß. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen, die Arm« gekreuzt und schaute mit grollenden Minen in den Kreis der Tanzenden. Auch pe war heute eine Verschmäht«. Sie war gekommen, um mit dem Franz, dem Dauersohne vom Lindberg, zu tanzen; aber der hatte heute kein Auge für sie. Die Margret aus dem unteren Dorfe war aus der Stadt gekommen. Und wie war sie wiedergekommen, man kannte sie kaum wieder! Jbr Gesicht war schmal und weiß geworden, und Loch blühend und frisch wre ein Heckenröschen. Sie trug eine blaue Seidenblufe mit einem Spitzeineinsatz, der die Haut bis auf d e Brust durchschimmern ließ, und Lackschuhe hatte sie an mit einer silbernen Schnalle darauf, und straffe Strümpfe von einem überaus dünnen Gewebe. Der Franz wich nicht von ihrer Sette, fest hielt er sie im Arme und fuhr mit ihr durch das Getümmel. Wie eine fortgeworfene Feldblume saß die arme Stina in der Ecke an der Wand. Auch dre andern Burschen kamen nicht, mit ihr zu tanzen; sie wußten, daß sie zum Franz gehörte, und die der eine verschmäht, nimmt der andere nicht. Plötzlich sprang die blonde Stina auf und lief auf den schwarzen Christian zu. „Wollen wir nicht tanzen?" Erschrocken fuhr Christian auf, als das schönste Mädchen ihn zum Tanze begehrte. Aber er schlang dann schnell seinen Arm um ihre Hüfte und wirbelte mit ihr in den Haufen der Tanzenden. Sie machten eigentlich das schönste Paar, der schwarze Christian und die blonde Stina, aber sie kamen sich selbst vor wie zwei Motten, die aus dem Dunklen gekrochen. Es litt sie nicht länger in dem Tanzsaale, und das Mädchen sagte: „Wollen wir nicht hinausgehen?" So gingen sie hinaus, nachdem das Mädchen noch einen trotzenden Blick aus den Franz geworfen. Unter den Apfelbäumen schlang di« Stina ihren Arm um den Hals des Burschen, küßte seine dicken Lippen und sagte mit lachenden Augen: „Komm morgen abend in den Steinbruch!" Dann lief sie davon. Am anlderen Tage ging dem Christian die Sonne zu langsam. Er arbeitete so hastig, als ob das Jahr zwischen Ernte und Ernte nur aus einem Tage be stände, dann stand er wieder still und wußte nicht, was er tun sollte, und so träumte er und sang. Alles fand er heiter und wollte alles froh mach.'n. Er band die Kuh los und trieb sie auf die Wiese, die Ziege holte er aus dem Stall und ließ sie grasen, den Hühnern öffnete er das Gatter und ließ sie in das Feld, selbst den Zeisig holte er mit seinem Käfig aus der Stube und hing ihn an den Birnbaum. Jedes sollte sich freuen. Als der Abend da war, ließ er di« Ii«re noch draußen, für ihn gab es nur «in», d«n Weg zum Steinbruch. Und dort fanid ,r die Stina. «nfan-s tat sie noch scheu und fremd, dann wurde st« zutraulicher und zuletzt ganz voller Leidenschaft. Sie schlang ihre Arme um den Hals des Burschen, .zog den schwarzen Kopf hinunter und küßte ihn. Die Lust war warm, und die braune Felswand strömte in dunklen Strah len die ganze Sonn« aus, die sie den Tag über ein gesaugt, der Duft der jungen Tannen zog von der anderen Seite in den Kessel. „Ich wußte nicht, daß du so schön und gut bist," sagte das Mädchen. Da faßte der Christian Mut: „Wirst du mein bleiben?" „Ja" antwortete sie. Und dann malten sie sich aus, wie sie seine Frau würde und mit ihm oben in seinem Häuschen wohnen würde, da» o schön, so warm und so bequem war. Sie dachten beide nicht an die Nacht, nicht daß die Stunden vergingen, bis durch den Windbruch schon ein fahler Strahl stieg. Da erschraken sie und brachen auf, aber plötzlich blieben sic stehen, über d«r Felswand stand noch ein gelbes Licht und zitterte mit tausend Armen durch die graue Luft. „Da brennt's!" Sie stiegen zur Höhe. „Das ist ja auf dem Hcidenberg." „Mein Haus!" schrie der Bursch und eilte davon. Und als er auf dem Heidenbcrge stand, sah er nur noch einen Kaufen kohlender Sparren und gesprun gener Ziegel. Die Kuh lag im Grase, die Ziege meckerte in den Morgenwind und der Zeisia GH Birnbaum ließ seine leichten Töne durch das TM*» ziehen. In der Zeit einer einzigen Stunde war alles dahin, was so viele Jahre in Arbeit und Nöten und wieder auch mit unendlicher Freude geschaffen war. Der Bursch konnte es nicht glauben, daß sein Häus chen nicht mehr da sein sollte, seine Augen suchten umher, aber da war kein Haus, und dann stierten sie wieder auf den viereckigen schwarzen Fleck da am Boden, wo das Haus gewesen. Die beiden Nach barn, die einzigen Bewohner des Heidenberges, wußten auch nichts Rechtes. Erst früh am Morgen sei es ausgebrochen. Am Abend und in ter Nacht hätten sie nichts bemerkt. Als aber der Tag ganz auf dem Berge stand, kam der Gendarm und führte den schwarzen Christian ab. Jetzt erst fiel es dem Christian ein, daß das Häuschen versichert sei, und er mit dem Geld« «in weit schöneres hätte bauen können — vielleicht mit der blonden Stina. Er hätt's selber angesteckt in der Nacht, sagte ihm der Bürgermeister, wozu er die Tiere rausgelasfen? — Und wozu er sich fort gemacht? — Der Bursch wußte keine Antwort zu geben, und so sperrte man ihn ein. Aber er saß da voller Zuversicht. Es wird schon eine kommen und sagen, wie es gewesen und ihn wieder frei machen. Da saß er und sah, wie der schmale viereckige Licht schein an der Wand weiterkroch, doch sie kam nicht. Am Morgen hatte das Mädchen den Franz ge troffen, der die schlanke Margret zur Station ge bracht. „Wo bist gestern gewesen?" hatte er sie gefragt, um wieder anzubändeln. Und da hatte sie sich wieder des struppigen, schwar zen Christian geschämt und sagte so leicht hin: „Zu Haus bin ich gewesen, in meiner Kammer." „Weißt nicht, daß der schwarze Christian sein Haus angesteckt hat?" „Sein Haus angestcckt?" Das Mädchen er schrak. „Aber das ist doch unmöglich!" „Wieso unmöglich? sagte der Franz. Da wurde sie verwirrt und lachte: „Ach ich meinte nur so." Am Abend brachte man den schwarzen Christian in die Stadt. Die blonde Stina stand auf ihrer Wiese mit der Sichel in der Hand, sie sah dort unten den Gendarmen mit seiner Büchse auf der Schulter und neben ihm durch den Staub dahinschreitend den armen Christian. Kinder liefen johlend hinterher. Der Stina trat der Schweiß auf die Stirn. Eine furchtbare Angst befiel sic. Sie wollte hinunter laufen, den Burschen von dem Gendarme» befreien, aber dann tat sie es doch nicht. Feig schaute sie zur Seite, während er ernst und stumm, im unverdienten Galgenstrick, den Gendarm zur Seite, langsam in der Ferne verschwand. Ihr krampfte sich das Herz zusammen in Angst und Qual, müde schlich sie einher und traurig in der fol genden Zeit, bis der Tag kam, der si« wieder wach rief! Die Sonne war kaum über den flachen Hügel ge kommen, und doch sengten ihre Strahlen schon das Gras und das Laub. Drückend heiß war die Luft. Ueber die Landstraße unter den breiten Bäumen hin zogen die Wallfahrer, matt hallte ihr Gesang in den Baumkronen wieder. Es war der Bittgang, der jedes Jahr fünf Tage nach der Kirmes auszog, und wer eine besondere Schuld zu tilgen hatte, zog hinter den Kreuzen und den Fahnen mit dem Bildnisse der Gottesmutter betend und singend daher. Abseits auf dem schmalen Weg«, der durch die Felder führte, bald voller Staub, bald voller spitzen Steinen, schritt die blonde Stina allein. Durch ihre Hand glitt der Rosenkranz, aber tmmre wieder ruhten ihre Finger und ruhten ihre Lippen. Unaufhörlich kreisten ihre Gedanken um den einen Punkt, wie sie cs wohl an zustellen hätte, den Christian von seinem Richter los- zubitten. Wie Stiche mit glühenden Schwertern chossen die Sonnenstrahlen auf sic nieder. So ging ie zwei Wege, einen Weg zu Gott, ihre Schuld zu ühneu, und einen Weg zum weltlichen Richter, den lnschuldigen zu befreien. So ging sie in Frömmig keit und Einfalt. Der Schweig rann ihr an allen Gliedern hinunter, Stiche zerrissen ihr das Gehirn, aber tapfer schritt sie weiter, sie freut« sich ihres Bußganges, und der Richter mußte sie doch hören, wenn sie in so schwerer Buße daherkam. Aber das Blau am Himmel schwand, wie Nacht zog es am Himmel heran der Gesang der Wallfahrer drang nicht mehr in ihre Ohren, nur noch ein Rauschen wie vom Wasser am Mühlenwchr. Nun schien ihr di« Gegend still zu stehen, sie wußte nicht, ob sie voran kam, oder zurückging. Da tauchte plötzlich ein schwar ze» Gebüsch auf, das rasend zu ihr hinflog, dann sah ne nichts mehr; die Sonnenstrahlen hatten sie nieder geworfen. So fand sie der arme Christian, al» er eine Stunde später von der Stadt aus mit dem Gen darmen und dem Gerichts!.-sercndar zur Vernehmung zur Brandstelle geführt wurde. Si« lah da an dem Busche, wo der Feldweg in die Landstraße biegt. Und der arme Christian hob sie aus, er fühlt«, wie ihr noch da« Herz ging, und trug sie weiter bi» zur schenke an der Landstraße. Einmal schlug sie die Augen auf, und da flüsterte er ihr zu: „Brauchst nicht zu kommen, ich ertrag'» auch ohne dem Opfer." Sie aber hörte ihn nicht mehr.
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