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Geistlichkeit und Gastlichkeit in Wien/wm m m v^r Wien ist iminer eine Stadt der Gemütlichkeit und des Frohsinns gewesen. Das schöne alte Wiener Lied „Es wild ein Wein sein, und wir wer'» nimmer sein . . wird wohl noch lange und ost von verschiedenen Gene rationen gesungen werde». Der einem guten Trapsen seit jeher nicht abgeneigte Wiener ist dem römisstpen Kaiser Probus, dessen Andenken — wie nur wenige wissen — in dem Namen einer Strasse im weltberühmten Grinzing aus diesem Grunde fortlebt, noch immer dank bar, das; er die Rebe seiner südlichen Heimat in die Um gebung Vindabonas verpflanzen lies;. Im Lebenslied der Menschheit stellt der Wein die fröhliche -^egleitnote. In allen gesellschaftlichen Beziehungen der Evdenbewoh- ner, gleichbleibend im Strom der Jahrhunderte, spielt er seine Nolle. Unzählbar sind die Verwandlungen und Masken, in denen der Geist der edle» Reben sein Wesen treibt. Auch zur katholischen Kirche hat er seine Bezie hungen. Nicht nur im heiligen Rituale der römischen Kirche, nein, auf einem viel weltlicheren Gebiet. Auf dem Gebiet des Weinbaues und der Weinkeller, von denen es besonders in Oesterreich eine ganze Reihe von bemerkenswerten gibt, die in geistlichem Besitz sind. Wo kann man den Wein besser trinken, als in seinem Auf bewahrungsort, dem Keller? „Im tiefen Keller filz' ich hier bei einem Fas; voll Reben . . ." Und wo kann man einen besseren Wein kredenzt bekommen als gerade in einem Keller, der einem Kloster gehört? Denn man weis;: die Mönche waren von jeher gute Sachverständige, die ihren Wein stets nach allen Regeln der Kunst behandelten! In der Wiener Nenngasse ist in einem schönen und vornehmen Barockhaus, dem Stiftshof der Chorherren von Klosterneuburg, der Klosterneuburger Keller nntergebrncht, steingewordenes Zeugnis fröhlicher Stun den. Das Stift Klosterneuburg, das im zwölften Jahr hundert vom Babenberger Markgrafen Leopold dem Hei ligen an der Donau gegründet wurde, betreibt seit vielen Jahrhunderten "Weinbau auf den Hängen des Kahlenberg, im Weidlingtal und in der unmittelbaren Umgebung von Klosterneuburg. Aber auch in Ungarn bauen die Kloster neuburger Chorherren Wein, lind zwar in Sur, wo von den österreichischen Donanusern kommende stieben eigen händig von dem kürzlich verstorbenen Wiener Kardinal Piffl gepflanzt wurden. Der Wein gedeiht unter dem Einfluß der warmen und kräftigen Sonnenstrahlen aus gezeichnet und hat ein sehr seines Vouguet. Unter den Klosterkellern Wiens gehört der von Klosterneuburg zu den beliebtesten. An Samstagen und an Sonntagen wird er oft von tausenden Personen besucht. Bis zu vierzig Hektoluer Wein wurden schon an einem Tag ausge schenkt! In de» Melker 2 t i s t s k e l l e r e i e n , die sich in einem uralten Gebäude in der inneren Wiener Stutzt llesinden, kann man den Wein bei Musikbegleitung durch die Kehle rinnen lassen. Ein Heurigenguartett und ein Sänger sorgen für die gewünschte Stimmung: atte Wiener Lieder, sentimental und weinend, richtig gemixt mit modernen Schlagern. Ost singen die Gäste mit und dann steigt die Lustigkeit guirlend empor. — Auf einer dicken Säule, die das schwere Gewölbe des Kellers in der Mitte trägt siebt man ein altes Wuppen mit -der Jahreszahl U>R> und die Buchstaben N. L. A. M. Es ist tzas Wappen und die Initialen des Abtes von Melk. Auch bei den „Melkern" wild ein ..ausländischer" Wein ansge »henkt, welcher österreichischen Ursprungs ist. Furmint heisst dieser edle Herr. Es sind Gumpoldskirchner Trau- plauderei am Mochenende von Marabu. „Rost; sind acht Tage bis Pfingsten ", sagte ich ge rührt zu Kilian, „aber schon steht alles bereit, um dieses Fest würdig zu begehen: Die Kastanien Huben ihre Kerzen anfgesteckt. der Nottzorn blüht, Flieder und Nhododendron entfalten ihre ganze Pracht. Auch der letzte Baum und Strauch hat nun reichlich Blätterschmuck angelegt. Be kränzt mit frischem Grün steht die Natur bereit, den Schöpsergeist zu grüßen." „Wenn dli noch einen sollten Brummschädel von der Himmelfahrtspartic hättest wie ich", murrte Kilian, „dann windest du weniger schwärmen. Aber wenn du schon die Frühlingspracht katalogisierst, dann vergiß bitte den reiclp liehen Staub nicht, der uns in diesen Tagen serviert wird. Und die Fliegen nicht, und . . ." „Die Fliegen gehören auch mit dazu", protestierte ich. „Weisst du nicht, daß ein großer Dichter wie Goethe die Fliegen als die „wahren Musageten", die tüchtigsten Wegbereiter der Poesie gepriesen hat?" Uird ich zitierte: „Endlich ist es Sommer worden, Und beim ersten Morgenschimmer Reizt mich aus dem holden Schlummer Die geschäftig frühe Fliege . .. Und den leidigen Insekten Dans, ich manche holde Stunde. den, die auf den ausgedehnten Besitzungen des Melker Stiftes in Siebenbürgen veredelt werden. Einen ganz anderen Clzarakter als die schon ge nannten hat der Eöttweiger Keller in der Spiegelgasse in Wien. Schon ans dem Grunde, iveil er eigentlich kein richtiger Keller ist. Die Weinfreunde brauchen hier keine Stiege hinunterzngehen. Es werden die Weine der Bene- diktinermönche vom Stift Göttwcig in der Wachau zum Ausschank gebracht. Das Götlwciger Kloster wurde 1072 durch Bischof Allmann von Passau an der Stelle einer alten römischen Warle gestiftet und erfreute sich durch alle Jahrhunderte infolge der großen Gelehrsamkeit seiner frommen Bewohner wie seiner wirtschaftlichen Bedeutung wegen des höchsten Ansehens. Die Gastfreundlichkeit dieser geistlichen Wirte geht jo weit, das; ihr Pächter sogar seine bekanntesten Stammgäste in lebensgroßen Porträts von Künstlerhänden an die Wände des Lokales malen ließ. Große Bekanntheit geniesst auch der Schottenkcller, welcher zu dein weitläufige» Gebäudekomplex des Sckot- tenstistes und der Schottenkirche an der Frepung im Zen trum der Stadt gehört. Wie das bei vielen Gaststätten der Fall ist, hat auch der Schottenkeller seine allerorts be kannte „specialite de la maison". In keinem Keller Gelangweilt saß man sich !m Personenzuge gegenüber. Eine stundenlange Neste im Personcuzuge ermüdet unsäglich. Die junge Dame, mit dein energisch geschnittenen Gesicht, die in einer Fcnsterecke lehnte, gähnte von Zeit zu Zeit und schaute sehnsüchtig durchs Fenster hinaus, ob das Reiseziel nicht bald in die "Nähe riiäle. Noch sieben Stationen, dann war es endlich soweit. Die Mitreisenden kamen und gingen. Aus der letzten Sta tion war ein junger Herr eingestiegen, der den anderen Fenster platz einnahm und durch das Monokel mit ziemlich dreisten Blicken die Mitfühlenden betrachtete. Ein spöttisches Lächeln lag aus dem blasierten Gesicht. Er schlug die Beine über einander, tleniinle das Einglas noch fester ein, wippte mit den Fügen, das; die seidenen Strümpfe sichtbar wurden. Die weiße Hose, die nach modernstein Schnitt gearbeitet war. schien erst vom Schneider gekommen zu sein, die Bügelfalte stach aufdring lich den Mitreisenden in die Augen. Sein Gegenüber schien ihn gar nicht zu beachten Die sunge Dame schaute zum Fenster hinaus und hatte keinen Blick für das elegante Beinkleid. Auch Monokel und Seidenstrumpf schienen nicht zu imponieren. Sie tramte in dem Handtäschchen. zog endlich ein Fläschchen hervor, das mit einer dunkelroten Flüssig keit angesüllt war, setzte die Flcstck-e an die Lippen und traut. Der Herr mit der weißen Hose verielgte jede Bewegung der Dame und kräuselte spöttisch die Lippen. „Aus der Flasche", murmelte er. Aber auch diese "Worte berührten sein Gegenüber nicht. Im Gegenteil, die junge Dame setzte das Fläschchen nochmals an die Lippen. Da — eine Kurve — der "Wagen schüttelte heslig — die rote Flüssigkeit schwappte über, und zwei große Tropsen zeigten sich aus der schönen, weigen Hose. „Unerhört! — — Das ist die Höhe! — — Solch eine Schmutzerei! — "Wenn Sie nicht wiisen, wie Sie sich zu be nehme» haben, sahren Sie gesälligst im eigenen Auto! — "Was ist das?" „Rotwein, mein Herr, ich bitte um Entschuldigung." Seid wir dach, ihr Unbequemen, Bvn dein Dichter hoch gepriesen Als die wahren Musageten!" „Vielleicht weisst du auch eine klassische Stelle zum Lobpreise der Wanzen zn zitieren", bemerkte Kilian kracken. „Ich habe keine Musageten nötig, weder geslü- gelte noch »»geflügelte. lind die Grillen, diese miserable Gesellschaft, könnten auch etwas anderes tun, als hier einen solchen Lärm zu vollfiihren." „In tzer Tat, die Grillen meinten es gut. Sie zirpten mit solcljer Inbrunst, das; die Wiese, auf der ivir saßen, ganz non dieser Melodie beherrscht war. „Was singen die,Grillen eigentlich?", fragte ich interessiert. Kilian deutete mit dem Finger gegen die Stirn: „Bei dir schlts wohl hier oben", fragte er. „Ist) habe Kopf schmerzen. daß ich in die Luft gehen möchte, diese Grillen brut ärgert mich mit ihrem all»ernen Gezirpe und du frägst mich auch noch, was das zu bedeuten hat. Wenn du nichts Besseres weisst, um mich zu unterhalten, dann halte lieber die Schnauze." Da ich Kilians goldenes Gemüt kenne, war ich über diese kernige Ausdrucksweise nicht iveiter beleidigt. Viel mehr zog ich mein Skizzenbuch hervor, legte es ihm vor die Nase und sagte: „Hier, such dir doch etwas aus!" Kilian schlug aufs Gerndewohl auf und las: Wiens werden zu den köstlichen Klosterweinen so viel ge bratene Gänse mit Behagen verzehrt als gerade dort. Indes gibt dafür, gaß gerade die Geistlichkeit bei aller Gastlichkeit seit jeher kein Freund llberreichlist)en Genusses des edlen Rebensaftes ist, eine in den alten Wiener Chroniken verzeichnete Anekdote beredtes Zeugnis. Zur Zeit der Pest- und Türkengefahr wurde besam ders viel Wein in Wien getrunken. Das behagte dein streitbaren Priester und Kanzelredner Abraham a Santo Clara nicht. Also trat er eines Tages in eine Schenke und sprach zu den ebenso aufmerksam wie vergnügt aufhor chenden Gästen: „Mir scheint, das; ihr auseinander los schlagen wollt, das ist aber nicht notwendig, denn es hat ohnehin schon jeder von euch einen Hieb sitzen. Es kommt mir vor, das; ihr die Weine nicht kennt, weil ihr nicht wißt, wie ihr euch mit ihnen zu verhalten habt. „Nuß dorfer" zu trinken ist schon erlaubt, wenn es aber davon zum Nußausteilen kommt, so ist's zuviel: „Brunner zu trinken mit guten Freunden ist nicht unlöblich, wenn aber der Kopf zu einem Krug wird, der zum Brunnen geht, bis er bricht, ist's zuviel: „Maurer" trinken ist Kott nicht zu wider, aberwenn einer vor lauter Maurer an die Mauer fällt, so ist's zuviel: „Petersdorfer" zu trinken ist nicht gegen das Gebot, wenn aber einem der Petersdorfer K' hinter das Ohr schlägt wie St. Peter dem Malchus, dann ist's zuviel!" „Denken Sie, daß von einer Entschuldigung die Flecke an der neuen, weigen Hose verschwinden'?" „Ich gebe Ihnen weine Adresse, mein Herr", erwiderte die energische junge Dame ruhig, „schicken Sie mir das Beinkleid zu, oder noch einsacher, lassen Sie es reinigen, ich werde die Rechnung bezahlen." „Reinigen, reinigen! Notweinslecke gehen aus dem Stoss nicht heraus. — Ich denke nicht daran, wie ein Dreckfink herum zulaufen. Sie werden mir die weiße Hose ersetzen." Die Mitreisenden waren aufmertsam geworden, besonders ein älterer Herr horchte gespannt hinüber. „Es ist gut, mein Herr. "Wenn Sie aus meinen Vorschlag nicht eingehen, werde ich Ihnen das Beinkleid ersetzen." „Ich mache Ernst—, die Hose ist verdorben, außerdem ", er holte eine elegante Brieftasche hervor, „ich habe zufällig die Rechnung des Schneiders bei mir. — Da, wie Sie selber sehen, kostet sie 46 Franken." „Die Rechnung ist noch nicht quittiert, mein Herr. Soll ich das Geld direkt an die angegebene Adresse senden?" — „'Was geht Sie mein Schneider an! Die Hose hat 46 Franken gekostet, durch Ihre Schuld ist sic verdorben worden Sie haben mir also die 46 Franken zu ersetzen." Ein Griss in die Handtasche, die junge Dam« hielt dem Herrn 46 Franken hin. „Bitte sehr." Er nahm sie wortlos. Als er das Geld in seine Börse gesteckt halte, sagte die junge Dame ruhig: „So, mein Herr, di« Hose ist nun mein Eigentum, bitte, geben Sie sie mir" „Sie sind wohl verrückt!" — .Bitte geben Sie miic die Hose", wiederholte die junge Dame energisch Da mengt« sich der ältere Herr ins Gespräch. „Gestalten Sie, meine Herrschasten, Rechtsanwalt Herr mann. — Die Dame hat recht, durch Kans ist die weiße Hose in ihr Eigentum iibergegangen. Sie, mein Herr, haben ihr daher die Hose auspihändigen. Sie machen sich sonst strafbar." In demselben Augenblick hielt der Zug. Der junge Herr griss nach seinem Stöckchen, legte die 46 Franken aus die Bank und verließ mit hochrotem Kops das Abteil. „Ein Genießer in Wadenstrümpfen. Wie die Pilze nach dem Regen, sc> sind in den letzten Tagen die Speiseeis-Bnden nnd Geschäfte überall ans dem Baden gewachsen. Das Zeng, das sie verkaufen, ist zwar vielfach unter aller Kritik, aber tratzdem finden sie ofsen- bar eine dankbare Kundschaft. Es scheint ihnen allen recht gut zu schmecken. Am besten aber hat es sicher dem kleinen Jungen geschmeckt, mit dem zusammen ich neulich aus aer Straßenbahn gefahren bin. Dieser junge Alaun, vielleicht zehn Jahre alt, war sehr beschäftigt. In der einen Hand hielt er ein großes Paket, in der andern eine Wasseltüte mit Speise-Eis sKaslcnpunkt l> Ps.j. Es irxrr gar nicht sa einfach, mit dieser doppelten Last auf die Plattform l;eraus zu kom men. Oben deponierte er zunächst das Paket in eine sichere Ecke und dann l^egann er sich dem Spx'ise-Eis zu widmen. So etwas von anständigem Genießen lpabe ich lange nicht mehr gesehen. Er steckte die Zunge so «veil heraus als möglich und tupfte zunächst mit der Spitze gegen den Eisblumen, der auf der Wasseltiite saß. Dann führte er ganz langsam das Eis über die ganze Zunge hinweg. Im mer wieder, so daß der Eisklumpen allmählich zu einer auf allen Seiten glatten Kugel zusammenichmolz. Ain Altmarkt hatte er mit dieser Prozedur angcfangen, als ich am Fürstenplal; ausstieg, war er nach nicht fertig damit Sein Gesicht drückte dabei ein Blaß von Zufriedenheit aus, das in Worten schlecherdings nicht wiederzngeben ist. Gestehe ich cs nur: Ich bin wie buttergelb geworden vor Neid. Auch noch einmal etwas so ganz genießen können, wie der Junge da das elende Wassereis genoß, noch ein mal von den erlebcnsiverten Dingen dieses Daseins so ganz gepackt, so mit tiefer Zufriedenheit erfüllt »»erden. von Magda Trott Das Leldgeschrei der Grillen i