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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.06.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140616023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914061602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914061602
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-16
-
Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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veue 2. Nr. 30l. Nvenü»Nusgabe. Leipziger Tageblatt. Dienstag, lö. Juni 19l^. vir grirchifih^türkiftheSpannung Der türkisch-griechische Streit bat sich wieder be denklich zugespitzt, da sich die Stimmung in Kon stantinopel deutlich gewandelt hat. War zuerst Net. gung zum Einlenkcn vorhanden, so .scheint die schroffe Rede von Venizelos und die Annexion von Mytilene und Chios das türkische Selbstbewußtsekn ttark ocrl.'ht und die Lust zur Nachgiebigkeit ver scheucht zu haben. Die französische Negierung hat deshalb auch Griechenland geraten, nicht allzu herausfordernd auszutretcn, ein gewiß begrüßens wertes Vorgehen, zumal da der türkische Minister Talaat Bei sich anscheinend die größte Mühe gibt, den Griechennersolhungen Einhalt zu tun. Diese haben den vorliegenden Nachrichten nach tatsächlich einen sehr ernsten Charakter angenommen und es muß zu starken Ausbrüchen der Bolkslcidcnschast ge kommen sein. Wir verzeichnen folgende Meldungen: Die Bersolgimgen in «icinasicn. Athen. 16. Juni. (Agence d Athenes.) Auf einem von zwei Engländern gecharterten Schiff ist ein Ver treter des französischen Generalkonsu lats in Smnrna, namens Belhommc, in Myti- lenc angctomiucn. Diese drei hatten vor dein alten Plwkäa eia Scgelschiif voll von Flüchtlingen ge troffen, die sie gebeten halten, die Christen in Phokäa vor der Nicderineßclung durch die Türken zu retten. In Phokäa fanden sie eine Anzahl Häuser in Brand gesteckt und Tote und Verwundete. Man berichtete ihnen von fünfzig Toten. Eie nahmen sechs hundert Flüchtlinge, darunter fünfzehn Verwundete, an Bord und brachten sic noch Mytilene, wo auch der englische und der amerikanische Vizekonsul von Smnrna ankamen, um von den Ereignissen Kenntnis zu nehmen, und die Kirchen und Schulen, die voll von Ilüchtlingen sind, und die Verwundeten im Hospital zu besuchen. Von anderer Seite erhält die ..Wiener Allgem. Zeitung" aus Athen folgende Meldung^ Die griechische Negierung har an ihre Gesandten ein Telegramm «>n -lue geschickt, ja dem sie Mit teilung davon macht, daß bei Kap Karaburun zwei türkische Torpedoboote Position faßten und verhinderten, daß die dort angesammelten griechischen Flüchtlinge ihre Flucht nach Mytilene fortselzen. Die Torpedoboote blieben so lange in Stellung, bis die herbeigeeilten Türken ein Mas saker unter den auf Karaburun befindlichen Flüchtlingen vollendet hatten. Erst darauf entfern ten sich die Torpedoboote. Man hält i u A thcn nach diesem Vorgehen den Krieg zwi schen Griechenland und der Türkei für unvermeidlich. Es werden auch alle Versiche rungen, die Talaat Bei abgibt, als vollständig unbegründet bezeichnet. Saloniki, 16. Juni. Gestern sind hier aus Phokäa und Kleinasien 3860 griechische Flüchtlinge angekommen. Sie erzählten, daß am Freitag abend Nä über banden die Stadt über fielen und, unterstützt durch Gendarmen, mit Plünderung, Brand und Mord wüteten. Viele der Angckommcncn waren durch Schüsse und Bajonett stiche verwundet. In der letzten Woche sind aus Thrazien und Kleinasien zusammen 11 .'»60 Griechen geflüchtet. Konstantinopel, lö. Juni. Nach einem Telegramm Talaat Bcis aus Aidi n an den Großwesir, hat dieser sich aus der Station Mcncmcn bemüht, etwa zweitausend Griechen, die nach Smyrna fliehen wollten, von diesem Plane abzubringen. In S m yrna traf der Minüter mit dem Wali und dem Militärkommandanten Maßnahmen zur endgültigen Wiederherstellung der Ordnung. Morgen wird sich Talaat Bel nach Phokäa begeben, wo schon ein Teil der dortigen Griechen ausgcwandert ist. Türkische Anklagen gegen Griechenland. Der Eindruck der Nede Venizelos in Konstantinopel. Konstantinopel, 16. Juni. Eine offiziöse Auslassung des „Jeune Turc" wendvt sich in schar fer Form gegen Venizelos, dessen N.de als Herausforderung bezeichnet wird, die in auf fallendem Gegensatz zu der von aufrichtigem Frie denswillen diktierten Haltung der türkischen Regie rung stände. Die letztere sei nach wie vor ernst be müht, die von Griechen bewohnten Teile der Türket zu beruhigen. Venizelos' Worte verfolgten augenscheinlich den Zweck, die öffentliche Meinung Europas Uber die griechischen Greueltaten in Mazedonien hinwegzutäuschen. Seine Rede könne aber ebensowenig wie die Annexionserklärung irgend etwas ändern und für die türkisch Regierung irgendwelche bindende Wirkung haben. Die Pforte vertraue, daß die Mächte die provokatorische Haltung Griechenlands nicht billigen würden. Berlin, 18. Juni. lPrioatmeldung.) Die Pforte hat die türkischen Botschafter bei den europäischen Kabinetten beauftragt, gegen dl« von Griechenland proklamierte Annexion der Inseln Chios und Mytilen- schärfsten Protest einzu legen, mit dem Hinzusügcn, daß die Türkei die Annexion der Inseln niemals anzuerkennen in der Lage sei. — Nach einer Londoner News meldung haben die bulgarischen Besatzungen an der türkischen Grenze wesentliche Verstärkun - gen erfahren, mehrere Grenzübcrgängc erhielten starke Besatzungen. Weitere Einverleibungen von Inseln. Atben, 16. Juni. Der Zeitung „Embros" zufolge wird die Einverleibung der weiteren tür kischen Inseln lImbros und Tenedos) im Aegäischen Meer am bevorstehenden Ge burtstag des Köicigs proklamiert werden. Das Dekret ans ihre Einverleibung sei bereits im Ministerrat unterzeichnet worden. Infolge der Ab lehnung der früheren griechischen Vorschläge durch die Türkei halte pch Griechenland an seine angebotene Verpflichtung, die Inseln Chios und Mntilene nicht zu befestigen, nicht mehr gebunden. Ein Druck Franiveichs uns (Griechenland. Paris, 16. Inni. Einer offiziösen Mitteilung zu folge, hat das Ministerium des Acußcrn den Ge sandten ui Athen beauftragt, der griechischen Negie rung Mäßigung anzuraten. Gleichzeitig wurde der Botschafter Bompard in Konstanrinopel ange wiesen, die türkische Regierung zu bitten, daß sic die griechische Note beantworten möge. politische Uebechcht io. verban-stag gewerblicher Genossen schaften im Königreich Sachsen. In Gegenwart von Vertretern der städtischen und töuiglichcn Behörden, der Gewerbekammer, Gciverbebauk nslv. wurde ain Montag in Plauen voin Vorsitzenden des Verbandsausschusses Ober meister Klemm der 10. ordentliche Verbauds- lag der sämsischen geiverblichen (Genossenschaften m«t der ühuehen Begrüßungsansprache eröffnet. Für die Stadt Plauen sprach Bürgermeister Vetters, der den Wert der Selbsthilfe nach drücklich betonte, für die Amtshauptmauuschast und zugleich im Auftrage des Ministeriums 'Assessor Dr. Zschucke. Aus diesen Ansprachen sowohl als auch aus dem vom Verbandsdirektor Obermeister Knappe erstatteten ausführlichen Geschäftsbericht des Vorstandes ging hervor, daß auch das vergangene Jahr dem gewerblichen lKenosseuschastswesen Sachsens weitere sehr be achtliche Fortschritte gebracht hat. Direktor Knappe erwähnte n. a, daß die Staatsregierung wieder 2 Millionen Mark zn Dartehuszweckeu zur Verfügung gestellt hat. Damit sei aber das Kreditbedürfnis des gewerblichen Mittelstandes noch nicht befriedigt. Wenn die Sparkassen den Geuoslenschafteu nnr l Prozent ihrer Re servefonds znführen wollten, würden 17 bis 20 Millionen Mark Zusammenkommen, Zum Schlüsse wurde die Notwendigkeit einer würdigen Ver tretung des Geuossenscüaitsweseus zur nächst jährigen Ausstellung in Dresden her- vorgehobeu. In der Aussprache gab man dem Wunsche Ausdruck, daß auch aus den Gütern des R e i ch S v e r s i ch c r u n g s a m tc s den Berussgeuosseuschasten Mittel Angeführt werden möchten, damit diese den Kreisen, aus denen sie herrühreu, wieder zufließen könnten. Obermeister Rasch-Leipzig wünschte, daß mehr Liefe. rungSgenossenschaften gegründet werden sollen, und daß bei Vergebung größerer Arbeiten die Aufträge dem Handwerk direkt zuaeführt würden. Soweit sich der Vorstand nicht schon mit diesen Anregungen beschäftigt hat, will er ihnen sein Augenmerk zuwcnden. Verbandsdirektor KorthauS - Berlin hielt nunmehr einen sehr beachtlichen, mit großem Beifall aufgenommeneu Vortrag über das Thema: „Welche Wirkung hat das Genossen schaftswesen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Handwerks und Kleingewerbes", in dem er sich zunächst gegen die Unterstellung wandte, daß durch das Kreditwesen der gewerblichen Ge nossenschaften den Banken Konkurrenz bereitet würde, und dann vor allem den ungeheuren Wert der Barzahlung im Handwerk nach drücklichst betonte. Im Borgsystcm erblickt er den größten Schaden, und besser als jede Buchfüh rung sei die Durchführung der Barzahlung. — Ein weiterer Vortrag beschäftigte sich mit „ge nossenschaftlichen Ste ucrfragen" und forderte die Gleichstellung der Genossen schaften in der Veranlagung zur Staatseiukom- meusteucr mit den Gesellschaften m. b. H. — Dem Bericht des VerbandsauSschusscs über Ge schäftsführung und Iahresrechnung, in dem dank bar sestgeskellt wurde, daß die Staatsregierung ihre Beihilfe von <>000 auf 6500 Mark erhöht hat, folgte daun ein längeres Referat über die Ergebnisse der Revisoren und daran anschließend die Entlastung des Ausschusses und Gesamt vorstandes, sowie die Beschlußfassung über den Haushaltsplan 1014. Dankbar gedachte man da bei noch der StadtLeipzi g, wo der Verband im Vorjahre getagt und weitgehende llnter- stühnng seitens der Stadt und der Gewerbc- tammer gefunden hat. — Das ausschcidcnde Verbandsansschußmitglicd Friscurobermeister Klemm-Leipzig wurde durch Zuruf wieder gewählt, und Dresden (der Ausstellung we gen) als Orl für den nächstjährigen Verbands tag bestimmt. Für 1917 ist Ehemnip vor gemerkt. Die in Verbindung mit der Tagung des Landesverbandes gewerblicher Ge nossenschaften im Königreich Sachsen hier abgchaltcuc 9. ordentliche Generalver sammlung der Zentr alias se fand am Montag nachmittag nach gemeinsamem Mittags mahl der Abgeordneten im Großen Saale der Zentralhalle in Plauen statt. Aus dem vom Vor stand erstatteten ausführlichen Geschäftsbericht über das Jahr 191'1 ist hervorzuhebcn, daß der Kasse am Ende des Jahres insgesamt 20 Kredit genossenschaften, 18 Rohstoffgenossenschaften, 9 Betriebsgenossensrhafteu und 2 Magazingenos- senschafteil augeschlosscn waren. Das verflossene Geschäftsjahr brachte der Zentralkasse eine be deutende Steigerung des Geschäftsverkehrs. Der Umsatz auf einer Seite des Hauptbuchs stieg von 9 824 460 auf 14 887 607 Mark. Es wurde ein Reingewinn von 11 317,77 Mark erzielt, der auf Vorschlag des Aufsichtsrates folgendermaßen Verwendung finden soll: 1132 Mark werden dem Reservefonds, 1132 Mark dem Betriebsfonds zugeteilt; 6220 Mart werden als Dividende von 4 Prozent auf 30500 Mark divideuden- berechtigte Geschäftsanteile gewährt, weiter 4500 Mark dem Dispositionsfonds zugeführt, 1300 Mark dem Vorstand vergütet und 26:43,7 Mark auf neue Rechnung vorgetragen. Die Versamm lung erklärte sich damit einverstanden und wühlte nach längerer Ausspraclie über die Frage „Ge nossenschaft oder Filiale?" die ausscheidenden Aufsichtsratsmitglicder Otto Z schock;- Plauen und Gustav Klemm-Leipzig wieder, an Stelle des verstorbenen Obermeisters Uhle- mauu-Ehemnitz aber den Obermeister Direktor Kurt Krüger dort. Besonderer Dank wurde vor allem der Kgl. Staatsregierung ausge sprochen, die der Zentralkasse e. G. m. b. H. für 1913 weitere 50000 Mark als Betriebsmittel zur Verfügung stellte. Dem engeren Vorstand, der seinen Sitz in Dresden hat, gehören die Herren E. I. Knappe, Franz Schmidt und Kurt Mortig an. Vie „Nekruten -er Sozial-emokratie*. Die Sozialdemokratie regt kick, fortgesetzt mächtig darüber auf, daß die Polizeibehörden auf ihre Jugendorganisationen mehr und mehr ein wachsames Auge haben. In Stuttgart ist, wie erinnerlich, die Auflösung der dortigen sozialdemokratischen Iugendbewe. ^ung verfügt worden, weil die Behörde die Organisation als politischen Verein an- gesehen hat. Darob erhob sich mächtiges Gc- schrei in der sozialdemokratischen Presse, die so- gar den Mut hatte, den parteipotitischeu Eha- raktcr der sozialdemokratischen Iugendvereinc zu bestreiten. Demgegenüber ist es von Interesse, auf die Begründung zu verweisen, die die Kreisregierung des Neckartreises ihrer Entschei dung, die sich auf den tz 2 des Reichsvcrcins- gesctzes und die Ziffer 2 der entsprechenden Voll zugsverfügung des württembergischen Ministc- riuins des Innern sticht, bcigegeben hat: gibt sie doch einen außerordentlich lehrreichen Ein- .blick in die Vercinsarbeit dieser Organisationen. Da wird ausgeführt: „Wie die gemachten Wahrnehmungen er geben habeö, beschränkt sich die Tätigkeit des Vereins Freie Jugendorganisation Stuttgart nicht auf die Pflege der in den Satzungen als Vereinszweck angegebenen Aufgaben, die geistige und körperliche Entwicklung seiner Mitglieder zu fördern, vielmehr geht aus den Kundgebungen des Vereins in Presse und Ver sammlungen wie auch aus der Veranstaltung von Gedächtnisfeiern für August Bebel und voll Märzfeiern hervor, daß die Tätigkeit des Vereins v o r wieg e n d p o- litischc Zwecke umfaßt. Dies zeigt sich schon in den vom Verein in den letzten Jahren ver anstalteten Vorträgen, die u. a. über Internationale Arbeiterbewegung, die Revolu tion von 1848, die Erhebung des Pariser Pro letariats 1871, über Lassalle und Bebel in den Versammlungen der Bezirksvercine ge halten wurden und bei denen nach dein Gegen stand der behandelten Fragen und mit Rück sicht auf die Persönlichkeiten von Lassalle und Bebel eine politische Tendenz ohne wei teres angenommen werden muß. Neuerdings hat der Verein in sein Programm über die Vereinsveranstaltungen die von der sozial demokratischen Partei in Stuttgart am 1. Mai dieses Jahres gelMtenc Versammlung zur Maifeier in der Liederhallc ausgenommen. Da für, daß diese Veranstaltung nicht als eine solche im Sinne des 8 17 des VG. zn geselligen Zwecken eines Poltischen Vereins anzuschen ist, sondern daß bei ihr die Absicht der Veran stalter eine politische Kundgebung zu be werkstelligen im Vordergrund steht, neben der die musikalischen und änderen Darbietungen als untergeordnet zurücktretcn, geben die Ver öffentlichungen der Partei zur Äaifeier in die sem Jahr und in den Vorjahren, sowie die Aeußerungen der Redner bei diesen Veran staltungen unzweideutige Belege. Wie in diesem Fall tritt die politische Betätigung des Ver eins aber auch bei der von dem Bezirksverein Wangen am 3. Mai dieses Jahres veranstalte ten Versammlung zur Maifeier zutage, auf der der Redner des Vereins seine Ausführungen mit der Aufforderung an die An wesenden schloß, soweit sie nicht schon Mit glieder der sozialdemokratischen Par tei seien, ihren Beitritt heute noch zu vollziehen. Einen Beweis für die politische Betätigung des Vereins bilden ferner die Vor gänge aus dem Jugendtag der Freien Jugend- organisatlvn in Eßlingen am 6. Juli 1913, an dem sich auch die Freie Jugendorganisation Stuttgart beteiligte und auf dem der Ver sammlungsredner, der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Hildenbrand, die Mit glieder als die Rekruten der Sozial- dcmokratie ansprach, sie ermahnte, die Ar beit der älteren Genossen dereinst fortzusetzen und zu vollenden, sie über die sozialistischen Ziele belehrte, ihnen die heutigen politischen Zustände als Widersinnig bezeichnete und als Zweck der Vereinigung die Aufklärung der Ju gend über die Triebkräfte des politischen Le- Vas 8Iüek ckei» anckrrrn. 34j Roman von Fritz Stüber-Gunther. ii)> l'.UI bx kUvUUoin » Co. O m. d. ll. „Lehr merkwürdig!" sagte er kühl. „Desto merkwürdiger, weil ich aus dem eigene« Munde des Herrn Vorstandes weiß, wie wenig hoch achtungsvoll er über die Erfolge des Realschul- unterrichtcs denkt. Gcometriscl^s Zeichnen und sphärische Trigonometrie, hat er nämlich zu mir bemerkt, sind ;ür einen RechnuugSbcamteu über flüssig, aber die abgekürzte Mullivlitatiou sollte er wohl sicher genug beherrschen, daß ihm kein krasser Dezimalpunttsehler passiert. Und dabei hat er mir eine Tabellcnsumme gezeigt, in der tatsächlich Hundertstel stall Tausendstel ausge- wieseu waren und die — nicht böse sein, mein Teuerster — Ihr „Fecit" getragen hat." Nun war natürlich au Herrn Kalkulator Stättcr die Reihe, entrüstet und gekränkt zn sein. Und wenn er sich auch mit spöttischer Miene stellte, als glaubte er die Erzählung Kräckers nickt, so saß dock der Stachel lief. So tief, daß er die Unterhaltung abbrach und sich verbissen seinen Akten- und Recknnngsstücken widmete. Seinem humanistisch gebildeten Kol legen blieb unter dielen Umständen nichts übrig, als dieselbe Beschäftigung zu ergreifen. Zumal der dritte Maun im Zimmer, Revisor Anton Gottsmann, jede Emmilckung mit stummer Ent schiedenheit ablehute. Und io batte des Herrn Miuisterialsekrclärs Baumbera zweifelhafte Me thode doch einmal auch ihr Gutes. Möglicherweise wäre der Herr Revisor nicht so rulug geblieben, wenn er gewußt hätte, wie abfällig erst heute früh seine dienstlichen Qna- litaten und seine außeramtliche Liebhaberei, be sonders aber sein Streben, dem Amte den Rücken zu kehren, vom Vorstände kritisiert morden waren, und zwar dem Kalkulator Haus Rock gegenüber, als dieser um die Erlaubnis gc- beten hatte, gleich wieder zu seiner Familie i^imgchen zu dürfen. Hans Rock war zu sehr von häuslichen Sorgen eingenommen gewesen, um seinen älteren Freund mit jener Energie zu verteidige», die er sonst wohl ausgeweudct hätte. Martha, seine Frau, seit gestern schon unwohl, lag fiebernd zu Bett. „Sie wül's nicht zugeben, daß sic ernstlich krank ist," hatte Rock im Weggehen zu Gotts mann gesagt. „Daß ich einen Arzt rufe, davon mag sie nichts hören. Frauencigensinn!" „Ich ho;fe und wünsche aufrichtig, daß Sic mir morgen schon die völlige Wicdergcucsuug be richten können," hatte Gottümann herzlich er widert . . . Jetzt aber mußte er selbst ins Vorstands zimmer, um für eine umfangreiche und wichtige Berechnung die Approbation Baumbcrgs eiu- zuholeu. Der Herr Minißerialsekretür nahm das dick leibige Aktenstück mit der ungemein freundlichen Bemerkung in Empfang, er werde es später durchseheu, zweifle aber ohnehin nicht im ge ringsten an seiner Richtigkeit und Genauigkeit: „Hätte der Staat nur lauter so verläßliche Diener wie Sie, Herr Revisor! Aber leider, die jullgeu Herren Beamten von heute sind sich ihrer Pflichten viel zu wenig bewußt, empfin den als Last, was ihnen Freude machen sollte, und habep während der Wntsstuudcu keine an dere Sehnsucht, als daß doch die Amtsstuudcn schon bald wieder aus wären. Ja, ja . . . . Schauen Sic sich zum Beispiel diesen Kalkulator Rock au —" „Herr Rock war doch, denke ich, immer ein eifriger Beamter," entgegnete Gottsmaun. „War cs, kann sein. Ist es aber nicht mehr, seitdem er diese verwünschte kaufmännische Nebenbeschäftigung hat, die — begreiflicherweise — einen großen Teil seiner Arbeitskraft und Arbeitslust dem Staate entzieht. Wenn'S nach mir ginge, müßte so etwas den Beamten über haupt verboten sein." „Kalkulator Rock hat seine freien Nachmit tage gewiß nickt leichten Herzens verkauft, Herr Ministerialsekretär. Aber die Not zwang Ihn dazu. Er wollte doch den Seinen eine würdige Existenz bieten —" „Not! Würdige Existenz! Au» dem Munde eines so klugen, praktischen Mannes, wie Sie sind, Herr Revisor, nehmen mich diese abge droschenen und innerlich hohlen Schlagworte wunder. Wer sich nicht nach der Decke streckt, dem bleiben die Füße unbedeckt, sagt ein wahrer Spruch. Und kurz und gut, Hauptsache ist stets die Amtspflicht." „Ich kann mir kaum vorstellen, daß sie Herr Rock vernachlässigt." „Es ist aber doch ganz unbestreitbar so. Er wird nachlässiger. Unlängst erst hab' ich den Beweis dafür schwarz auf weis; gehabt, eine Arbeit, in der es von Fehlern wimmelte. Mir scheint, ich habe den Akt hier noch liegen, war ten Sie einmal . . ." Der Herr Ministerialsekretär sing unter den Schriftstücken, die seinen Schreibtisch bedeckten, zu kramen au. Mit Kopfschüttcln wartete der Herr Revisor den Erfolg des Suchens ab, aber siehe, es wollte sich keiner cinstcllen. „Nein, ich kann cö augenblicklich nicht fin den," sagte der Mnisterialsckrctär ohne über großes Bedauern. Und er schob den ganzen Stoß wieder bei seite. Dabei glitten etliche Papiere zu Boden. Höflich bückte sich Gottsmann nach ihnen — da stutzte er und stieß unwillkürlich einen Ruf der Ucberraschung aus: „Das was ist das?" Baumberg warf erbleichend einen raschen Blick auf den großen, glatten, einfach gefalteten Bogen, den der Revisor zwischen den Fingern hielt: „Geben Sie her, bitte!" Allein Anton Gottsmann gab nicht her, was ihm der Zufall in die Hand gespielt hatte, denn es lvar — sein eigenes Pensionsgcsuch, das er sofort nach seiner Rückkehr vom Urlaube dem neuen Amtsvorstande überreicht und das dieser, wie sich nun herausstclltc, anstatt es ans Präsidium wciterzubefördcrn, bis heute un berührt liegen lassen hacrc. Wie ein ertappter Sünder, sich duckend und windend und drehend, stand nun der Vorgesetzte vor seinem Untergebenen. „Ich werde Ihnen sagen — ich will Ihnen erklären —fing er zu stottern an. Und sich mit Gewalt aufraffend, fuhr er fort: „Jede» Tag wollt' ich damit ins Ministerium hinauf, und jeden Tag ist mir etwas anderes in die Quere gekommen, wirklich. Aber morgen in aller Früh — ich verspreche es Ihnen, Herr Revi sor " „Ich danke Ihnen bestens, Herr Ministerial- sekretär!" sagte jedoch Anton Gottsmaun voll Zorn. „Aber nun muß ich aus Ihre gütige Vermittlung verzichten. Sie werden es begreif lich finden, und auch das hohe Ministerium wird es verstehen, daß ich nun diese Ange legenheit auf eigene Faust besorge. Ich melde Ihnen, Herr Ministerialsekretär, daß ich jetzt sofort zum Herrn Personalrefcrenten gehe!" Und schön war er, sein Gesuch in der Brust tasche bergend, zur Tür draußen. Vergebens suchte ihn Baumbcrg zurückzu halten. Aechzcud sank er in seinen Lehnstuhl. Die Bloßstellung, die er soeben erfahren hatte, drückte ihn wenig. Aber der furchtbare Gedanke wühlte und nagte in ihm, daß nun doch vielleicht das Ende seiner schon endlos langen bureaukratischeu Lausbahn gekommen sei, daß das hohe Ministerium, wenn es nun schon einmal, von jenem Dickschädel angegangen, ein PensionSdekret ausfcrtigte, wohl zugleich auch ein zweites unterzeichnen werde: das des Herrn Mtuisterialsckretärs und Abtcilungsvorstandes Baum berg. In seiner behaglich erwärmten und hell erleuchteten abendlichen Wohnstube lvar der Re visor Anton Gottsmaun emsig beschäftigt, ein Jnveutarium seiner Bücherei auszunehmen und die Bücher zn sortieren nach solchen, die ihn bet seiner bevorstehenden Ueberstedcluna in die Mozartstadt begleiten sollten, und solchen, die er znrückließ. Heute war ja die beste Gelegenheit, mit dieser ersten Ucbcrsiedluugsarbeit zu beginnen, denn heute lvar wohl die unwiderrufliche Ent scheidung gefallen. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.),
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