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Sette 2. Nr. 297. Sonntsgs-Nusgsde.Leipziger Tageblatt. hinzugefügt, daß die Zahl der Griechen in Aivalt etwa 30 000 betrage und daß sie bewaffnet feien. Genaue Nachrichten aus Aivali und Edremid liegen nicht vor. Zn Edremid sind drei Bataillone türki scher Truppen ringetroffen. In den dortigen Ge wässern soll ein griechisches Torpedoboot aufgetaucht sein. Die griechischen Schadenanspriiche. Athen, 13. Juni. Die griechische Regierung hat als Entschädigung für die Verluste der helle nischen Staatsangehörigen in Trikupis 10 000 und für die in Parissis 1000 Pfund verlangt. Gegenüber der türkischen Behauptung, daß nur tausend Griechen aus eigenem Antriebe, gegen den Willen der türki schen Behörden, ausgewandert seien, stellt die „Agrnce d'Mhenes" fest, daß sich 20 000 Griechen aus Kleinasien bereits auf Chios und Mytilcnc be fänden und 50 000 andere an der kleinasiatischen Küste auf eine Gelegenheit warteten, um den Ver folgungen der türkischen Behörden zu entgehen. Uebergriffe griechischer Einwohner. Konstantinopel, 13. Juni. Der „Tanin" meldet aus Smyrna: Die griechischen Einwohner des Dorfes Kara-Burun haben die Zoll Wächter und Gendarmen angegriffen, die nach dem Ausfuhrverbot den Transport einer Hammelherde nach der Insel Chios verhindern wollten. Ein Zoll beamter und zwei Gendarmen wurden getötet, zwei verwundet. Sieben Beamte werden noch ver- mißt. Ein in der Nähe kreuzendes griechisches Torpedoboot setzte Boote aus, die das Vieh und die Angreifer nach Chios brachten. Ein türkisches Kanonenboot wird nach Kara-Burun abgehen. Ankunft türkischer Kanonenboote. Konstantinopel, 13. Juni. Die sechs in Frank reich gekauften türkischen Kanonenboote sind in den Dardanellen eingetroffen. Vie Zcieüensverhanölungen in Niagara Zolls. Die Friedensunterhändler in Niagara Falls haben sich im Laufe der letzten Tage über den Friedens plan geeinigt. Danach soll in Mexiko, wie schon zu Beginn der Unterhandlungen angedeutet wurde, eine neue provisorische Negierung errichtet werden, nachdem Huerta zurückgetreten ist. Bei der Wahl seines provisorischen Nachfolgers soll der Paragraph der mexikanischen Verfassung, der im Falle des Rücktritts des Präsidenten die Nachfolge dem jeweiligen Minister des Aeußeren überträgt, außer Kraft gesetzt werden. Der Nach folger wird an einem noch zu bestimmenden Datum von den Vereinigten Staaten anerkannt und von ihnen bei der Ausübung seiner staatlichen Funktionen unterstützt werden. Er wird zurücktreten, sobald ein verfaßungsgemäß gewählter Präsident bereit ist, sein Amt anzutretcn. Des Generals Huerta wird in dem Vertrag mit keinem Worte Erwähnung getan. Ebensowenig ist davon die Nede, welcher Partei in Mexiko der pro visorische Präsident angehören soll, doch wird schwei gend angenommen, daß der provisorische Präsident vGN den Konstitutionellen (Rebellen) gestellt werden wird. Wenn diesen Beschlüssen der Njgag,ta- tMnserenz ein praktischer Wert beizumessen'ist, so hatte die Negierung der Vereinigten Staaten das erste Ziel ihrer Mexiko-Politik, nämlich die Aus- Ichaltung Huertas, erreicht. Solange jedoch weder Carranza noch Huerta sich zur Verwirklichung dieser Beschlüsse verpflichtet haben, hat das Protokoll nur illusorischen 'Wert. Huerta hat sich allerdings, wie jüngst wiederholt gemeldet, zur Abdankung bereit erklärt, sobald Mexiko pazisizrert sein werde, doch liegt dies — und nicht nur nach der Ansicht Huertas selbst — noch in weiter Ferne. Die amen- konische Presse gibt sich den Anschein, die Konferenz- beschlüsse ernst zu nehmen. Auch Präsident Wilson selbst ist optimistisch gestimmt. Wir verzeichnen folgende Meldungen: Tic Festlegung des Frtcdcnsplimes. Niagara Falls, 13. Juni. Tic FriedeiiSver- mittler und Delegiertcn ver Brrcinigtcu Staaten und Mcxitos Naben veu Borcntwmf des Frie de nsplan es gemäß der gestern erzielten Ver ständigung zu Papier g bracht. Die Ansicht de» Rebellengenerals Billa. Der „Köln. Ztg." wird aus Juarez gemeldet: Villa befindet sich jetzt in Torreon, um von da weiter nach Süden zu gehen. Er sagte in einer Unterredung, er werde niemals einen Waffenstill stand eingehcn. Auf die Frage, wie er jetzt mit Carranza siehe, antwortete er: „Ich verweigere Näheres: ich habe meine eigene Arbeit zu tun." Er gibt zu, das; die Meldungen (von revolutionärer bezw. amerikanischer Seite), Huerta habe sein Geld aus der Hauptstadt weggeschick!. um dann selbst ins Ausland zu gehen, nicht den Tatsachen entsprächen. Im Gegenteil sei Huertas Macht noch recht groß. Auch habe er viel Munition, wodurch die Eroberung der Hauptstadt eine harte Arbeit für die Rebellen zu werden verspreche. politische Ueberlicht Nochmals: Reichsregierung, Reichstag unü Railerhoch. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt in ihrem Rückblick: „Als wir vor drei Wochen hier die Hoffnung aussprachen, daß die bürgerlicl-cn Parteien das Erforderliche tun werden, um dem Kaiser im Reichstage die ihm gebührende Achtung zu sichern, sprach mau in einigen Blättern von Kompetenzüberschreitung und offiziösen Keck heiten. Auch in linksliberalen Kreisen wird seit dem die Erkenntnis gewachsen sein, daß man im Lande allgemeine Maßnahmen der bürgerlichen Parteien erwartet. Man wünscht, den Kaiser nicht einer Wiederholung der sozialdemokrati schen Demonstrationen ausgesetzt zu sehen, und inan ist bis wett nach rechts hin der Mei nung, daß es zunächst Sache des Reichs- tag es sein wird, Achtungsvcrletzungen gegen das überhaupt des Reiches '.in Hause des Reichs tages emen Riegel vorzus ch.ieben. In diesem Sinne hat sich u. a. eine parlamentarische Zuschrift geäußert, die letzthin in der „Post" veröffentlicht wurde. — Mit sehr entschiedenen Worten wendet sich auch die „Nationallibe- rale Korrcspondcnz" gegen die verhetzende, demoralisierende Tätigkeit der Sozial demokratie." Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" zi tiert daraus einen längeren Passus und fährt dann fort: „Man weiß jetzt aus der sozialdemokrati schen Presse, daß für die Sitz demonstra tio» nur eine knappe Majorität der sozial demokratischen Fraktion gestimmt hat. Wenn alle Gegner dieser Kundgebung der der Irak- tionssitzung zugegen gewesen wären, so wären sie sogar in der Mehrheit geweseü. Das sind aber Interna des sozialdemokratischen Frak- tions- und Parteigctriebes. Für die Oeifent- lichkeit und die wertere Behandlung der Sache kommt nur in Betracht, daß die Linke in der sozialdemokratischen Fraktion ihren Willen gegen die Opportunitäts gründe der Rechten durchgesetzt hat. Die Versagung der Achtung vor der Person des Kai sers und d!ie damit verbundene Verletzung der Würde des Reichstages selbst ist als beschlossene Fraktionskundgebung zum Ausdruck gekommen. Damit haben die bürgerlichen Parteien und die Negierung zu rechnen." Um zu zeigen, daß es sich bei dem Beschluß der Sozialdemokraten um eine von langer Hand vorbereitete Aktion handelt, bringt die „Norddeutsche Allg. Ztg." einen Auszug aus den „Grcnzbotcn", die in ihrer letz ten Nummer aus dem Protokoll des letzten so zialdemokratischen Parteitages den Beweis dafür erbringen. Dllgung -rs Hairsavunöes in Köln. - - ? Hly Sonnabcph fand in der Wcrkbund-Aus- stellüng zu Kölli die Iahreshauptsitzung des Gesamtausschusses des Hansabundes statt. Der Präsident des Hansabundes Geheimrat Dr. Rießer, gab in seiner Eröffnungsansprache eine» Rückblick auf die fünfjährige Tätigkeit des Bundes und erklärte, wenn auch der Hansa- bund für die Erhaltung der jetzigen Schutzzoll politik eintretc, müsse er doch den von mehreren Seiten geforderten lückenlosen Zolltarif sowie jede Erhöhung der bestehen den Agrarzölle ablehnen. In das Direktorium wurden neu gewählt: Chefredakteur Falkcnberg vom Vor stand des Bundes der Festbesoldeten in Berlin- Friedenau, Oberinaenieur Kischka-Baildonhütte bei Kattowitz, Wilhelm Reinhardt-Leip, zig, Kommerzienrat Seiler-Nürnberg, Hofrat Sigismund-Berlin und Dr. Spitzer-Barmen. Nachdem Fabrikbesitzer Detter-Breslau den Be. rickit der Finanzkommission erstattet hatte, sprach der Geschäftsführer des Hansabundes, Re gierungsassessor Dr. Kleefeld-Berlin über die Arbeit des Hansabundes im Jahre 1913, der jetzt über 60 Landes- und Bezirksgruppen, 56ö Ortsvereine, 1679 Vertrauensmänner und 1870 korporativ angeschlossene Vereinigungen zählt. Den Hauptpunkt der Verhandlungen bil dete eine Anzahl von Referaten über den lücken losen Zolltarif und seine Folgen für Industrie, Handel und Gewerbe, an die sich' ein Vortrag des Professors Dr. H ö ni ge r-Freiburg über die H y p v t h c kc n n o t schloß. Henry «cha- per-Hamburg sprach über die Wohnungs fürsorge für Privatangestellte. Deutsche» Reich. * Feiedrich-Auguft-Talsperre. Nachdem der Bau der Talsperre bei Kling en berg, der bisher größten im Sachienlande, beendet ist, hat der König auf das Gesuch der Weißerttztalsperren-Denossenschaft als Unternehmerin genehmigt, daß dieses hochbedeut- lame Kulturwerk den Namen König-Friedrich- August-Talsperre tragen darf. * Sächsischer Hansatag am 20. und 21. Juni. Zu den Veranstaltungen liegen aus allen Teilen Sachsens zahlreiche Anmeldungen vor. Das Hauptinteresse wird die am 21. Juni, mittags 12 Uhr im mittleren Kongreßsaal der Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik stattfindende öffentliche Versammlung beanspruchen, in der der Präsident des Hansabundes, Geheimrat Professor Dr. Ni en er, den Hauptvortrag übernommen hat. In der öffent lichen Versammlung werden außerdem die oifiziellen Begrüßungsansprachen seitens der behördlichen Ver treter gehalten werden. Im Anschluß an die Ver- fammlung findet im Hauptrestaurant eine gemein schaftliche Mittagstafel statt. Dem geselligen Teile ist ein Begrüßungsabend am Sonnabend, 20. Juni, ebenfalls im Hauptrestaurant der Ausstellung ge widmet, während für die Vorstandsmitglieder des Landesverbandes am Sonnabend, nachmittags 4 Uhr, eine wichtige Sitzung anberaumt ist, in der der Landesverband Sachsen nach einem Referat des Syndikus Ereiert Stellung zu der Frage des Tabaktrustes nehmen wird. Die Mitglieder des Vorstandes und Ausschusses der Ortsgruppe Leipzig des Hansabundes vereinigen sich am Sonntag, vormittags 10 Uhr, zu einer gemeinsamen ge schäftlichen Sitzung, in der unter anderem Herr Landtagsabgeordneter Nitzschke - Leutzsch einen Vortrag hält über „Die Arbeiten und Ausgaben des sächsischen Landtages". Zu den Veranstaltungen Haven Damen Zutritt. Alle Auskünfte erteilt die Eeichäftsstelle des Hansabundes, Leipzig, Schreber- gäßchen 3, I. * * Der Bundesrat wird noch in diesem Monat vor Antritt der Ferien zu dem Reichstagsbeschluß in Sachen der Dampfersuboention für Australien Stellung nehmen. Es verlautet. Laß die Regierung sich entschlossen hat, die Verträge mit dem Nord deutschen Lloyd zu verlängern, wenn auch in teil weise veränderler Form. Die Zustimmung des Lloyd soll bereits erfolgt sein. * Besuche beim Reichskanzler. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Der sächsische Kultusminister - . Dr. Beck machte am Sonnabend vormittag dem Reichskanzler einen Besuch Später empfing der Reichskanzler den Staatssekretär in Eljaß- Lothringen Grafen v. Rödern. * Der Erzbischof von Köln ist am Sonnabend nachmittag in Berlin eingetroffen, wo er vom Kaiser empfangen werden soll. * Churchill kommt doch nach Kiel. Vor einiger Zeit war gemeldet worden, der englische Marine minister Churchill werde bei der Kieler Woche der East Ballins auf dessen Jacht sein. Diese Mit teilung wurde dann von Herrn Churchill für un richtig erklärt. Nun geben aber die Kieler Zeitungen den amtlichen Liegeplan für die Kriegsschiffe der Kieler Woche im Kieler Hafen bekannt, und da wird minimier. DaraM kann-mcrn ^vielleicht schließen, daß sich an Bord oer englischen Jacht Churchill befinden wird. Demnach würde dann der englische Marineminister mit dem Kaiser und dem Groß admiral Tirpitz seine Besprechungen haben, wie jetzt Erzherzog Franz Ferdinand mit Herrn von Tirpitz seine Besprechungen gehabt hat. * Der nationalliberale Delegiertentag wird in Köln nicht, wie in Aussicht genommen war, am 27. September, sondern voraussichtlich erst eine Woche später zusammentreten. * Den Wehrbeitraas-Rekord wird nach den neuesten Feststellungen die „Millionärsgemeinde" Grüne wald bei Berlin halten. Der Wehrbeitrag stellt sich hier für 6400 Seelen auf 6,4 Millionen Mark. Bei dieser Einwohnerzahl sind die Dienstboten, Kinder usw. mitgezählt. Rechnet man diese von der Einwohnerzahl ab, so bleiben etwa 1000 wehrbei tragspflichtige Personen übrig, sodaß auf ei ne Person durchschnittlich 6400 Marr Wehrbeitrag ent fallen. Ausland. Zraokreich * Trauerfall in der Familie Caillaux. Caillaux ist von einem schweren Verlust betroffen worden. Am Freitag früh ist in Paris seine 6 chwester, die Gattin des Majors d'Huningue, in ihrem Palais in der Avenue de L'Alfa gestorben. In erster Ehe war sie mit dem General Carl Vaoin vermählt, von dem sie einen Sohn hinterläßt. Caillaux wohnte trotz dieses Trauerfalls der Sitzung in der Kammer bei und stimmte mit seiner Partei gegen das Kabinett Ribot. Sonntag, 14. Juni 1914. ! * Die valkanfinanzkommisfioa. Am nächsten Man- tag wird die Balkanfinanzkommisston in Paris eine Sitzung abhalten, um über dieWieder - aufnahme ihrer Arbeiten zu beraten. NaUea. * Anarchie in der Gegend von Ravenna. Au, Ravenna wird gemeldet: Die Stadt ist anscheinend ruhig. In einigen Provtnzorten hält die anarchistische Bewegung an. Kirchen unv städ tische Gebäude wurden in Brand gesteckt, Brücken, Telegraphen- und Eisenbahnlinien zerstört; die Plünderung von Dörfern und die Beschlagnahme von Privateigentum dauert an. In den kleinen Gemein den Ceroia, Santa Agata und Tonselice hat man örtliche Negierungskomitees gebildet, Fahnen mit den Abzeichen der Arbeit anstatt der Landesfarben gehißt und Freiheitsbäume gepflanzt. Auch in dvr Provinz Forli hat die Bewegung anarchistischen Charakter: Kirchen wurden gestürmt, städtische Bauten - und Kasernen angegriffen und Privateigentum sowie Eisenbahnlinien be schädigt. Englanr. * Zurückweisung deutscher Einwanderer. Aus London wird gemeldet: Die englische Einwan derungsbehörde hat am Freitag drei junge deutsche Kaufleute zurückgewiesen, weil sie sich nicht vor ihrer Ankunft in England Stellung gesichert hatten. Der Vorsitzende der Einwanderungsbehörde sagte, es seien zwar in telligente, junge Leute, und gegen sie selbst läge nichts vor, aber der Andrang zu Buchhalterposten und geringeren Stellungen in kaufmännischen Be trieben in England sei so groß, daß man nicht auch noch ausländische Konkurrenten ermutigen dürfe. Dazu äußert sich der Sekretär der Nationalen Vereinigung der Handelsangestellten, daß die Ver einigung nichts gegen die deutschen Angestellten einzuwendcn habe, wenn diese nicht durch Zuschüße instand gesetzt würden, die Engländer zu unter- bietun. Dies sei aber häufig bei den jungen Leuten der Fall, deren Eltern sie nach England schickten. In der hiesigen Zentralauskunftsstelle für Ausländer wird dazu bemerkt, daß, falls die Mel dung in der vorliegenden Form richtig ist, unzweifel haft eine deutliche Gesetzesverletzung vor liege; denn nach dem Einwanderungsgesetz vom Jahre 1905 können Ausländer nur wegen geisti ger und körperlicher Krankheiten zurück- gowiesen werden. Gesunde Personen muffen im Be sitze von 5 Pfund gleich 100 sein, und für Fami lienangehörige einen solchen von zwei Pfund gleich 40 .E ausweisen. Außerdem werden bestimmte Kate- i gorien von bestraften Verbrechern nicht in das Land Hineingelaffen, wodurch aber das politische und religiöse Äsylrecht nicht berührt werden soll. * Das englisch-russische Flottenabkommen. Aus London wird gemeldet: Die „Westm in st er Gazette" schreibt: Wir finden mit Bedauern im „Manchester-Guardian" di« Unterstellung, daß Sir Edward Grey beabsichtigt habe, in der klaren, präzisen Antwort, die er am Donnerstag im Unter hause über das angebliche englisch-russische Flotten abkommen abgegeben hat, sich einen Ausweg offen zu halten. Es wäre höchst bedauerlich, wenn dieser Gedanke in der Preffe des Auslandes Ver breitung fände. Wer sowohl Frage als Antwort an sieht, wird sehen, daß kein Raum für solchen Verdacht vorhanden ist. Es besteht kein Flottenab kommen und es bestehen keine Verhandlungen für ein Flottenabkommen zwischen England und Ruß land. Höfliche Rücksichten sowohl auf eine aus wärtige Macht als auch auf das Unterhaus er heischten, daß die offene Negierung von einer Er klärung unserer konstitutionellen Praxis begleitet wurde. Aber wer Sir Edward Greys Charakter und Methode kennt, kann keinen Augenblick dem Ge danken Raum geben, daß jene Erklärung die Wahr heit verhüllen sollte. Rumänien. * Der russische Besuch. Prinz Carol von Rumänien ist am Sonnabend vormittag aus Berlin in Constanza eingetroffen. Der russische Minister des Aeußern Ssasonow ist am Freitag in Ungeni angekommen, wo er übernachtete. Am Sonnabend vormittag besichtigte der Minister die Stadt Jassi und fuhr sodann mit Sonderzug nach Constanza weiter, wo er Sonnabend abend 10 Uhr eintraf. Professor Ser Theologie Rietsihel ch. >,Nennt man die besten Namen, so wird auch der meine gencrnnl", so durste Georg Rietsck)el schon seit Jahren mit Hemrick Heine sagen. Nicht etwa allein um des ererbten Namens willen, sondern weil er auch selbst in bestem Anselmen und hoher Verehrung bei vielen Tausenden stand. Seit nunmehr acht vollen Jahrzehnten gehört der Name Rietschcl zu den prominentesten in der deutschen Geisteswelt, denn 1831 kam Ernst Rietschcl, der große Bildhauer, der geniale Schüler Rauchs, als Professor der Bildhauerei an die Dresdner .nunst akadern ie und niachte sofort dem Ruse, der ihm dahin voranging, wo man ihn von seinen ersten Studien jahren als bildender Künstler her schon über elf Jcchre lang als hoffnungsvollsten Kunstjünger kannte, volle Ehre und erwarb sich innerhalb dreißig Jahren ständig größeren, wohlverdienten Ruhm. Georg Rietschcl, der ältere von den beiden Söhnen aus Ernst RietschelS Ehe mit Marie Hand, war ein würdiger Sohn des Schöpfers vom Wormser Reformationsdenkmal und der herrlichen PietL der Potsdamer Friedenskirche, dein wir Leipziger das schöne Thaerdenkmal dicht bei der Universität und bei oieorg RietschelS Sterbehaus verdanken. Auch vom Genie de- Vater», das sich in dessen Braunschweiger Lesstngstatue und im Toppeistandbilde Goethes und SchiNerS in Weimar wohl am glänzendsten offen barte, hatte Georg Rieticml viel geerbt, noch mehr aber fast von seiner herzinnigen Liebe zu der größten Zeit deutscher Vergangenheit, dem ReformationSzeit- alter, und nicht minder von Ernst RietschelS lieber, kerndeutscher Art und bescheidener Natur. Kein Wunder daher, daß Georg Rietschcl aus daS Studium der Reformation und auf die Reformatoren und deren Leben nebst Wesensart unendlich viel Liebe und Lebenszeit verwandt hat. Er war eine unserer ersten Autoritäten in Durchdringung jenes wichtigen Zeitalters und hat diesem eine lange Reihe höchst wertvoller Schriften gewidmet, von denen gar mancl^e weit über den Kreis der für Kirche und Theologie enger Interessierten hinaus Anerkennung und Ack)- tung gefunden hatte und noch findet. Gerade jetzt wieder, da man sich auss neue intensiv mit den Jesuiten befaßt, erscheint Rietsä-els Buck von 1879 über ,,Martin Luther und Ignatius v. Loyola, eine vergleici-ende Charakteristik ihrer inneren Entwick lung" höchst wertvoll und wie eigens zur Aufklärung der Gegenwart geschrieben. Georg Rietschcl, geboren am 10. Mai 1842 zu Dresden, verlor seinen berühmten Vater schon im neunzehnten Lebensjahre. Er studierte an den Uni versitäten Erlangen, Leipzig und Berlin Theologie, ward 1864 Mitglied des Domkandidatenstifts zu Berlin und 1866 des Predigerkollegiums zu St. Pauli in Leipzig, das vorm Jahre sein fünfzigjähriges Bestehen feierte und dabei des nun verblichenen, just hart daniedergelegenen langjährigen treuen Di rektors Rietsck-el in Worten herzlichst anerkennen den Tankes und höchster Verehrung gedacht«. Im Jahre 1868 ward Rietschcl Pfarrer zu Rüdigsdorf bei Kohren und 1874, in demselben Jahre, da er di« Würde eines Lizentiaten der Theologie seitens der Leipziger Fakultät erhielt, Pastor primariuS in Zittau. Don dort aus berief man ihn vier Jahr« darauf in die Lutherstadt Wittenberg al» Super intendenten und zweiten Direktor deS Prediger seminars sowie zugleich ins KreiSschulinspektorat. In diesen Aeintern wirkte der inzioischen 1883 von der Universität Halle zum Ehrendoktor der Theologie ernannte und 1881 zum ersten Direktor des ge nannten Seminars aufgcrückte sowie durch eine ganze Reihe von Schriften Uber Luther und Luthertum bckanntgcwordcne Rietschcl neun Jahre lang bi» zu feiner Berusni^g an die Leipziger Matthäikirche, die zum 1. Oktober 1887 erfolgte. Georg Rietschcl erhielt dann zwei Jahre später die Ernennung zum Ordinarius in der theologischen Fakultät mit dem Lehrauftrage für praktische Theologie, insbesondere Reformationsgeschichte und Liturgik: zugleich ward er Universitätsprediger an der uralten Paulinerkirche und bald nachher auch Direktor des Predigerkollegs St. Pauli. Von Ende Oktober 1904 zu 1905 war Rietschcl Rektor der Universität. Am 1. April 1912 trat er in den Ruhestand. Ter verdiente Theologe und Gelehrte war schon seit längerer Zeit kränklich, und seit dem Sommer 1912, der dem im Mai siebzig Jahre alt Ge wordenen den herben Verlust seines Lohnes Sieg- fried, des erst 41jährigen Tübinger Professors der Rechte, durch plötzlichen Tod brachte, ging es mit seiner Gesundheit rapid abwärts. Verheiratet war Georg Rietscl)el seit Antritt der Rüdiasdorser Pfarre mit Karoline Müllensiefen, eurer Tochter des bekannten Berliner Predigers Ju lius Müllensiefen. Sein Bruder Hermann Immanuel Rietschcl, geboren am 19. April 1847 zu Dresden, war bis zum Oktober 1910 Professor an der Tech nischen Hochschule zu Berlin und lebt seitdem im Ruhestande m Charlottcnburg; er hat sich besonders als Heizung». und LüftungStcchniker einen sehr an gesehenen Namen gemacht. Wie in seiner Lehrtätigkeit und als Kanzel redner, war Georg Rietschcl auch als Schriftsteller sehr beliebt und hatte eine große Gemeinde, die auch übers Grab hinaus treu an ihm und seinem Lcbenslverk hängt. Von seinen Büchern über Luther hat jedes mehrere Auslagen erlebt: „Luther und sein HauS" deren vier, „Luther- seliger Heimgang" bis 1906 drei und „Luther und die Ordination" inner- balb kurzer Zeit zwei, obwohl dieses Werk im Unterschiede zu den beiden vork^ergenannten mehr wissenschaftlich« Ansprüche stellt. Viel bemerkt ward soincrzeit die 1890 erschienene Schrift „Offener Brief an den Verfasser der Schrift »Ernste Gedanken'", den bekannten Moritz v. Egidy, der im letzten Zehntel des 19. Jahrhunderts eme große Gemeinde von Anhängern seiner religiösen, politischen, sozialen und nationalökonomischen Ansichten um fick scharte. Eine ganze Reihe anderer Schriften RietschelS von enger theologischem Gepräge können hier füglich außer Aufzählung bleiben; eine davon fand gleichfalls besondere Beachtung, weshalb ihr Titel an dieser Stelle erscheinen soll, es ist die Abhandlung „Der evangelische Gottesdienst unter dem Gesichtspunkt der Anbetung inl Geist und in der Wahrheit" von 1894. Praktische Bedeutung hatte und hat besonders seine Schrift: „Die Frage des Zusammenschlusses der deutsch-evangelischen Landeskirchen zur Wahrung und Förderung ihrer gemeinsamen Angelegenheiten", die 1900 herauskam und verdiente Beachtung fand. Mcht minder gelangte RietschelS Rektoratsantritts« rede „Tie evangelische Kirche und die soziale Frage" zu reger Erörterung: ihr stand darin kaum nach seine Abhandlung „Der Betrieb der praktischen Theologie auf den Universitäten" von 1910. Und an ein großes Publikum wendeten sich mit guten Erfolgen sein« beiden Schriften „Weihnachten in Kirche, Kunst und Volksleben" sowie „Gedächtnisrede für König Albert" von Sachsen. Georg Rietschel hat, wie eingangs betont, dem großen Namen zu neuem Ansehen und neuer bleiben der Bedeutung verhalfen. Sein Andenken wird nicht allein bei den deutschen Theologen und in der Kirchengeschichte in hohen Ehren und dankbarer häu figer Nennung bleiben, sondern man wird Georg Rietschcl-, des prominenten Sohnes «in<»i großen Vater», auch in weiten Kreisen des deutschen Volke» für alle Zeiten mit Achtung und Liebe gedenhn. Die jetzt lebende Generation aber hat allen Grund, aus ihn das Wort AeS alten Matthias Claudius an zuwenden: „Ach, sie haben einen guten Mann be graben, doch uns war er mehr!" L. X.