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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.06.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140602025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914060202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914060202
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-02
-
Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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Sette 2. Nr. 27S. Nbenü-Llusgave. fahren. Möchte sich die Befürchtung, daß auch andere Staaten nach einem Grund suchen könnten, um eine internationale Hessel abzustreifen, nicht bewahr heiten. Frankreich erklärt sich am Schlüsse seine» Kündigungsschreibens bereit, an einer Revision der Haager Konventionen auf anderer Grundlage mit- maroeiten. Hoffentlich ist dies mehr als eine höf liche Form. Zunächst freilich ist Frankreich aus dem Kreise der Vertragsstaaten ausgeschieden und es bleibt beklagenswert, das? eines der wichtigsten Kon ventionsmitglieder zu einem solchen Schritte sich überhaupt und scheinbar kurzer Hand entschließen konnte. ' Hi veutscher Lehrertag. 8. L U. Kiel» 1. Juni 1914. Unter Beteiligung von nahezu 8009 Lehrern aus allen Teilen des Reiches und auch aus dem Aus lände begannen heute hier die Verhandlungen des Deutschen Lehrertages, der die Hauptversammlung des Deutschen Lehrervereins darstellt. Die Leitung der Tagung liegt in den Händen des Vorsitzenden des Deutschen Lehrervereins und des geschäfts führenden Ausschusses, Lehrers Röhl (Berlin). — Für die Tagung haben auch zahlreiche Stadtverwal tungen, darunter Leipzig, Zwickau, Chemnitz, Ver treter entsandt. Von ausländischen Vereinen sind vertreten: der Deutsch-österreichische Lehrer bund, der Deutsche Landeslehrerverein in Böhmen, der Deutsch-ungarische Lehrerbund, weiter je eine Vereinigung englischer und belgischer Lehrer, ein Verein luxemburgischer Lehrer und der nationale Deutsch-amerikanische Lehrerbund. Am heutigen Tage fanden bereits mehrere Vor versammlungen statt. So traten die Vereins statistiker zu einer Sitzung im Klubhaus des Westens zusammen, ebenso der Redakteur-Verband deutscher pädagogischer Zeitungen. — Am Nachmittage fand die erste Vertreterversammlung des Deutschen Lehrcrvereins statt, und zwar in der Aula der Universität: die Verhandlungen waren nicht öffentlich. — 2m neuen Rathaus tagten die Ver einigten deutschen Prüfungsausschüsse für Iugendschristen unter dem Vorsitze des Lehrers Brunk horst (Hamburg). In dieser Sitzung hielt Lehrer Koester (Hamburg) einen Vortrag über die lite rarischen Bedürfnisse der Jugendlichen und die Grundsätze für die Bücherauswahl. Der Redner be tonte, das; inbezag aus die Bedeutung und die Wer tung der Bücher für Jugendliche dieselben Grund sätze wie für die Bücher der Kinder gelten. Der einzige Unterschied ist bedingt durch die zunehmende Reife, die eine immer größere Erweiterung des Materials und eine Erhöhung der Darstellungs schwierigkeiten ermöglicht. — Rach kurzer Diskussion sprach Lehrer Neubauer (Spandau) über Mittel und Wege der Literaturpflege bei Jugend lichen. Es empfehle sich die Gründung von Büchereien im Anschluß an Jugend vereine, die Errichtung von Jugendlesezimmern, ge meinsame Leseübungen, Aufklärung über Schund literatur und die Erweckung der Freude am eigenen Besitz guter Bücher. — Leitsätze im Sinne der Refe renten wurden angenommen. Weiter tagten am Nachmittage noch: die Freie Vereinigung für philosophische Pädagogik, der Ver band Deutscher Schulgeographen und der Verein enthaltsamer Lehrer. Abends 8 Uhr begann die große Begrüßungs versammlung in der Marinehalle. Unter den Anwesenden befanden sich die Reichstags abgeordneten Hoff, Struve und Siskovik, ferner Pro- feßor t>. Baumgarten (Kiel), der Vorsitzende des Evangelisch-sozialen Kongresses. — Nach einem Musik stück, einem Prolog und Vorträgen des Kieler Lehrer gesangvereins nahm derVorsitzcnde des Festausschußes Lehrer Denkert (Kiel) das Wort, der u. a. ausführte: Wir in Schleswig-Holstein haben im Kampf mit Meeren und Menschen gestanden. So ist hier ein Stamm mit steifem Rückgrat und festem Nacken aufgewachsen. Das Kieler Wort „Junges holt fast!" kann auch ein Losungswort für unsere Kieler Tagung sein. Wir wollen festhalten an der Forderung: Ein Volk, eine Schule, ein Lehrer stand! (Anhaltender großer Beifall.) Lehrer Lornsen (Berlin) begrüßte die Ver sammlung im Namen des geschäftsführenden Aus schusses und im Namen des Berliner Lehrervereins, der bei der letzten Versammlung im Jahre 1912 gastgebender Verein war. Wir sind zusammen gekommen. um zu arbeiten für das Wohl der deutschen Volksschule, die die nationale Einheitsschule werden muß. (Stürmischer Beifall.) Morgen spricht zu Ihnen hier an Deutschlands Nordgrcnze ein Süd Lelpztger Tageblatt. deutscher für die deutsche Einheitsschule. Dies wäre ohne den Deutschen Lehrerverein niemals möglich gewesen. (Stürmische Zustimmung.) Hierauf sprach der zweite Vorsitzende des fran zösischen Lehrervereins Monjotin (Paris) in französischer Sprache einige Begrüßungsworte. Er führte aus, daß er nach Worten suchen müße, um zu den Herzen der Versammlung zu dringen. Er Überbringe brüderliche Grüße aus Frankreich und lade zu dem Nationalen Kongreß der französischen Lehrer ein. Beide Länder haben auf friedlichem Boden stets großen Einfluß aufeinander ausgeübt. Die französischen Lehrer wünschen der Tagung reichen Erfolg. Lehrer Chambon vom selben Verein begrüßte die Ver sammlung in deutscher Sprache. — Der Vorsitzende des Deutsch-Oesterreichischen Lehrervereins Strebl <Wien) überbrachte die Grüße des Deutschen Landes lehrervereins in Böhmen und des Deutsch-Mährischen Landesverbandes. Nach weiteren Begrüßungs ansprachen folgten gesellige Darbietungen. Vie Wirren in Mbanien. Die Lage ist nach wie vor noch ungeklärt. Die Aufständischen haben Schiak eingenommen und sich wenig freundlich über die Haltung des Fürsten aus gesprochen. Auch sollen viele albanische Gendarmen zu den Aufständischen übcrgegangcn sein. Folgende Meldungen liegen vor: Lchiak eingenommen. Durazzo, 2. Juni. Die Aufständischen haben sich am 31. Mai nachmittags, ohne daß ihnen irgend welcher nennenswerter Widerstand entgegengesetzt worden wäre, in den Besitz von Schiak ge setzt. Auf dem Regierungsgebäude von Schiak weht jetzt die türkische Fahne und in dem Hause residiert Derwisch Ali. Ueber seine Absichten hat er sich friedlich aber bestimmt ge- äußert. Wir wollen nicht angreifen, sagte er, wenn wir nicht selbst angegriffen werden. Wir haben die friedlichsten Absichten, aber wir wollen dem Fürsten zu Wied zu verstehen geben, daß er es nicht verstanden hat, sich beliebt zu machen. Wir erwarten den Spruch Europa». Wir wollen den Glauben unserer Bitter respektieren und wir wollen ferner nichts von dem Fürsten Wilhelm wissen, der auf unsere Frauen und Kinder schießen läßt. Man hat den Eindruck, als ob die Miri» diten gegen die Aufständischen mar- schieren werden. Für den Augenblick herrscht noch Ruhe, aber es besteht die Gefahr eines möglichen Aufstandes der in Durazzo selbst wohnenden Mohammedaner. Man nimmt auch mit Beun ruhigung wahr, daß viele albanische Gen darmen mit den Waffen zu de« Auf ständischen übergehen. In letzter Nacht allein 37 Gendarmen. Verstärkung der Gendarmerie. Durazzo, 2. Juni. Der Jinanzminister Nogga reist« infolge eines einstimmigen und vom Fürsten sanktionierten Beschlusses des Ministeriums zu Prenk Bibdoda. Die Reise hat den Zweck, Verstärkungen, die mindestens zur Hälfte aus Mo hammedanern bestehen sollen, für die Gendarmerie herzuziehen. Ueber die Rückkehr des holländischen Majors Sluys nach Holland meldet der Brüsseler Mitarbeiter der „D. T.": Brüssel, 1. Juni. Die Hollandreise des Majors Sluys ist in besonderem Auftrage des Fürsten von Albanien erfolgt. Er wird auf Wunsch des Fürsten neue holländische Unteroffi ziere für die albanische Gendarmerie ver pflichten. Entlassung der technischen Beiräte Oesterreichs und Italiens. Rom, 2. Juni. Der „Tribuna" zufolge hat Fürst Wilhelm von Albanien di« ihm beigegebenen tech nischen Beiräte Oesterreichs und Italiens, Gastaldi und Buchberger, entlassen. Sie kehren in die Heimat zurück. Die Lage des Fürsten ist, wie der Korre spondent der „Iribuna" meldet, verzweifelt. Als Rettungsanker betrachtet er die Verlegung der Residenz nach Skutari und hat bereits Verhandlungen mit den Mächten angeknllpft. Ium Untergang -er „Empreß of Jreland". Die Meldungen über die Schuldfrage sind vor läufig noch recht widersprechend. Eine Klärung wirb wohl erst in der am 9. Juni in Quebec zusammen tretenden amtlichen Untersuchungskommission erzielt werden können. Während die bisherigen Meldungen die „Storstad" als die alleinige Urheberin des Un glücks bezeichneten, liegt jetzt eine eidliche Aussage des Lotsen und, des zweiten Offiziers des norwegi schen Kohlendampfers „Alden" vor, worin behaup tet wird, daß der Kurs der „Empreß of Jreland" ziellos gewesen fei und man bald das grüne, bald das rote Licht gesehen hätte. Die folgenden Drahtmelbungen liegen vor: Quebec, 2. Juni. Die „Storstad" kam gestern hier an und fuhr nach kurzem Aufenthalt unter eige nem Dampf nach Montreal. Die Offiziere be wahren strengstes Stillschweigen über den Vorgang der Katastrophe. Der Bu g des Dampfers ist vollständig eingedrückt. Unter den Toten befindet sich auch Sir Henry Karr, der be rühmte Jäger, der einen seiner Freunde dadurch rettete, daß er ihm seinen eigenen Rettungsgürtcl aufbrängte. Der Dampfer „Storstad" beschlagnahmt. Aus Montreal wird dem „Berl. Lok.-Anz." gemeldet, daß der Lotjensuperintendent Kapitän Lindsay dort eine vorläufige Unter suchung über die Katastrophe der „Empreß of Jre land" eröffnete. Es wurde offiziell angekündigt, saß die kanadische Regierung sofort gesetzgeberische Schritte ergreifen werbe, um die Ermächti gung zu erhalten, bei so schwerwiegenden Vorkomm nissen, wie dem Untergang der „Empreß of Jre land", eine besonders konstituierte Untersuchungs kommission einzusetzen. Die Kommission soll aus drei Personen bestehen, nämlich zwei kanadischen Rich tern und einem von der Reichsregierung ernannten Vertreter. Die „Storstad" traf in Montreal ein. Ihre Beschädigung erscheint verhältnismäßig gering; sofort nach ihrer Ankunft wurde sie vom Scherif auf Grund eines d«r Kanadischen Pacific-Eescllschaft vom Admiralitätsgericht zu Quebec, Lei bem sie Klage auf zwei Millionen Dollar Schadenersatz gegen die Reeder der „Storstad" eingelegt hat, gewährten Haftbefehls mit Beschlag belegt. Eine Sonderkommisfion zur Untersuchung beantragt. Ottawa, 2. Juni. Die Regierung hat im Unterhause eine Bill zur Einsetzung einer Sondertommission zur Unter suchung des Unglücks der „Empreß of Jreland" eingebracht. Die amtliche Untersuchung. Montreal, 2. Juni. Von dem Bureau der Cana- dian Pacific-Eesellschaft wird bekanntgegeben, daß die amtliche Untersuchung über das Un glück der „Empreß of Jreland" in Quebec am 9. Juni beginnen wird. Eidliche Aussagen über die Fahrt der „Empreß of Jreland". London, 2. Juni. Die „Times" melden aus Montreal vom 1. Juni: Kapitän Holdung von dem norwegischen Kohlendampfer „Alden" hat einem Beamten die Beobachtung mitgeteilt, die der zweite Offizier des Dampfers und der Lotse gemacht haben wollen, als sie der „Empreß of Jreland" etwa dreißig Seemeilen von der Unglücksstelle entfernt be gegneten. Die „Alden" fuhr den St. Lorenzstrom aufwärts und befand sich dreißig Meilen von Facher Point, als die „Empreß" gesichtet wurde, die ihr ent gegenfuhr. Der Lotse und der 2. Offizier sahen von der Kommandobrücke der „Alden" das Schiff und sind bereit, folgende eidliche Aussage zu machen: Die „Empreß of Jreland" fuhr den St. Lorenz strom abwärts, als sie ihr begegneten. Da» Schiff Dienstag, 2. Juni 1914. fuhr in einer so ziellosen Art, daß der Lotse und der 2. Offizier ernstlich besorgt wurde. Der Kur, »ar so zietts», daß man bald da, grün« Licht, bald die rot« Laterne sehen konnte. Der Kurs war ein Zickzackturs. Di« Hebung der „Empreß of Jreland" unmöglich. Quebec, 2. Juni. Korvettenkapitän Tweedie von der „Essex", die sich an der Such« nach Leichen beteiligte, hat die Ansicht ausgesprochen, daß cs un- möglich sei, die „Empreß of Jreland" zu heben, und daß ihr Rumpf gesprengt werden müsse, damit die Schiffahrt nicht gefährdet werde. Beileidstelegramm des Prinzen Heinrich. London, 2. Juni. Das Telegramm, das Prinz Heinrich von Preußen an die Canadian Pacific Ge sellschaft anläßlich des Unterganges der „Empreß of Jreland" sandte, hat folgenden Wortlaut: „Die Prinzessin und ich selbst möchten unseren herzlichsten Beileid angesichts des Ver- lustes vieler wertvoller Menschenleben Ausdruck geben. Lyir haben das schöne Schiff oft in Hong kong bewundert. Prinz Heinrich von Preußen." f*oliMetie UeberlieM Das Ergebnis von Sajel. Am Pfingstsonnabend tagte in Basel das ständige deutsch-französische interparlamentarische Komitee. Wir teilten bereits in der Sonntagsnummer mit, daß beschlossen worden sei, in Zukunft die Plenarver sammlungen in Deutschland und in Frankreich ab zuhalten. Der Erfolg der Beratungen wurde von ihren Teilnehmern als recht befriedigend bezeichnet. Das geht auch aus einer Betrachtung hervor, die der fortschrittliche Neichstagsabgeordnete Haußmann im „Berl. Tagebl." veröffentlicht. Er sagt u. a.: „Der Ausschuß fühlte, baß er ständig geworden ist, und daß er jedesmal einen Schritt vorwärts machen und einen neuen Schritt vorbereiten muß. Nach Bern hatten uns Schweizer Nationalräte ein geladen, sie rvaren es gewesen, die die Vermittlung übernommen hatten. In Basel verhandelten die deutschen und französischen Parlamentarier ohne Vermittlung Auge in Auge und Hand in Hand. In Bern waren die französischen Besucher stark in der Ileberzahl. Zn Basel waren die Deutschen etwas zahlreicher vertreten als die Fran zosen, die unmittelbar vor der Eröffnung ihrer Kam mer stehen. . . . Deutschland war im Baseler Ausschuß durch alle großen Parteien mit Ausnahme der Konservativen vertreten. Besonders erfreulich wurde es empfunden, daß Nattonalliberale und Zentrumsabgeordnete, die ir. Bern gefehlt hatten, dem Ausschuß beigetreten und in Basel erschienen sind. Da die in Basel erschienenen Zentrumsabgeordneken vierzig Mitglieder der Zen- trumefraktion zu vertreten hatten, steht auch im Reichstag eine Mehrheit hinter einer ver ständigen Verständigungspolitik. So konnten wir den weiteren Schritt unternehmen und beschließen, die nächste Begegnung nicht in der Schweiz, die uns durch die Baseler Regierung dankenswert und liebenswürdig begrüßt hat, sondern in Frankreich und Deutschland selbst abzu halten. Der Schwerpunkt liegt in dem Beschluß, daß noch in diesem Jahre und am gleichen Tage, franzö sische Parlamentarier nach Deutschland, deutsche nach Frankreich kommen und von den Parlamentariern des anderen Landes in einer öffentlichen Kundgebung bewillkommnet werden, ferner in der Organisierung eines Austausches von Mitteilungen, der das Aufbauschen und das Entstellen von Zwischen fällen verhüteten soll. Das gemeinschaftliche Mahl nach Schluß der Verhandlungen spiegelte die ausge zeichnete Stimmung der Delegierten wider. Baron d'Estournelles versteht es, die Köpfe und die Herzen zu gewinnen. Sein Wort: „Wir sind glücklich nicht nur über das, was wir erzielt haben, sondern glück lich auch, weil wir gesonnen sind, noch mehr zu tun", gab das Gefühl aller wieder. In angeregtester Unterhaltung sah man Naumann und Jaurös, den früheren MnnsterAugagneur und Belzer-Hohenzol- Sodudvarsiidnas Uvivorsitstsstr. 29. LperikllitLt: Avlrnlnltvtvl. — l?eruspr. 11189. llero» Vas 8Iü<K der andrrrn. 8j Roman von Fritz Stüber-Gunther. «Oopxri^dt 1V14 OrotUlsia L Lo. O. w. b. L. Schier überirdisch klar und klangvoll schwebten die Töne crfülluiigsnahcr Sehnsucht durch den Saal. Aber des Spielenden Seele vermochten sie heute nicht mit emporzureißen. Seufzend brach er ab und schlug den Flügel zu und tat ein paar Gänge durch die Länge des Gemachs. Bis er an der jenseitigen Schmal wand halt machte und die Tasten des Spinetts entblößte. Abgegriffene, vergilbte Tasten, die ganzen Töne schwärzlich-braun, die halben gelb lich-weiß. Als sie der Revisor anschlug, erklangen sie hell und dünn wie das Anstoßen mit ge schliffenen Kelchen. Gin Allegrctto ans einem verschollenen altitalicnischcn Singspiel trällerte und kicherte zur Decke auf. Aber bald wurde, das Tänzeln und Perlen zögernder, leiser und »erzitterte wie verscheuchter Kobolde gespen stische Heiterkeit. Herr Anton Gottsmann stand auf und trat ans nächste Fenster und blickte in den Hof hin ab, dessen Kindergetümmcl sich bereits verlausen hatte, über dessen kahle Baumwipfel sich die Abenddämmernug senkte. Dort, wo die beiden uralten Ulmen sich an die Umzäunung lehnten und wo sich der Gartenbodcn zu einer niedrigen Terrasse hob, blieb sein Blick lange haften. Dort hatte einst das schmucklose, enge Gartenhäuschcn gestanden, in welchem eines der reichsten und adeligsten, eines der deutschesten Musikwerke aller Zeiten schöpferisch empfangen und geworden — in welchem die „Zaubcrslötc" geboren war. Ja, Mozart hieß der unvergängliche, geweihte Geist dieses kleinen Gartens und dieses riesigen Ge bäudes. Mozart hatte den Herrn Revisor an diese Stätte gezogen und gefesselt, Mozart ihm manche kleinmütige Stunde besiegen geholfen. Mozarts himmel-einfältige Töne sollten ihn auch heute ausrichten und erheben. Doch siehe, auch Wolfgang Amadeus erwies sich lscute ohnmächtig als Tröster und Helfer. Trüb und stumm nahmen die Schatten der nabenden Nacht Besitz von dem weiten Gemach. Trüb und stunyn ließ sich Anton GottSmann von ihnen umschließen, umspinnen und fühlte sich zu schwach zur Abwehr. Was war cs nur, das ihn diesmal so be drängte und bedrückte, jeden froheren Gedanken im Keim erwürgend, jedes Widerstandes spot tend? Diese einsamen Stunden, fern von ödem Berufsgeschüft, nahe den ewigen Quellen hei liger Kunst, waren doch eben das, was ihm sein Leben lobenswert machte. Aber sie, die sonst so behend entschwanden, hatten beute lahme und mit Bleigewichten beschwerte Beine. Nie noch hatte ei? sein Alleinsein so tief, so er nüchternd und erkältend empfunden; nie auch den schreienden Kontrast zwischen der kleinen Welt, die er sich hier innen selbst erbaut, und der großen, unaufhörlich rinnenden, flutenden Welt da draußen. Wie sorgfältig er jene ge schirmt zu haben glaubte mit Graben und Wall — es >var nicht möglich, sie sicher abzuschließen von dieser. Und wieder fielen sie ihm ein, sein AmtSkollege Hans Rock, dessen Gattin, dessen Kind rind das Ungeborene; und dann tauchte wieder das arme Weib vor ihm auf, das er heute so rauh angelasscn, die Kienast, die für drei vaterlose Waisen zu sorgen und zu tümpscn hatte, ihnen fern aus Liebe zu ihnen und sie verleugnend ans Zärtlichkeit für sic. Gr, Anton GottSmann, hatte nicht Hans Rocks und harte nicht der Kienast Sorgen. Aber er entbehrte auch ihre Freuden, hatte diese niemals kennen gelernt. Die Kunst allein — vermochte sie den Ginsiedler zu entschädigen? Stand sic wirklich über dem Leben, durfte sic sich mit ihm auch nur messen? . . . Die Klingel an der Wohnnngstür bimmelte leise. Und während Gottsmann, ausschreckend, noch zweifelte, ob er auch recht gehört habe, schrillte sie lauter und ungeduldiger. Da drehte er die Glühbirnen im Wohn zimmer und im Vorzimmer aus — den Komfort elektrischen Lichts hatte sich das alte Haus erst kürzlich zugelegt, damit beweisend, daß es noch immer nicht ans Sterben denke — und straffte seine Haltung und legte sein Gesicht in strenge, abweisende Falten und ging Nachsehen, ivcr seine Einsamkett stören ivolle. „Du bist's, Hermann!" sagte er mit einer Stimme, der die Uebcrraschung deutlich, die Freude weniger bestimmt anzunierkcn war, und ließ den späten Gast ein. Es war ein etwa fünfzigjähriger Mann von schlanken, jedes Fettansatzes entbehrenden Kör performen. Sein Antlitz war, bis auf zwei schmale und kurze Backenstreifchen, bartlos wie das Anton. Gottsmanns, im Vergleich zu dessen überernster Herbe jedoch heiter-schön zu nennen, von einer mehr weibischen als männlichen Schön heit. Beeinträchtigt wurde sein angenehmer Ein druck schon beim zweiten Blick darauf durch eine etwas allzu lebhafte Färbung der schmalen und geraden Nase, eine Röte, die auf den regel mäßigen Genuß von Spirituosen hinzudeuten schien; sah man cs aber länger an, dieses Ant litz, dann büßte es noch weiter an Wohlgefallen ein infolge des unruhigen Zuckens, das fast unaufhörlich um seine Mundwinkel, Nasenflügel und Augenlider lief. Anton Gvttsmann half dem Besucher aus seinem langen, schweren Mantel von uniform artigem Schnitt und rückte ihm einen Stuhl hin, auf den sich jener seufzend niederlicß: „Bin ich heut' wieder erschöpft! Bin ich froh, daß der Dienst ans ist! Die Arbeit wär' noch nicht das ärgste. Aber die große Verant wortung!" „Richtig," lächelte Gottsmann, „das ist's. Aber Bürde reimt sich nicht nur vortrefflich auf Würde, sondern kann auch gar nicht von ihr getrennt werden. Wer, wie du, Hermann, zum Hüter der Kleinodien des weiland Heiligen Römi schen Reiches Deutscher Nation eingesetzt ist —" „Der darf eben an nichts anderes denken als an dieses Amt," nickte der Gast lebhaft. „Ich beklag' nnch ja nicht. Aber Kopf und Nerven nimmt es her, dieses ewige Aufdcrhutsein, dieses angespannte Wachen. Tausend Augen und Qhrcn könnt' man brauchen, das wär' nicht zu viel . . . Man sollt' gar nicht glauben, was für ver dächtiges Gesindel sich herumtreibt in der Aller höchsten Schatzkammer, gar, seit die Einlaßbe- stimmnngen unbegreiflicherweise noch gemildert worden sind. Heut' erst wieder waren zwei Wäl- lische, zwei Italiener da — sie haben deutsch geredet, aber ihre Aussprach' hat mir ihre Her kunft verraten — die sind so lang nm den ersten Glaskasten herumgeschlichen und k)abcn sich be sonders für den Reichsapfel und das Schwert des heiligen Mauritius so auffällig interessiert, daß ich schließlich dem Oberaufseher einen Wink gegeben hab', er soll die Wache und zugleich die Herren Schatzmeister verständigen. Die zwei Wällischen haben Lunte gerochen und sich recht zeitig saldiert. Aber laß du sic nur wieder kommen — dann — dann werd' ich — ich " Er vollendete den Satz nicht, doch die ge heimnisvolle Heiterkeit, die wie Wetterleuchten über sein Gesicht zuckte, das schlaue Behagen, mit dem er seine Hände aneinander rieb, be- «wiesen, daß er sich den rosigsten Zukunftshoff nungen hingab. Aus Gottsmanns Zügen war jede Spur von Spottlust gewichen. Voll schmerzlicher Teilnahme betrachtete er den Jugendfreund. Wer das vor einem Vierteljahrhundert dem feschen, lebens lustigen, von Kraft und Gesundheit strotzenden Bürgerssohne, dem wohlhabenden Juwelier Her mann Spitzacker vorausgesagt hätte, daß er zum verschrobenen Sonderling werden, als einfacher Diener, als Kaiserlicher Türhüter sein Leben fristen würde! Dabei war es noch ein Glücks fall gewesen, daß er, dant einflußreicher Be kanntschaften von früher her, diese Anstellung erl-alten hatte, die ihn wenigstens vor Not und Hunger schützte. Die sorglos prahlerische Art, in der er als jungverheiratetcr Ehemann die reichlichen Einkünfte seines Geschäftes verschwen dete, hatte schon die Grundlagen seiner Existenz untergraben. Den gewaltigen letzten Stoß aber Mb ihr ein verhängnisvolles Ereignis, an dem Apitzacker keine oder doch nur eine geringere Schuld trug: Jener große nächtliche Gnbruch in das Spitzackersche Uhren- und Juwelenlager, der so viel Aufsehen erregte und dessen Urheber niemals entdeckt wurde. Weder durch besondere Wachsamkeit oder Sicherhcitsmaßregeln noch durch Assekuranz hatte Spitzacker dem entsetzlichen Verluste vorgebaut. Und nachher ficl's ihm erst recht nicht ein, mit dem wenigen, was ihm ge blieben war, weise bauszuhalten und von neuem aufzubauen. Unbekümmert oder verzweifelt lebt« er m den Tag hinein bi- -um letzten Groschen. Und nun kam da- Elend. Die Frau, die -arte, schöne, schuldlose Frau brauchte es, Gott sei Dank, nimmer mitzumachen. Paula Spitzacker starb nach kurzer Ehe — zum Glück — zum Glück für sie selbst, zum Unglück sreilich für ihren Mann und vor allem für ihr Kind . . . (Fortsetzung in der Movgonaungatbe.)
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