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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.06.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140605016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914060501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914060501
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-05
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Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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Vas Ende -er pariser Theatersaison. Sonderbericht unseres Pariser Mit arbeiters. Paris, r. Juni. Triumph der deutschen „Meistersinger". — Rimsky. Korsakows „Goldener Hahn" als Ballett. — „Marouf", em komischer Opernerfolg. — „Was man verschweigen muh." — Shakespeare-Richepins „Macbeth". Das amerikanische Opernunternehmen im „Thvätre des Lhamps-ElysLe s", bas mit vielfachen, teils hervorragenden italienischen Auf führungen das grotze Publikum nicht anzulocken ver mochte, hat mit einer deutschen Vorstellung der „Meistersinger von Nürnberg" einen wahren Triumph erzielt: es war wohl der erste, echte Wagner, den man in Paris zu hören bekam! Wie groh auch die Anstrengungen in der „Academie Natio nale de Musique" sein mochten — seldst unter dem ehrenwerten Herrn Messager blieben „Ring", „Tristan" und „Parsifal" sowie „Tannhäuser", „Lohengrin" und „Meistersinger" nur em Surrogat nach gallischem Geschmack. Catulle Mendöes setzte uns einmal auseinander, warum es nie eine gute und stilgetreue französische Wagneraufführung geben werde: erstens, weil sich die Sprache nicht übersetzen lasse, zweitens, weil kein französischer Kapellmeister im Urtext Buch und Anweisungen zu lesen vermöge, und drittens, weil französische Kehlen nicht für den teutonischen Sana geschaffen leien. — Da die Ameri kaner praktische Leute sind und die nötigen Dollars dazu haben, lassen sie die italienischen Opern von Italienern, die deutschen von Deutschen darstcllen. Nachdem der Begründer Astruc im prächtigen Ely- söes-Theater ein Vermögen verloren hatte, erklärten die dankees, es wäre ihnen egal, ob sic nichts mit den Parisern verdienen würden. Sie begnügen sich mit der Reklame, die ihnen ihr Gastspiel jenseits des großen Teiches machen wird, und beschäftigen ihre Boston-Chöre. Die Hauptsache war, dah Weingartner am Pult erschien. Von einer oorausgeaangenen Auf führung des „Tristan", trotz der Mitwirkung von Frau v. d. Osten, Cornelius, Frau Claußen und Kieß, wollen wir lieber nicht reden, da es an einer einheitlichen Leitung fehlte. Aber ein Wein gartner hat das Zeug, selbst einem urfranzösischen Orchester (dem Monteur) Disziplin und Schwung bei zubringen. Er bekam auch die deutschamerikanischen Sänger des Chors in die Hand: sie übertrafen an Stimmgewalt und Ensemble die der „Großen Oxer". Sembach als Walter, Bender als Hans «achs lbei der Wiederholung van Rooy), Schwart als David, Fonß Pogner, Leonhardt als Beck messer, Frau Lucile Weingartner als Eva und Frau Bender-Schäfer als Magdalene trugen bas Finale des zweiten Aktes zu einer so durch schlagenden Wirkung empor, daß die Zuhörerschaft in ranganhaltende Ovationen ausbrach. So werden die amerikanischen Jmprösarii gar aus Paris und aus dem entlegenen TlysSes-Theater eine Dollarernte mit hermnehmen. Die Russen beherrschen inzwischen weiter die GroßeOper, wo Richard Strauß und sein keuscher Joseph jetzt asiatischerer Kunst das Feld überließen. Um wieder einmal unerwartet originell zu sein, ließ Serge de Diaghilef eine ganze Oper von Tän zern darstellen. Rimsky-Korsakows „Gol dener Hahn" ist ein philosophischer Scherz, Pusch kin nachkomponiert. Eine farbenreiche Partitur malt die Geschichte des Königs Dodon aus, dem sein Astro- log einen Zaubcrvogel schenkt, einen goldenen Hahn, der ihn jedesmal benachrichtigen wird, wenn ihm eine Gefahr droht. Gleich zwingt ihn der Hahn, in den Krieg hinauszuziehen. Dodon verliebt sich in die feindliche Königin, die er als Gattin heimführt. Der Astrolog, dem er versprach, für den Hahn jeden Wunsch zu erfüllen, begeht die Maiestätsdeleidigung, die Königin für sich zu verlangen. Majestät will den Sterngucker deshalb zu Tode prügeln lassen, aber der Hahn kommt und pickt ihn mit dem Schnabel, bis er stirot. — Die Weisheit dieses Rebus ist wohl, daß niemand zugleich sorgenlos und in Glanz und Glück leben kann. Die Regie ließ die Vorgänge von der schönen Karsawina und dem komischen Bul gakow tanzen, während die Sänger seitwärts aus der Bühne sahen! Es machte sich da» nicht übel; — di« Erben des Komponisten strengten aber einen Prozeß an, weil di« Oper stilwidrig aufgeführt werde, und erlangten ein Urteil, das jede weitere Vorstel lung untersagt, wenn nicht zwischen ihnen und Diaghilef ein Vergleich zustande kommt. Als weitere Kuriosität, die sie auf ihrer bevor stehenden Tournee durch ganz Deutschland, Oesterreich-Ungarn usw. führen wollen, brachten die russischen Balletts den neuen Strav insty: „Di« Nachtigall". Der Komponist des „Feuervogels" und der „Frühlingsweihe" ist hypermodern genug, um gegenwärtig auf dem Pariser Konzertboden besonders kultiviert, von den einen mit Beifall überschüttet und von den andern wütend niebergezischt zu werden. Er ist Lurch und Lurch Slawe, ungemein begabt, aber der Ueoerzeugung, daß man die einfachsten Dinge wenn möglich noch komplizierter als Strauß, disharmo nischer als Reger vertonen muß. Aus Ander sens Märchen vom chinesischen Kaiser, der sich in eine Nachtigall verliebte, dem ein Nach- barlönig einen prächtigen, pfeifenden Automaten sandte, der erkrankt und sterben würde, käme nicht das echte, befiederte Vöglein in sein Zimmer ge flogen, um ihn durch süße Liebeslieder in die Ge nesung zu wiegen — aus dieser reizvoll nordischen Poesie holte sich Straoinsky recht disparate Themen für drei Akte heraus. Der erste Teil seiner Sin fonie soll schon vor einer Reihe von Jahren kompo niert worden sein und ist sanftmütig, mit instrumen taler Vorsicht geschrieben-, der zwe te Teil ist eine Höllenkatzenmusik, d:e auch kein Sohn des Himmels vertragen kann, ohne sogleich todkrank zu werden. Aber das Schlußbild bringt unerwartet rührende, tief empfundene Melodien — der Sang der Nachtigall gleitet von Flöten zu Streichinstrumenten hin, rril- lert in verschlungenen Arabesken und schleicht sich in aller Herzen ein. Danach wird dem großen Sünder Straoinsky viel verziehen werden! Frl. Bob wo« wolska sang vom Orchester aus die Nachtigall und machte ihre Kolleginnen im Boulogner Wäldchen neidisch. — Eine chinesische Ausstattung, die direkt aus der verbotenen Stadt bezogen scheint, blendet das Auge. Doch neben so viel fremder Kunst — was bleibt für die französische Oper? Die Direktion Messager-Vroussan, deren sieben Jahre ablaufen, endet mit sehr bescheidnem Erfolg. „Parsifal" überhob sie der pekuniären Sorge. Und daß sie „Scemo", das würdige, sogar interessante, wenn auch nicht epochale Erstlingswerk des Rompreisempfän- gers Charles M6r6, sorgfältig herausbrachten, ließ ihnen manchen Irrtum verzeihen. Der frühere Par- sümfabrikant Nouchö wird alsbald zeigen müssen, ob er Besseres zu leisten vermag. Man redet davon, Andrö Messager ein eigenes Opern hauszu erbauen, für das die Rothschilds und andere 1^ Millionen stiften sollen. Die Bankiers werden dies gerade nicht als sichere Kapitalsanlage betrach ten — jedoch Paris braucht neue Bühnenhäuser. Die viel zu enge Opsra Comique, die aber noch einigermaßen modern genannt werden darf, hält sich materiell und künstlerisch auch unter der neuen Di rektion, obwohl sich Gheusi und Gebr. Jsola nicht gut vertrugen. Das Ereignis der dortigen Saison war Charpentiers „Julien", womit Direktor Carkt- vor seinem Ucbergang in die Com6die Fram aise als Nachfolger Clarcties abschloß. „Ju lien" war ein kleines Mißverständnis Carr6s, der dies traumhafte Boh-'-menwerk zu pompös ausstattete. Seitdem wurde es in Toulouse und anderen Städten mit wachsendem Erfolg gegeben: es ist zu interessant, wenn auch stark diskutiert, um nicht bald vor dem deutschen Publikum gegeben zu werden. Doch noch von einem durchschlagenden Er folg aus dem lange verlassenen Gebiet der komischen Over läßt sich beuchten: „Marouf, Kairos Schuster", 5 Akte von Lucien Nöpoty, nach „Tausendundeiner Nacht", Musik von Henri Ra- baud. Dies ist ein heiteres, lüsternes Märchenspiel mit melodisch-espritvoller Musik und wird die Lvelt- runde machen. Der arme Marouf flieht vor seinem fürchterlichen Eheweib per Schiff, scheitert, erwacht an fremdem Strand, wird von einem Iugendgespielen Ali al, reicher Händler oorgestellt, Lessen großartige Karawane alsbald eintreffrn soll, worauf ihm der Sultan sogleich die Hand der Tochter verspricht . . . Verliebt flieht die Prinzessin Saamebeddin mit Zaruf, der einen Schatz ausgräbt. Als der Sultan naht, um das Paar zu bestrafen, verwandelt sich der Schatz in eine prächtige Karawane und — Gelobt sei Allah! — der Schuster von Kairo wird die Prin zessin glücklich machen. Das Buch ist witzig, die Par titur orientalisch von einem Ende zum andern, ohne zu ermiiden. Rabaud instrumentierte seine hübschen Einfälle in glänzender Weise, ohne Anleihen rechts und links bei Puccini oder andern. Man wird sein Lob singen. Parier, Mlle. Davelli, Vieuille u. a. sangen prachtvoll: das Orchester unter Rühl mann war ganz ausgezeichnet und die Ausstattung, die in Paris vor keiner Haremsentkleidung mehr zurück schreckt, verführerisch. Von den „prosaischen" Novitäten, mit denen die Saison abschließt, läßt sich nichts Gutes berichten. Arthur Meyer, der royalistisch-ultramontane „Gaulois"-Bositzer, debütierte siebzigjährig als Komö- Lienschreiber und wollte in einem Sittenbild „Ce qu'il faut taire" beweisen, daß die Aristokratie vor lauter Flirt und Tango, dazu auch Aether, Kokain und Morphium, nicht mehr an Thron und Altar denkt. Ein gutgesinnter klerikaler Deputierter, der gegen die Scheidungen donnerte, entgeht selbst nur den Folgen des Ehebruchs, weil sich der Neben buhler mit einer zu kräftigen Dosis „Coco" um bringt. Nach vier Aufführungen von „Was man ver schweigen muß" gab es in den Bouffes Parisieus einen'dringend nötigen Programmwechsel — „La Sauvageon ne" von Gurraud behandelt das unglaubliche Thema eines „WilLfangs (Rille. Po- laire), der den eignen Baier zum Geliebten haken will und erst etwas spät erfährt, daß er doch nicht der wahre Vater ist — wonach die Sache keinen Reiz mehr für den Autor hat, und er das Paar trennt. (!!> In der „Comodie Fran^aise" endet die Novitäten reihe mit — „Macbeth". Carr6 Dars Shake speare wieder ins Repertoire aufnehmen, dank Richepin, der Lem ollen William mit seiner Mit arbeit unter die Arme griff. Die Verse des jüngst bei den Wcchlen durck^efallenen Akademikers und Expoeten der Landstreicherei sind gut geschmiedet, aber nicht so originalgetreu, wie er versprach. Die Aufführung, war bemerkenswert, aber ebenfalls nicht frei von Stilverstößen. Das Haus Moli.' rc ist fremden Klassikern nie eine einwandfreie Kultstätte gewesen. Carl b.skm. * Der r. Tag des HI. Großen Leipziger Bach- Festes ist der weltlichen Musik Joh. Seb. Bachs gewidmet. Er bringt zwei Gewandhauskonzcrtc: mittags 12 Uhr Chor- und Orchesterkonzert (u. a. die weltliche Kantate „Herkules am Scheide wege", die Urform des Weihnachtsoratoriums), abends A8 Uhr Kammermusik mit Max Reger. Zldolf Dusch, Julius Klengel, Maxi milian Schroedler und Frau Anna Stronck- Kappel. * Holbergs Jeppe von Bergen als Opernheld. Holbergs unsterblicher Bauer Jcppe. diese reifste Ausprägung der derben Lustspielgestalt, die wir auch in Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung" und in Gerhart Hauptmanns „Schluck und Iau" im Traum aus der Niedrigkeit so überraschend zu höchsten Ehren erhoben sehen, wird nunmehr auch die Opernbiihne betreten. Wie wir erfahren, hat Friedrich Freksa, der bekannte Dichter, soeben ein > Textbuch vollendet, das den Stoff der Holbergschen Komödie behandelt und von Paul von K lenau. j dem Autor der bereits vielfach gespielten Oper r „Sulamith", vertont werden wird. * Ein 4V VV0 6-Preis für das Drama einer Frau. ! Die in literarischen Kreisen Amerikas mit lebhafter > Spannung erwartete Entscheidung der Preisrichter über die Erteilung des von dem New Parker Theaterdirektor Winthrop Ames ausgesetzten großen Preises für das beste amerikanische Drama ist nun gefallen. Der Preis besteht in einem festen Tantieme vorschuß in Höhe von 40000 ./L und weiterhin in 8°/« von Len Bruttoeinnahmen des Werke». Als Preisrichter walteten Direktor Ames, der Dramatiker Augustus Thomas, der als Vor sitzender des Verbandes der amerikanischen Dramatiker eine angesehene Stellung hat, und Adolph Klauber, der frühere Theaterkritiker der New Park Times. Die drei Herren haben nach lOinonatiger Arbeit unter den 1600 anonym ein gereichten Manuskripten ihre Entscheidung getroffen und das Drama „Kinder der Erde" preisgekrönt. Das Werk spielt in einem ländlichen neuenglischen Milieu. Es ergab sich, daß der Autor dieses Dramas die 57jährige Miß Alice Brown aus Boston ist, die bisher noch niemals ein Theaterstück geschrieben hat und nur durch kleine Novellen und Aufsätze her- voraetretcn war. Unter den Bewerbern um den 40000-Mark-Preis, den nun eine Frau erobert hat, befanden sich eine Anzahl der bekanntesten und meist gespielten amerikanischen Dramatiker. * Der städtische Musikdirektor Fritz Busch aus Aachen wird im kommenden Winter drei Konzerte in Berlin lPhilh. Orchester), ein Konzert in Leip zig (Winderstein-Orchester) und zwei Kon zerte in München (Konzertvereins-Orchester) dirigieren. * Kleine Kunstchronik. Der Deutsche Schrift stellerinnenbund E. V. veranstaltet vom 28. bis 30. Juni d. I. in der Buchgewerbe-Ausstel lung in L e ip z i g einen „ K o n g r eß d e u t s ch e r Sch ri ft st e l l e r i n n e n , m dem alle Kolleginnen willkommen sind. Wichtige Bcrufsfragen sollen er örtert werden, wie: Der Dilettantismus in der weib lichen Literatur: Das dramatische Schaffen der Frau; Honorar-, Verlags- und Vertragsverhältnisse. An meldungen sind zu richten an die erste Vorsitzende Fräulein Katharina Zitelmann, Berlins.50, Ranke straße 31/32. — Der Pariser Internationale Kongreß für Musik wurde mit einem Empfang in den eleganten Räumen des Excelsior eröffnet. — In Lad Ems ging im neuen Kurtheater, einem Bau von glänzendem Eindruck, zur E r ö f f. nung zunächst ein von Direktor Steingötter ver faßtes Festspiel „Bäderley" in Szene. Dann folgte eine vortreffliche Aufführung der „Fledermaus". — Hermann Zilchers Oratorium „Die Liebesmesse" Text von Witt Vesper, erlebte auf dem Hessischen Musikfeste in Bingen die zweite Aufführung, die dem Werk denselben durchschlagenden Erfolg und die gleiche begeisterte Aufnahme brachte wie die Uraufführung in Straß burg. Für weitere Ausführungen ist das Werk be reits von den ersten Lhorvereinigungen in München, Breslau und Elberfeld angenommen worden. — Das Heidelberger Landgericht bat gestern die 1886 ge schloffene Ehe des Geheimrats Professor Thove und seiner Frau Daniela geb. v. Bülow geschieden. Als der schuldige Teil wird Professor Thode erklärt. Daniela Thode ist die älteste Tochter Cosima Wagners und Hans v. Bülows. * Die Hauptversammlung des Vereins Deutscher Chemiker wurde heute in Bonn durch den Vor sitzenden Direktor Dr. Krey - Halle a. S. eröffnet. Geheimrat Professor Dr. Haber, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Jnstituts für phnsikalische Chemie, Berlin, hielt den ersten Vortrag über die synthetische Gewinnung des Ammoniaks. * Eine Spezialkarte von Mexiko hat die be kannte Firma Carl Flemming A.-G., Berlin zv. 50 und Glogau anläßlich der Vorgänge zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko hrr- ausgebracht. Die vollendet technische Ausführung dieser Karte ist überraschend und ermöglicht es, da sie mit wunderbarer Schärfe auch die kleinsten Ein zelheiten der Orts-, Boden-, Verkehrs- und Grenz verhältnisse wiedergibt, sie auch zur Verfolgung der schon seit Jahren andauernden inneren Unruhen zu benutzen. Der Karts ist eine ausführliche statistische Beilage zugegeben worden. (Preis 1 .st.) Vas Slück äer anderen. 13s Roman von Fritz Stüber-Gunther. (Oopz-rix/kt 1914 Srotklsin <t Co. (1. m. b. U. I.oiprix.» Und er, Anton GottSmann, hatte schon aus einsiedlerischer Menschenscheu, grillenhafter Ver drossenheit den Abend im Terramonteschen Hause versäumten und so dem späten Glücke, das dort seiner harrte, die Tür zuschlagen wollen! Glück lich rvar er schon gewesen, den eigenartigen Künstler und aufrechten Menschen, den er längst von fern verehrte, von Stuhl zu Stuhle, von Angesicht zu Angesicht, von Mund zu Munde kennen zu lernen. Wie sollte er sich nun erst fühlen, da er so zauberhaft rasch seinem Herzen nahegekommen, da ein inniger Bnnd zwischen ihnen geschlossen worden war, der ihm eine Zu kunft von abendsonnenaoldener Schönheit ver hieß? Alles Kleinliche, Widrige mit einem Rucke abzustreifen, keinem Zwecke fürder zu leben, als dem Ideal seiner edlen Kunst, ins Land seiner Sehnsucht zu schreiten an der liebevollen Hand eines kundigen und treuen Führers — niemals hatte er solche Hoffnung aufgegebcn, stets war sie es gewesen, die ihn unter tausend Verdrieß lichkeiten geduldig erhielt, die ihn entschädigte für Versäumtes und vergebens Erstrebtes, ihm Geselligkeit und Familie ersetzte, für die er ge spart und geknausert und üble Nachrede, Miß gunst und Spott ertragen hatte. Allmählich glaubte er sich ihrer Erfüllung zu nähern, un verzagt zählte er die Schritte, die er bereits getan hatte, nicht jene, die noch zu tun waren. Aber, jetzt sah er's ein, im Laufe vieler gleich förmig öder Dienstjahre war er doch wohl zu matt und mürb geworden, um aus eigener Kraft endlich zur Wirklichkeit zu machen, was ihm als Luftschloß vor Augen schwebte. Von außen mußte der Anstoß kommen, fremde Energie mußte mit freundschaftlichem Verständnis seinem Sehnen und Planen feste Gestalt geben. Weh' ihm, wenn sich dieser Anstoß und die- ser Freund nicht gefunden hätten! Heil ihm, daß sie sich doch noch zu rechter Zeit eingestellt! Frau Kienast trug das Frühstück auf, noch immer unsicher und schuldbewußt, noch immer in bangem Zweifel, ab ihre gestrige Ueberrumpe- lung und Entlarvung ihr die böse Frucht der Kündigung bringen sollte oder nicht. Aber weniger noch als gestern schien ihr Herr heute geneigt, auf diese Frage einzugehcn, der geraden Frage, die sie auf der Zunge hatte, geradehin zu antworten. So beschloß sic denn, zu schweigen und sein Schweigen in günstigstem Sinne zu deuten. Und der frohe, milde Glanz, dec auf des Revisors bartlosem, faltigem Ant litz lag und den sie so selten gesehen hatte, gab auch ihr fröhlichen Mut . . . Auf dem Wege ins Amt — Herr Gottsmann war noch niemals so sorglos im gefahrvollen Gewühlc der Weltstadt dahingeschrittcn, noch nie so nahe der drohenden Näherung gewesen — auf seinem gewohnten Bnrcauwegc zwang er sich, ans den zzöhcn, wohin ihn der Ileberschwang seines Glücksempfindens emporgerissen hatte, zum Irdischen zurückznkehren, die Vorgänge des letzten Abends kühler wieder zusammenznfassen. Als er im Musikzimmer Terramontcs die Arie der Stella mit den frendcbangen, im Pia- nissimo verhauchenden Akkorden: „Hab' ich ihn denn wieder? — Ist er da?" — geendigt hatte und sich, von Erregung geschüttelt, erheben wollte, sah er Stefan Khautz neben seinem Stuhle stehen: gewahrte er mit grenzenlosem Erstaunen, wie jener einen zweiten Stuhl ans Instrument, an seine Leite schob. Hatten sie da ein Wort gewechselt? Nein, dessen bedurfte cs nicht. Ihre Gedanken fanden sich ohne lahme Vermittlung der Sprackw. Und dann spielten sie zusammen das stürmisch dahinbrauscnde, alle Bitternisse des Todes, aber auch alle Süßig keiten der Erlösung malende Finale: „Am Ziele denn! So gehe du hin zu dem, dem du an- gehörst . . ." Und dann hatte der Komponist gesagt, innig, doch so leise, daß cs niemand hörte außer ihnen beiden: „Ich habe Ihnen Abbitte zu leisten, Herr Gottsmann. Ich danke Ihnen für die Belehrung und Bekehrung, aber auch von ganzem Herzen für die reine Freude, die Sic mir bereitet haben . . ." Hierauf waren sic zu den anderen zurück- gekehrt — körperlich nur, denn was ihre Geister verband, daran hatte weder Herr noch Frau von Lerramonte, geschweige denn die Negierungs rätin und ihr Sohn Anteil. Kür keinen mehr war an diesem Abende der berühmte, gefeierte Stefan Khautz da, als für den unbekannten, be scheidenen Anton Gottsmann. Und als die Zeit kam, da jener aufbrcchen mußte — denn er reiste noch am selben Abende in seins Vater stadt zurück, wo ihu Ehren, aber auch Pflichten hundertfach erwarteten —, da lehnte er des Hausherrn Wagen ab, der ihn zur Bahn brin gen sollte, und lud den Revisor ein, ihn zu Fuß zu begleiten: „Das heißt, wenn Sie einverstanden sind, Herr Gottsmann. Die Nacht, scheint mir, ist ja schön . . ." Ob er sich einverstanden erklärte! Ob die Nacht schön war! Und nun sah er, daß er den Freund gesun den, nach deni er sich in seiner freiwilligen Vereinsamung unbewußt gesehnt hatte, der ihm — nicht in mitleidigem Erbarmen, nein, voll aufrichtiger Anerkennung und Hilfsbereitschaft — die Hände cntgcgenstrecktc. „Die Großstadt mit ihrer lärmenden, kul- turwidrigcn Gleichmacherei, ihrer pietätlosen Fortschrittlichkeit, lieber Gottsmann, ist nicht der richtige Boden für Ihr heiliges Streben, das, versteh' ich Sie recht, nach feinstem musikalischen Genießen zuerst, nach eigenem künstlerisct)en Schaffen in zweiter Linie zielt," hatte Stefan Klmutz gesagt. „Tas alte Mozarthaus, in das Sic sich geflüchtet lfabcn — wie lange wird cs das geldgierige Banausentum noch in Ruhe be stehen lassen? Kommen Sie zu mir, in meine Vaterstadt, wo Mozarts Andenken stärker und verdichteter lebt, wo Berg und Wald und Fluß hussitischer Umwälzungs- und Neuerungssncht doch natürliche Grenzen ziehen, wo ich gern das Wenige, worin ich Ihnen voraus bin, mit Ihnen teilen will, wo Sie auch Ihre leiblicl-e Gesund- heil besser pflegen können und — die lähmende Erinnerung an Ihr trockenes Bureaukratentum leichter tilgen können . . . Sic sind doch fest entschlossen, dem Aktenwust endlich Valet zu fasten? Und man wird Sie ja auch mit Aus zeichnung und ungekürztem GclMc ziehen Er sei dazu entschlossen, hatte Gottsmann Mit Wanne geantwortet, seit heute abend sei sein Entschluß unerschütterlich. Tie Schwierig keiten, die man ihm etwa machen werde, hoffe er zn besiegen, aber von irgendwelcher Aus zeichnung sei wohl ebensowenig die Rede wie vom vollen Rnhegehalte: „Glücklicherweise lege ich auf jene keinen Wert nnd ich vermag den immerhin beträcht lichen Geldentgang, den die vorzeitige Pensio nierung nach sich zieht, zu verschmerzen. Darum hab' ich ja Monat für Monat Ersparnisse zn Ersparnissen gelegt . . ." „Bravo! Also wann kommen Sie? Im Frühjahr noch? Nein? Also im Sommer? Oder gar erst im Herbste?" „Es wird wohl noch etwas länger dauern, bis alles gehörig vorbereitet und geordnet und die letzte Fessel gelöst ist. In diesem Jahre wird es taüni mehr sein können, aber, will'S Gott nnd mein Vorstand und der Herr Minister, gleich zu Anfang des nächsten." Das fand Stefan Khautz unbegreiflich lang. Er schalt in den despektierlichsten Ausdrücken auf die Einsichtslosigkeit der Vorgesetzten und die Schneckenhastigkeit des bureaukratischen Ge schäftsganges und versprach, unter seinen ein flußreichen Bekannten Umschau zu halten, ob denn keiner die Angelegenheit befürworten und betreiben könnte: „Schreiben Sie mir nur fleißig, wie die Dinge jeweils stehen, schreiben Sie mir alles — nur eines schreiben Sie mir nicht: Daß Sie sich's wieder anders überlegt hätten und auch weiterhin Tintcnsklave bleiben wollen . . . Und im Sommer, wenn Sie Urlaub haben, dann besuchen Sie mich, damit wir uns gleich ge meinsam an Ort und Stelle umsehen und uns ein wenig cinzurichten beginnen. Hand darauf! . . . Also da bin ich. Wie, zweites Läuten schon? Nun denn — aus Wiedersehen, lieber Freund, auf möglichst baldiges, frohes Wieder sehen! Grüßen ^sie mir nochmals herzlich den wackeren alten Terramonte und feine verehrte, schöne Hausfrau! Und bleiben Sie hart im Kampfe um Ihre Freiheit!" Türen schlugen dumpf ins Schloß, Pfeifen schrillten, Tücher wehten. ' * (Fortsetzung in dsr Abendausgabe.)
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