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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.06.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140605016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914060501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914060501
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-05
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Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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Sette 2. Nr. 2S0. Klorscrr-Nusqsbe nicht berücksichtigt sind, daraus zu prüfen, ob ein Anlaß zu einer Beanstandung auf Grund der Fleischbeschauvorschriften vorliegt. Auf et- lvaige Anzeichen nachträglick-eu Verderbens ist besonders zu achten. Heer und Zlotte. * Vorzeitige Fertigstellung uon Nojyth. Es ist vor kurzem be'anntgegeben worden, daß der englische Haupt- und Unterseebootshajen in Nosyth im Be darfsfälle bereits benutzt werden kann. Die Arbeiten an dem eigentlichen Kriegshafen, die eine noch un umschränktere Beherrschung der.Nordsee durch Eng land als bisher herbeiführten, sind demnach bereirs letzt, also viel früher als vorauszufehen war, als in der Hauptsache fertiggestellt anzusehen. Man mutz demnach schon letzt mit Nosyth als strategi sche in Stützpunkt der englischen Streit kräfte rechnen. Eine wesentliche Verstärkung der Position und Vervollkommnung der Anlagen in Nosyth ist namentlich in letzter Zeit bewerkstelligt worden. Der Unterseebootshafen wurde auf 1,5 Meter vertieft, was mit der Verdrüngungssteige- rung der Unterseeboote zusainmcnhängt. Ein großes Trockendock ist bereits fertig, und ein drittes wird jetzt in Angriff genommen. Bemerkenswert ist auch die Anlage der grotzen Kohlenstation, auf der die grützten Schiffe gedeckt Kohlen einnehmen können, da sie durch eine grotze Mole geschützt sind. Weiter ist ein 20 WO Tonnen fassendes schwimmendes Kohlen depot, das erst für Portsmouth bestimmt war, nach Nosyth geschafft worden. Der Hafen wird als Haupt- kriegslfafen für die grötzten Schlachtschiffe sowie für alle übrigen Schiffe eine hervorragende Bedeutung für England beanspruchen. Kegen Spionage hat man sich in Nosyth besonders geschützt. Jeder, der die Werstanlagen besucht, hat seinen Namen mit Kopiertinte in ein Buch einzutragen. Die Kopie wird sofort der Admiralität eingcfandt. Die Arbeits leistung. die in Nosyth vollbracht wurde — es sind über 2000 Arbeiter beschäftigt—. ist um so bemerkens werter, als ein grotzer Streik eine ganze Zeitlang zur Einstellung der Arbeiten zwang. Auch auf den schnellen Ausbau von Lromarty wird in letzter Zeit besonderes Gewicht gelegt. Der Hafen soll Anschluss an das Haupteisenbahnnctz erhalten, und das grotze Medway-Schwimmdock wird dort stationiert. Ausser dem wird der Bau von grotzen Forts beschleunigt. Weiter wird die Schaffung neuer Stützpunkte für kleine Kreuzer, Torpedo- und Unterseeboote auf den Orkneyinscln betrieben. Auch in Cork (Irlands so wie in Pembroke (Millforthafenf sind neue Hafen anlagen in Angriff genommen, so dass dort Teile der dritten Flotte, voraussichtlich das Kreuzergcschwader, stationiert werden können. koloniales. Aus Togo. Die Einnahmen und die Ausgaben des Schutz gebietes im Rechnungsjahre 1913 sind soweit ver rechnet, dass das Amtsblatt für Togo eine ausführ liche Uebersicht der Finanzlage des Schutz gebietes veröffentlichen kann. Während das Rech nungsjahr 1912 mit einem Ueberschutz von rund 391000 .ll abfchlotz, besteht das Ergebnis des Vor jahres in einem Fehlbeträge von rund 170000 Mark. Zwar haben die Steuern gegen den Anschlag rund 72 000 .K mehr erbracht, und auch an sonstigen Abgaben, Kcbühren und verschiedenen Verwaltungs einnahmen sind rund 04 000 .X überetatmätzig ein gekommen; aber die Zölle sowie die Nebeneinnahmen der Zollverwaltung ergaben eine Mindereinnahme von rund 106 000 -tt, und bei den fortdauernden Aus gaben hat eine Etatsüberschrcitung von rund 100 MO bei den einmaligen Ausgaben eine solche von rund 6K00 .tt stattgefunden, und ausseretat mässig waren (hauptsächlich für die Vermarkungs expedition) rund 30 000 .11 zu verausgaben. Auf Leipziger Tageblatt. Grund einer neuen Verordnung, die den Erlatz von Jagdverboten ermöglicht, ist die Jagd auf Flußpferde im Gebiete des Monuslusses, die Jagd auf Edelreihcr sowie auf Seetühe im ganzen Schutz gebiete bis auf weiteres verboten worden. Als autzeramtliche Mitglieder des Gouvernements rates hat der Stellvertretende Gouverneur von Doering .'» Kaufleute, 2 Geistliche und 1 Pflanzungs direktor berufen. Deutscher Reich. * Die Mitglieder der Zweiten Ständekammer treffen heute, Freitag, zum Besuch derBugra in Leipzig ein. Sie werden um 1 Uhr mittags im Mittelbau des Schulhauses vom Präsidenten der Ausstellung, Dr. Volkmann, im Namen des Direktoriums begrützt. Dann erfolgt ein Nund- gang durch verschiedene Ausstellungsgebäude unter sachkundiger Führung. — Nach dem Rundgang wird gegen 5 Uhr den Landtagsabgeordneten im Studenten hause „Alt-Heidelberg" von der Ausstcllungsleitung ein kalter Imbitz geboten. * * Kaiser Wilhelm in Marienbad. Aus Wien wird gemeldet: Kaiser Wilhelm trifft am 13. Juni in Marienbad zum Besuche des Prinzen Adalbert ein. Dabei wird er die Friedrich-Wilhelm- Stiftung besichtigen, die für kranke Reichsdeutsche geschaffen worden ist. Nach der (Gemeindeordnung des Königreichs Böhmen ist Kaiser Wilhelm auch Mitglied der Gemeinde Marienbad. * Das hessische Grohherzogspaar in München. Nachdem am Donnerstag vormittag der Erotzherzog und die Grotzhcrzogin von Hessen in München dem Glaspalast und der Sezession einen Besuch abgestattet hatten, machte der Erotzherzog mittags im Nathause von München seinen Besuch. Er nahm dort den Ehrentrunk entgegen und zeichnete den Oberbürger meister Dr. v. Borscht mit einem hohen Orden aus. Dann frühstückte er um 1 Uhr beim Kronprinzen. Am Nachmittag fanden ein Ausflug im Automobil nach dem Starnberger Lee und eine Dampferfahrt auf diesem See statt. * Kein Wahlprotest in Stendal-Osterburg. Wie der „Tangermündcr Anzeiger" mitteilt, werden die Konservativen in Osterburg-Stendal keinen Pro test gegen die Wahl Wachhorst de Wentes einlegen. * Die Arbeitslosenversicherung in Bayern. Die bayrische Abgeordnetenkammer beschäftigte sich am Donnerstag nachmittag, wie uns aus München draht lich gemeldet wird, mit dem ablehnenden Beschlutz der Reichsratskammer zur Frage der Einführung der Arbeitslosenversicherung. Die Abgeordnetenkammer entschied sich dahin, dem Beschlutz der Reichsrats kammer nicht beizutreten. Im Verlaufe der Debatte richtete der sozialdemokratische Redner Timm scharfe Angriffe gegen die Reichsratskammer und auch gegen die ihr angehörenden Prinzen des bayrischen Königs hauses, wobei es wiederholt zu heftigen Zusammen- stötzcn mit dem Präsidenten des Hauses kam. Mit dem Votum der Abgeordnetenkammer ist die staat liche Unterstützung der gemeindlichen Arbeitslosen versicherung endgültig als gescheitert zu be trachten. * Der Landtag des Fürstentum» Neuß j. L. wird am 10. Juni wiener zusammentreten und dem Vernehmen nach sofort die neue Gemeinde ordnung beraten. Der eingesetzte Ausschutz hat im allgemeinen die Vorschläge der Regierung angenom men. Gera erhält ein besonderes Gemeindewahl recht, das auf dem Plural- und Verhältniswahliystem beruht. Der 8 47. der das Wahlrecht in den übrigen Gemeinden regelt, erhält nach den Beschlüssen des Ausschusses folgenden Wortlaut: „In den Städten autzer Gera sowie in den ländlichen Gemeinden bis 3000 Einwohnern gelten diejenigen als gewählt, die verhältnismäßig die meisten der gültig abgegebenen Stimmen erhalten Haden." Ferner wurde vom Aus schutz beschlossen, datz die Höchstbesteuerten nicht wie bei der Landtagswahl 5, sondern 6 Stimmen er- halten. Die Annahme der Vorlage im Plenum steht nutzer allem Zweifel. Ausland. Dänemark. * Zur Lösung der Staatenlosensrage in Nord« ' schleswig. Aus Kopenhagen wird gemeldet: Der Vorsitzende der radikalen Parteigruppe des Folkething, Poulsen, hat an den Minister des Aeutzern folgende Anfrage gestellt: Ist der Minister des Beugern in der Lage, dem Folkething Aufklärung über die Verhandlungen zwischen Dänemark und Deutschland wegen der vertragsmässigen Lösung der S t a a t e n l o s e n f r ag e in Nordschleswig und der damit im Zusammenhang stehenden Fragen zu geben? Frankreich- * Deschanel ist, wie aus Paris gemeldet wird, mit 411 von 435 gültigen Stimmen endgültig zum Präsidenten der Kammer gewählt worden. Selgierr. * Nach den Kammerwahlen. Aus Brüssel wird gedrahtet: Der Generalrat der sozialdemokrati schen Partei tritt heute mit einem Manifest vor das belgische Volk, worin gesagt wird, datz die jüngsten Wahlen der Partei einen grotzen Sieg gebracht haben, da sie einen Gewinn von 50 WO Stimmen zu verzeichnen habe, obgleich nur die Hälfte des Landes an die Wahlurne gerufen wurde. Die sozialdemo- kratisck>e Fraktion werde beim Wiederzufammentrttt der Kammer im November den Antrag auf Ver- fassungsänderung im Sinne der Einführung des all gemeinen gleichen Wahlrechts aufs neue stellen. Die liberale Presse ist angesichts des Wahlausfalles zum Teil der Meinung, datz die Regierung verpflichtet sei, die Kammer auszulösen und Neuwahlen auszu schreiben. Die Blätter meinen ferner, es sei unvor sichtig vom König gewesen, zwei Tage vor den Wah len das klerikale Schulgesetz zu bestätigen, denn die Wahlen hätten bewiesen, datz mindestens die Hälfte des Landes mit dem Schulgesetz nicht einverstan- den ist. Rußlau-. * Neue Getreideelevatoren. Nach einer Reihe in Jekaterinodar und Rostow am Don abge haltener Konferenzen beschlossen die Vertreter der Reichsbank und des Handelsministeriums im Don- gebiete und im Nordkaukasus, unverzüglich den Bau von 58 E levator e n mit einer Eesamtkapazität von 30—40 Millionen Pud zu beginnen. Sulgarlen. * Die griechenfeindlichen Kundgebungen in Sofia. Die bulgarische Regierung hat ihren Geschäftsträger in Athen beauftragt, der griechischen Regierung das Bedauern über di« Vorfälle am Mittwoch in Sofia auszudrücken. Srtechenlan-. * Sammlung für einen Dreadnought. Der Namens tag des Königs wurde in ganz Griechenland mit allgemeiner grotzer Begeisterung gefeiert. Bei dieser Gelegenheit wurde eine Subskription für einen Dreadnought eröffnet, der den Namen des Königs tragen soll. Dreißig M i l lionen sind bereits gezeichnet. Türkei. * Die italienischen Eisenbahnkonzessionen in der Türkei. Aus Konstantinopel wird gemeldet: Nogara, der Vertreter der italienischen Kruppe, die Eisenbahnkonzessionen für das Becken von AdaliaMakri anstrebt, hat mit dem Finanz minister Dschavid Bei Verhandlungen betreffend Sicherstellung von Kilometergaranticn ein. geleitet, die in dem Arbeitsministerium vorgelegten Plänen gefordert werden. Es verlautet, datz die Ver handlungen einigen Schwierigkeiten begegnen. Muag, S. I»»i IS14. Sitzung -es -lusschuhe» -er Deutschen Turnerschaft. m. nx. Leipzig, 5. Juni. Der ernsten Bormittagsarbeit des gestrigen Tage» folgte nachmittags 2 Uhr ein gemeinschaft liches offizielle» Mittagsmahl, an dem u. a., wie wir schon in unserer gestrigen Abendausgabe mitteilten, Stadto.-Vorst. Justiz rat Dr. Rothe und Professor Erbes toilnahmen. Geheimrat Goetz begrüßte die Anwesenden, ins besondere die beiden genannten Gäste, herzliM und schloß mit einem Gut Heil! auf das deutsche Vater land. Weiterhin überreichte Geheimrat Goetz Staidtv.- Vorst. Zustizrat Dr. Rothe mit warmen Worten der Anerkennung für geleistete treue Dienste zum Ge lingen des 12. Deutschen Turnfestes die Ehrenurkunde der D. T., deren Wortlaut wir ebenfalls in der gestri gen Abendausgabe mitteilten. Iustizrat Dr. Rothe dankte mit herzlichen Worten für die hohe Auszeich nung und versicherte, datz sich auch Oberbürgermeister Dr. Dittrich, dem ja ebenfalls die Ehrenurkunde verliehen wurde, sehr Uber die Auszeichnung freuen werde; beweise sie doch, datz die Bande zwischen Deutscher Turnerschaft und Stadtgemeinde Leipzig dauernde geworden seien. Dr. Goetz verliest eine Karte der Turnergemeinde Leipzig, au» der hervorgeht, datz Iustizrat Rothe schon lange ein regelmäßiger Turner dieses Vereins ist und also, entgegen den Worten des Geehrten, schon langjähri ger Turner genannt werden kann. Des weiteren widmete Geheimrat Dr. Goetz dem Geschäftsführer der D. T., Stadtschulrat a. D. Prof. Dr. Rühl, für seine 40jährige Zugehörigkeit zum Ausschuß warme herzliche Worte des Dankes und überreichte ihm, zu gleich um auch seiner Frau Gemahlin eine Freude zu bereiten, eine kostbare silberne Schale, geschmückt mit roten Rosen. Mit bewegten Worten dankte Stadtschul rat Professor Rühl für das schöne Geschenk. 40 Jahre lang habe er mit gearbeitet und er glaube, auch seine Schuldigkeit getan zu haben. Stets hab? er seine ganze Person für die gute deutsche Turn sache eingesetzt. Selbstlos glaube er gearbeitet zu haben, wie es Pflicht eines jeden Turners sei. Was die Arbeit im Ausschuß anlange, so sei sie deshalb ganz besonders erfreueird, weil eine schöne Einigkeit zwischen den einzelnen Mitgliedern immer herrsche. Wenn hier und da zwischen ihm und Geheimrat Goetz Meinungsverschiedenheiten geherrscht haben, so sei das nur zum Vorteil gewesen. Der Kampf sei der Vater aller Dinge. Mit nochmaligem Danke und der Versicherung, im Geiste der Liebe zur Turnsache und der Freundschaft untereinander treu weiterzu arbeiten, schloß der Redner. Frohbewegt stieß man miteinander an. Noch manches schöne Wort wurde gesprochen, und die Teilnehmer am Mahle konnten ^6 Uhr zufrieden zu neuer Arbeit zusammentreten. Die Verteilung über die Beihilfen aus der Dr.-Ferd.-Goetz-Stiftung kann infolge der frühen Einberufung der Ausschutz- sitzunq noch nicht erfolgen. 12 390 stehen voraus sichtlich zur Verfügung. 174 Bewerbungen liegen vor. Auf Antrag Goetz wird weiter beschlossen, Satzungen über die Verwendung der Ueberschüffe der „Deutschen Turn-Zeitung" aufzustellen, die in der Vorlage von Dr. Goetz an genommen werden. Die Satzungen sprechen die Ver wendung der Erträgnisse außerordentlichen lln- glücksfällen beim Turnen zu. Die Zuwendungen sollen einmalig oder wiederkehrend sein. Die Fest setzung der Höhe haben der Vorsitzende, der Geschäfts führer und der Kassenwart der Deutschen Turner schaft. Dem Schriftleiter der „Deutschen Turn- Zeitung", Seminaroberlehrcr Groh, wird An- Drittes Leipziger Sach-Zest. Zum drittenmal begeht Leipzig die Feier des Gedächtnisses des großen Johann ise-- bastian Bach in Gestalt eines dreitägigen musikalischen Festes. Eng verknüpft mit der Geschichte des Kunstlcbcns unserer Stadt ist jene des Altmeisters, dessen bedeutendsten Werke hier entstanden. Denkmäler der allgemeinen Geschichte der Kunst im Zusammenhänge mit der Kulturentwickelung, nahmen sie Gestalt an in mitten engbegrcnzter bürgerlicher Verhältnisse und bescheidener Lebensstellung. Bach war der Winckelmann der Musik. In beiden bewahr heitete sich die Leibnizsche Lehre von der prä- stabilierten Harmonie, daß nämlich alles in starker Wechselwirkung sich aus einem Da- seiusgrunde entfalte. Bach und Winckelmann gingen aus einem bescheidenen Lebcnstreisc her vor; jener lehrte die Thomasalumnen singen, dieser brachte als Schulmeister den Kindern das Abc bei. Das Wirken aber des einen wie des andern bedeutete für die Entwicklung der Musik und der Kunstwissenschaft den Anbruch der Re naissance. Auch Bachs Zeit selbst fand ihre Vorbereitung. Leibniz und Newton verfochten kühn den subjcltcven Idealismus und Spinoza lehrte die Seligkeit der Erkenntnis und des Friedens der Gotlergcbenhcit. Allmählich ward das Dogma bestritten, aber in gleichem Maße wuchs das religiöse Gefühl, und aus ihm her aus empfing das deutsche Wesen neue Gestal tung. Trotz der Wirren und Schrecknisse eines ganzen Jahrhunderts erhielt sich das geistliche Volkslied und der Gemeindegcsang. Bachs zu weilen harte Kraft bemächtigte sich des Cha rakteristischen und Tiefsinnigen, das hierin ge borgen war, und ließ es in seinen kirchlichen Werken zu neuer Schönheit erstehen. Mit der Mystik des Ausdrucks verbindet Bach die bedeut same Schwere des Stils, die ihn von Händel so entschieden abweichen läßt. Und seine Kunst des Kontrapunkts und der Ausnutzung eines musikalischen Themas gleicht der gotischen Archi tektonik mit ihrer vielvcrschlungenen, aus einem Grundmotiv sich von unten nach oben bewegen den Arabesken und feuer kunstvoll durchbro chenen Arbeit, die dem künstlerisch empfangen den Sinn immer neue Nahrung gibt. In zwie facher Beziehung erstreckte sich Bachs Wirken noch aus das weltliche Gebiet. Der Klavier musik wies er neue Pfade, ordnete das schwan kende Tonsystem der Zeit und bot un „Woyl- temporierken Klgvier". im Gewand polyphoner Gebundenheit individuelle Tonpoesien. Der größte Orgelmeister seiner Epoche, schuf Bach ferner eine grundlegende und auf Jahrhunderte hinaus tonangebende Orgelmusik, die das kleinste Präludium wie das komplizierteste Kunstgebilde in sich schloß und besonders auch den protestan tischen Choral mit all seiner unversieglichen Volkstümlichkeit musikalisch und dichterisch ver wertete. I. Vier Kantaten bildeten das Programm des ersten Konzerts in der Thomas- kirche. Zelter schrieb einmal an Goethe, der Leipziger Thomaskantor sei eine wahre Er scheinung Gottes, „klar, doch unerklärlich." So will bei stets erneuter Betrachtung denn auch die Fülle des Gcdankenmaterials wie der For men säst unerklärlich erscheinen, in der der Alt meister sich immer wieder als ein neuer und anderer darstellt. Nachdem das Leipziger Ver lagshaus Breitkopf L Härtel in einer Gesamt ausgabe der Allgemeinheit den unerschöpflichen Schatz erschloß, den beinahe zweihundert kirch liche Kantaten enthalten, machte sich eine er neute Intcrcsscnahme für diesen Zweig Bachi- scher Betätigung in steigendem Maße bemerk bar. Die gestern zur Aufführung gelangten Kan taten unterscheiden sich beträchtlich im Hinblick auf Stimmung und Inhalt. Hinlänglich be kannt ist, daß die größere Anzahl dieser Werke als Gelegenbeilstomposilionen von Bach für den jeweiligen Bedarf geschrieben wurden. So galt die Kantate „Lobe den Herrn, meine Seele" der Leipziger Ratswahl im August 1724. Der weirausgeführte Eingangschor kenn zeichnet in Verbindung mit dem Orchester die festlich erhobene Stimmnng. Eine Bach speziell eigene Kraft volkstümlicher Gestaltung herrscht in dieser gewaltig dahinbrauscnden Dvppelfuge, gegen deren freudig erregte Empfindung die fol gende Sopranarie einen stark gegensätzlichen und ausgesprochen beschaulich anmutenden Ton an- schlägt. Bedeutender noch will die Baßarie „Mecn Erlöser" scheinen, die sich vornehmlich durch scharfe, zuweilen fast an Tonmalerei er> innernde Charakteristik auszeichnet. Beide Arien aber stehen musikalisch immerhin hinter dem pompösen Eingangschor weit zurück. Von großer Wirkung ist wieder der abschließende Choral, der jene erste Stimmnng wieder ausnimmt und sic durch Verwendung der Pauken und dreier Trompeten noch ivcitcrhin ausprägt. Die zweite Kantate „Es ist nichts Ge sunde» an meinem Leibe" führt mit den Worten des 38. Psalms tiefer hinein in das persönliche Gefühlsleben. Wieder enthält der wundervolle Eingangschor das Wertvollste der Komposition: die bewegte Schilderung der Ver zweiflung und Reue, die sich auch in orchestraler Beziehung kundtut und in Sekundenschritt und verminderten Intervallen aufs bestimmteste aus geprägt wird. Sehr bezeichnend ist auch der all mählich sich vollziehende Wechsel der Stimmung überhaupt. Sie wird nach und nach zuversicht lich bis zur völligen Gewißheit der Errettung aus allen Nöten, wie solches in der, einem frohen Reigen gleichenden C-Dur-Sopranarie und dem Schlußchoral „Ich will meine Tage" (nach der Melodie „Freu' dich sehr, o meine Seele") sich dargestellt erweist. Ziemliche Be einträchtigung der Gesamtwirkung dürsten die Arien erleiden für jene Hörer, die sich nicht zum absoluten Bach-Orthodoxismus bekennen. Denn geradezu unerträglich sind die Textstellen, die von Pflaster und Kraut wider die Beulen, von der ganzen Welt als einem Hospital und „Jesn Genadenohr" reden — ein wahres Glück, daß der sogenannte Dichter dieser Zionswächterreime- reien unbekannt geblieben ist, wobei der Wunsch nicht verhehlt werde, eS möge keinem übereifrigen Tcxtphilologen gelingen, ihn doch etwa noch aus dein Schatten der Vergessenheit ans Licht zu befördern. Unvergleichlich höher steht die Dichtung zur Kantate „Alles nur nach Gottes Wil len" des Gubener Bürgermeisters S. Franck (1618—1677). Der Sammlung „Evangelisches Andachtsopfer" entnommen, ist diese Kantate selbst ein musikalisches. Das Ganze erfüllt das Gefühl der Unterordnung unter den göttlichen Willen, wie es gleich anfangs der weit aus gespannte Bogen der Chorkoloratur andeutet. Ungemein bedeutungsvoll ist auch hier Bachs Eingehen aus den Sinn einzelner Tcxtstellen und das offenkundige Bestreben, sich mittels einer sehr großen Anzahl musikalisch nachzcichnender Feinheiten inhaltlich zu interpretieren. Bon durchaus eigenartiger Haltung sind die beiden Arien für Alt und Sopran. Jene folgt einem Rulfe atmenden Arioso und hält sich in der sanften Stimmung bewußter Gottcskindschaft, diese bemächtigt sich, gleichsam als Ergebnis der letzteren, heiterer und fröhlicher Töne, daran auch die Instrumente in Begleitung, Zwischen- und Nachspiel rührig Anteil nehmen. Erne mehr gedeckte Gcftthlünote klingt dann wieder im Choral „Was mein Gott will" an und fügt so mit die einzelnen Teile eng zusammen zum Aus druck ein und derselben Grundcmpfindnng, aus der sich im Verlause des Ganzen mannigfaltige Nuancen und Variierungen entwickelten. Ein Stück musikalischer Apokalyptik ist die vierte Kantate: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes." Diese Weihnachtskantatc schildert den Kampf des Lichts gegen die Fin sternis und den endlichen Sieg. Nach außen wie innen ist der große, alle Kräfte der Stimme und Seele anspannende und bis zum Letzten ausnutzende Chor ein Symbol der streitenden und triumphierenden Kirche. Die Rede ist nicht von Krippe und Hirtenidyll. Unmittelbar gegenwärtig ist er, der Lichtspender und Paraklet,, und in seiner Glorie zieht er aus, „datz er die Werke des Teufels zerstöre". Alles ist in dieser Kantate bezeichnenderweise von Kraft und Gedrungen heit. Sowohl die beiden Tenorrezitative als auch die die „höllische Schlange" mit über legenem Hohn apostrophierende Baßarie, vor allem auch die große, die höchsten Ansprüche stellende Tcnoraric mit ihrem rückhaltlosen Sie gesjubel und den rastlos auf- und abwärts gehenden Koloraturen sind auf diesen Ton ge stimmt. In zwei, von Solorezitativcn einge leiteten Chorälen („Die Sünd' macht Leid" und „Schüttle deinen Kopf und sprich") finden sich in scharfem Gegensatz zu der leidenschaftlich be wegten Situation einige Ruhepunktc, die in star rem Staunen verharrende Menge der Gläu bigen vergegenwärtigend. Ganz eigenartig be rührt hier an sehr zahlreichen Stellen die Bachische Rhythmik, die gewisse Vorkommnisse der Schilderung interpretiert und dem Einzelnen wie Ganzen immer zu schlagender Charakteristik verhilft. Und ebenso bezeichnet cs den Denker Bach, datz der Schlutzchoral „Jesu, nimm dich deiner Glieder" in düsterein F-Moll anhebt und sich in den letzten zwei Choralstrophen dem be freienden, hell und dankbar erklingenden F-Dur zuwendct. Die Gemeinde rekapituliert hier noch einmal das innerlich Geschaute und fühlt sich zu neuem Glauben gestärkt in dem Satze: „Christus wehret allem Leide!" Eine außergewöhnlich zahlreiche Zuhörer schaft war Zeuge der vortrefflichen, unter Prof. Karl Straubes Leitung stehenden Auffüh rung. Der Bach-Verein tat sich vornehm lich hervor in den oben charakterisierten vier großen Eingangschören, deren ersten beiden der relativ einfacheren Stimmung, die anderen je nach Empfindungsausdruck ohnmächtiger Schwäche bzw. entschlossenen Kampfeswillens
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