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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.04.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-04-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191404054
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140405
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140405
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-04
- Tag 1914-04-05
-
Monat
1914-04
-
Jahr
1914
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Z. öettsge. vunmsy, ö. ttpcU lSl4, Le»pA»ser ^agrdiatt. Nr. l7S. sonmsss-Nusoabe. öeUr 2l. r» * r» Unterhaltungsbeilage - 4^ 4^ Herr! schicke was du willst, Ein Liebes oder Leides: Ich bin vergnügt, daß beides Aus deinen Händen quillt. Wollest mit Freuden Und wollest mit Leiden Mich nicht überschütten! Doch in der Mitten Liegt holdes Bescheiden. Mörikc. Srauch und Glaube am Palm sonntag. Welches ist das kälteste Fest im ganzen Jahre? Weihnachten — Neujahr — Dreikönigstag? Falsch geraten: es ist der Palmsonntag! So behauptet wenigstens der bayerische Bauernwitz, und für die Antwort führt er gut« Gründe an: tragen doch am Palmsonntag die Ätannsleutc Holz in die Kirche. In Niederbayern, im Algäu und den angrenzenden östcrr«ichisä)en Gegenden können die Palmbäumc, die am Palmsonntage verwendet werden, wirklich als Holz bezeichnet werden, denn die Knechte schmücken Stämme bis zu 10 Metern Höhe mit Palmen und sonstigem Schmuck aus, unter dem buntes Papier, Schleifen, Blütenkätzchen und alle möglichen Zweige die Hauptrolle spielen. Es gibt wenige Volks bräuche am Palmsonntag, bei denen Palmen nicht die Hauptrolle spielen. Dahin gehören die Palm- sonntagsspiel« in der Grafschaft Hohenstein in Nord- thüringen, wo die Ehepaare, die sich im abgelaufenen Jahre verheiratet haben, die Jugend beschenken müssen, die Mädchen mit Nadelkissen, die Knaben mit Bällen. An diese Bälle, die verschenkt werden, knüpft sich am Nachmittage des Palmsonntags ein Spiel: die Bälle müssen mittags auf der Wiese oder im Garten zum Greifen ausgeworfen werden, und die Burschen singen vor den Fenstern der jungen Frauen folgenden Vers: „Grüne, Laub! Grüne, Staub! / Grüne überalle! / Diesen Sommer, diesen Winter, / Tragen wir die Balle. / Einen Ball gross und breit, / Mit seidenem Unterkleid, / Mit gol denen Spitzen oben raus. / Schöner Bräutigam, schöne Braut, / Gebt einen schönen Ball heraus!" / In Sondershausen und in dem benachbarten Dörfchen Jecha ist nach einem zeitgenössischen Beobachter dieser Brauch noch im Schwang«, und Knaben und Mädchen führen dort das ganze Jahr über sorgfältig Buch: alle Vcrinählungcn schreiben sic auf, so dass ihnen am nächsten Palmsonntage kein junges Ehepaar entgehen kann, ja, in ihre Listen nehmen sie auch die Neu vermählten auf, die sich an einem anderen Orte ver heiratet, aber sich in Sondershausen oder in Jecha niedergelassen haben, und auch diese sind ihnen tributpflichtig. Die Palmen, die sonst bei den Volksbräuchen im 'Mittelpunkte stehen, sind meistens nicht Palmen, und selbst in Rom sind es nicht frische Palmen, sondern getrocknete. Felix Mendelssohn-Bartholdy hat in Rom einmal die Palmsonntagsfeier mitgemacht, und sic in einem Briefe an Zelter beschrieben. „Es sind", so heisst es in diesem Briefe von den Palmen, „lange mit vielen Zierraten, Knöpfen, Kreuzen und Kronen verzierte Stäbe, doch ganz von trockenen Palm blättern gemacht, und das gibt ihnen ein Ansehen, als seien sie von Gold." Echte Oelzweige werden als Palmsonntagspalmen nur in den südlichen Ländern nngcwendet; in Spanien nimmt man Dattelpalmen, in deutschen Gauen die Stechpalme, die Weide, die Hasel und die Pappel, der Lorbeer und der Buchs baum wird verwendet, und di« Engländer beschränken sich auf die Weiden. Was aber immer für Zweige die Stelle der Palmen, die man dem Heilande bei seinem Einzuge in Jerusalem auf den Weg streute, vertreten müssen, immer sind sie besonders heil kräftig und haben grossen Einfluss auf das menschliche Leben: in der Bretagne, wo Lorbeerzweige als Palmen dienen, trägt man sie bei der Palmsonntags prozession aufrecht und achtet darauf, wohin der Wind sie biegt: zwei Drittel des Jahres hindurch wird der Wind nämlich die gleiche Richtung haben, was für den Lcmdmann höchst wissenswert ist. Die Palm lätzchen, die der Schlesier am Palmsonntag ver wendet, sind gegen das Fieber gut, an manchen Orten ist sogar das Wasser, in dem sic gestanden Haden, ein Heilmittel, das freilich nur dem Vieh ge geben wird. Innerlich genommen und nüchtern ver schluckt gelten in Niederösterreich Palmkätzchen als vorbeugende Mittel gegen das Feuer, und in Böhmen vertreiben die Palmzweige, die man aufs Feld steckt, Mäuse und anderes Ungeziefer. Der Glaube, dass Palmsonntagspalmen das Feuer vom Hause fernhalten, ist ziemlich weit verbreitet; in Hessen wirft man bei Gewittern einige geweihte Palmzweigc auf das Feuer des Herdes, und bei aus- oebrochenen Feuersbrünsten gilt dasselbe Mittel als wirksam. Auch die Belgier bringen ihre „Palm- takjens" — geweihte Buchsbaumzweigc — unter dem Dache oder am Kruzifixe an und glauben, das Haus dadurch feuerfest zu machen. Die Westfalen schliesslich schützen sogar ihre Bienenkörbe durch geweihte Palmen lBuchsbaum) gegen allerhand Missgeschick. X. k. Napoleons Untergang. Bon Dr. Julius v. Pflugk Harttung, Geh. Archivvat am Kgl. Geheimen Staatsarchiv in Berlin. Nach seinen Niederlagen im März 1814 erkannte Napoleon, dass er den übermächtigen Feind nicht mehr von einem Marsche nach seiner Hauptstadt abguhalten vermöge. Er fasste deshalb den verwegenen Entschluss, sich mit seiner Hauptmacht von etwa 40 000 Rkvnn ost wärts in den Rücken des Feindes zu werfen. Vorn ttcrnden nur noch die Marschälle Marmont und Mor- kier, die sich ebenfalls seiner Bewegung anschliessen sollten. Doch die Verbündeten liessen sich nicht be ritten, sondern marschierten geradeswegs auf Paris und gestalteten 'Napoleons Unternehmen damit zum entscheidenden Fehler. Als die beiden Nüarschälle sich ,um Kaiser begeben wollten, stiessen sie auf die an rückenden Verbündeten. Nur noch auf einem Umwege erreichten sic die schrv.rbedrohtc Hauptstadt. Rasch legten sic sich vor den andrängenden Feind, wurden aber besiegt. Inzwischen hatte ?capoleon abseits in St. Dizicr geweilt und sich in Rettungspläncn verzehrt. Er be fass keine Kenntnis vom Feinde, und seine Generale murrten offen. Um der unheimlichen Ungewissheit ein Ende zu bereiten, zog er nach Votry. Da traf ihn unterwegs die Schreckenskunde vom unerwartet ent schlossenen und zielbewussten Verhalten der Verbün deten. Der Einstgewoltige brach hierüber so zusam men, daß er tat, was jeder zuversichtliche Feldherr vermeidet: er berief einen Kriegsrat, wo eigentlich gegen seinen Willen die Umkehr zur Rettung der Hauptstadt beschlossen wurde, obwohl sie sich kaum mehr rechtzeitig mit genügenden Streitkräften er reichen liess. ?tur die Ferne bot noch di« Möglichkeit etwaigen Erfolges, namentlich Lothringen, wo di« kaiserliche Stimmung zunahm. Doch der Verängstigte eilte nach Westen, fieberhaft hastig, bald ohne Geleit, nur noch mit wenigen Getreuen im Postwagen, schliess lich gar zu Fuss. Schon war Has Ziel fast erreicht, als er am 30. März vor dem Kampfe vor Paris, und in der Nacht zum 31. den Verlust seiner Hauptstadt er fuhr. In furchtbarer Aufregung wollte er wcitcr- stürme-n, bis er sich von dessen Unmöglichkeit über zeugen liess und zurückging nach Fontainebleau, dem glänzenden Kaiserschlosse, in dem er glückliche Tage erlebt hatte. Wilde Gedanken durchjagten sein über reiztes Gehirn, um so mehr, als seine Truppen seit 1. April einzutreffen begannen. Er wollte sich auf das verbündete Massenheer werfen, oder sich südwärts nach der Loire begeben, um dort die Kraft« des Widerstandes zu sammeln. Noch verfügte er über 00 000 Mann, und das Heer blieb kaisertreu, zumal in seinen unteren Beständen. Die Garde begrüßte ihn am 3. April mit dem Rufe: „Nach Paris!" 'Napoleon besaß also die Mittel zu einem Verzweiflungskampfe auf Leben und Tod. Doch sic nützten nicht mehr, denn zwei Hauptmächte versagten: der Kaiser selbst und seine Marschälle. Statt zu handeln, entwarf der Ge brochene grübelnd unfruchtbare Pläne; statt das Host entschlossen in der Hand zu behalten, liess «r es sich von seiner Umgebung entwinden; statt sich rasch aus der gefährlichen Nähe von Paris zu entfernen, blieb er unschlüssig stehen und nahm sein« Zuflucht zu Unterhandlungen, die ihm s«it dem Brande von Mos kau stets nur Unheil gebracht hatten. In Paris wuchs die Stimmung für die Bour bonen, besonders in den leitenden Kreisen, die ihren Wortführer in dem schlauen Talleyrand fanden, der lange Jahre Napoleons Minister der auswärtigen Angelegenheiten gewesen, sich aber mit ihm über worfen hätte und ihn seitdem bitter hasste. Lvährcnd er die Bürgerschaft gegen den Kaiser aufwiegeltc, er klärte er dem Zaren schon am 31. März, dass nur die Erhebung Ludwigs XVIII. bleibe, der den Grund satz der Legitimität verträte. Rasch wurde alles vor bereitet, dann trat der Senat zusammen und ver fügte am April die Absetzung Napoleons und seines Hauses. Der gesetzgebende Körper bestätigte diesen Staatsstreich. Obwohl ihm jÄ»c Rechtsgrundlage fohlte, bedeutete er für den Betroffenen doch «inen schweren Schlag. Immer mehr wurde das Heer seine letzte Stütze, deshalb musste auch diese ihm genommen werden. Mit scharfenr Blick erkannt« Talleyrand den geeigneten Mann hierfür in dem Marschall Marmont, der sich mit dem VI. Korps von 12 000 Mann unfern Paris befand, getrennt von Napoleon. Es gelang, den Ehr geizigen zu gewinnen. Er erkannte Las Senatsdekret an und trat mit dem Oberfeldherrn der Verbündeten, mit Schwarzenberg, in Beziehung. Der Stimmungs wechsel ergriff auch die Marschälle in Napoleons Um- gcbung, die ebensowenig einen Bürgerkrieg als einen bourbonischen König wollten. So bildete sich bei ihnen der Gedanke aus, dass der Kaiser zugunsten seines Sohnes abdanken müsse. Verfechter dieser Auf fassung wurde der brutal« und verwöhnte Ney, der sich im letzten Kriege zurückgesetzt fühlte. Gemein sam mit mehreren Genossen d«r Marschallkaste betrat er Napoleons Zimmer und verlangte, dass er dem Throne entsage. Der einstige Titan besaß nicht mehr die Entschlußkraft, die Aufrührer festnehmen zu lassen, sondern verfasste ein Schriftstück, in dem er zugunsten seines Sohnes und einer Regentschaft der Kaiserin die Krone nieder!egte. Die Marschälle glaubten hiermit den Frieden und die Fortdauer ihrer Herrschaft erlangt zu haben. Sie brachten die Akt« nach Paris, begleitet von Marmont, der seinen Truppen verräterisch di« Abdankung des Kaisers bekanntmachen liess. Die Marschälle ver handelten bis 2 Uhr nachts mit dem Zaren, um den Wunsch der Armee, die Thronfolge des Königs von Rom, gegen die Bourbonenanhängcr durchzusctzen. In derselben Nacht erfolgte der Uebertritt des VI. Korps zu den Oesterreichern, zwar keineswegs freiwillig, aber immerhin er geschah. Napoleons Truppen hatten versagt: die Verbündeten sahen sich als Herren der Sachlage. Bedrängt von Talleyrand, Oesterreich und England, löhnte Alexander den Vor schlag der Regentschaft ab. Nun schwand auch den Marschällen der Boden unter den Füßen; sie glaubten nur noch im Königtum«: Rettung zu finden, schlossen Waffenstillstand mit Schwarzenberg und kehrten am 5. nach Fontainebleau zurück, um das Scheitern ihrer Bemühungen und die bevorstehende Erhebung Lud wigs anzuzeigen. Vergebens widersprach Napoleon. Ney forderte roh bedingungslosen Verzicht und erhielt ihn schliesslich zugesaqt. Noch einmal berief der Kaiser am 6. seine Marschälle; er vermochte ihren Widerstand nicht mehr zu überwinden und schrieb zähneknirschend die Thronentsagung für sich und seine Erben nieder. Ney machte dieses Schriftstück bekannt, und der Senat erklärte Ludwig XVIII. zum König«. Nur mit Mühe gelang es, für den «ntthronten Cäsar die Fortdauer des Kaiscrtitels und di« Herrschaft über die kleine Bcrginsel Elba zu «rwirken. 'Napoleon verlebte furchtbare Tage. Rasch wurde es leer in seinen prunkenden Räumen. Nur di« Sol daten klammerten sich noch an ihren Schlachtengott, der sie so oft zum Siege geführt hatte. Sie riefen durch die Strassen von Fontainebleau: Es lebe der Kaiser! Nieder die Verräter! Es war zu spät. LäMt hatte der Korse sich selbst verloren. Am 12. unterzeichnete «r die verhängnisvoll« offizielle Ur kunde. Acht Tage später ließ er zum letzten Male die alt« Garde im Schloßhofe aufmarschieren, dankte für ihre Treu« und küsste ihre gesenkte Fahne, dann bestieg er den Reisewagen und fuhr von hinnen, geleitet von Wächtern der verbündeten Mächte. Das Kaisertum war gestürzt; auf seinen Trüm mern erhob sich der Thron der Bourbonen. Es ist -er alte Zauber noch.... Frühlingsftizz« von E. v—ler. (Nachdruck verbot«».) „Du, Gertie, ich bin fertig, geradezu glänzend ist mir" di« Arbeit gelungen." Das schöne blonde Mädchen warf die Feder hin, drückte den Löscher auf das Titelblatt ihres Manu skriptes und reckt« sich dann mit herzhaftem (tzähnen. „Weisst du, man merkt der Sache an, daß ich mit sämtlichen philosophischen und mathematischen Systemen der Vor- und Jetztzeit gründlich vertraut bin. Haarscharf habe ich bewiesen, warum der pytha goreische Lehrsatz vom rechtwinkligen Dreieck auch heute noch unbedingte Geltung haben muß. Einfach grossartig ist die Arbeit, das kann ich ohne Prahlerei sagen' nun, der neunmal superkluge Herr Privat dozent Dr. phil. -Hagen wird Augen machen, wenn er das liest. —" Die macht er sowieso stets, wenn er dich ansieht", erklang cs hchst gleichmütig aus der Tiefe eines Korb sessels, wo die schwarzhaarige Gertie sich aus einem Dutzend bunter Kissen der verschiedensten Grössen ein molliges Nest liergerichtet hatte, um besser der Anstrengung ihrer lateinischen Lektüre — sic las als Stud. jur. des großen Römers Cajus Insti tutionen — gewachsen zu sein. „Wie meinst du das?" fragte die andere kühl, aber dabei fuhr eine ganz heimlich« Flamme durch die klaren, Hellen Augen. „Mein Himmel, Hella, stell' dich nur nicht dümmer als du bist, der gute Mann ist eben verliebt in dich." „Verliebt in mich — dieser Philister, dieser Feind aller Frauenbewegung, der nur dem Zwang ge horchend uns armes wissbegieriges Geschlecht zu seinen Vorlesungen zulässt! Du irrst dich", die junge Stimme klang jetzt in ihrem Spott so scharf wie geschliffener Stahl — „der schwärmt für jene Zeiten, wo noch der Frauen höchste Pflicht war, dem Manne ein individuell gebratenes Kotelett vorzusetzen. Weißt du, wie er neulich auf dem jorrr bei Professor Velt heim von der Nausikaa als einer idealen Frauen gestalt sprach —" sie lachte leis« auf. „Ja, das glaube ich, das könnte den Herren der Schöpfung so passen. Gertie, lass mal deinen Cajus einen Augenblick aus ruhen und sieh mich an — kannst du dir mich vor stellen. drunten am Ufer des Nekars stehend und schmutzige Laken und Hemden mit unserer holden Hausse«: waschend, mich?" Sie sprang heftig vom Stuhl und reckte ihre stolze schlanke Gestalt zu ihrer vollen Höhe auf. Das blonde Haar glänzte wie feines gesponnenes Gold. Gertie klappte das Buch zu, reckte sich gemütlich wie ein schnurrendes Kätzchen und betrachtete dann mit blinzelnden Augen die schöne Freundin. „Nee, Kindchen", meinte sic dann nnt philoso phischem Gleichmut, „ich habe zwar eine gehörige Portion Phantasie, leider, aber das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Die Hella von Strantz als Nausikaa beim Waschen oder Spinnen und dazu den zukünftigen ausserordentlichen oder gar ordentlichen Universitätsprofessor Dr. Hagen als wandernder Odysseus, o Himmel, welch herrliches Bild, — Hella, ich lach mich tot —" Und das zierliche, kleine Persönchen warf in jugendlichem Uebcrmut zwei Kissen von dem Dutzend in geschicktem Wurf gegen die Tür, und benutzte ein Wittes, um Fangball damit zu spielen, wobei sic die Freundin verschmitzt ansah. Hella schien ärgerlich. „So lächerlich brauchst du die Sache doch nicht zu machen, ja, mein Bruder hat wirklich recht, wenn er dich einen Kobold nennt, einen reizenden Kobold, gespickt mit lateinischen Phrasen." „Reizend hat er mich genannt, wirklich, Hella?", sie gab sich einen eleganten kühnen Schwung, so dass sie mitsamt ihrem Korbsessel drei Schritte näher an die andere heranrückte, „und Kobold hat er gesagt?" Hella setzte «ich wieder und gab ruhig zur Ant wort: „Dass er vernarrt in dich ist, lveiss ich schon längs!, aber er hat eben Angst vor deiner Zerfahren heit in allen praktischen Dingen, vor deiner Gleich gültigkeit auf dem Gebiet der sogenannten cck'en Weiblichkeit, und darum —" „Und darum", vollendete Gertie mit zerknirschter Miene, „wird er mich nie heiraten. Uebrigens, ich danke auch für di« Ehre, eine Offizicrsfrau zu wer den, gerade das nötige Kommissvermögen haben, dann Kinder kriegen, mich unter die Regimentskomman- deuse ducken und was so alle die Annehmlichkeiten des Verheiratetseins sind. Du Hella", sie kopierte schelmisch deren Tonfall von vorhin, „kannst du dir m i ch als würdige Hauptmannsfrau in einer kleinen Garnison mit fünf oder sechs Kindern vorstellen?" Jetzt musste wirklich das blond«, ernste Mädchen lachen, dass ihr fast der Atem versagte. „Ach, Kind", sagte sie endlich, „wir beide sind eben moderne Frauen und taugen nicht für diesen alt modischen, sentimentalen Kram wie Liebe, Ehe usw. Wir werden unscrn Doktor, möglichst summ.-« «um lauckc machen, ich als phil., du als Dr. jur., und dann wollen wir uns der ganz hehren, heiligen Wissenschaft weihen." „Ja, du hast recht, aber schade ist's doch, und ohne Liebe eigentlich ein bisschen langweilig", antwortete Gertie. Dabei zog sie aus einem nur ihr bekannten Versteck ihres Kleides eine Düte und präsentierte sie. gravitätisch der Freundin. Hella war außer sich, und vorwurfsvoll rief sie aus: „Es ist entsetzlich, musst du denn alles in den Staub ziehen?" „Erlaube mal", Gertie ist ganz gekränkte Unschuld, „das sind feinste, mit dem letzten Rest meines Mo natswechsels bezahlte Katzenzungen, aber kein Staub. Uebrigens ist nichts so erhaben, dass es nicht durch den Genuss von Schokolade versüßt werden könnte. Als zukünftiger Rechtsanwalt muss ich jede mensch liche Schwäch« verteidig««, auch wenn es zufällig meine eigene ist. Sei gut Hella, ich versprech« dir feierlich, mich nie weder zu verlieben noch zu ver heiraten. Ich werd« später meine ganze Evaschlau- heit nur dazu benutzen, um alle hübschen Verbrecher und alle häßlichen Perbrechcrinnen freigesprochen zu kriegen. Eigentlich schad«, ein bißchen kokettieren mag ich für mein Leben gern. Ach, Himmel, was ist das bloss heute, Hella, du siehst auch so elegisch aus" „Nein, Scherz beiseite. Hella, findest du nicht, dass etwas unbegreiflich Schweres, Unverständliches in der Lust liegt?" Hella nickte schweigend. Ihre Hand liegt fest wie ein weißes, schlankes Siegel auf dem Beweis des pythagoreischen Lehrsatzes. Aber ihre Augen schweifen darüber fort z»m geöffneten Fenster. Die kleine Juristin eilt hin und reißt beide Flügel weit auf, die milde, lockende Maienluft strömt leise ins Zimmer. Träumerisch lehnt Gertie ihre Arme auf die Brüstung, und auch ihr« Blicke eilen weit fort aus dem Reiche des Studierzimmers. Drunten fließt wie ein saphirblaues Band der Neckar. Die alte Brücke spannt ihre weiten Bogen in ruhigem Gleichmaß über das flinke, von der Abend sonne vergoldete Flüsschen. Dahinter ragt in stolzer Höhe der Königsstuhl auf, wie ein Riesenwächter, der treulich das herrliche, alte Schloß hütet; dies« wunderbare Ruine mit ihren sagenhaften Mauern, mit ihrer Poesie von Jahr Hunderten, mit ihrer köstlichen, grünen Parkwildnis. Was dringt doch an Frühlingsabenden für ein berauschender Duft aus diesem grünen, träumenden Garten! Ist es nicht, als ob er bis hier herauf käme, wie ein holdes, sehnsüchtiges Grüssen, wie ein bit tendes Locken des Frühlings? Ein leiser Lufthauch weht durch das still gewordene Zimmer, und in seinem Uebcrmut se,n er das Titelblatt von Hellas schwerer, mathematischer Arbeit. Das junge Mädchen merkt es gar nicht. Sie hat die schlanken Hände ineinandcrverschlungcn und schaut mit verschleierten Augen in weite, lenzes blaue Fernen. Gertie seufzt in unbewusster Sehnsucht halb schmerzlich. l>alb glücklich, ein heimliches Lächeln liegt wie eine selige Verheissung um den jungen Mund, und eine zart«, leise, unbewußte Mädchenhosfnung gibt den dunklen Angen «inen sanfteren Schein. Nichts regt sich — nur der Atem der beiden ver träuniten, in Frühlingszauber eingesponnenen Men schenkinder erfüllt den Raum mit einem süssen Hauch Stärker wird der berauschende Dust, der von den Gärten sich läßt und in feinen, würzigen LlZcllcn über Strassen und Häuser strömt. Hier und da dringt ein verhallender Ton des Straßenlürmes herauf, ein Peitschenknall, ein« jauchzende Kinderstimme, ein frisches Student« nli cd. Ein Klopsen an der Tür reißt die beiden jäh aus ihrer Versunkenheit. Gcrtte fährt erschreckt herum. „St. Georg, der schönste aller Ritter", denkt sic, und ihre kleine Hand führt nach dem pochenden Herzen. Di« Abendsonne sendet ihre letzten Strahlen gerade schräg durchs Zimmer, so daß die Uniform des jungen Offiziers wirklich der goldenen Rüstung des St. Georg gleicht. Hella erhebt sich und streckt ihrem Bruder herz lich die Hand hin. „Wolf, was bringst du Gutes, komm, setz« dich hierher, soll ich Tee machen, oder fuchst du nur unser: Gesellschaft?" „Dank: für Tee, Schwesterherz, ouve Gesellschaft suche ich allerdings, aber zu einem edleren Zweck als dein des Hierfihens." .Sein Blick umfasst liebevoll die zierliche Gestalt am Fenster. Er sah mahl, wie das süße Gesicht sich rötete bis hinter die kleinen Ohren, die nur wie der schmälste Ansatz einer pevlmuttecsarbigen Muschel unter den ticfgc wellten dunklen Lockenscheiteln zum Vorschein kamen. „Also, um im Kommandoton zu sprechen, — rührt euch, rechtsum kehrt, vorwärts marsch — es soll ein Abendspaziergang nach der Wolkenkuhr werden. Es ist ein« so wundervolle Mairenlnft, der Mond wird uns nachher beleuchten, und wenn wir Glück haben, hören wir vom Schlosspark die erste Nachtigall. Fräu lein Gertie, nicht wahr, Sie kommen?" Da muss s-e nun endlich die schweren Wimpern heben und ihn ansehen. Und er ist voll frohen, glück lichen Staunens über diesen Blick. War er denn blind, daß er nie die samtne Weichheit dieser schönen Mndchenaugcn so erkannt, oder ist Gertie heut ver ändert? Sein Herz schlägt stürmisch — er weiß, heute oder nie wird er ihr sagen, wie lieb er sie hat, seinen süssen, reizenden Kobold, trotz des Lateins, trotz der Jura. „Ach, du geliebtes, kleines, schwarzlockigcs Mädchen - - " Es war, als ob di« Träumerei sich wieder auf das Zimmer l-erabsenken wollte. Da fiel unvermutet der Caius wn Oerties Korbsessel, als der Säbel des jungen Offiziers daran streifte. Das löste den Bann. „Ach, der Lumme olle Römer," rief Gertie in ihrem alten neckischen Ton, und gab dem Unglücksobj«kt noch cinrn kleinen Stubs mit ihrem flinken Füßchen. Jetzt kehrte auch Hella etwas in die Wirklichkeit zurück „Ja, da wollen wir gleich gehen und droben au; der Wolkenkuhr eine Taffe Tee trinken, wir ziehen uns rasch was über und s«tzen di« Hüte auf. Nimm doch so lange Platz, Rolf." „Gern, übrigens kommt Dr. Hagen auch mit, «r wttd uns am Schloss treffen, cs ist dir doch rech!, Hella?" Er sieht sie fror,end an. Rasch droht sich Hella zum Fenster, so dass nur die Freundin die tiefe Röte in ihrem Gxsicht und den erwartungsfrohen Glanz in ihren Augen sicht. „Warum nicht?", antwortet sie und eilt hinaus, um ihre und Gcrties Sachen zu holen. Und dann gingen si«. Leer und leblos schien das große Arbeitszimmer — nur .zwei dunkle Schatten ichwebten langsam hindurch: Pythagoras und Casus. Der griechische Mathematiker sah würdevoll das Titelblatt zum Beweis seines Lehrsatzes auf der Erde liegen, und der große römische Jurist betrachtete weh mülig sein nachlässig fortgestossenes klassisches Gesetz- . werk. Aber sce waren beide wahre Philosophen, und deshalb lächelten sie und dachten voll erhabener Wttsheit über die siegreiche Macht nach, die so alt ist wie die Welt, die stärker ist als" alles Wissen und Können, stärker als Manneswillen und Mädchen stolz. — Doch die vier Menschen, die im silberglänzenden Mondlicht den sanft geschwungenen Weg zurück zur lieblichen alt«n Neckarstadt wandelten, wurden noch einmal von jener sehnsüchtigen Tramnesstimmung er fasst, die an Lenzesabeäden so sticht über junge Herzen kommt. Und da der Weg oft schmal war, gingen si« zu Zweien nebeneinander. Ihre Schritte aber wurden immer langsamer, denn die Liebe schritt auf duftenden Blütensohlen neben ihnen. Vom Schlosspark klang aus Fliedcrbüschen das Lied der Nachtigall.
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