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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.04.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-04-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140402023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914040202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914040202
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-04
- Tag 1914-04-02
-
Monat
1914-04
-
Jahr
1914
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Sette 2. Nr. ISS. Nvenü-Nusgave. Leipziger Tageblatt. Donnerstag. 2. Nprll 19l4. auf die Sitzung der Zweiten Kammer vom 18. März und behaupten, daß in der von uns heraus- aeaebenen Zeitungskorrefpondenz -er Satz ent- nallen war: „Dr. Beck widerlegte die Befürchtungen be züglich der ultramontanen Propaganda in über zeugender Weise." Auf Grund des Wortlautes unseres Berichts über die Sitzung vom 18. März stellen wir fest, das; dieser Satz in unserer Korrespondenz nicht enthalten ist. Wir ersuchen Sie, Ihren Lesern von dieser Richtigstellung Kenntnis zu geben." Wir hatten geschrieben: „Dies geschieht (die Stimmungssäljchung nämlich) durch die Korrespon denz, durch die die kleineren konservativen Blätter im Lande von konservativer Seite aus bedient werden." Die „Berichtigung" sagt: Die vom Landesverein versandte Korrespondenz enthält diesen Passus nicht. Haben wir das behauptet? Gibt es denn in Sachsen nur eine einzige konservative Stelle, die Korrespondenzen verschickt? Wir haben den als Stimmungsfälschung gerügten Artikel überein stimmend in mehreren Blättern kon servativer Richtung gelesen. Das weist doch zur Genüge auf eine von konservativer Seite versandte Korrespondenz hin." Neuer Gesetzentwurf für üen Sunöesrat. Eine Borlage über die Neuverteilung der Z o l l c n t s ch ü d i g u n g e n für die ein zelnen Bundesstaaten befindet sich bei dem zu ständigen Neichsressort in Vorbereitung. Es ist zu erwarten, das; sich Bundesrat und Reichstag im nächsten Winter mit der Vorlage werden beschäftigen können, da die Antworten sämt licher Bundesstaaten über ihre Stellungnahme zu den beabsichtigten gesetzlichen Vorschlägen eingcgangen sind. Der Gesetzentwurf wird eine V e r s a s s u n g S ä n d e r u u g notwendig machen, und zwar handelt cs sich um den 8 38 Artikel :i der Verfassung sowie ferner um Ab änderungen einer ganzen Anzahl von Reichs gesetzen, u. a. des Stcmpelgesetzes und deS W e chf elsteinpel ge s etzcs. Nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften sind den einzelnen Bundesstaaten die Verwal tung und Erhebung der Zölle und Steuern für das Reich übertragen worden, wofür ihnen nach bestimmten Sähen Vergütungen seitens des Reichsfiskns zustehcn. Da sich seit längerem her ausgestellt hat, das; die Verteilung der zu zah lenden Entschädigungen aus die Bundesstaaten einer 'Abänderung bedarf, da sic ungleichmäsjig ist nnd zu vielen Klagen Veranlassung gegeben hat, so erscheint Abhilfe geboten. Die ^chwie- rigleitcn, die sich aus einer Neuregelung er geben, bestehen darin, das; die Beamten, die in den Bundesstaaten die Ueberwachung der Ab gaben nach den bestehenden (besetzen zu besorgen haben, nicht nur die Rechte des Neichsfiskus, soubern auch die des betreffenden LandcsfiskuS wahrnehmeu müssen. Es ist demnach schwer sest- zustellen, welcher Teil der Arbeitsleistung des einzelnen Beamten auf die Tätigkeit für das Reich oder aber für den Bundesstaat anzu sprechen ist. Die Neuverteilung der Entschädi gungen hat sich nicht nur für Preußen nnd die anderen Bundesstaaten als notwendig heraus gestellt, sondern insbesondere für Elsass-Loth ringen, wo sich besondere Mißstände in dieser Hinsicht geltend gemacht haben, die in dein neuen Entwurf besonders berücksichtigt werden sollen. Heer und Zlotte. Der Anteil der einzelnen Bundesstaaten an der Heeresvermehrung. Die letzte Heeresverstärkung hat es zuwege ge bracht, das; rund l Proz. der gesamten Bevölkerung zum Heeresdienst herangezogen wird. Es fragt sich, in welcher Weise die einzelnen deutschen Bundes staaten an der Ausbringung der neuen Friedens- präjcirzstärke beteiligt sind, d. h. nach welchem Ver hältnis sich ihre Anteile an der neuen Heeresvcr- üärtung aus die einzelnen Bundesstaaten verteilen. Es ist behauptet worden, das; mit der neuen Heeres- nernichrung siir die meisten größere» Bundesstaaten, so vor allem für die drei Königreiche, gegenüber Preußen ein> starke Mehrbelastung eingetreten sei. Davon kann, wie die Statistik bezeugt, gar keine Rede sein. Ganz im Gegenteil, wenn überhaupt von einer Besserstellung Preußens in dieser Hinsicht ge sprochen werden kann, so ist diese mehr als hin reichend dadurch ausgeglichen worden, daß seine Bevölkerung viel stärker zum Dienst in der Marine herangezogen wird, was man offenbar bei der Auf stellung jener Behauptung nicht genügend im Auge behalten hat. Noch 1910 konnte man allerdings von einer kleinen Besserstellung Preußens mit Bezug auf den Anteil seiner Bevölkerung am Heeresdienst sprechen. Während Preußen nur mit 0,82 Proz. seine: Bevölkerung vertreten war, stellte Bayern 0,87, Württemberg ebenfalls 0,87 und Sachsen 0,86 Pro zent seiner Bevölkerung zum Heeresdienst. Auch durch die neueste Heeresvermehrung haben sich die Ver- l-ältnisse nicht wesentlich verschoben. Die ent sprechenden Zahlen für die Heranziehung der Be völkerung zur Dienstleistung im Heere lauten hier: Preußen 1,01, Bayern 1,06, Sachsen 1,03 und Württemberg 1.0 t Prozent. Aus diesen Zahlen ist also bei oberflächlicher Betrachtung eine gewisse Mehrbelastung der drei andern König reiche gegenüber Preußen herauszulescn. Aber auch hier ist bei der Berechnung der Belastung und Verteilung auf die einzelnen Kontingcntstaaten nicht der Bevölkerungsteil in Rechnung gestellt worden, der zum F l o t t e n d i e n st herangezogen wird. Tut man dies, so ergibt sich ein wesentlich an deres Bild, das eine nahezu gleiche Belastung in allen vier Kontingcntstaaten zum Ausdruck bringt. Danach ist Preußen mit 0,91, Bayern mit 0,90. Sachsen mit 0,96 und Württemberg mit 0,91 Pro zent an der Heeresvermehrung beteiligt. Deutsche- Reich. * Der Sonderzug mit der deutschen Kaiserin ist heute früh 5,36 Uhr auf dem Hauptbahnhof in München eingetroffen und hat nach Maschinen wechsel um 5,43 Uhr die Fahrt nach Venedig fortgesetzt. * Ein Hilferuf an den Kaiser. Die Mutter des von den russischen Behörden zusammen mit dem Frei ballonführer Ingenieur Hans Rudolf Berliner ver hafteten Mitfahrers Nikolai hat sich am Montag telegraphisch an den Kaiser nach Korfu gewendet. Das Telegramm hat nach der „B. M." folgenden Wortlaut: „Als Mitglied des Berliner Vereins für Luft- schissahrt hat mein Sohn W. Nikolai zusammen mit dem Freiballonführer Ingenieur Hans Rudolf Berliner und dem Architekten Haase, alle aus Berlin, am 10. Februar 1914 eine Weltrekordfahrt mit Freiballon Bitterfeld-Perm (Rußland) unter nommen und wird seitdem von den dortigen Be hörden festgehalten. Ich bitte Eure Majestät aller- untertänigst um Hilfe. Eine tiefunglückliche Mutter." Inzwischen ist von Ingenieur Berliner die Nach richt bei seinen Angehörigen eingelaufcn, daß die russischen Behörden jetzt die Anklage wegen Spionage fallen gelassen haben. Die Ver hafteten werden aber noch unter der Begründung festgehalten, daß sie russisches Festungsgeländc, also eine verbotene Zone, überflogen hätten. Sie ersuchen ihre Angehörigen, beim Auswärtiaen Amt dahin zu wirken, daß die für den Mai an gesetzte Hauptverhandlung auf einen früheren Zeitpunkt verlegt werde. * Dem früheren Abg. Roeren, einem der Führer der „Quertreiber" gegen die Kölner Richtung im Zentrum, ist anläßlich seines 70. Geburtstages vom Papst aus Rom folgendes Telegramm zu gegangen: „Dem geliebten Sohne Hermann Roeren, dem ausgezeichnet katholischen Manne, der sich so sehr große Verdienste um die Religion und das Vater land erworben hat, beglückwünscht der Heilige Vater Pius X. zu seinem 70. Geburtstage und er teilt ihm und seiner ganzen Familie von ganzem Herzen den apostolischen Segen." Die Oppcrsdorsfsche „Eölner Correspondenz" teilt triumphierend das päpstliche Telegramm und eine Gliickwunschdepesche des Kölner Erzbischofs der Welt mit und fährt fort: „Und was tun die Regisseure der Kölner Richtung, die jetzigen Machthaber im Zen trum? Sie beschimpfen den wegen seiner hervor ragenden Verdienste um Kirche und Vaterland durch die höchsten zuständigen kirchlichen Autoritäten aus gezeichneten Mann als einen „Quertreiber" und „Außenseiter", als einen Feind des Zentrums und der katholischen Sache in Deutschland!" * Die Neichstagsersatzwahl Osterburg—Stendal. Wie verlautet, ist der Termin für die Reichstags ersatzwahl im Wahlkreise Osterburg—Stendal auf den 15. M a i festgesetzt worden. * Frhr. v. Rechenberg kandidiert für den Reichs tag. In einer Versammlung der Vertrauensmänner der Zentrumspartei für den Wahlkreis Brauns berg—Heilsbcrg wurde als Kandidat für die am 24. April stottfindenoe Reichstagsersatzwahl der frühere Gouverneur von Ostafrika, Frhr. v. R e ch en de r g - Berlin ausgestellt. * Die Beanstandung der Eetreideausfuhrwerte in der Handelsstatistik. Im Reichstage ist in bezug aus di« Berechnung der Ausfuhrwerte die Ansicht vertreten worden, daß der Wert unserer Ausfuhr im Jahre 1913 allein bei Getreide und Mehl um 125 Millionen Mark geringer sei als er in der Statistik erscheine, weil von ihm noch der Wert der Eiusuhrscheine in Abzug gebracht werden müsse, der in der Statistik dem Inlandswerte hinzugercchnet werde. Die Annahme trifst nicht zu. Wie uns von zuständiger Seite mitgcteilt wird, hat bei der Wert anmeldung für die Ausfuhr der Wert der Einfuhr scheine grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Auch werben Anmeldescheine, bei denen der Ausfuhrwert zu hoch erscheint, regelmäßig nachgeprüft, so daß größere Irrtümer kaum Vorkommen können. Auch der handelsstatistische Beirat im Kaiserlichen Statistischen Amte hat die vorjährigen Getreide ausfuhrwerte nicht beanstandet. * Zur Nichtbestätigung des Pfarrers Fuchs-Dort, mund, der Traubs Nachfolger werden sollte, haben der Arbeitsausschuß und die Vertrauensmänner Les Rheinisch-Westfalischen Verbandes der Freunde evangelischer Freiheit folgende Erklärung einmütig gefaßt: „Wir messen die Geeignetheit eines Geistlichen iy einer christlichen Kirche, die sich auf Luther beruft, an seiner religiösen und moralischen Haltung und Wirksamkeit und halten die ausschließ liche Betonung des Bvamtencharakters für einen Widerspruch nach dem Sinn und Geist einer solchen Kirche. Wir erheben daher Protest gegen dieses rein formal juristische Urteil, dessen rechtliche Ausführungen gegenüber dem Gutachten von Geheim rat Kahl und nach dem Verlauf der Eisenacher Ver handlungen noch obendrein nicht überzeugen; unserer Auffassung nach kann der Kirche allein geholfen wer den mit Männern, die das Herz auf dem rechten Fleck haben und in ihrem Beruf segensreich wirken. Wir verlangen von einer protestantischen Kirchenbehörde, daß sie ihr« Entscheidungen von religiösen Gesichtspunkten aus fällt und fragen: Wie lange noch werden die Behörden der preußischen Staatskirchc ihr Amt so verwalten dürfen, daß ihre Handlungen die Austrittsbewcgung aus der Kirche geradezu stärken, dem größten Teil der Protestanten Lust und Freude zu der Kirche nehmen und die Landeskirche selbst innerhalb weniger Jahre durch gehäufte Fälle von Unduldsamkeit aufs tiefste erschüttern?" * Um das Gut Schierau. Wie bereits gemeldet, hat die frühere Besitzerin des Gutes Sch erau, Frau Iouanne geb. von Kennemann, auf Grund der Polenklausel ihr Gut nicht an den polnischen Agenten Brunner, sondern an die Ansiedlungskom- mission aufgelassen. Der Pole Brunner hat nunmehr deswegen Klage gegen Frau Iouanne angestrengt. Die Angelegenheit wird vermutlich bis vor das Reichsgericht verfolgt werden, das bereits in einem ähnlichen Falle die Polenklausel anerkannt hat. * Zur Reform der bayerischen Reichsratskammer. Wie uns drahtlich aus München gemeldet wird, hat heute Donnerstag die bayerische Abgeordneten kammer den liberalen Antrag auf zeitgemäße Reform der bayerischen Reichsrats kammer mit großer Mehrheit abgelchnt. Für den Antrag stimmten nur die Liberalen Das Zentrum lehnte den Antrag ab, weil es die Vorschläge der Staatsregierung abwarten wollte. Der Bauernbund erhofft sich nichts von einer Reform. Die Konservativen verwerfen die Einführung von Wahlen zur Ersten Kammer, und die Sozialdemokraten lehnten den Antrag ab, weil sie überhaupt die vollständige Abschaffung der Reichsratskammer verlangen. Ministerpräsident Graf Hertling erklärte, daß er dabei bestehen bleibe, daß die Regierung prüfen werde, inwieweit es angezeigt sei, in Aenderungen in der Reichsrats kammer einzutreten. * Sozialdemokratische Kritik des — Reichstags wahlrechts! Eine sehr abfällige Kritik des Reichs- tagswahlrechts kommt in der sozialdemokratischen Zeitschrift „Arbeiterjugend" in folgendem Satze zum Ausdruck: „Die Frau kann zu den Volksvertretungen weder wählen noch gewählt werden. Der erbärm- Der gute Name. los Roman von Georg Engel. < "wrikkiu nnu I>v ciltNIiHu l'o.. »I n. II. I.ewrik.) Hätte der Standeshcrr einige Tausend ge fordert, sein Sohn wurde es achselzuckend be willigt haben, diese Kleinlichkeit aber, die sich selbst in den heimlichen Sünden des Herab- gelouiincnen anssprach, verdroß die größere Na tur des Kapitäns immer aufs neue. Schweigend zog Holstein sein Notizbuch her vor und bat um die Adressen der (Gläubiger, da er sie selbst befriedigen wolle, aber wie er staunte er, als sein Vater plötzlich heftig zu zittern begann und seine Blicke hilflos im Kreise herumirren ließ. Ein leiser Fluch entsuhr dem Kapitän. War es möglich, daß der Alte gerade jetzt, da der Sohn ihm zum erstenmal hilfreich die Hand bot, nur ein betrügerisches Manöver aus führen wollte? Kraftlos ließ der Kapitän das Buch sinken und hörte halb geistesabwesend mit au, was sein Vater mit furchtsamer Verlegen heit und unter fortwährendem nervösem Hände reiben hervorstammelte. „Die Gläubiger, mein Sohn? — Welche Gläubiger? — Ja, he — ich besinne mich im Augenblick nicht recht auf die Namen, aber sic iverdcn mir schon wieder einfallcn. — Nach Tisch vielleicht. — Wir reden ja noch über die Angelegenheit — nnd, ja. — Uebrigens kommt dort Marie," unterbrach er sich erleichtert und machte eine einladende Bewegung nach der Tafel zu. — „Also zu Tisch, zu Tisch, meine Herr- schasten! — Heinrich, du führst deine Mutter." Es war ein einfaches Mahl, schmackhaft und kräftig zubereitet, aber außer dem Hausherrn sprach keiner den Speisen besonders lebhaft zu. Der Kapitän schien mit seinen eigenen Ge danken zu sehr beschäftigt, als daß er Mariens Kochkunst gebührend bewundert oder eine Unter haltung in Fluß gebracht hätte. Mit heißen Wangen saß die anmutige Haus frau neben dem Kapitän und verfolgte bangen Herzen- die hastigen, leidenschaftlichen Be wegungen des Seemannes, welche ihm sonst nicht eigen waren. Ja, jetzt sah sie cs, dieser stumme Ab- schiedsscknnerz Ivar echt. Hätte sic noch gezweifelt, seine blassen Wangen und der zusammengepreßte Mund sprachen es deutlich aus, daß auch iu feine Brust ein Keim jenes Gefühls gefallen sei, das nicht zur Neife gelangen durfte. Marie atmete tief auf. Ihr war so weh und doch so seltsam wohl Minute; sie wußte, daß der jugeudschöue Mann neben ihr nur noch Stunden bei ihr weilen würde, und doch hatte sie gerade jetzt die traumhafte Empfindung, als ob ihre Seelen schon seit undenklicher Zeit ein ander zugehört hätten, und daß sie vereinigt bleiben würden über Zeit und Nanin hinweg. Ein feines Klingen schreckte sie auf. Der alte Holstein batte sein Weinglas ergriffen nnd hob es jetzt in die Höhe: „'Wir wollen auf das fernere Wohlergehen meines lieben Sohnes an stoßen," schlug er mit väterlichem Wohlwollen vor und blickte den Kapitän gerührt an. „Er soll weiter mit solcher Liebe an uns hängen, das Glück möge ihn auf allen seinen Wegen begleiten, und sein Vermögen soll sich stetig mehren und mehren — hoch, hoch, unser lieber Heinrich lebe hoch!" Zögernd klangen die Gläser zusammen, aber dem Kapitän Ivar es, als könne er den tollen Hohn nicht länger ertragen. Da neigte sich Ma rie zu ihm herüber und sagte laut und klar: „Ihr Glück — Ihr Sieg — ich wünsche es Ihnen von ganzem Herzen!" Sic hob ihre dunklen Augen zu chm auf, und als der Scheidende in diese keuschen und doch so zärtlichen Sterne blickte, da schwieg der Aufruhr in seinem Innern. Alles, außer der blassen Frau, versank vor ihm, er ergriff wort los ihr Glas und wollte den Inhalt auf einen Zug hinunterstürztn. „Halt," unterbrach ihn sein Vater, der die sen Vorgang weinselig beobachtet batte „Ihr seid gefangen, ihr beiden. Weißt du, was du eben getan hast, mein Sohn? Du hast Brüder- sck>aft mit deiner Mutter getrunken — ja, za, man nippt nicht unbclohnt an dem Kelch einer schönen Danre. — Jetzt küsse sie, und dann sagt ihr „Du" zueinander!" Erstarrt, keines Wortes mächtig, war Marie nach den ersten Worten ihres Gatten zurück gesunken und sandte jetzt dem Kapitän einen flehentlichen Blick zu. Alles Blut war ihren Wangen entwichen, ihre Hände zausten unmutig au der weißen Serviette. Aber sonderbar, der hochgewachsene Mann au ihrer Seite schien ihre Empörung über die frivole Forderung nickst zu teilen, eine dunkle Glut übergoß plötzlich sein Antlitz, und ehe sie es noch hindern konnte, suchte er verstohlen ihre Hand und preßte sie mit heißem Druck in der seinen. „Ihr sollt euch küssen," schmunzelte der Standesherr von neuem und lehnte sich behag lich zurück, „ich will es haben." Kaum war das letzte Wort gesprochen, so fuhr die junge Frau entsetzt auf und stieß einen letzen Schrei aus. Was sie gefürchtet hatte — ach, aber auch gehofft, war geschehen. Sanft hatte sie der Kapitän an sich gezogen und einen heißen, zitternden Kuß ans ihre Stirn gedrückt. „Liebe, liebe Marie," glaubte die Betäubte da bei verstanden zu haben, dock; genau wußte sic es nicht. Eiseskälte ließ plötzlich ihre Glieder erstarren, auf ihr Haupt senkte sich's bleischwer und drückend — nur die Stelle aus ihrer Stirn, wo seine Lippen geruht hatten, brannte fort wie ein gesengtes Mal. „So ist's reckst," triumphierte der Hausherr und schob lachend sein Glas von sich — „das Fremdtun hört jetzt auf — nicht wahr?" „Wir wollen uns erheben," sagte Marie, indem sic ihren Stuhl rückte, „die Herren wün schen gewiß eine Zigarre zu rauchen, nicht wahr?" „Gewiß!" stimmte ihr Gatte aufgeräumt bei. „Nun eine Havanna! Gesegnete Mahlzeit, Ba ronin Holstein — Gesegnete Mahlzeit, mein Sohn." Damit sprang er auf, küßte seiner Frau galant die Hand und trug dann ein Bündel Zigarren herzu. Als Marie merkte, daß der lichsteDorftrottcl, der noch nicht einmal seinen Namen schreiben kann, der ehrloseste Schuft, den kein anständiger Hund mehr an wedelt, sie all«, der Schnapslump, der Rauf bold, der Mädchen Händler, trumpfen der edelsten, der genialsten Frau gegenüber als Herren menschen auf an dem Tage, an dem das deutsche Volk in der Wahl seiner Vertrauensleute zu den großen parlamentarischen Körperschaften so etwas wie ein politisches Hohcitsrelbt, in Deutschland sein einziges Hohcitsrecht, ausübt." Es ist nicht ohne pikanten Reiz, daß eine solche Kri tik des Reichstagswahlrechts von einem Organ der Partei d«r Gleichheit ausgesprochen wird. Anrland. Gesterreick-Ungarn. * Das Wachstum des Tschechentums. Aus Wien, 2. April wiro gemeldet: Der Ostdeutschen Rundschau zufolge sind im letzten Jahr insgesamt 253 deutsche Bauer nge Höfte in Overösterreich in tsche chische Hände iibereeoangen. — Die österreichische Regierung genehmigte die Errichtung von acht tlche- chischen Privatschulen in reindeutschen Bezirken Böh mens und Mährens. " Bier neue Dreadnoughts siir die österreichische Flotte. Aus Wien, 2. April, wird gemeldet: Das neue österreichische M a r i n e p r o g r a m m, das der zu Ostern zusammentretenden Delegation vorgelegt wird, fordert den Bau von vier neuen Dreadnoughts. Zronkreich. * Aus der französischen Kammer. Wie aus Pa ris telegraphiert wird, erklärte im De laufe der Beratung der letzten Artikel des Budgets in der Kammer der Berichterstatter der Bndgetkommis- sion, daß die ordentlichen Ausgaben 5105 254 000 Frank und die ordentlichen Einnahmen 4 895 849 000 Frank betrügen, mithin ein Defizit von 210 Millio nen verbleibe, das gedeckt werden würde in Höhe von 190 Millionen durch kurzfristige Obligationen und der Rest durch Steuern auf bewegliche Werte. — Die Kammer wird heute den Gesetzentwurf betr. die Steuer auf Renten beraten. * Unter dem Verdacht der Spionage verhaftet. Der „Matin" meldet aus Brieux, daß di« dortige Poli zei in der Näh« von Mars-la-Tour einen elegant ge kleideten Herrn unter dem Verdacht der Spionage verhaftete. Der Verhaftete verfolgte mit auffallendem Interesse die Scharfschießüdungen der französischen Artillerie, die seit einigen Tagen vor Mars-la-Tour stattfinden. Er suchte dann abends die von den Artillerieunteroffizieren besuchten Lafos auf und versuchte dort von den Soldaten Informationen über artilleristische Fragen zu erhalten. Die Unter offiziere zeigten jedoch den Vorfall an, worauf die Verhaftung erfolgte. Man glaubt, daß cs sich um einen deutschen Offizier handelt. -llbanlen. * Unzufriedenheit in Albanien. Aus R o m wird berichtet: Die hiesigen großen Blätter, darunter der „Secolo", melden, daß die Albanier mit ihrem neuen Herrscher unzufrieden sind. 'Nach vertraulichen Mitteilungen einer hochgestellten Per sönlichkeit werfen die Albanier dem Prinzen vor, zu stark mit Oesterreich und Italien verschwägert zu sein und die wirklichen Interessen Albaniens zu vernach lässigen. Die Albanier hofften ihr Land von der Bevormundung Europas zu befreien. Man sagt aber, diese Tatsache mache sich seit dem Eintreffen des neuen Herrschers noch mehr fühlbar. Die Albanesen beklagen sich ferner darüber, daß der berühmte Alba- nesensührer Bekir Bei von dem Prinzen noch nicht in Freiheit gesetzt worden fei. Bekir Bei wurde be kanntlich vor einiger Zeit einaespcrrt, die Albaneien betrachten ihn aber als den einzigen Mann, der im stande wäre, die verhaßten Griechen aus dem Lanoe zu treiben. Das Blatt „Matino" erklärt, daß in Albanien eine A u f st a n d s b e w e g u n g vor bei eitet werde. Das Blatt veröffentlicht auch In formationen, wonach binnen kurzem eine Ex per» r- t on nach Epirus stattfinden wll, um dorr oie Ordnung wieder herzustellen und die gefaßten Be schliche durchzuführcn. persten. * Die Unruhen in Persien. Wie aus Teheran gemeldet wird, sind 1200 Mann Eendarmcrietruppen, die kürzlich in die Provinz Burudjird geschickt worden waren, um dieses Gebiet gegen die Räuber von Luristan zu schützen, gegen Süden vorgerückt und Kapitän von den Dargebotencn nahm, eilte sic rasch ins Nebenzimmer und stellte sich wie be täubt vor ihr Blumenfenster. Draußen strahlte goldiger Herbstsouncn- schein, die Blumen erzitterten in dem leisen Windhauch, nnd der kleine Kanarienvogel, der von seinem Bauer sehnsüchtig in unbekannte Fernen hineinträumte, empfing seine Herrin mit einem zärtlichen Gezirp. Marie sank halb unbewußt auf ihren Stuhl, stützte den Arm auf das Fensterbrett und sah in den blauen Himmel hinauf. Hier war sic endlich allein, mit ihrem ban- gen, klopfenoen Herzen, allein auch mit dem ichmerzhaften Wonnegefühl, das sie sich nicht erklären konnte. Noch brannte sein Knß auf ihrer Stirn, nnd ihr schien cs, als ob diese einzige Berührung ihre Sinne nmgeformt, ver zaubert haben müsse. Woher konnte nur jene Unklarheit kommen, die sic nicht bezwingen konnte? So ganz anders als sonst dachte sic heute. Sollte sie dem Kecken zürnen, sollte sic ihn znrückwcifcn mit ihrer ganzen frauenhaften Würde? — Aber worin hatte er denn gefehlt? — Alles, was geschehen, war ja so natürlich, nur ihre eigenen Gedanken machten es unlauter und' häßlich! Das junge Weib hielt betroffen inne. Ja, so war cs. Seit heute tauchten in ihrem Denken unreine, sündhafte Bilder aus, die sie quälten und lockten und ihre ganze Natur aufwühlten. Träumte sic nicht wandelnden Fußes davon, daß ihr bisheriges Leben ein tiefer Schlaf ge wesen, in welchem ihr zuweilen häßliche Schat ten von Betrug, Ehrlosigkeit nnd Demütigun gen etwas ins Ohr geraunt, daß sie jetzt aber aufwache in den starken Armen des anderen und hinausgetragen würde von ihm aus aller Not und Fährnis, in die schöne, lachende Welt? Marie schloß schaudernd die Augen. — Nein, das durfte sic nicht überkommen, sie mußte aus harren, treu und klaglos, wie bisher. Für sie gab es kein Zurück; kein Führer gesellte ffch ihr, der sie auf heitere Fluren leitete. Nur träumen durfte sie davon, ach, und auch das nur heute. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)
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