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Sette 2. kr. ISS. Morgen-Kusgnve. Leipziger Tagedlarr. drei Jahrhunderte zuvor von Zwei russischen Meistern eine Kirche in denselben schreienden Warben errichten lassen. Die l-alte itzm so gut gefallen, das; er hinter ster zu Lohn und Dank die Architekten blenden lieh, aus daß sie nie wieder und für keinen anderen einen ähnlichen Ban schüfe». »Nun griff Alexander III., in dem streben nach einer möglichst nationalen Aus Prägung des russischen lenstes, »ach diesem Muster. Es ist nicht ganz treu nachgeastmt worden. Vornehmlich nur in der äußeren Architektur: in dein für euro päische Augen «chmerzlichen Farbcnspiel der kuppeln. Im Innern gemahnt nichts mehr an das »l^auwerk des 1<>. Jahrhunderts. Dort ein Vielerlei enger, dunkler Kapellen. In Petersburg ein hoher weiter Kuppclraum, in den von oben viel strahlendes Littst fällt, Genug Licht, um auch an trüben Tagen l»equem die Wunder der Mosaikarveit zu besichtigen, die hier Wände und Degen schmücken. Keine Oelmalerei in der ganzen Kirche, nur Mosaikbildnisse, zusammen gefügt aus Halbedelsteinen, die innerhalb der Kreu zen des russiichen Imperiums gesunden wurden. Der führende Kirchendiener hat sie alle - auch die Türen und Schreine von massivem silb'r und die schwer goldenen Alkargeräte — aus einen einheitlichen »Nenner gebracht. Mit der tiefen, melodischen stimme, die den Hussen l)äufig zu eigen ist und deren Klang reiz man sich gerne stingibt, iveil sic etwas die Nerven sänftigendcs, schier Episches hat, wird er nicht müde zu er,zählen, wieviel taufend Nudel und wieviel Vdel- metallgewicht in jedem einzelnen Stück stecken. Das ist nicht etwa die Barberei eines einzelnen ungebilde ten Mannes: das ist Instinkt, der sein Publikum kennt. Zu den schönsten und reichhaltigsten Sammlungen Europas gehört unstreitig die kaiserliche Eremitage in Petersburg, die mit dem Winter palais sozusagen in Symbiose lebt. So gut ist Nem- brandt in ganz Holland nicht vertreten; auch die nie- dcrländifkl)en Kleinmeister finden sich hier in einer Vollzähligkeit, die weder im Nils Museum, noch im Mauris, Huis, noch in Antwerpen erreicht wird. Und unter einer stattlichen Sammlung von Murillos — viel stattlicher als die im Louvrö — ein Madonnen bildnis von einer Lieblichkeit der Züge mrd leuchten den Farbcnsreude, dast, wer es sah, es nie vergisst. Auch sonst könnte diese Sammlung zu den erfreulich sten Europas zählen, wenn ihre Leiter nur etwas metrr Rücksicht aus die Bedürfnisse des Neisepublikumg nehmen wollten. Wenn nicht ohne joden erkenntlichen und verständlichen Grund jeden Tag ein Teil des Museums gesperrt bliebe und also, wer nur ein paar Tage in ifte-tersburg sich aufhält, mit einem Aus schnitt sich begnügen müsste. Diese Eremitage ist näm lich wirklich wohnlich eingerichtet. Man hat aus unterschiedlichen Kaiscrschlössern die nickst mehr ge brauchten Möbel hier zusammengetragen, und was das preislichste ist: die alten schönen Sachen sind nicht blost zum scherten A»staunen da, man darf sich auch herzhaft auf sie setzen. Und doch: der Haupt anziehungspunkt bleibt für das russische Publikum immer die Schatzkamme r. Auch dort gibt es, zu mal unter den Prunkmöbeln, aber auch unter Erzeug nissen der Toldschmicdekunst, schöne Stücke, die das Herz jedes kunstgewerblichen Sammlers erfreuen: allein die Schreibkommoden Katharinas Ist. verdienen ein Stündchen Andacht. Das Eros indes wird doch von anderen Dingen, von den Edelsteinen, den Ge schmeiden, dem durch seinen Metallgehalt kostbaren Schmuck angezogen. Dast sie reich ist, unermesslich reich sogar, unendlich viel reick)er als selbst der mit Sektflaschen um sich werfende Moskauer Großkauf- mann, imponiert den potit I>nurp?ooi3, zu dem in Russland auch der grösste Teil des Beamtentums und der Offiziere gehört, an der Zarenfamilie mit am meisten . . . f*oliMette Ueberliettl /lus -rr Zweiten Kammer. rg. In der Finuuzdeputation ä wurde am 1. April die zurückgestellte Beschlußfassung über Kap. 43 des Etats, Kreishauptmannschaften und Amtshauptuiannscyaften betreffend, vorgenom men. Die im Etat vorgesehenen st neuen (stellen für Bausachverständige mit akademischer Bildung bei den Amtshaupunann- fchaften wurden von der Deputation ab ge lehnt. Der Negierung soll anheimgegeben werden, bei Ausstellung des nächsten Etaats- haushaltsctats auf vermehrte Benutzung von Automobilen durch die Amtshauptmannschastcn zuzukommen und dementsprechend die Entschädi gungen für die Amtshauptmänncr zu erhöhen. Eine längere Aussprache veranlaßt die (slewährung von M j z j „ s v c r g ü t u n- gen an solche Beamte, die zu repräsentieren haben, denen aber eine Dienstmietwohnung nicht eingeräumt werden kann. Man spricht sich für eine tunlichst einheitliche Behandlung in den verschiedenen Nessorts aus. Die Einstellung von 160 000 M. für einen Umbau des DienstgcbäudeS der Amtshauptmanu- schäft Zittau lehnt die Finanzdepu- tatiou a b. Sie ersucht die Staatsregierung auf einen Neubau zuzukommen. Die für , Um- und Erweiterungsbau beim Dienstgebäude der KsteiShauptmannschaft Zwickau vorgesehenen 73 000 M. werden von der Deputation bewilligt. Ebenso 185 000 M. für den Um- und Erweite rungsbau bei dem Dienstgebändc der Antts- hauptmannschast Meißen. Die Erwerbung des Wintlerscheu Ernndstückcs in Freiberg wird be willigt. Der Umbau und die Erweiterung des alten Landhauses in Dresden, für den im Etat 1 Million Mark vorgesehen sind, wurde nach den von der Negierung niitgcteilten Plänen und Absichten von dec Deputation einstimmig be willigt. Die Erwerbung eines Grundstückes für die AmtShauplmannschaft in Kamenz wurde von der Deputation abgclehnt. Ueber die Gewährung eines Darlehens aus Staatsmitteln an die Firma Theater gesellschaft m. b. H. in Bad Elster war von der Finanzdeputation noch kein Beschluß gefaßt worden. Am 26. März waren eingehende Verhandlungen mit den Kommissaren der Kgl. Staatsregierung in dieser Frage abgchalteu worden. In der weiteren Aussprache wurde all seitig betont, daß inan für das Bad Elster größ tes Interesse hege, im Bedarfsfälle auch für Gewährung einer Subvention eintreten könnte, namentlich wenn auf billige Theatervorstellun gen zugekommeu würde, konnte sich doch trotz Befürwortung der Einstellung des Darlehens ans Staatsmitteln nicht glatt dafür entschließen. Die Abstimmung ergab 7 Stimmen für und 7 Stimmen gegen die Gewährung. Es wird also noch eine weitere Abstimmung notwendig 'werden. k- .. > verfehlter Rechtfertigungsversuch. Die „Krcuzztg." beschäftigt sich mit der Aeußerung des konservativen Abg. Dr. Mang ler in der Gesctzgebungsdeputatiou der sächsi schen Zweiten Kammer vom 30. März. Mangler batte dort erklärt, daß der Abg. Opitz, als er im Plenum für eine Ergänzung der Ersten Kam mer aus den Reihen der Industrie eingetreten tvar, nicht im Namen der Fraktion gesprochen hätte. Die „Kreuzztg." schreibt nun: „Diese Darlegungen sind tendenziös ent stellt. Dr. Mangler hat, wie wir erfahren, nicht erklärt, daß Opitz nicht im Namen der Frak tion gesprochen habe, sondern er hat nur fest gestellt, einzelne Mitglieder der konser vativen Fraktion ständen auf dem Standpunkt, daß der gegenwärtige Zeitpunkt zu einer Reform der Ersten Kammer nicht geeignet erscheine. Gegen eine Erweiterung der Ersten Kammer durch industrielle Mitglieder hat sich weder Dr. Mangler ausgesprochen, noch ist die konservative Partei Gegnerin einer solchen Ergänzung. Im Interesse der Industrie und dec Stetigkeit der Geschäftsführung des Staates widerstrebt sie nur einer Politisierung der Ersten Kammer, die un vermeidlich wäre, wenn auch um die Sitze dieses Teiles der Ständeversammlung Wahlkämpfe aus gefochten werden müßten. Die Stetigkeit der Ersten Kammer ist von so großer Bedeutung, daß die konservative Partei in deren Erschütterung unter keinen Umständen einwilligen kann und es in Uebereinstiinmung mit dem gefestigten Grund besitz vorzicyen tvürde, nötigenfalls das Recht der Rittergutsbesitzer, 12 Abgeordnete zu wählen, zum Opfer zu bringen, als politische Partei kämpfe in diesen Leit der sächsisä)en Volksver tretung hincinzntragen." Es ist sehr interessant, daß ausgerechnet auf dem Umwege über Preußen Herr Dr. Mang ler seine Eulgceisung in der Gejetzgebungsdeputation wleder gutzumachen sucht. IM übrigen ist die Abneigung der Konservativen gegen eine um fassende, zeitgemäße Reform dec Ersten Kammer viel zu bekannt, ats daß durch solche Beschöni- guugsversuche das Urteil über die sogenannte „Industriefreundlichkeit" irgendwie gemildert werden könnte. Die Abstimmung über die Rc- sormanträge wird wohl bald erfolgen, und dann werden wir ja auch einen zifscrn mäßigen An halt dafür haben, wieviel konservative Abge ordnete hinter Herrn Dr. Mangler stehen. Zur Krisis in öer Konkurrerrzklaufel-Zrage. In bezug auf den Gesetzentwurf über die Konkurrenzklausel der Handlungsgehilfen sind die verbündeten Regierungen bekanntlich mit der Erhöhung der Karenzentschädigung auf die Hälfte der dem Handlungsgehilfen vertrags mäßig zustehenden Bezüge einverstanden, haben cs aber für unannehmbar erklärt, daß die Ge haltsgrenze von 1500 auf 1800 M. erhöht und die Ersüllungsklage bei Ucbertretung der Kon- kurreuzklausel ausgeschlossen werde. Das Or gan der Sozialrefvrmcr, die „Soziale Pra xis", gibt anläßlich der Krisis, die durch diese Meinungsverschiedenheit zwiscl-en Regierung und Reichstag hervorgeruscn ist, der Volksvertretung den dringendenRat, de m Standpunkt der Regierung bcizutreten. Das fo- zualreftwrnevische Organ begründet dabei seine Auffassung im wesentlichen folgendermaßen: süßlichen Standpunkte aus ein Opfer gebracht. Versteift sie sich nunmehr auf die 1500-M.- Grenze, so ist, da durch die 1500-M.-Grcnze Freitag. 3. Llprtt 1914. die schlimmsten Auswüchse der Konkurrenzklausel beseitigt werden, der Unterschied nicht erheblich genug, um hieran das Gesetz scheitern zu las sen. In der anderen strittigen Frage hat sich einerseits die Regierung von Anfang an dafür entschieden, daß die Durchführung eines be rechtigten Wcttbewcrbverbolcs nötigenfalls auch durch die Ersüllungsklage bei Ucbertretung des Wettbewcrbverbvtes gesichert weroen müsse, an derseits ist der Reichstagsansschuß ursprünglich derselben Ansicht gewesen. Wenn letztere wegen des Einwandes der Handlungsgehilseuverbände: das geltende Recht werde durch eine solche Rege lung wesentlich verschlechtert, sich geändert hat, so muß betont werden, daß jener Einwand nicht stichhaltig ist. Allerdings ist nach dem Han delsgesetzbuch jetzt die Klage auf Erfüllung aus geschlossen; aber das geltende Handelsgesetzbuch kennt auch keine bezahlte Karenz. Man kann deshalb nicht nur nicht davon sprechen, daß durch die von der Negierung geplante Regelung das geltende Recht verschlechtert werde, sondern es ist vielmehr das Gegenteil der Fall, weil die Einführung der bezahlten Karenz eine außerordentliche Verbesserung des geltenden Rechts bedeutet. Die dem Prinzipal gegebene Möglichkeit, aus Erfüllung des Wettbewerb verbotes zu bestehen, ist nur die logische, mit den Grundsätzen von Treu und Glauben in Ein klang stehende Folge dieser Neugestaltung. Angesichts der bedeutenden Vorteile, die mit der den verbündeten Regierungen zulässig erscheinenden Neuregelung verbunden sind, darf der erreichbare Fortschritt nicht einer ungewissen Zukunft geopfert werden. Um so weniger, als das Scheitern des Entwurfs die Folge hätte, daß die Ten denz, die Konkurrenzklausel auch auf die Kreise der Handwerker und Arbeiter zu erstrecken, noch verstärkt würde. Wird umgekehrt der Grund satz, daß eine Konkurrenzklausel unverbindlich ist, soweit sie nicht zum Schutze eines berechtig ten geschäftlichen Interesses des Prinzipals bc steht, und der Grundsatz, daß eine Konkurrenz klausel nichtig ist, falls der Gehilfe nicht mehr als 1500 M. Gehalt bezieht, durch Ver abschiedung des Entwurfs zum Gesetz erhoben, dann kann in Zukunft eine Konkurrenzklausel mit Bergarbeitern, Scheuerfrauen oder Dach- deckergehilsen von einem deutschen Gericht nicht mehr für zulässig erklärt werden. Denn ver sittliche Grundgedanke dieses zunächst für Hand lungsgehilfen bestimmten Gesetzes, nämlich der Schutz des Wirtscl)aftlich Schwachen vor unbe rechtigter Lahmlegung feiner Arbeitskraft, muß allgemeine Gültigkeit haben." Rinüereinsichr aus Schweden und Huarantänesiation Saßnitz. Die Höhe der Gesamteinfuhr, die sich aus Schrve den nach Aufhebung des Einfuhrverbots für Rinder entwickelt hat, übersteigt tatsächlich die für Saßnitz angenommene Zahl von 15 000 Rindern jährlich. Auf Grund de: von Schweden aus gemachten Mit teilungen konnte angenommen werden, daß für diese Rindvieheinsuhr nur die Seequarantäneangalt Saß nitz in Betracht kommen würde, da die in Betrieb gesetzte Fähre Trellcborg—Saßnrtz als eine besondere .günstige ämd allen modernen Ansprüchen. ent sprechende Verkehrsgelegenheit auch die Dieheinfuhr aus Schweden nach Saßnitz lenken würde. Hierin har man sich bedauerlicherweise geirrt. Es war zuerst seitens der Regierung beabsichtigt, die Viehcinsuhr Paul Hepse (Eigener Draht bericht.) München» 2. April. Heute nach mittag l»Uhr20Min. ist VerDichtcrPaul Heyse im «5. Lebensjahre an der Folgen einer Lungenentzündung verstorben. Um 1 Uhr nachmittags war plötzlich eine schlimme Wendung eingetreten. Der Dichter wurde bewußtlos und kurze Zeit später entschlief er in den Armen seiner Gattin. ES gab eine Zeit, da Paul Hehsc für den Statt halter Goethes auf Erden galt, da man in ihm die größte dichterische Potenz der zweiten Halste des Jahrhunderts verehrte. Und es gab ebenso eine Zeit, da man nicht ein gutes Haar mehr an ihm ließ, da es zum guten Ton gehörte, über den lichter der ,^linder der Welt" die '.'läse zu rümpsen und ihn als längst abgetan zu behandeln. Ter Naturalismus der achtziger Jahre hatte den Anfang damit gemacht (man Pese einmal in den ersten Bänden der „bilcsrllschaft" Michael Georg EonradS nach, wie man damals über den „zärtlichen Paul" dachte); seitdem war es eine liebe Gewohnheit geworden. Zn den „Steckbriefen, erlassen hinter dreißig lite rarischen Uebeltätern gemeingesährliclier Natur" ist die Trimmung des jüngsten Deutschland gegen 5xyse in ein paar amüsanten Versen präzise zum Ausdruck gebracht: „Nun aber flüstert leise: Ich singe von Paul Heyse. Blast duje, alle Flötchcn, ES gilt jetzt unser Gocthchcn, Der Damen holdsten Sänger, Den süßen Bncksischsänaer. Gesalbt sind seine Löckchen, Und alle Unterröckchen Beginnen bang zu zittern, Wen» seinen Duft sie wittern: .Nlettenöl und Patschuli, Höheretöchterpoesie." An derselben Stelle aber spricht der pseudonyme Verfasser es unzweideutig aus, daß zu einer derart ablehnenden Behandlung HeysrS wohl die Natura listen vom Schlage Evnrads und Bleibtreus ein Necht hatten, daß sich heute aber die Stellung Paul Heyses, der in dem ganzen Litcraturwirrwarr deS letzten Menschenalters fast als einziger neben Raak»! unbeirrt seinen Weg weitergegangeu ist, entschieden zu seinen Gunsten verschoben hat, da er, man mag im übrigen über ihn denken wie man will, doch fick selbst treu geblieben ist und in seinem Werke getreu an den Idealen seines bisherigen Lebens und Schaffens sestgehalhen hat. Der absolute Wert dessen, was er gab, wird dadurch nicht bestimmt; als Faktor in der Wertung deS Gesamtbildes aber spricht dieser Umstand sehr wohl mit, — wie er denn überhaupt den Grundkon für eine Ablehnung iowohl wie für eine Anerkennung Paul HeyseS ab geben. sollte. In feinen Erinnerungen an den Tunnel über der Spree hat Theodor Fontane ein paar Seiten auch Paul Heyse gewidmet- In dieser knappen ruhig-kühlen Charakteristik deS jungen eben im Auf steigen begrisfenen Dichters heißt eö an einer Stelle: „Sein großes Talent, nun, das war außer Frage, das ließ jedcr gelten. Aber so gewiß man es gelten ließ, so gewiß empfand man auch: Ja, dies Talent, jo groß es sein mag, ist doch nicht unser Talent." Diese Worte tauchen immer wieder auf, wenn man das Lebenswerk Paul Heyses durchgeht. Man sagt sich oft: Ein großes Talent — und sagt sicd ebenso oft: Ja und doch nicht unser Talent. Man freut sich der großen Gesamtanlage der „Kinder der Welt" — trotz des Knicks, den daS Ganze auf dem Höhepunkt erfährt; man freut sich der bewußten Kunst, mit der manche seiner Novellen erzählt sind; der Gcsamterschciniing gegenüber bleibt man selbst beim besten Willen zur Anerkennung kühl. Um nicht zu sagen gleick)gttltig. Man spürt nirgends gelebtes Leben - weder im Menschlick>en, noch im .künstlerischen. .Heyse erzählt ausgezeichnet, glatt, ohne Stocken; was er erzählt, ist aoer lediglich von dieser Lust am Fabulieren, nicht von eigenem Er leben getragen. Zwischen ihm und den Dingen bleibt, trotz der ostgena: Neu berühmten Heyscschen Sinnlichkeit, eine 'Distanz, die cs ihm unmöglich macht, daS, was er gibt, erst durch sich hindurchgehen zu lassen, es gewissermaßt»» von innen heraus zu ge stalten. Er hält sich an den farbigen Slbglanz, an den schönen Scljein bereits im Gegenständlichen seiner Dichtung; die Folge ist das Blutlose, Leere, Roman hafte, was sein Werk, trotz aller Realistik, im einzel nen heute bereits kennzeichnet- Vielleicht ist diese Distanzierung indessen nicht nur ans PersönlichkeitsbedingUttge» erwachse», son dern bewußt geschaffen. Heyse stammte aus einer Philoiogenfamilie; seine Jugend ist getragen von der Bewunderung für den großen Olympier Goethe, wie man ihn damals sah: daS Urbild heiterer Lebensbehcrrschnng, der reisen Sicl-erheit und schönen Harmonie. Heyse wuchs mit diesem Urbild auf, hat es sei» Lebenlang vor Augen gehabt; so mag ei» gut Teil dessen, was seinem Werke das Kühle, Vergängliche gab, hier seinen Ursprung haben. Heyse ist für das Bild, das seine Generation von der Persönlichkeit vw-thes und dein Wesen seiner »mist batte, gerade;» typisch. Man braucht nur riu paar Novellen Heyses oder eine» seiner großen Romane ,n lesen, nm diesen Eindruck vollauf bestätigt zu iinden. Das Tragische ist nur, daß gerade diese Tendenz nach Goethe lßn dasjenige ist, was den Dichtungen Heyses das Vergängliche gibt. Wo er sich einmal vergißt, und direkter, persönlicknw aus spricht, wie in der Rede des Ministers ülnw das Uebermensclientum in dem im übrigen sclnver genieß baren Nietzjcheroman „lieber allen Gipfeln", spürt man auch bei ihm den Pakt lebendigen Lebens; es dauert aber niemals lange — und der „Vsei- marer Dunstkreis" hüllt wieder alles ei», jede un mittelbar sprechende Regung erstickend. Man hat ihm dies srüh schon zum Borwurf gemacht; er ist mit der Selbstsicherheit, die ihn Zeit seines Lebens nickt verlassen hat, darüber hinweggegangen. In einer Sitzung des Münchner „Krokodils" hat er einmal in den 50er Jahren ein von ihm selbst verfaßtes <»'- dickt vorgeiragen, das angeblich einen anonyme» »rritikcr seiner Person zum Verfasser hatte: Laß dein cpifctvs Geflöte, Laß die tragische Poesie! Der berufne „junge Goethe" Wird ein alter Goethe nie! Höchstens als Novellendichter Kann man dich noch gelten lassen. Doch im jkreis Oer wahren Lichter Muß dein künstlich Gas erblassen. Die heitere Selbstbcwußtheit, mit der der Alternde diese Verse, tu Venen doch ungewollt mehr als nur das viclberuscne Körnchen Wahrheit steckt, in fernen „Jugenderinnerungen" erzählt, ohne auch nur die Idee an irgendeine in ihnen versteckte Selbsterkenntnis aufkommen zu lassen, hätte fast etwas Tragiscl)es, lvcnn dieser Eindruck nicht durch das, was er gleich darauf über Heinrich Leuthold bringt, doch wieder paralysiert würde. — Bringt man das Gsetl-esche Element in Paul Heyse in Abrechnung, so bleibt als wesentlicher Rest in feinen Romanen ein Vergangenes — Vas Jung- deutfcl)e. Was ihn vor allem in diesen größeren Werken interessiert, sind nicht Vie bleibenden Probleme, die sich aus dem Zusammenleben und den Konstellationen der Menschen untereinander er geben, unabhängig von den zeitlich bedingten Formen dieses Lebens, sondern die bedingenden Faktoren eben der Zeitlichkeit, Kulturströmungen, wenn man so will. In den „Kindern der Welt" gibt er den Atheismus Ludwig Feuerbachs und die Vererbungs theorie Darwins, den anfsteigenden Sozialismus und die werdende Weltstadt Berlin; in dem Münchner Roman „Im Paradies" bringt er ein Bild der künstlerischen Strebungen seiner Zeit, im „Merlin" einen Protest gegen die jungventsä« Literaturbeioe» gung, in „Ueber allen Gipfeln" seine Auseinander setzung mit Nietzsci>c. Was für Spieltagen das poli tische, ist für Heyse das geistig rünstlerisck>e Leben. Er greift überall in die bunte Wirklichkeit — so weit seine besondere Veranlagung cs ihm mög lich macht. Denn auch hier wieder wird nur zu bald die Schranke merkbar, über die er nicht hinaus kommt. Sein „Realismus" ist eng begrenzt; er wird niemals zum Naturalismus, sondern bleibt immer innerhalb der .ibreise der guten Gesellschaft. Konsequenz über die Grenzen des von der Konvention des sogenannten guten Geschmacks Bedingten hinaus ist seine Sacke nicht. Was er der Generation der ^Oer Jahre verübelte, war weniger das künstlerische Prinzip als die schlechte Gesellschaft, in der sich ihre Dichtung seiner Meinung nach meistens bcioegte. DaS Stoffliche war es, das ihn avstiest, — loie es ihn schon an Zola und dem sranzösischen Na turalismus abgcstoßen hatte. Und von hier aus gesehen scheint es -fast, als habe die verbrachte TiSjunttion: hier Form, hier Stoff — im Leben und Schaffen Heyses über haupt eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Man ist heute mißtrauisch geworden gegen diese hyposta- sierten Produkte einer unsterblicl>en Abstraktion; das Wirken Paul HeyseS scheint in der Hauvtsache von ihnen aus orientiert gewesen zu sein, wie denn der ganze Münchner Kreis an ihnen laboriert hat- Heyse ist bewußt auf den Künstler der Form ausgegangen, die für ihn ein selbständiges Dasein besaw Ti« Unmöglichkeit dieses Vorgehens und seine Folgen vermochte er nicht zu sehen. Tas Ergebnis ist, daß man in seinen Werken tatsächlich oft, bevor man »och aus die Abstrattio» ausgeht, eine Tren nung von Stofflichem und Formalem empfindet, durch die zum großen Teil die eigentümlich, un verkennbare Atmosphäre Hcysescher Lichtungen ge geben sind. Anderseits hat er auf diesem We« doch ein paar Resultate erzielt, die nicht nur technisch zum Besten unserer Literatur gehören — in seinen Novellen und in seiner Lyrik. Tas Literarische wird auch hier nicht überwunden, das Werk nicht so weit abgerückt, daß der Kontakt mit dem Allzu- pcrsönlichen dessen, der cs schuf, anfhört und oie eigene selbständige Existenz beginnt; trotzdem findet fick hier manches feine kluge Stück, das in seinem bewußten Maß, in feiner an den besten Vorbildern aller Völker und Zeiten geschritten Kunst sinnen eigentümlichen Wert besitzt und damit eine Be reicherung bedeutet, die Heyses Namen eine längere Lebensdauer sichert als Vie Summe seiner ganzen Werke. Es ist, als ob hier die Freude an der Form zuweilen schon Vie Wahl des Gegenständ lichen so weit bceinslußt hat, daß sich am Ende ein einheitliches Resultat ergab. Hier spürt man etwas von der Fähigkeit, die Georg Brandes einmal an Heyse rühmt — nämlich die, eine Geschichte sozu sagen harmonisch zu rhythmisieren — wenn auch das Ergebnis statt eines klassischen meistens ein klassizistisches bleibt. Eine spätere Zeit wird die Gestalt Pani Heyses vielleicht einmal neben die des Mannes stellen, der das bekannteste und in seiner Art wohl auch beste Porträt des Dichters schuf: neben Franz von Lenbach. Ter Bismarckmaler war der ursprüng lichere, kräftigere; er begann in Regionen, in denen Heyse niemals heimisch war; seine weitere Eniwick- lung brachte sie auf eine Linie. Auch Lenbach fehlte der Respekt vor den Dingen, ec zwang sie in seine Form, die darum ein AeußerliclniS blieb bei aller Virtuosität im einzelnen. Wie Heyse immer „lite rarisch", so wac Lenbach immer „malerisch". Len bach malte seine Menschen, indem er sie nicht nur gab, wie er sie sah, sondern auch noch in dem, was er gab, fortwährend betonte: ^o sind sie — so sehe ick» sie. Er gestaltet nicht — er erzählt -- wie Heyse. Wenn Heyse „Vie Fülle des Daseins gefühls, in der der Mensch sozusagen alle Lebens alter zugleich in sich erweckt", geben will, so bringt er sie nicht in seinen Menschen zum Ausdruck, son dern läßt sie von irgend jemand aussprccken; er bildet nicht, er redet. Die Folge ist, das; er Literatur gibt statt gestalteten Lebens - ebenso wie Lenbach statt dessen immer Malerei (das Wort wörtlich verstanden) bringt. — Ueber alle diese Tinge hinaus ist Paul Henje eines gewesen, um dessintwillen man über vieles in seinem Werke hinwegsicht: eine Persönlichkeit. Keine tiefe vielleicht, auch keine, in der irgendein Zug der Menschheit zu klarer Ausprägung kam — aber doch eine Erscheinung, die in ihrer Totalität eine Ganzheit zeigt, die schon rein nm des ästhetisch-»» »Reizes willen einen »Wert darstellt. Vom ersten bis zum letzten Tage hat »Laut Heyse sein Leben geformt, vielleicht zu dem stärksten Kunstwerk, daS er zu geben batte. Was das Geschick ihm an Leid und Hemmnissen brachte, wußte er so hinein zubezieben in das ruhige Bild des Ganzen, daß cs zuletzt dessen Harmonie nur noch stärker hob. Er lebte fein Leben so, wie cs, nach der Auffassung seiner Geiw- ration, der reife Goethe gelebt hatte. I» dieser Formung des eigenen Daseins nach einem au- dem eigenen »Wesen gewachsenen Ideal liegt ein Lebens reiz, der frönend alle Unvollkommen ltz'it des lSerkeS zusammenschließt zu einem Ganzen, das man in dem bunten Gesamtbild der Dichtung des 19. Jahr hunderts trotz aller Einwände im einzelnen doch nicht missen möchte.