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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.04.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-04-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140402016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914040201
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914040201
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-04
- Tag 1914-04-02
-
Monat
1914-04
-
Jahr
1914
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Morgen »Ausgabe für r«>pz>a NN» Vorort» »orch «vfrr» er»a»r V«Au ASP» »tf k » unü Sproitrur« rmaltägltck» tn» hau» g«dracht: monatU» I.U M., virrlrgührUch r.7L M. V»> »rr «»lchüft-strU», unsrrn FtUal»a u»0 ftuogadrstrUr» ab-rhol«: monatlich IM.. vtrrtrllihrU» Z M. Vurch »»« Poft- taa»rhold vrutschlaaü» un» ü«r »»utschrn «»lontru »oaatUch US» M., vlrrt»l>ührlich 4.S» M.. auoschllrhllch poftdrftrUgel». va» »»«p,>,«rEa-,dlatt «rschrlal Werktag» »mal. Sou», u. Zrlrrta,» »mal. I» Leipzig, üru Vachdarortrr. un» »en Vrtra mit rtg»nrn Ztltalrn wir» »i« ftdruöauogad» noch am ftdrnü 6c» Erscheinen» 1»» Hau» grUrsrrt. Srrtlner vrSaktlon:SnSrnArlt»n >7. Zerntprech.^nschluft: Moadit Nr.«»7. /ftntsblLlt des Rates und des poUreüuntes der Stadt Leipzig NrSoktlon unü S«schSst»ft»ll«! Zohanntsgag» Nr.». o Zrrnsprech»ftnschlu- vr. 14d»L I«»»S unü I«»»«. ISS. Jahrgang EL——«»»tL» » kür Snsrrat, au» Leipzig au» Umarduug »I« /INALkAeNprei' e. I spaUig» PrUNrN» 2S p».. »>. N«Nom»erII», m., von au»u><trt» Pf.. krNamrn 1.20 M. ftl«ln» ftnzrtgrn »«»prNtzrtlr nur r»p«.d.wi«S»rhot.Nad., Inserat» »on vrdSrSra >m amtlichrnEril Str Pelt«» zett» so Pf. S«schSft»anz»t,rn mit playoorschrtst 'm prets, rrhüht. Nadatt nach Laris, »ettageui SekamtausU S M-Sao Lausea» auasch» poftcedühe. ftnzergen-ftanahme ,»Haant»gol7r«, det sümttlchcn jtltaten 0r» Lrtpztge« kogedlatte» unü alle« ftnnoocen-Lxpcülttoarn üe» Ja» unü OuslanLr». Vrfchastoftell« für VerUn a.Sir pr. VranSendurg vtrektton Walter ZUegel, Vertia V >» Margarethrnftraße ». Zerosprech» ftn^chluH: Lüh»w S»7i. Nr. 1S7. Vinnerslsg, Sen 2. NprU. ISls. Vas wichtigste. - * In der Zweiten Kammer kam es am Mittwoch bei Verabschiedung des Etatkapitels .Landesanstalten" zu einer lebhaften Aussprache über das sogenannte „System Heink". (Siehe Art. u. Der.) * In der französischen Deputierten- kammer kam es bei der Beratung des Ergänzungs steuergesetzes zu stürmischen Auftritten. (Siehe Ausl.) * An dem allgemeinen Streik in Peters burg beteiligen sich bis jetzt 70 000 Arbeiter. (Siehe Ausl.) * In Yorkshire (England) ist die Zahl der streikenden Bergleute auf 75000 ange wachsen; in Ohio (Amerika) hat ein Berg arbeiterausstand mit 50 000 Mann eingesetzt. * In maßgebenden türkischen Kreisen beschwert man sich über die Behandlung der nichtgriechi schen Bevölkerung Mazedoniens. (S. Ausl.) Alisons Schwierigkeiten. 2. Präsident Wi lson hat das erste Jahr seiner Präsidentschaft hinter sich. Schon im No vember wird verfassungsgcmäsz das Volk der Union durch Neuwahlen zum Repräsentanten hause ein vorläufiges Urteil abzugeben haben, ob es mit der Führung der Geschäfte durch die nach 16 jähriger Unterbrechung zur Herrschaft zurückg.kehrten D emo tr a te n p a r t e i zufrie den ist. Lolche Zwischeuwahlen Pflegen aber rich tungweisend für den Ausgang der nächsten Prä sidentenwahl zn sein, die nach zwei weiteren fahren gleichfalls in der ersten Novemberwoche staitfindct. Und über diese Bedeutung hinaus haben sie die unmittelbarere, daß eme Ver schiebung der Mehrheitsverhältnisse für die zweite Hälfte der vierjährigen Präsidentschafts periode dem Willen des Herren im Weissen Hause eine außerordentlich hemmende Schranke setzen würde. Schon gegenwärtig ist es mit Wilsons Macht nicht zum allerbeste« bestellt. Wie der geschlossene «Zusammenhang der Republitaner besonders in der Tast-Zeil zu wünschen ließ, so ist auch die Einigkeit der Demokraten besonders jetzt stark in die Brüche gegangen. Mit dem Zolltarife war man noch so leidlich ins reine gekommen, mochte cS auch bei dessen Beratung Absplitterun gen gegeben haben, die zahlreiche Zugeständnisse an den noch immer mächtigen Widerstand der Schutzzollpartei notwendig gemacht hatten; zu mal die winzig kleine demokratische Mehrheit des Senates nicht die geringste Abbröckelung aus halten kann. Immerhin ist ein neuer Tarif mit ziemlich durchgreifenden Herabsetzungen zu stande gebracht, so daß diesmal den Demokraten nicht wieder wie in Clevelands beiden Perio den von ihren Anhängern im Lande der Vor wurf völliger Unfruchtbarkeit und Nichterfüllung ihrer Versprechungen gemacht werden darf. Aber ein böses Verhängnis war es, daß man die Underwoodbitl, um ihre Ver abschiedung zu erleichtern, mit der Klausel be lasten mußte, daß die amerikanische Küsten sch iffahrt auf dem Panama kanal Gebührenfreiheit genießen soll. Wilson hat sich mit Händen und Füßen gegen jede auch nur zeitweilige Aufnahme einer solchen Bestimmung in das Gesetz gewehrt, schließlich aber doch dem Rate seiner Freunde gehorcht, darein zu willigen, um das wichtige Gesetz nur erst unter Dach und Fach zu bringen. Nun handelt cS sich darum, durch ein Sondergesetz den Schönheitsfehler wieder zu tilgen, den des Präsi denten ehrlicher Sinn schon an sich als eine Durchbrechung seiner handelspolitischen Grund sätze cmpsuidel, der ihm aber vor allem eine Ver letzung der amerikanischen Vertrags treue darzustcllen scheint. Wenigstens steht die Klausel in schroffem Gegensätze zu den Verein barungen mit England in dem Hay- Paunccfote-Vertrage erster und zweiter Auflage, der um die Jahrhundertwende Groß britanniens Anspruch auf politische Gleichberechtigung an allen zu erbauen den mittelamerikanijchcn Fahrstraßen aufhob Aber auch Deutschland hat mit vollem Fug gegen eine solche Erschütterung seines M c ist- begünstigungsrechtes Verwahrung ein gelegt und sich dem englischen Einsprüche ange- schlojscn. Daß die gegenwärtig heißumkämpfte Bill im Rcpräscntantenhausc durchgehen wird, erscheint nun allerdings nach dem Ergebnisse der vorläufigen Abstimmungen gesichert. Aber der Abfall von öodcmokratislbcn Stimmen, zumal der Parteiführer Clark und llnder- wood, bleibt ein sehr bedenkliches Zeichen, wie für die Festigkeit der Mehrheit überhaupt, so be sonders für den nachfolgenden Kampf im Se nate, dem die Verquickung der Bestimmung mit dem Zolltarif zu verdanken war. Ob schließ lich nicht doch der Präsident der Nachgebendc sein wird? Ein Mann bestimmter großer Entschlüsse ist er überhaupt nicht. Am verhängnisvollsten erscheint seine Zielunsicherheit in der mexi kanischen Frage. Persönlich widerstrebt ihm offenbar jedwede gewaltsame Einmischung der Vereinigten Staaten in die inneren Verhält nisse der Nachbarrepublit an sich als eine Tat jenes „Imperialismus", dem er als Professor mit der Mehrheit seiner Parteigenossen ableh nend gegenüberstand. Aber einerseits kennt er die Stärke jener Strömungen im Volke, welche ein rücksichtsloses Durchgreifcn im Sinne Blaines und Mac Kinleys herbei wünschen, der klassischen Vertreter des ameri kanischen Iingogeistes. Ein schroffer Widerstand, fürchtet er, könnte schon das nächstemal die Segel der gegnerischen Wahlbewegung schwellen, um so mehr, als der amerikanische Patriotismus im wesentlichen auf andere Dinge gegründet ist als den Bestimmungsgrund heldenhafter Nationen: „das Vaterland muß größer sein". Wie den Krieg um Kuba die „Zuckerkönige" gemacht haben — im geschmacklosen Jargon dieser Re publikaner zu reden —, so treiben zum mexi- kanisckien die Petroleum für st en, im Her zen Wilsons grimmigste Widersacher. Ist es Willensschwäche, ist es ein Versuch, ihre Gegner schaft abzulenken, was ihn zurückhält, die Kriegs treiber mit einem entschiedenen „Nein" abzu schütteln? Aber auf der anderen Seite scheut er auch wieder vor dem Kriegswvrte und seiner furchtbaren Verantwortung zurück. - So leicht und so billig wie Puerto Rico wird Mexiko nicht zu erobern sein. Der Finanz minister mag sich bei seinem republikanischen Kollegen in Paris erkundigt haben, wieviel Marokko kostet. Die Freunde einer mexi kanischen Einmischung würden auch bei weitem 4inc „Kubanisierung" des Landes einer einfachen Besitzergreifung in puertorikanischer Art vvrziehen. Aber in Kuba hatte man auch von Anlang an eine andere Politik getrteben: zwar auch Waffen geliefert — nnd geschmuggelt — an Banditen, die nicht viel besser waren als Villa und Genossen, aber sich doch auch bei zeiten eine Partei Halbwegs anständiger Leute angesreuudet, in deren Händen man das Regi ment lassen konnte, als die Truppen vom Fest lande die Insel wieder verließen. Da Wilsons wunderlich!: persönliche Antipathie ihn an einem Abkommen mit Huerta, immerhin noch einem einigermaßen leistungsfähigen Menschen, dauernd zu verhindern scheint — gegen den Banditen und Deserteur der nordamerikanischen Armee Villa war man merkwürdigerweise weniger gereizt —, so scheint man jetzt in Washington eine Verständigung mit Felix Diaz anzu streben. Wenn man dein Neffen seines On kels nur wirklich über den Weg trauen dürfte! Auch Don Porsirio hat dreißig Jahre lang die Marke eines Amerilauerfreundes mit An stand getragen und dann doch mit den Japs angcbandelt! Aber so oder so: irgend etwas muß nun bald getan werden. Wilsons wahrhaft puri tanische Entschlusslosigkeit bringt ihn allmäh lich bei Freund und Feind um alles Ansehen. Mit erlogenen Siegesdepeschen des Rebellen lagers vor Torreon wird Huerta nicht ge stürzt. Eisenbahnfragen un- Lan-esanstaltea. «Stimmungsbild aus dem Landtage.) rg. Lresde«, 1. April. Wieder eine Dauersitzung! Fürsorglich hatte Präsident Dr. Vogel den Beginn eine Stunde früher angesctzt. Diese Stunde wurde ziemlich durch eine nach unmaßgeblicher Meinung kürzer zu gestaltende Aussprache über den llmbau der strecke Chemnitz — Kappel und den teilweisen Umbau des Bahnhofes Chemnitz auf gebraucht. Drei Chemnitzer Abgeordnete nah men zu dieser Frage das Wort und ein Vierter erstattete einen ziemlich umfangreichen Bericht. Man kann schlechterdings nicht sagen, daß die drei ersten Redner viel Neues vorgcbracht hät ten. Dieses Empfinden schien auch der Vor sitzende der Finanzdepntation lr zu haben, der nationalliberale Abgeordnete Gleisbcrg, der den Herren empfahl, ihre besonderen Wünsche doch tunlichst in den Sitzungen der Deputa tion zur Sprache zu bringen. Das nahm je doch einer der drei, der Reformer Abg. Die ner, recht übel. Mil mehr Entrüstung als nötig wies er diesen Rat zurück und erklärte, daß er in einer anderen Deputation Bericht erstatter gewesen sei, als die Finanzdeputativn 8 den fraglichen Gegenstand verhandelt habe. Hätte es aber keiner der drei Herren ermög lichen können, der für ihn so wichtigen Be ratung beizuwohnen? Bei diesem Punkte der Tagesordnung zeigte sich auch, wie wenig ratsam es ist, wenn der Berichterstatter am Ende seines Referats noch als Ab geordneter spricht.. Der sozialdemokratisctie Abgeordnete Cast an tat ßies. In dem ihm als Referenten zukommenden Schlußworte versuchte er, auch auf das von ihm als Abgeord neter Gesagte noch einmal zurückzukommen. Das mußte ihm der Präsident natürlich verweisen. Dem widersprach er und gab dadurch den Anlaß, daß er einen Ordnungsruf erhielt. Wäre es nicht richtiger, wenn Referenten, die auch noch als Abgeordneter zu sprechen wünschen, sich an irgendeiner Stelle aus die Rednerliste fetzen ließen? Dadurch würden solche unangenehmen Szenen zum mindesten erschwert werden. Bahnhofsneubauten machen sich auch in an deren Städten nötig. So bewilligte das Haus die Kosten für die Umbauten der Bahnhöfe in Olbernhau, Zschopau, Rochlitz und Waldheim, alle ohne nennenswerte Aus sprache. Bewegter wurde es im Haus bei der Be sprechung des Etats der Landesanstalten. Der nationalliberale Abgeordnete Singer wünschte von der Regierung eine Statistik über die Ursachen der Geisteskrankheiten. Er neigte dazu, sie wesentlich auf das Konto der Ver- waudtenehen zu setzen. Sodann gab es eine längere Auseinander setzung über das, was Dr. Zöphel nicht un zutreffend als System „Heink" bezeichnete. Zunächst schnitt Dr. Zöphel die Frage an, ob es angezeigt sei, von Staats wegen Irrenanstal ten zu errichten, in denen zugleich solche Kranke verpflegt werden sollten, die sehr wohl imstande seien, die Verpflegungssätze der Privatanstalten zu tragen. Er verlangte, daß die Privatanstal ten nicht unterboten werden sollten. Dann kam er aber zur .Hauptsache. Die Regierung hatte den Landesverband der Pfleger aufge löst, obwohl dieser Verband die Pflege vater ländischer Gesinnung auf seine Fahne geschrieben hatte. Zu diesem Vorfall erklärte Herr Dr. Zöphel, habe die Regierung vielleicht ein formelles Recht, aber die politische Klugheit hätte geboten, von diesem Rechte keinen Gebrauch zu machen. Er hob hervor, daß seit den beiden letzten Ministerien die Politik der Nadelstiche in Sachsen zurückgegangen sei. Die große Aus dehnung der Sozialdemokratie in Sachsen wäre nicht allein auf die Industrialisierung des Ge bietes, sondern auch auf die frühere Nadel stichpolitik zurückzuführen. Wenn jetzt Be amte in ihren Slaatsbürgcrrcchten entmündigt würden, so bedeute das einen Abweg von der gesamten Politik des Ministeriums, der ins Holz führe. Es wird nicht dazu kommen, daß die Be amten sich der Sozialdemokratie zuwenden, wohl aber mache ein solcher Rückschritt in vergangene Zeiten auf die Wähler einen unerfre u l ichen Eindruck und die Folgen würden nicht auf sich warten lassen. Sowohl die warmen Worte für die Integrität unü die Rechte des Beamten standes sowre die Warnung vor dem Abirren von einer bewährten Politik sanden den leb haften Beifall der Nativnallibccalen. Leider ver stand der Minister Gräf Vitzthum von Eck- städt die Situation nicht, sondern stellte sich schützend vor den Ministerialdirektor Heink. Ob wohl dann Abg. N i tzs ch ke-Leutzsch die Berech tigung der Ausführungen Dr. Zöphels glänzend nächwies, beharrte der Minister auf seinem Standpunkt. Die Sitzung dauerte wieder bis in die späte Abendstunde hinein. Eine Reise in Rußlaa-. Lon Dr. Richard Bahr. I. Womit der Russe vor allem zu renommieren liebt, ist die unermeßliche Weite seines Landes. Im Grunde ist's auch das erste, was wir oon Rußland zu hären pflegen, wenn wir uns auf eine Fahrt dahin vorbcreiten: daß es das größte territorial und national geschloffene Staatswesen der Erde sei: daß sein Anteil an der Landseste nicht weniger als 2- Millionen Quadratkilometer, also rund ein «sechstel der festen Erdkruste betrage, daß es vierzigmal so groß sei wie Deutschland und seine landwirtschaftlich brauchbaren Flächen die unsrigcn um das Neun, und Zehnfache überträfen. Und hat man dann bei Alerandrowo oder Wirballen die Grenze über schritten, so ist's eigentlich auch das erste, was wir zu fühlen beginnen. Man hat sich eben erst in dem, übrigens vorbildlich bequemen Coupe niedergelassen, das man nur noch mit drei Reisenden zu teilen braucht, und dessen Banke zur Nachtzeit sich in vier Betten verwandeln lassen — da stürmt auch schon jemand herein und fragt, ob das denn der durch gehende Wagen nach Turkestan sei. Nach Turkestan! Unsereins strebt nur nach Moskau und dünkt sich schon ein Held an Unternehmungslust. Und nun wird man, kaum daß man die Heimat hinter sich ließ, daran gemahnt, daß in diesem Lande Europa und Asien incinanderfließen; daß eigentlich nichts anderes dazu gehört als Geduld, Zeit und — wenn man ein Russe ist — ein Metallkännchen für das heiße Tee wasser und ein Berg von Betten, um mit einem einzigen Wagcnwechiel, und manchmal auch ohne ihn, bis mitten in das Herz von Asten zu dringen oder (auf der sibirischen Bahn) sogar bis an das äußerste Ende des östlichen Kontinents. Aber die Eindrücke wechseln. Erst grüßen «inen angesichts dieser unermeßlich weiten Flächen, die kein I Berg begrenzt, kein Stadtbild zerschneidet, alle I Schauer der Unendlichkeit. Da fängt man doch an, die Weite als etwas sinnlos zu empfinden. Der Sommertag hat viele, viele stunden, in denen man zum Fenster hinausstarren kann. Es bleibt im Grunde immer dieselbe Landschaft: hüben und drüben im Raubbau verwüstete Wälder und schlecht bestellte, nicht einmal ordentlich ausgerodete Aecker. Der schlafwagcnkontrolleur bat, nachdem er ein wenig umständlich den Samowar in Brand gesetzt hat, in einem unbesetzten Coupö sich zum Schlummer nieder gelegt, aus dem er nur ungern und dann allemal sichtlich ungnädig sich erhebt, so unsereins ein Glas Tee wünscht. Gemächlich, aber beharrlich stampft der Zug querfeld ein. In Abständen von zwei bis drei stunden erhascht der Bliä ein paar Gehöfte, die eigentlich schon mehr Hütten sind, oder es winken, an sich nicht unfreundlich anzuschauen, über Wänden oon Holz oder weiß getünchtem Lohm fünf bauchige grüne Kuppeln herüber. Zweimal an dem ganzen Tage hält der Zug, damit wir auf einer größeren Station an Speise und Trank uns erquicken. Die Absicht ist gut und preislich, und die Atzung an sich wäre es auch, wenn nur auf den Kaviarbrötchen und Appetitschnitten die Fliegenschwärme nicht lagerten und das Bier weniger angewärmt wäre. Draußen auf dem Brettersteig flanieren derweil barhäuptig mit langen, stolzen Zöpfen die «schönen des Ortes. Bester oder richtiger: des Oertchens; denn auch hinter diesen „größeren" Stationen dehnt sich nur ein bescheidener Marktflecken. Und dann stampft der Zug weiter durch die Einöde, vorüber an den ver wüsteten Wäldern und den schlecht bestellten Aeckcrn. in die dampfenden Abendnedel hinein. Ein weites Land, aber ein Land ohne Menschen und — auf große Strecken — ohne rationelle Wirtschaft. Ein großes, aber ein totes Kapital. Indes, vielleicht sollte man es lieber anders aus drücken. Dieses Land ist wie ein Knabe, den seine Eltern dazu verurteilten, in einem Riescnhabit ein herzugehen. Es ist alles an ihm auf „Auswachsen" berechnet. Auch seine großen Städte sind s. Es gibt in Moskau Bahirhöfe — und es gibt sie genau so auch in Petersburg —, die in einer trostlosen, ver lassenen Kleinstadt zu liegen scheinen. Zunächst fehlt den russischen Städten fast ganz, was in West europa — und zwar nahezu in ganz Westeuropa ohne Unterschied der Landesgrenzen — das Nahen Hiner großen Stadt anzulündigen pflegt:, also, die Villenoororte der Reichen oder zum wenigsten Wohl habenden und. als Fortfetzer oder Vorläufer der Armut, die in das noch unbebaute freie Feld ver irrten Mietskasernen. Wenn man sich Petersburg von der finnländischen, der sogenannten Wiboraer Seite nähert, fährt man ja allerdings an mancherlei Billen vorüber: das sind die Sommerfrischen, die sich den Finnischen Golf entlang dis weit nach Finnland hinein dehnen und einen sehr ansehnlichen Teil des erholungsbedürftigen Rußlands, nicht bloß Peters burgs, aufnehmen. Aber der Russe ist in diesen Stücken genügsam. Die oielberedete „Datsche" ist im großen Durchschnitt ein ein- bis zweistöckiger Holz bau von denkbar schlichtester Architektur, und was sie an Komfort bietet, geht vielfach nicht darüber hinaus, was bei uns schon die liebevoll gepflegte,, sozusagen „gehobene" Laube aufweist. Und nun die Wege in diesen Kurorten! Bei anhaltender Trocken heit sind's staubquellen von der Produktivität der Sahara; beim Regen verwandeln sic sich in grund losen Morast. Wenn der Zug sann in Petersburg Hütt, sino die Deutschen zwar verschwunden, aber statt ihrer umsäumen niedrige Holzhäuser und lange, hohe Bretterzäune die Straßen, die mit den Landwegen die Neigung zur Morastbildung gemein haben und dank einer sehr sorgfältigen Pflasterung mit spitzen, über weite Abstände verstreuten Steinen die Anlage zu Berg und Tal vor ihnen voraus haben. Das ausdauernde Rößlein des Iswostschiks kann sehr lange traben — vorüber an ländlichen Aus spannungen, an Wirtschaften und Kaufläden von dörflerischer Primitivität —, ehe man in Petersburg so gut wie in Moskau in die eigentliche Residenz kommt. Dann freilich ist man oft überrascht von d«n weit ausladenden Plätzen, die sich vor einem aus breiten und den stolzen Monumentalbauten an ihnen. Das gilt indes weniger oon Moskau als oon Peters burg. Es rst zwar dummes Zeug, wenn in manchen Reisehandbüchern (und gelegentlich wohl auch von vorschnellen und allzu flüchtigen Feuilletonisten) ge sagt wird, in Moskau finge Asien an. Wenn man will, fängt „Asien" genau so auch in Petersburg an, und einen europäischeren Platze als in Moskau den Theaterplatz mit seinen schmuckanlagen, dem wuchtigen Quadrat des Mctropolhotels uird den beiden Theatern im Hintergründe gibt es in ganz Europa nicht. Aber das Stadtbild in Moskau wird doch beherrscht vom Kreml, von dieser Stadt von Palästen, Kirchen und Klöstern, von Mönchen, Nonnen und Palastwächtcrn, die sich hoch über der in fansten Wellenlinien hingleitenden Moskwa aufbaut. An den Kreml und seine Mauern schmiegt sich tal wärts eine zweite ummauerte Stadt: Kitaigorod, die historische Altstadt. Das ist nicht Asien, aber es ist das mittelalterliche Rußland. ' 2kas sich dann aus wärts anbaute, die jetzige Wohn- und Geschästsstadt, erwuchs zu einer Zeit, da Rußland schon das Im perium von heute war. Anders in Petersburg. Es ist ja richtig: bei diesen Thcaterbauten mit den stolzen Freitreppen und den von Säulengängen um gebenen Renaistancekirchen hat man immer die Empfindung, das schon irgendwo gesehen zu haben. Die sie erbauten, waren ia auch meist italienische oder fran'ösische Meister. Die Kascmsche Kathedrale ist eine Nachbildung der Peterskirche zu Rom; die Isaakkirche entlieh Motive von St. Peter und dem Pantheon, aber das alles erstand zu sehr wesent lichen Teilen schon im 18. Jahrhundert. In einer Stadt, die soeben erst aus dem Boden gestampft war und noch keine 1W00V Einwohner zählte. Schüttelte, als sie die weiträumigen Plätze ausmcssen ließen, von denen einige kaum in Paris ihresgleichen finden, die Zaren und Zarinnen des 18. Jahr hunderts der Größenwahn; oder wollten sie Vrr künftigen Stadterweiterung von vornherein da« Ziel
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