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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.06.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140623029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914062302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914062302
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-23
-
Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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Lette 2. Nr. 314. Nvenü-Kusgave. Leipziger Tageblatt Viensiss, LS. Juni 1914 einer Auswanderung in lehr «rohem Massstäbe be fand. E» sind z. B. vom 17. März dis zum 10. Mai iiber 2 4 000 Personen au» Saloniki ringe» troffen, und die Gesamtzahl der Em tarier, ten überschreitet bereits 2 4 5 0 0 0, worin aber die jenigen, welche mit ihren eigenen Mitteln hinüber- gereist sind, nicht einbegriffen sind. Die türkisch: Regierung hat ihr Beste» getan, um diese Unglück lichen, die von allem beraubt sind, unterzudringen. Aber angesichts der immer wachsenden Zahl der Emigranten genügten die mohammedani schen Dörfer, wo sie untergebrvcht wurden, nicht mehr, und auch griechische Dörfer mussten hin- zugc,zogen werden. Die griechischen Dorfbewohner waren auch anfänglich damit ganz einverstanden, und es kam sogar vor, daß sie um Emigranten baten, die sie in ihren Dörern unterbringen woll ten. Aber bald traten Unzufriedenheiten auf, we gen angeblicher Aggressionen der mazedonischen Emigranten. Diese Unzufriedenheit zeigte sich zu nächst in einer Emigrationsbewcguna aus Thra zien, die sich dann auf die meisten thrazisck>en Dörfer ausdehntr. Die Regierung tat aber alles, um dieser Bewegung Einhalt zu tun. so das; im Regierungskreis von Tschataldscha und in ganz Thrazien die normalen Zustände bald wivder- hergestellt wurden. Die Behauptungen des Herrn Venizelos kürz lich in der griechischen Kammer, dass gegen die grie chische Bevölkerung in der Türkei Verfolgungen be gangen werden, und dass man danach trachtet, sie von ihrer Scholle zu vertreiben, widerspricht völlig den Tatsachen. Einige Beamte, die sich Nachlässig keiten zuschulden kommen liessen, wurden entfernt, und die Auswanderung, die lediglich eine «folge fremder Einflüsse war, hat bereits nachgelassen. Die griechische Bevölkerung wurde zu ihrer Auswande rung durch ihre Volksgenossen in Mazedonien ermutigt, die sie hinüberwinkten, um die frucht baren Ländereien, die die unglückliche mohammedanische Bevölkerung dieser Provinz hinter liess, zu besessen und sich so zu bereichern. Die griechische Regierung will zweifellos die neu zu besetzenden Gebiete mit Hellenen besetzen, und alles übrige zur Auswanderung zwingen. Es ist ja auch bekannt, dass aus dem Kaukasus und der Krim Griechen hinübergewandert sind. In Maze donien wurde die mohammedanische Bevölkerung in einer Weise misshandelt, wie sie die Geschichte kaum kennt. Unzählige von diesen Unglücklichen werden täglich in die türkischen Häfen hinübergcschifft. Trotz dieser unwiderlegbaren Tatsachen aber wollen die Griechen behaupten, dass die mohammedanische Bevölkerung keinen Misshandlungen ausgesetzt war." politische Ueberlicht Vas liberale Wahlabkommen. Die „Sachs. Nationalliberale Korrespondenz" schreibt: „Der Parteitag der Fortschrittlichen Dolkspartei in Sachsen hat am Sonntag, den 14. Juni, das in Aussicht genommene Landtagswahlabkommen mit der nationalliberalen Partei in der Fassung der Kommission mit 132 gegen 8 Stimmen, die aus dem 15. und 23. städtischen Landtagswahlkreis« kamen, ge nehmigt. „Damit ist", so hieß es sofort in der Presse, „das Wahlabkommen perfek t." Dem ist nicht so. Die von dem fortschrittlichen Parteitage akzeptierte Kam- Missionsfassung enthielt in einzelnen Punkten Ab weichungen von der Gestalt, in der die leitenden In stanzen der nationalliberalen Partei das Abkommen genehmigt hatten. Dies« Differenzen sind noch nicht ausgeglichen. Auf dem fortschrittlichen Parteitage wurde mit geteilt, daß sich die Unterhändler auf einige Grund sätze geeinigt hätten, von denen der eine wie folgt lautet: „Bei den beiderseitigen Parteileitungen ist da- hin zu wirken, dass vor der Hauptwahl jede Kund gebung über die Stichwahl unterlassen wird." An diese Mitteilung knüpft die konservative Presse lebhafte Betrachtungen. Wir bemerken diesen gegen über folgendes: Es versteht sich von selbst, dass bei einem Wahlabkommen di« Teilnehmer, also hier die Nationalliberalcn und die Fortschrittler, einander nicht nur in den Hauptwahlen, sondern auch in den Stichwahlen unterstützen. Ein National liberaler ist also von den Fortschrittlern auch da zu unterstützen, wo er mit einem Sozialdemokraten in Stichwahl steht, und «in Fortschrittler ist von den Nationalliberalcn auch da zu unterstützen, wo er mit einem Konservativen in Stichwahl steht. So wird es, wenn das Abkommen perfekt wird, von beiden libe ralen Parteien sicherlich gehalten werden. Damit zu rechnen, dass der eigene Kandidat durch fällt, widerspricht nicht bloss der Höflichkeit, sondern vor allem den Regeln der politischen Erfahrung. Diese Regeln gebieten vielmehr, alles daran zu setzen, dass der eigene Kandidat siegt, und dazu gehört es auch, dass man den Gedanken an eine Niederlage ablehnt. Fällt die Hauptwahl dennoch ungünstig aus, dann — nicht vorher — ist der Zeitpunkt für Ausgabe der Stichwahlparole gekommen. Wenn di« Konservativen Beklemmungen empfinden, so bestehen die Gründe offenbar darin, dass sie die Folgen der von ihrer Presse veranstalteten unerhörten und un erträglichen Hetze gegen die Liberalen fürchten, und dass sie in Stichwahlsaäxn ein schlech tes Gewissen haben, namentlich seit der roten Heyde- brandparole von 1911/12, der getreu im Januar 1912 die konservativen Parteigänger im 23. sächsischen Neichstagswahlkreise dem Sozialdemokraten zum Siege über den Liberalen verhalfen. Diesen Beklem mungen abzuhclfen, kommt den Konservativen zu, nicht uns. Im übrigen kann über die grundsätzliche Stellung unserer Partei zu Stichwahlen zwischen Konservativen und Sozialdemokraten kaum noch je mand im Zweifel sein." Eine Rede vernburgs in London. Bei dem Frühstück, das am Montag den Berliner Kaufleuten in der Londoner Handelskammer ge geben wurde, hielt, wie bereits gemeldet, auch der frühere Kolonialstaatssekretär Dernburg eine Rede. Darin hob er hervor, dass Deutschland und England die beiden besten gegenseitigen Kunden in der Welt seien, beide gingen Hand in Hand in den beiden grossen Fragen der Zukunft, Behandlung der schwarzen Rassen durch den weissen Mann und in der sozialen Frage. „Bor drei Jahren", sagte Dernburg, „hatte ich die Ehre, der Gast der Royal African Society zu sein. Wir alle kamen überein, dass alle weissen Herrennationen gegenüber den unterworfenen Rassen durch eine Solidarität der Interessen verbunden wären, und wir betonten die Tatsache, dass der Vorteil des einen auch der Vorteil des anderen sei. Die Ein geborenen können zwischen dem einen und dem an deren Weissen nicht unterscheiden, unsere Herr schaft hängt von dein Prestige unserer Farbe ad, und der Prestigeverlusr der einen Na tion schadet auch der anderen. Damals versprachen wir einander, diese Jnteresscnsolidaritüt aufrecht zu erhalten, und ich freue mich, seststellen zu kön Vas glück üer anderen. 47s Roman von Fritz Stüber-Gunther. lOop^riksdt 1vl4 d? Orotklsin <t l)o. O. m. d. II. Und weiche Teppiche deckten Fliesen Nttd Zinsen, und Helle Lichter, so viele nnr zur Verfügung waren, strahlten von den Säulen herab und zur luftigen Kuppel empor — und selbst die allerjüngsten und alleranspruchsvoll sten der Offiziere, die, um dein Ehrentage ihres glücklichen Kameraden erhöhten Glanz zu leihen, stramm und fromm die Äirchcnhalle füllten, konnten der vornehmen Gediegenheit des Ar rangements ihre Anerkennung nicht versagen... Hermann Spitzackcr, der Brautigamsvatcr, das blitzende Verdicnstzeichen auf dem Braten rocke, flüsterte, als er den kostbar geputzten Tem pel des Herrn betrat, seinem still versonnenen Nachbar Anton Gottsmann ehrfürchtig bewun dernd zu: „Dass, wer seine Tochter au einen Oberleut nant verheiratet, Geld haben muß, das weiß ich natürlich ganz gut. Daß aber mein Sohn, mein braver Paul, jetzt in eine so immens reiche Familie hineinkommt, hält' ich doch nicht ge- dacht!" Auf diese kluge Rede hätte Anton Gotts mann sehr vieles zu erwidern gehabt. Allein er schwieg. Durch seinen grauen Kopf gingen auch jetzt ganz andere Gedanken als an irdischen Prunk und irdisches Gut. Sein körperliches Auge war nach dem Brautpaare und dem segnenden Priester gerichtet. Sein geistiges Auge sah nichts Gegenwärtiges, sah etwas langst Vergangenes, so oft schon, aber nun mit hundertfacher Stärke zu neuem Leben Erwachtes. . . . Die Zeremonie war vorüber, das Publikum löste sich aufatmeud aus seiner vorgescyriebenen Andacht und Ergriffenheit, es regnete Glück wünsche, Händedrücke, Küsse und Umarmungen. Mama Remold führte ununterbrochen ihr Taschentuch an die Augen, Schwesterchen Ida bemühte sich vergeblich, ein paar Tropfen aus ihren kecken Gassenjungenaugen zu pressen, Schwester Melitta schwamm in Tränen nnd schmerzhafter Trauerwonne. Dre Wagen waren vorgefahren. Paul Spitz acker und seine junge Frau suchten, spähten, fragten, riefen nach dem guten Oheim Gotts mann. Doch der war nirgends zu sehen, nir gends zu finden, blieb verschwunden, als ob ihn die Steine verschluckt hätten. „Sehr sonderbar!" bemerkte Frau Reinold naserümpfend. „Was wolltest du denn übrigens noch von ihm, Anna?" „Ich wollte — ich wollte —", flüsterte die Neuvermählte, und ihre Wangen erglühten pur purn unter dem weißen Schleier, „ich wollte ihm die Hand küssen!" „Aber Anna!" entsetzte sich die Mutter. „Bist du denn —" i verrückt," Mt« W» beinahe gejagt. Doch der junge Ehemann nickte seiner Frau zärtlich zu und bewahrte seine Schwiegermutter vor einer argen Unhöflichkeit: „Ohne von Oheim Gottsmann Abschied ge nommen zn haben, können wir ans keinen Fall fort." „Nun, dann versäumt ihr eben den Zug und werft euer ganzes Reiseprogramm über den Haufen," drängle Frau Reinold. „Es ist ohnehin höchste Zeit, wenn Ihr noch die Kleider wechseln wollt." Das mußte der Oberleutnant Paul Spitz acker freilich einsehen. Und da blieb ihm, nach dem er sich noch einmal vergebens umgeblickt hatte, nichts übrig, als in den Wagen zu steigen. Der Herr Revisor Anton Gottsmann aber hatte sich längst aus dem Gedränge gestohlen und war auf dem Wege nach seinem Heim, das er in Bälde für immer zu verlassen gedacht hatte und das nun doch wieder sein Heim blei ben sollte auf lauge, lange Jahre hinaus — vielleicht bis zum Ende seines Lebens, vielleicht aber auch nur bis zu jenem früher erscheinenden Tage, da das riesige, seltsame, erinnerungs reiche, als störendes Ueberbleibscl entschwundener Zeit in die neue Zeit hincinragcndc Haus dem Nützlichkeitsdraugc und dem unablässigen Wan del der modernen Großstadt sterbend zum Opfer fallen mußte. . . Wie ein vergessenes Eiland im Branden nnd Tosen des hauptstädtischen Erwerbs- und Genuß, meeres lag cs jetzt vor ihm mit seinem grauen, weitgedehnten, zensterrcichen, viele unregelmäßige Ecken nnd Buchtungen bildenden Frontmauern, seinen kühlen, hallenden Torboczeu und halb versteckten, engen Scitcnpförtchcn. seinen rot braunen, oft geflickten, steilen nnd wuchtigen Ziegeldächern, dem Wald von Schornsteinen, ans denen kein stickiger Oualm hervorpustcle, nur feine, bläuliche Rauchwölkclsen sich langsam zum Himmel emportrauselten, seinen breiten Hofen und vermorschenden treuen Gartenbäumcn — wie eine eigene, sonderliche kleine Welt, die mir der großen Welt da draußen bloß dünne, kaum sichtbare Zusammenhänge kannte. Er war ja nicht versumpft und träge, dieser Mikrokosmus, er war rührig nnd bewegt, doch auf seine Art, cs herrschte auch in ihm reges, warm pulsierendes Leben, nur ein anderes Leben als rings um ihn in den Gebieten der Industrie und Spekulation, des Geldstolzcs und Vornehmheitsstvlzcs, der ungeduldigen Wissenschaft und der nach uner hörten Verblüffungen strebenden Kunst. Er ver körperte das unbeirrbar zähe Festhalten an der Scholle und am Hergebrachten, die altväterische Genügsamkeil und Einfall, die kaum mehr ge fühlte Arinui und selbstverständliche Redlichkeit, über die der Fortschritt zwar achtlos hinweg- sieht, die er aber doch noch und immer wieder als Folie, ja, als Basis seiner glänzenden Erfolge braucht — «und nach denen er wohl selbst rn 9. Deutscher Gewerkschaftskongreß. 8.L ii. München, 22. Juni. In der fortgesetzten Diskussion sprachen nun noch Päplow (Hamburg): Wir müssen praktischer denken nen, dass wir beide dieser Verpflichtung nachge- kommen sind. Wir arbeiten an dem gleichen Unter nehmen, den farbigen Mann zur Kultur zu erziehen, indem wir neue Bedürfnisse für rhn schaffen und befriedigen und ihm durch Aus dehnung unserer Herrschaft die Segnungen unserer wissenschaftlichen Kenntnisse, unserer ärztlichen Er fahrung und eine bessere Organisation geben. So arbeiten wir, und zwar zum gegenseitigen Vorteil unseres Handels, an einer der grössten Aufgaben, die die zivilisierte Welt je vor sich hatte. . . . Wie bei dem afrikanischen Kolonialproblem, arbeiten beide Nationen auch in der Sozial reform — der zweiten großen Frage des 20. Jahr hunderts — Hand in Hand. In einigen Punkten, wie in der Fabrikgesetzgebung, hat England viele Jahre die Führung gehabt, rn anderen, wie der obligatorischen Versicherung, ist Deutschland an die Spitze gerückt. Sie sehen, in wie mannig facher Weise die Zukunft unserer beiden Na tionen durch ein gutes gegenseitiges Ver ständnis bedingt ist: und je grösser und intimer unsere beiderseitigen Interessen werden, desto ge ringer wird die Notwendigkeit, Organisationen zu schassen, um die Interessen beider Nationen in Billig keit wahrzunehmen, auszugleichen. England und Deutschland sind die grossen Konkurrenten in der Schiffahrt der Welt. Als ihre Interessen kollidierten, wurden hier in London internarionale Kon ferenzen gehalten, Abkommen geschlossen und be friedigende Lösungen erreicht." Redner erklärte voller Zuversicht, dass auch in Zu kunft solche Differenzen in freundschaftlichem Geist und mit angemessener Berücksichtigung der beider- leiiigen Interessen beigelegt werden würdeu und schloss: „Ich freue mich, sagen zu können, dass die politischen B ezie h u ngen zwischen unseren beiden Ländern den normalen Status erreicht haben, der beiden erlaubt, die Dinge ohne Miss trauen zu betrachten. . . . Lassen Sie uns in dem Prinzip des Austausches von Liebenswürdigkeiten und nützlicher Kenntnisse sortfahren, und lassen Sie uns ehrliche und unabhängige Konkurrenten und Freunde bleiben." Zum britischen Pottenbefuch in Kiel. Der „Daily Graphic " schreibt: Wenn dem britischen Flottenbesuch durch die Kieler Woche etwas mehr Nachdruck verliehen wcrd. so entspricht dies nur den Erfordernissen der internationalen Lage und den Wünschen Englands. Die Welt verlangt keine Versicherung, dass der Besuch der englischen Schisse in Reval und Kronstadt ein Zeichen der herzlichen Beziehungen zwischen dem russischen und dem englischen Volke sei. Aber im Falle Deutschlands hat das Symbol mit viel Unkenntnis und Vorurteilen zu kämpfen. Es ist daher wünschenswert, sich darüber klar zu werden, dass die gegenseitigen Beziehungen zwischen beiden Ländern ausgezeichnet sind, bass ihre Souveräne und Staatsmänner wünschen, dass sie so bleiben mögen, und dass selbst aus dem Gebiete der energischsten Rivalität ein natürliches Gefühl gegen seitiger Bewunderung und Kameradschaft sie ver einige. Ist der Deutsche Kaiser nicht ein britischer Admiral, auf den alle britischen Seeleute mit Recht stolz sind? Wir in England freuen uns hierüber und über jede Gelegenheit, Seiner Majestät unsere Grüsse zu senden, nicht nur als dem gefeierten Souverän Deutschlands, des Reiches, mit dem wir in Freundschaft zu leben wünschen, sondern als dem Muster von Gemeinsinn und Geradheil in allen Lebenslagen." bangen Stunden der Ermattung und Ernüchte rung wie nach einem verlorenen Paradiese heim lich seufzt. Kein kostspieliger modischer Sport wurde hier betrieben und übertrieben, aber die uralten, bis auf den Göttermythus zurückreichenden Spiele und Reigen hatten hier noch die Stätte gefunden, die man ihnen überall ringsum schmä lerte und weigerte. Im Tanze drehten sich die Mädchen, die Knaben haschten einander oder übten frühe Zucht nach grotesk geheimnisvollen Kommandowvrten, und liebe alte Sprüche und Reime und Lieder waren noch nicht ganz ver drängt von pöbelhaftem Jargonwitz. Und durch all das Summen und Schwirren von Jungen und Alten, von Arbeit und Spiel ging der Herr Revisor seiner Wohnung zu und fühlte, wie das letzte leise Rütteln des Sturmes in seinem Innern verebbte und jede Woge seines Gemüts sich glättete. Ganz ruhig und gefestigt und einig mit sich selbst betrat er seine Stube, so selbstsicher, das; er die beiden Briese aus der Mozartstadt, die schon vor zwei, drei Tagen ein getroffen waren, die er aber, damit sie ihn nicht etwa stocken ließen ans seinem Wege, un eröffnet beiseite gelegt hatte, nun gelassen vor nahm und methodisch ihrer Hüllen entledigte und ohne alle Erregung zu lesen begann. Der erste stillte ganze zwei Bogen, und seine Schrift war so flüchtig und ungleichmäßig, daß inan daraus allein schon die Gereiztheit des Schreibers entnehmen konnte. Stefan Khautz, der Tondichter, machte seiner Entrüstung über des Freundes Wankelmütigkeit in bitter vor wurfsvollen uud scharf sarkastischen Wendungen sLust, in Sätzen bald, die verzuckerten Giftpillcn glichen und bald in solclwn, die wie Raketen und Petarden explodierten. Es war deutlich und zwei fellos, daß er all dies Schelten und Sticheln absichtlich als äußerstes Gewaltmittel anwcndctc, um Anton Gottsmann noch im letzten Augen blicke zu bekehren. Anton Gottsmann lächelte dazu, denn er wußte ja, daß cs keine Bekehrung und kein Zu rück mehr gab. Er strich den Brief glatt, und keins der galligen, Pfeilspitzen Worte haftete in seiner Brust, denn einem jeglichen von ihnen entnahm er die schlecht genug verborgene treue Freundes sorge. Das zweite Schreiben, in den zicrlicksen, ein wenig zittrigen Zügen des Pater Romuald, war kurz: „Ganz und gar, lieber Freund, kann ich Sie nicht verstehen, dazu sind Ihre Andeutungen zu unbestimmt. Aber auf der «pur der Gründe Ihrer Sinnesänderung — die, ich will's nicht leugnen, auch mir schmerzlich nahe geht — glaube ich imuierhin zu sein. Vielleicht, Neber Freund, haben Sie das bessere Teil erwählt. Vielleicht, wer weiß cs, tun wir alle dann am klügsten, wenn wir am törichtesten zu handeln scheinen. Denn so viel hat auch mich ungelehrigen Schü- und handeln, der Klassenkampf allein bringt uns nicht vorwärts. — Wienel (Berlin): Die Gegnerschaft gegen die Gesellschaft für sozial« Reform ist nur dadurch entstanden, daß in ihrer Zeitschrift ein Artikel veröffentlicht wurde, der sich argen die Erfüllungsklage zur Konkurrenzklausel zustimmend äußerte. In seinem Schlußwort tritt Legten der Auf fassung entgegen, daß man sich als Körperschaft der Gesellschaft etwa anichließen dürfe. Dadurch würde man für die Beschlüsse eventuell verantwortlich ge macht werden können. Die von dem Redner befür worteten Anträge werden angenommen, eine Reihe von Anträgen werden zurückgezogen. Heer uns Zlotte. Die Riesen,Sebirgsmanöver der österreichischen Armee in Bosnien. Den diesjährigen großen Korpsmcmövern in Oesterreich, die in den Tagen des 25.-27. Juni auf bosnischem Boden abgehalten werden, darf man mit besonders gespannter Erwartung entgegensehen. Die Schwierigkeiten der 'Aufgaben in diesem Manöver, die der Führer wie der Truppen warten, find durch die besondere Bodenbeschasfenheit des Schauplatzes bedingt, der zur Abhaltung der Manöver erwählt worden ist. In dem wildzerklüsteten, gebirgigen Bosnien werden diesmal die Truppen des 15. und 16. Korps unter den Augen des Erzherzog-Thron folgers ihre Kräfte zu messen haben. Nur der Kenner des Geländes vermag die Schwierigkeiten der dies jährigen Hebungen voll zu würdigen. Das Manöver gelände ist ein Landstrich wie geschaffen, um den anstrengendsten aller Kriege, L«n Eebiraskrieg, prak tisch zu erlernen. Nicht nur, dass die Truppen hier mit unwirtlichem, ungemein felsigem (befände zu rech nen haben, so sind sie auch in Bosnien allerlei kli matischen und geologischen Unannehmlichkeiten aus gesetzt. Tin Wassermangel kann ihnen ebenso leicht siihlbar werden wie der überraschende Wechsel der Tag- und Nachttcmperatur. Man hat in Bosnien oft genug auf tropi'che Tagcshitze «isigc Nachtfröste erlebt, und die plötzlich auftretenden, schlaff machen den Südwinde verheissen den übenden Truppen manche wenig erfreuliche Stuude. Das Uebernacht-n im Freien wird im bosnischen ALanöv«rgelände selbst verständlich sein. Aber damit nicht genug, einzelne Abteilungen erhalten im Verfolg ihrer Aufgabe die Anweisung, Berghohen von 2000 Meter und mehr zu erklimmen. Wie anstrengend die Manöver sein werden, an denen 50—60 WO Mann aller in der österreichischen Armee vertretenen Nationen teil nehmen, mag man daraus ersehen, dass sämtliche Be dürfnisse, auch das Wasser und das Brennholz, den Truppen auf endlosen Tragtierkolonncn nachgeführt werden müssen. Denn Ortschaften gibt es im Manöveraelände keine. Zudem hat der General stabschef Konrad von Hötzendorf den Truppen insofern noch arge Anstrengungen zugemutet, als keinerlei Vorbereitungen für die Ankunft der Truppen ge troffen werden dürfen. Diese haben sich also alles selbst an Ort und Stelle zu beschaffen. Auch eine Aenderung in der. Wahl des Standortes für die Manövcrleitung tritt ein. Diese wird nicht mehr wie bisher in der Mitte placiert, sondern seitwärts. Das Manöverfeld liegt an der Gr«nze der Herze gowina und des eigentlichen Bosnien und wird gegen Zuschauer sehr streng abgesperrt werden. Nur mit Legitimation wird man den Manöverraum be treten können. Am schlimmsten werden wohl die Truppenteile daran sein, die von den sonnigen Küsten der Adria direkt in das bosnische Hochgebirge ab- I SoduIn»LrvvbLv8 Ilviversikittnstr. 2. Tel. 11189. llci lcr das Leben gelehrt: Rein und vor Enttäu schung sicher ist nie ein Glück, nach dem wir gierig laugen: frei von schalem Nachgeschmack nur jenes, das wir anderen zu bereiten streben. Ich drücke Ihnen ferner dre Hand mit dem innigen Wunsche, daß Sie von mir zn denken vermöchten, wie ich von Ihnen denke." Vor diesem Briefe jaß Anton Gottsmann geraume Zeit, und leichte Note färbte seine schmalen, blassen Wangen. Dann trug er ihu, zusammen mit dem ersten, nach dem Schreib tische und legte beide in ein Schubfach. Und aus demselben Fache zog er jetzt cm schlichtes, dünnes Heft, auf dessen Titelblatte neben dem großen Namen Wilhelm Busch der kleine Name Anton Gottsmann stand. Er setzte sich mit dem Hefte ans Spinett und glitt mit den hageren, runzligen Fingern über die glashell erklingenden Tasten. Und begann leise zu spielen und träumerisch zu singen: „Wenn ich dereinst ganz alt und schwach. Und 's ist mal ein milder Sommertag, So hink' ich wohl aus dem kleinen Haus Bis unter den Lindenbaum hinaus. Da fetz' ich mich denn im Sonnenscksein Einsam und still auf die Bank von Stein, Denk' an vergangene Zeiten znrücke Und schreibe mit meiner alten Krücke Und mit der alten, zitternden Hand Paula So vor mich in den Sand. . ." Jin Texte stand „Bertha". Aber dem Re visor Anton Gottsmann kam jener andere Name auf die Lippen, von selbst, unwiderstehlich, jchicr unbewußt. Niemand konnte diese Aenderung be kritteln, niemand sie ihm zum Vorwurfe machen. Denn niemand hörte sein Singen. Unter feinen Fenstern spielten frohe, sorgen lose Kinder, bekämpften dieser Kinder Eltern ihre Sorgen durch arbeitsame Geschäftigkeit. Zu seinen Fenstern empor streckten die altehrwürdi gen Baume ihre schwarzen Aeste und grün knospenden Zweige, unter denen einst Wolfgang Amadeus Mozart seine „Zauberflöte" erschuf. Jenseits der Mauern des verwitternden Riesen- Hauses aber surrte, klingelte, pfiff, klapperte, dröhnte und brüllte ein vorwärtsdrängendes, überhitztes Leben, das nichts von Feierabend rast, vollends nichts von einsamem Jnsichver- senken und fromm einfältigem Gedächtnisdienste wußte. Werte wurden dort geschaffen, Schätze ge sammelt, Kämpfe gekämpft, Genüsse scharfsinnig ausgeklügelt und bis zur Neige ausgekostet. Des stillen alten Mannes Wert und Schatz war anderer Art und lag weit, weit davon. Aber kein Genuß kam dem seiner Erinnerungs stunde gleich. Und keinen goldenen, leinen blu tigen Siegcrkranz IMte er cingeiauscht für den sanften abendlichen Frieden, der in seiner Brust wHnte. > . -
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