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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.06.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140623015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914062301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914062301
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-23
-
Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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vlrusm-, 23. Juni lS14 Leipziger Tageblatt. Nr. 3l3. ttlorgen»Nusgsve. Seite 7. VMMÄWW Kunst unä wissensetigst I Ein Riesentheater in Eens. Die Republik und der Kanton Genf bereiten zum Monat Juli großartige Feste vor, um die Befreiung von der Herrschaft Napoleons und die Einfügung in den Schweizerbund zu feiern. Der Hauptteil dieser Feste wird in einem historischen Stück be stehen, das in einem Riese ntheater — teils über dem Wasser erbaut nach Plänen der Architekten Maillard und Heußler — aufgeführt werden wird. Der Saal wird 28 Meter Höhe haben und wird 6000 Zuschauer fasse» können. Die Bühne — 60 Meter breit — wird einen Orchesterraum enthalten, der durch Stufen mit einem großen Proszenium ver bunden sein wird, das ein Portal von 16 ionischen Säu len haben wird, jedoch von 1 Meter Durchmesser und 10 Meter Höhe. In diesem monumentalen Rahmen, der von dem Dekorateur Hugonnet und dem Archi tekten Alex Camoletti entworfen ist, wird ein groß artiges Schauspiel vorgeführt. Im 1. Akt werden lebende Bilder, die zwischen den Mittelsäulen ge stellt werden, die verschiedenen Phasen der Genfer Geschichte darstellen: Die Epoche der Helvetier, Rö misches Zeitalter, Zeitalter der Barbaren, Zeitalter der savoyischen Herzöge, aus der Rcformationszcit, von Jean Jaques Rousseau aus der Revolution. Jaques Dalcroze, der bekannte Meister, hat auf den Text zweier Genfer Schriftsteller (Malsch und Baud-Bovy) eine klangvolle, mächtige Musik komponiert für ein Orchester von 100 Mann und für Chöre von mehreren hundert Sängern, die aus den Stufen des Orchesters und auf denen der Säulenhalle verteilt, den Kommentar zu den Bildern vortragen, während auf dem Proszenium aus der Säulenhalle hcrniedersteigend eine anmutige Schar von Tänzern und Tänzerinnen alle Phasen der Handlung in mimischer Darstellung vorführen, nach der unter dem Namen „rhythmische Gymnastik" bekannten, schon berühmten Art, die erst seit kurzem von Jaques Dalcroze eingeführt worden ist. Nach diesem Prolog werden der 2. und 3. Akt in dra matischer Handlung die letzten Teile der Genfer Geschichte vorführen, die Befreiung vom Joche Na poleons und den Eintritt in den Schweizerbund. Diese volkstümlichen Szenen werden das alte Genf als Schauplatz haben, das nun zwischen den Säulen der Halle zu erblicke« sein wird, während es bisher durch einen Vorhang verhüllt war. Aber im 4. Akte verschwindet diese Dekoration sowie auch die Wand des Hintergrundes, und der wirkliche Genfer See, die Höhen, die Genf umgeben, und in der Ferne die schimmernde Kette der Alpen er scheinen. Auf diesem „wirklichen" Genfer See wird eine klassische Barke mit offenem Segel, wie sie Rousseau und Voltaire besungen haben, heraunahen, an dem Hintergrund der Bühne landen Schweizer Soldaten, steigen heraus und nehmen im Namen des Landtages Besitz von der Stadt. Kanonen donner und Glockenläuten sämtlicher Kirchen werden in deil Jubel der Menge hinein erklingen. Mit dieser naturgetreuen Wiedergabe des historischen Er eignisses von 1811 wird das von den Genfer Künstlern und Patrioten erdachte, von M. Gönner, Direktor des Theaters Antoine, in Szene gesetzte Schauspiel schließen. Tie erste Vorstellung, die aus schließlich für die Familien der ausübenden Künstler und der Presse bestimmt ist, wird am Donnerstag, den 2. Juli, stattfinden. Die öffentlichen Vorstel lungen sind für Sonnabend, den 4. Juli, 9 Uhr vormittags, Sonntag, den 5. Juli, 2 Uhr nach- mittags, Montag, den 6. Juli, 9 Uhr vormittags, Mittwoch, den 8. Juli, und Donnerstag, den 9. Juli, abends 7 Uhr, Sonnabend, den 11. Juli, 3 Uhr nachmittags, und Sonntag, den 12. Juli, 1 Uhr nachmittags, festgesetzt. Die letzte Vorstellung wird von einem Zuge durch die Stadt beschlossen, dargestellt von 1200 Teilnehmern. * Gaston Demme, der hochgeschätzte Charakter komiker unseres städtischen Schauspiel», teilt uns mit, daß er entgegen anderen Pressemeldungen in Rück sicht auf ferne in lAter Zeit stark zunehmende Nervosität von einer Verlänaerung seines Vertrages abgesehen habe; um s eine Pensionierung habe er weder nachgesucht noch sie erhalten, da er in Zukunft an auswärtigen Bühnen zu gastieren und sich an Vortragsabenden zu beteiligen gedenkt. * Universitätsnachrichten. Der Allg. Studenten ausschuß veranstaltet in diesem und im kommenden Semester eine Reihe von Vorträgen über Welt- und Kolonialpolitik. Am Dienstag, den 23. Juni, beginnt Geh. Rat Prof. Lamprecht den Zyklus mit dem Vortrage: Einführung in die Ideen der äußeren Kulturpolitik der Gegenwart. Näheres an den Schwarzen Brettern. * Theaterchronik. Bernhard Schultheiß ein Leipziger, ehemaliger Schüler des hiesigen» Königl. Konservatoriums und Regieschüler von Dr. HansLöwenfekd, s. Z. Direktor am Leip ziger Stadttheater, ist auf 3 Jahre als Direktions- Stellvertreter und Oberregisseur an das Neue Stadttheater in Gablonz verpflichtet worden. — Der Gründer und Letter des seit vier Jahren erfolgreich bestehenden Deutschen Theaters in Südamerika, Direktor Gustav Bluhm, hat, einer Einladung des Deutschen Dürerbundes in Konstantinopel folgend, erne Propagandareise durch die Balkanstaaten zwecks Gründung eines Deutschen Wandertheaters für das südöstliche Europa angetreten. — Die weitere Aufsührumz der Operette ,,Dre Tango- Prinzessin" im Moskauer Eremitage- Theater wurde, wie russische Blätter melden, vom Moskauer Stadthauptmann bis auf weiteres oer- boten. — Im Neuen Theater zu Frankfurt a. M. hatte die Posse „Die ledige Ehefrau" von Pordes-Milo und Halton einen lebhaften Publikums erfolg. * Ein Protest gegen den „Don Juan" des Deutschen Bühnenvereins. Bekanntlich sind die Mitglieder des Deutschen Bühnenvereins verpflichtet, Mozarts,,Don Juan" innerhalb zwei Jahren in der Scherde- mantelschen Ueberietzung aufzuführen. Gegen diese Verpflichtung ist jetzt von einem Mit glied des Vereins ein umfangreicher und energischer Protest eingelegt worden, nämlich von Heinrich Teweles, dem Direktor des Prager Deutschen Landestheaters. Dieser erklärt, der Deutsche Bühnen verein habe nicht das mindeste Recht, seine Mit glieder zur Aufführung eines bestimmten Werkes oder der bestimmten Form eines Werkes zu zwingen. Er wolle nichts gegen den Wert der Scheidemantel- schen Arbeit sagen, es sei ihm aber darum zu tun, das prinzipielle Unrecht de« Vorgehens des Bühnen- Vereins darzutun. Direktor Teweles ist übrigens nicht der einzige Direktor, der gegen den Majoritäts beschluß des Bühnenvereins protestiert. * Eine volkstümliche „Parstfal"-Auffiihrung wird am 26. d. M. im Wiesbadener Hoftheater stattfinden. Das Weihefestspiel wird an diesem Abend ausschließlich für Lehrer, Beamte, Handwerker und Arbeiter in Szene gehen, ein großer Teil der Plätze wird 60 und 25 Pf. Eintrittsgeld kosten. * Galaabend in der Pariser Großen Oper. Ueber 100 000 Franken zugunsten von Antoine erbrachte, wie unser Pariser Mitarbeiter meldet, ein Gala- Abend in der Großen Oper. Was Paris an reichen Snobisteii besitzt, die niemals den Weg ins verkrachte Odeon fanden, um sich des realistischen Direktors und Inszenators Taten anzuschauen, hatte zu Riesenpreisen Logen und Parkettsitze der für das intellektuelle Frankreich beschämenden Wohltätigkeits-Vorstellung gemietet. So soll dem Begründer des Thöätre Libre der entehrende Konkurs erspart werden — ob es ge lingt, ist freilich noch eine Frage, da die Gesamt schulden 300 000 Frank übersteigen. Nach dem 1. Akt des „Othello", gegeben vom italienischen Ensemble des Metropolitan Opera House und der Erstauf führung eines reizenden Balletts „Hansli der Buck lige" von Tain und Adenis, Musik von Gallon, er schien Edmond Rostand, um in flammender Rede die verkannten Verdienste Antoines zu preisen. „Ich sah Euch. Antoine, nach 27jährigem Kampf für die Kunst, für Frankreich, für Paris, neue Kraft aus dem Zu sammenbruch selbst schöpfend, das bedrohte Ehren bändchen im Knopfloch, wie Ihr die Hände in die leeren Taschen versenktet und sagtet: „Nun gut, dann gehe ich zu den Türken!" — Bekanntlich erhielt An toine einen Antrag, in Konstantinopel ein Kon servatorium einzurichten. Als Erster hast du uns eine Liebesszene von Porto-Riche gespielt, einen blen denden Dialog Lavedans der Rampe zugeführt, Brieux, Ancey, Füllten, Tea:d, Wolff und Möb'nier triumphieren lassen; als Erster hast du Cladel und Villiers de lJsle-Adam gespielt, „La Nuit Vergamesque" und „La Reine-Fiammette"; als Erster hast du unserer Bühne Tolstoi, Ibsen, Haupt mann und Strindberg aufgezwungen. Als Erster hast du das franke Lachen Courtelines ertönen lassen und die verhaltenen Tränen Jules Renards begreif lich gemacht... Du gehst zu den Türken... Du hast zuerst im Leuchtturm der Bretagne beim Lesen das Genie unseres Adlerjägers Francois de Curel ent deckt und verdient, zuerst Marie Leneru spielen zu dürfen... Du wirst zu den Türken gehen..." Rostand, der ein raffinierter Komödiant ist, packte sein Publikum mit dieser Ansprache — Minister, Her zoginnen und Millionäre jubelten, bis Rostand mit Antoine auf der Bühne erschien. Spät in der Nacht ging das Fest mit einem Akt aus der „Arlssienne" und einem von den beliebtesten Künstlern dar gestellten Tanzbild aus der verschwundenen „Tloserie des Lilas" — dem „Bullier" von 1830 — zu Ende. Antoine hatte eine Apotheose, aber kein Theater! * Die „Josefs-Legende" in Berlin. Anfang Ok tober wird die „Josefs-Legende" von Richard Strauß, deren Uraufführung bekanntlich jüngst in Paris stattfand, im Berliner königlichen Opern hause vom Russischen Ballett mit Leo Blech am Di rigentenpult zur Auffübrung gebracht werden. — „Die fromme Helena", musikalische Burleske in drei Akten von Erich Urban und Louis Taufstein, Musik von Martin Knopf, wird in Frankfurt a. d. Oder im September d. I. in Szene gehen. — „Das blaue Wunder", Schwank von Max Real und Franz Cornelius in drei Akten, wurde vom Deutschen Theater in Köln zur Urausführung erworben und geht gelegentlich des Ensemble Gast spiels dieser Buhne dort in Szene. — Das Ber liner Lesstngtheater hat Hermann Bahrs neue Komödie „Der Querulant" für die nächste Spielzeit erworben. * Lin historische« Museum in Homburg. Als Grundstock zur Errichtung eines städtischen histo- rischen Museums in Homburg o. d. H. wurde eine 3000 Nummern umfaßende Sammlung gestiftet, die sich bisher im Besitze der Geschwister Balmer-Homburg befand und aus wertvollen Schriften und Bildern zur Geschichte des Homburger Fürstengeschlecht» und der ehemaligen Landgrasschast Hessen-Homburg besteht. * Das Julius-Wolsf-Denkmal in Treseburg. Prof. Artur Schulz, der Berliner Bildhauer, hat für den verstorbenen Dichter Julius Wolff ein Denkmal in schöner und poetischer Form geschaffen. Zum 80. Ge burtstage des Dichters im September dieses Jahres wird das Denkmal, über das der Herzog Ernst August zu Braunschweig und Lüneburg das Protektorat über nommen hat, in Treseburg i. Harz, an der Stätte, wo die Dichtung des wilden Jägers spielt, enthüllt werden. * Der Pavillon der Hapag auf der Kölner Werk bund-Ausstellung. Wie man uns mitteilt, wird Generaldirektor Ballinam 25. Juni den Pavillon der Hapag mit den neuen Kaiserzimmern für „Im perator III" in der Werkbund-Ausstellung in Köln eröffnen. Die Gesamtausstattung erfolgte nach Ent würfen des Geheimrats Muthesius von der Firma Herrmann Gerson, Berlin. * Zum Tode Bertha v. Suttners wird uns tele graphisch aus Wien gemeldet: Die Baronin o. Sutt ner litt bereits seit April an einer Magencrkrankung. Eine Operation wurde von ihr abgelehnt. Im Junil wurde das Vorhandensein eines ungewöhnlich großen Tumors in der oberen Bauchqegend festgestellt, oer zu einem baldigen Ende führen mußte. Da eine Magcnentartung nicht beobachtet wurde, litt die Ver storbene verhältnismäßig wenig Schmerzen und konnte auch die letzten Nachte ganz ohne Anwendung von Schlafmitteln in ruhigem Schlafe verbringen. * Kleine literarische Mitteilungen. Walter B loem arbeitet an einem neuen Roman, der den Titel führen wird: „Das Volk ohne Vaterland". Der Roman, der das E l s a ß - P r o b l e m behandelt, wird im Oktober im Verlag von Grethlein L Co. in Leipzig erscheinen. — Der Verfasser des vor einigen Monaten konfiszierten militärisch-politischen Romans „Hao vnllin, der österreichische Leutnant Gustav Siebert, ist, wie gemeldet wird, nach Abschluß einer gegen ihn geführten militärischen Untersuchung pensioniert worden. * Hochschulnachrichten. Der Privatdozent für Ger manistik an der Straßburger Universität Dr. Anton Henrich hat einen Ruf an die Universität Brüssel angenommen. — An der medizinischen Fakultät in Straßburg habilitierten sich für chemische Physiologie Dr. Parnaß und für innere Medizin Dr. Achelis. — Der Charakter als Ge heimer Regierungsrat wurde folgenden ctatsmäßigen Professoren der Charlottenburger Technischen Hoch schule verliehen: Franz, Dr. Zolles, Kling holz, O b e r g e t h m a n n, Dr. Scheffers und Dr. Seesselberg. * Bon der internationalen Spitzbergen-Konferenz. Auf der großen S p t tz b e r g e n k o n f e r e n z. die gegenwärtig unter Vorsitz des norwegischen Ministers Haaerup in Kopenhagen tagt, ist Deutschland durch den Botschaftssekretär Grafen Alfred Odern» dorff, Dr. Simons und Dr. o. Baligant vertreten. Die übrigen interessierten Negierungen— die Vereinigten Staaten. Großbritannien, Frankreich, Rußland, die Niederlande, Schweden, Norwegen und Dänemark — haben mit Ausnahme der letzten beiden Länder, die ebenfalls durch je drei Bevollmächtigte vertreten sind, nur je einen bzw. zwei Delegierte entsandt. * Bilderdiebstahl aus einer römischen Kirche. Aus einer Kapelle der Kirche von Sau Domenico Maggiore wurde ein wertvolles Gemälde von A n d r e a d a S a l e r n o, die Ju n g f r a u M a r i a darstellend, gestohlen. * Da» Museum von Rhodos. Im Osmanischen Reiche, das bisher der m u s e u m s ä r m st e Staat Europas ist, ist jetzt ein neues Museum im Ent stehen, welches ein nicht gewöhnliches Interesse bieten wird. Das ist das Museum von Rhodos. Auf Rhodos haben, wie erinnert sein mag, die Italiener während der Besetzung der Insel Ausgrabungen ver anstaltet, die bereits sehr ergebnisreich gewesen sind, und die fortgesetzt werden sollen. Zur Aufnahme der bereits ans Licht gezogenen und der künftigen Funde hat nun die italienische Regierung die Begründung eines Museums in Angriff genommen, und zwar wird das dafür bestimmte Gebäude, wie berichtet wird, bereits in wenigen Wochen zur Benutzung fertig stehen. Dies neue Museum von Rhodos ist an und für sich schon interessant genug. Es war zuerst ein Kloster, später eine türkische Kaserne. Erbaut wurde es in oen Jahren 1421 bis 1437 unter der Meisterschaft von Anton Fluoian, zehntem Groß meister des Ordens der Ritter von Rhodos. Die durch hervorragende Holzschnitzereien ausgezeichnete Hauptpforte des Gebäudes befindet sich seit 1836 im Museum von Versailles. Den Mittelpunkt des weit läufigen Bauwerkes bildet ein gewaltiger, 7 Meter hoher Saal, der in erster Linie zur Weihe der neuen Ritter bestimmt war. Dieser Saal wird in Zukunft als der Hauptschauraum des Museums benutzt werden. Vas vlüttr der anderen. 46j Roman von Fritz Stüber-Gunther. «Oop^riskt W14 b/ Or«U»Isio L Oo. O. w. b. ll. „Auf einem Wachtposten muß ich stehen, das ist nun einmal mein Lcbensclemeut," greinte Spitzacker wiederum. Da faßte sich der Revisor ein Herz. Mit geheimnisvoll entschlossener Miene trat er auf seinen armen Jugendfreund zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und flüsterte: „Also gut. Ich wage es, dir das Angebot zu stellen. Komm'!" Er winkte und schritt voran, der andere folgte ihm. Im Alkoven, vor der mächtigen eisernen, feuerfesten Kasse machte Anton Gottsmann halt: „Hier drinnen liegt ein Vermögen. Ein wie großes, sag' ich dir nicht. Aber wem es gehört, das sag' ich dir. Mir, meinst du? Nein, deinem Sohne Paul gehört es — nach meinem Tode soll er's auf die Hand erhalten. Wer aber, frag' ich dich jetzt, bürgt dafür, daß es nicht schon früher in habsüchtige Klauen fällt? Ver steh' mich recht: Was sind der festeste Stahl und die kunstvollsten Schlösser gegen die tausend fältigen Ränke der Verbrecher?" Hermann Spitzacker sah überrascht auf. Dann nickte er kummervolle Zustimmuug. „Meine Sorge ist unaufhörlich," fuhr Gotts- mann eifriger fort. „Du weißt ja, ich bin von früh bis nachmittag außer Hanse. So oft ich heim komm', zittere ich, bestohlen, bcrauvt zu sein. Du, Hermann, könntest mich von dieser Furcht befreien." „Ich?" „Du. Solange du weit größere Aufgaben zu erfüllen hattest, wollte ich dich begreiflicher weise nicht mit dieser immerhin kleinen behel ligen. Aber jetzt bist du frei, und da kann ich nicht länger schweigen. Mit dem Kronschatz des weiland Heiligen Römischen Rcictzes Deutscher Nation sind freilich diese bescheidenen Schätze Nicht zu vergleichen. Aber, Hermann, sie sind I daS Erbe deines Sohnes. Und darum mußt du praktisch denken, Hermann, egoistischer. Daß du mir in zielbewußtem Handeln überlegen bist, geb' ich gerne zu. Aber was das Denken für den eigenen Vorteil betrifft, darin, du mußt schon entschuldigen, bin ich dir über." Hermann Spitzacker schwieg, und jedes Fält chen zuckte in seinem Antlitz. Anton Gottsmanu beobachtete ihn verstohlen, ängstlich. Hatte er die Macht der den andern beherrschenden fixen Idee doch überschätzt? Nein. Hermann Spitzacker war an der Schwelle des Greiscnalters wieder zum Kinde geworden. Mit der (Hier des spicllüsternen, leicht zu betrügenden Kindes griff er plötzlich nach dem dargcbotenen Spielzeuge: „Da müßt' ich also hierher übersiedeln?" „Sobald du frei bist und — sobald dein Sohn verheiratet ist." „Es gilt! Ich schlage ein. Hier meine Hand! Von heut in einem Vierteljahr sollst du wieder sorglos ausgehen, sorglos heimkommen, sorg los schlafen können. Hermann Spitzacker wacht für dich!" Hermann Spitzacker schritt die Treppe hin ab, festen Trittes nnd stolz erhobenen Hauptes. Den Mantel hatte er weit auseinandergeschlagen, daß jedermann sein Vcrdienstkrenz von weitem sehen mußte. Er mar heiter und zufrieden, denn er brauchte ja nun nicht mehr um die Zukunft zu bangen, er hatte zwei Aufgaben, eine theo retische und eine praktische, vor sich, die ihm sein altes Amt ersetzen konnten. Er wußte ja nicht, was sein Freund Anton Gottsmann wußte: daß in der großen Eisernen, Feuerfesten nichts mehr verschlossen und ver wahrt lag, als ein einziger beschriebener, ge stempelter und gesiegelter Papierboaen, die No- tariatsu^kunde, mit welcher der Revisor sein Erspartes nicht allein, sondern auch sein Er borgtes als unkündbares, unverzinsliches Dar lehen dem Oberleutnant Paul Lpitzacker abge treten hatte, damit dieser weder seinen Beruf noch seine Braut im Stiche zu lassen brauchte, damit er auf sicherem Boden eine Familie grün- den konnte, ohne dem Elend und der Gewissens- quäl entgegenzuaehen . . . Anton Gottsmann aber, grübelnd und sin nend, konnte heute zu keinem Schlüsse kommen, sollte ec mit sich zufrieden sein oder nicht. Endlich trat er zum großen Bücherregal, das nun wieder gefüllt und geordnet war wie ehedem, und nahm zögernd ein dickes, schwarzgc- bundenes Buch heraus. Uud fing darin zu blät tern an. Und siehe, sein Auge haftete auf dieser Stelle: „Da sagte ihm Pilatus: So bist du also doch ein König? Da antwortete Jesus: Du sagst cs, ich bin ein König. Ich ward geboren und kam in diese Welt, daß ich der Wahrheit Zeugnis gebe. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme. Darauf sprach Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit?" 18. Kapitel. Noch vor der späten Fastnacht kam der frühe Frühling. Im Flachlande dampften die braunen Aecker, in den Gebirgstälern ward die dünne Schnee decke über Nacht fadenscheinig und löchrig. In der Mozartstadt, wo Stefan Khautz, der Tondichter und Musikdirektor, und Pater Romuald, der begeisterte und geistliche Dilettant, lange dunkle Abende mit stillen Gesprächen von ihrem fernen Freunde Anton Gottsmann nnd seiner immer näher rückenden Ankunft hingc- bracht hatten, reckten Hotelwirtc und Kaufleute, Kellner und Fremdenführer die feist und steif gewordenen Glieder und bereiteten sich froh aus den Empfang der ersten Gästescharcn. Auf dem kleinen Scekirchyofe, wo Martha Rock, befreit von Schuld und Leid, den ewigen Schlaf schlummerte, stachen Helle Hälmchen aus dem mit Vergänglichkeit gedüngten Boden und klommen neue wie alte, verfallene wie gepflegte Grabhügel hinan. lind die sanften Hügel und Kuppen, die die Haupt- und Residenzstadt lieblich umkränzcn, bc- deckten sich mit weißen, blauen und gelben Blütensternen. Und im Manermeer der Groß- I stabt selbst, in ihren immer weniger werdenden I alten Hausgärtchen und ihren zahlreicheren großen, jungen Parkanlagen begann es zn schwel len und zn knospen, zu keimen und zn sprießen. Der Zweifelsüchtigste durfte nimmer dar an zweifeln: Der Lenz war wieder da! Der scheueste Griesgram konnte ihn nicht übersehen. Im trübsten, traurigsten Auge spiegelte sich sein siegreiches Lachen wenigstens als hoffnung kündendes Lächeln. Wer aber glaubte inniger au ihn, verstand ihn besser, fühlte sich tiefer beglückt von ihm als ein junges Paar, dem als treuer Liebe Lohn die selige Vereinigung winkte? Paul Spitzackcr und Anna Neinold schritten zum Traualtar, uud wenn auch ihre Herzen bei F-rostschaueru und Schneestürmeu nicht «linder heiß füreinander geschlagen hätten, so pochten sie doch doppelt beglückt und hoffnunasfroh ob all des süß-geheimnisvollen Auferstehens, das rings um sie war. Ob ihre Augen auch in des anderen Auge ihr schönstes und eifrigst gesuchtes Ziel hatten, ihre Seelen fühlten das Frühling werden, den Lenz. . . . Fran Reinold, die Brautmutter, hingegen sah ihn scharf und sah ihn kritisch, und da dünkte er ihr in seiner jungen nordischen Herbe und Schlichtheit allzu dürftig, so daß sie es unternahm, für ihre beiden Kinder, ihre leib liche Tochter und ihren erwählten Sohn, und für deren schönstes Fest einen besonderen Früh ling von südlicherer Fülle und Buntheit we nigstens auf kurze Viertelstunden zu schaffen. Die große Hochzeitstafel, die sie ohne Rücksicht auf alle Kosten hatte geben wollen, mußte infolge des Widerstandes der Brautleute, die durchaus keine geräuschvolle Feierlichkeit wünschten, un terbleiben. Das aber ließ sich Frau Reinold von niemandem verwehren, das Gotteshaus, in dem die Tochter durck des Priesters Hand mit dem Geliebten verbunden wurde, eine der präch tigsten, historisch wie architektonisch berühmtesten Kirchen der Residenz, aufs köstlichste zu zieren und zn schmücken mit blühenden, düftenden, baum hohen Glashausstränchern, mit üppigen Topf blumen und Girlanden von Blättern und Rosen. (Fortsetzung in der Abendausgabe.)
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