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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 23.06.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140623015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914062301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914062301
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-23
-
Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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Sette 2. Nr. 313. Morgen-Nusqsve Leipziger Tageblatt. vlenstsy, 23. Juni 1S14. nach den bestehenden Gesetzen als unser gutes Recht angesehen, diese Fragen auch auf die Tages- ordnung zu stellen. Wir müssen über den sogenannten Arbeitswilligenschutz verbandeln. Hat man bei uns in Deutschland überhaupt noch nötig, Gesetze für Arbeitswillige zu erlassen? (Zuruf: Rein!) Wen will man schützen? Lediglich solche Leute, die kein Verständnis für Solidarität besitzen. Alles was aber kommen mag, aus dem Gebiete der Gesetzgebung und der Polizcijchikane, brauchen wir in der Organisa- tion nicht zu fürchten, solange wir einig sind. Ich hoffe, da» wir am Schlüsse des Kongresses sagen tonnen: Wir sind einiger, also auch mächtiger als zuvor, der Arbeiterschaft zum Schutz und dem Unter nehmertum zum Trutz! (Lebhafter Beifall.) Josef Timm (München) begrüßte die Tagung namens der Gelverkjä>ajtler der Kongreßstadt und teilte Daten aus der NiÄnchner Arbeiterbewegung mit, die hier einen gesunden Boden habe. Es wurde darauf in die Tagesordnung ein getreten und beschlossen, drei Vorsitzende und sechs Schriftführer zu wählen. Es wurden diesmal aber überraschenderweise vier Vorschläge gemacht, und zwar wurden vorgeschlagen Legien (Generalkommijsion), Leipart (Holzarbeiterverbandi, Schlicke (Mctallarbeiterverband), Paeplow (Bau arbeiterverband). Da eine Einigkeit nicht zu er zielen war, mutzte eine Zettclwahl erfolgen. Das Ergebnis der Zettclwahl war: Legien 388 Stimmen, Leipart 281. Schlicke 271 und Paeplow 152 Stimmen. Legten, Lerpart und Schlicke waren demnach gewählt. Schlicks-Stuttgart, der Vorsitzende des Metall- arbciterverbandes übernahm darauf den Vorsitz. Es folgten die Begrützungcn der ausländischen Vertreter. Nach weiteren Begrüßungsreden erstattete Reichs- tagsabgcordneter Legien den Rechenschaftsbericht der Eeneralkommission. Er ging dabei insbesondere ein auf die Frage der Erklärung der Gewerkschaften für politische Vereine durch den Berliner Polizeipräsidenten. Das Reichsvereinsgesetz sagt ausdrücklich, daß die Voraussetzung für politische Vereine der Zweck einer politischen Betätigung dieser Vereine sei. Das ist aber nicht der Zweck der Generalkommission und der ihr angeschlossenen Gewerkschaften. Ihr Zweck ist, die Arbeiterklasse vor Degeneration zu bewahren, die ein treten würde, wenn die kapitalistische Entwickelung ungehindert ihren Fortgang nehmen würde. Das ist keine politische Betätigung im Sinne des Reichs- ocreinsgcsetzcs. Würden unsere Gewerkschaften sozialdemokratische Organisationen sein, so wäre cs ein Unsinn, wenn wir getrennte Körperschaften führten. Es ist allerdings der selbe Perjonenkreis in unseren politischen und ge werkschaftlichen Organisationen. Die Beschlüsse der einen Organisation treffen daher auch die Mitglieder der anderen Organisation. Aber man denke sich z. B., daß ein Polizeipräsident mit einem Erzbischof gemeinsam eine Verfügung gegen eine christliche Organisation erließe. Würde dadurch der Polizei präsident katholisch werden? (Heiterkeit.) Auf den Internationalen Sozialistenkoiigressen wird bei vielen Fragen über wirtschaftliche Interessen der Arbeiter verhandelt, und deshalb können wir auf die Teil nahme nicht verzichten. Wir könnten überhaupt politisch sein bis zur Erschöpfung, wenn es sich nur nicht um die s o z i a l d e m o k r a t i sch e Partei handeln würde. (Lehr richtig!) Das ist das-. Recht, das bei uns gilt! Ob die christlichen Gewerk schaften mit dem Zentrum oder die Hixsch-Duuckerjchcn Gemerkvereine mit der Volksparrei Zusammengehen,' das kümmert niemanden. Jedenfalls werden wir, auch wenn man uns zwingt, politische Organisationen zu jein, an unserer bisherigen Organisationsform fest halten. Zwingt man uns aber — und das dürfte ,a der Zweck der ganzen Aktion sein — unsere jungen Leute aus den Gewerkschaften heraus- zulasjen, dann werd-m wir für sie eine an dere Organisationsform zu finden wissen. So lange wir einig sind, kann niemand unsere Ent wickelung aufhalten. Nun scheint es allerdings, als ob trotz aller Bemühungen der Gcneralkommission die G r c n zst r e i t i g k e t t e n nicht geringer, son dern größer geworden sind. Wenn unsere Vcr- bandssunktlonäre etwas ruhiger, sachlicher Vorgehen würden und sich mehr von dem Gesichtspunkte der Gemeinsamkeit leiten ließen, dann würde jo manches besser werden. Wir müssen doch zu nächst in dem anderen den Genossen sehen und nicht gleich den Gegner, bei dem man bösen Willen ooraussetzt. (Lebhafte Zustimmung.) Die Eeneral kommission ist einmütig der Ansicht, daß wir an der Berufsorganisation festhalten müssen. (Zurufe.) Wir müssen daher sehen, Schwierigkeiten auszu gleichen. Wir wohnen doch all« in einem gemein samen Hause und da darf nicht der eine die Fenster einschlagen, die von dem anderen bezahlt werden müssen. (Zuruf von Schumann-Trans portarbeiterverband: Der eine wohnt im Keller und der andere im ersten Stock!) Der eine oder andere soll, wenn er glaubt, daß seiner Organisation Unrecht geschehen sei, nicht gleich so großes Geschrei erheben. (Zuruf bei den Transportarbeitern: Sollen wir uns denn alles gefallen lassen und immer still schweigen.') Soll ich euch Transportarbeitern etwas anderes austischen'? (Große Unruhe.) Ich will fetzt davon absehen und er st eure Tonart abwar ten! (Heiterkeit und erneute Zurufe.) Das ist also der Grundgedanke der Gemeinsamkeit, das Streben, das sich bei euch bemerkbar macht zur Stärkung der Gesamtorganisation. (Zuruf bei den Transport arbeitern: Das ltzrben wir getan!) So seht ihr aus! (Stürmische Heiterkeit.) Legten bespricht dann die weitere Tätigkeit der Eeneralkommission. Er verweist auf die Wirksam keit der Unterrichtskurse, die besonders dort von großem Vorteil seien, wo bei gering entwickelter In dustrie die Organisation unter den Arbeitern noch keinen rechten Boden gefaßt hat. Heute ist das statistische Neichsamt nicht imstande, seine Arbeit ohne Mitwirkung der Gewerkschaften zu tun. Es ist an- zunchmen, daß man auch das Reichsamt zu einem politischen Verein stempeln wird, das ja mit den an geblich sozialdemokratischen Gewerkschaften in Ver- bindung steht. (Heiterkeit und Beifall.) In der Debatte wendet sich Lange- Berlin vom Zentralverband der Handlungsgehilfen gegen das Verhalten einiger Ge werkschaftsführer, die sich an den Diskussionen bürger licher, sozialpolitischer Vereinigungen beteiligten. Die „soziale Praxis" hat in jüngster Zeit die Interessen der Unternehmer und Reaktionäre in so vorzüglicher Weise vertreten, daß sogar die bürger lichen Organe sich genötigt sahen, dagegen zu oppo nieren. Daher kompromittieren wir uns, wenn wir uns an den Bestrebungen dieser Gesellschaft beteili gen. Der Redner wendet sich dann auch gegen dte neutralen Angestelltenorganisationen, die zwar nicht auf dem Boden der Gelben stehen, aber vom Klassen kampfcharakter nichts wissen wollen. Pfütze- Chemnitz vom Buchbinderverband spricht für einen Antrag des Tabakarbeitervrrban- dcs, der cs erneut den organisierten Arbeitern zur dringenden Pflicht macht, den Beitritt ihrer Familienangehörigen zu der für sie in Frage kommenden Gewerkschaft zu veranlassen. Hör ter-Karlsruhe (Bauarbeiterverband) ver weist auf die massenhafte Beschäftigung von Aus ländern im Baugewerbe. Es gibt schon ganze Kolonnen ausländischer Lohndrücker. Dabei greift die italienische Arbeiterpresse die deutschen Organisationen noch an, statt dafür zu sorgen, daß die italienischen Arbeiter sich bei uns organisieren. (Hört, hört!) Bei einiger Uoberlegung könnte sie doch wirklich sehen, daß unsere Verhältnisse besser sind als die italienischen Verhält nisse mit ihren Eintagsrepubliken (Heiterkeit). Faaß-Bcrlin (Landarbeiterverband) wendet sich gegen Ausführungen des Genossen Arthur Schulz in den „Sozialistischen Monatsheften". Die Kritik, die Schulz am Landarbeitervcrband geübt habe, er- inserq au die .Methode hes Reichsverbands zur Be»; kämpfung der Sozialdemokratie. Frgu Reimann-Berlin (Verband der Schnei derinnen) führt lebhafte Mage über die Schwierig keiten, die von den gewerkschaftlich organisierten Männern der Agitation der Schneiderin nen unter den Heimarbeiterinnen bereitet werden. Reichstagsabg. Robert S ch m i d t - Berlin: Die Ausführungen Langes sind unberechtigt. Wir haben verschiedentlich durch Vermittlung der Ge sellschaft für soziale Reform Heimarbeiterkongresse einberufen, aus denen wertvolle Arbeit für die Heimarbeiterinnen geleistet worden ist. Wir müllen uns schon damit abfindcn, daß auch von an derer Seite eine Einwirkung auf sozialpolitische Einrichtungen erfolgt. politische Ueberlicttt Der König von Sachfen in Aarskoje Sfelo. Am Montagvormittag 10 Uhr trafen der Zar und der König von Sachsen auf dem Sophien- platz in Zarskoje Sfelo ein, wo bereits Groß fürst Nikolai Nikolajewitsch, andere Großfürsten und das Gefolge des Königs versammelt waren, und wohnten den Uebungen einer Kompanie des ersten Schützenregiment», eines kombinierten Kosaken-Regiment» und der 6. Donkosaken-Batterie bei. Der Thronfolger und die Töchter des Kaisers schauten den Uebungen von Wagen au» zu. Der Kaiser ließ die Leibhusaren alarmieren, die wenige Minuten später auf dem Platze eintrafen. Unter den Klängen der deutschen Hymne begrüßten der Kaiser und der König die Husaren und ritten die Front ab. Der Kaiser in Hamburg. Am Montag vormittag, kurz vor io Uhr. traf der Kaiser mit Gefolge im Automobil bei Hagen- becks Tierpark in Stellingen ein, wo er von Heinrich und Lorenz Hagenbeck empfangen wurde. Sofort trat der Kaiser unter Führung der beiden Herren einen Rundgang durch den Tier park an und nahm dessen verschiedene Abteilungen mit sichtlichem Interesse in Augenschein. Besondere Aufmerksamkeit zeigte er für das Freilicht- Raubtiertheater, wo er sich Iagdszenen, die anläßlich einer Hagenbeckschen Urwald Expedition ausgenommen worden waren, vorführen und dabei eingehend berichten ließ. Fast zwei Stunden weilte der Kaiser im Park und fuhr sodann, nachdem er sich in das Goldene Buch eingetragen hatte, nach Lock st e d t, wo er der W i t w e des verstorbenen Bürger»- Meisters Dr. Burchard einen halbstündigen Besuch abstattetc. Gegen 12'4 Uhr nahm der Kaiser bei dem Generaldirektor der Hamburg - Amerika - Linie, Ballin, das Frühstück ein, woran außer den Bürgermeistern Predöhl, Dr. von Melle und Dr. Schröder, dem preußischen Gesandten und den Mit gliedern des Aufsichtsrats der Hamburg-Amerika- Linie die Herren des Gefolges und eine Anzahl Hamburger und auswärtige Herren teilnahmen. Der Kaiser ist um 3 Uhr 15 Minuten an Bord der „Hohenzollern", gefolgt von dem Depeschenboot „Sleipner", nach Brunsbüttel abgefahren. die Stimme eines ^wahren Elsässers". Einer großen sächsischen Firma ist am 1V. Juni ein Güterwagen zuaegangen, der die Nummer 14072 Frankfurt a/M. trug. In dem Wagen fand sich mit Kreide geschrieben folgende Notiz, die weitere Verbreitung verdient: „kttvativo les couque« » poiotes uoas »urorui diontüt I» rovkmebs taut äösirds <lo l'aa 1870/71 et ooüll l'altmcö st le loraiuv roprsackoot vu votre pouvoir a bisvtöt l» puröv äs tous Iss allellmväs twrs ckv Oalsace. Von; vraobsrer cku Leu cke eolörs en rswottavts uous lL/z milliaräes. Uv vrais ^lsaeisus. 2 esu klSdort." Das mangelhafte Französisch und die falsche Orthographie lasten auf einen ungebildeten Urheber schließen. Wir übersetzen den Sinn etwa wie folgt: „Achtung! Ohren gespitzt! Bald werden wir die viel gewünschte Rache für 1870/71 haben, Elsaß-Lothringen wieder in unserer Macht und den Brei der Deutschen außerhalb des Elsaß. Ihr werdet nicht schlecht Wut spucken, wenn Ihr uns die 5'/, Milliarden wiedergeben müßt. Ein wahrer Elsässer Jean Pldbert.' Herr PlLbert denkt sich die Erfüllung seines Wunsches offenbar sehr leicht. Er tann versichert sein, daß die Deutschen an der Grenzwacht im Westen auch whne seine freundliche Mahnung die Ohren spitzen und dadurch gegen überraschende Dina« völlig, gefeit sind. Im übrigen ist diese Krridenotiz doch seht bezeichnend dafür, wie trotz aller Friedensbeteuerungen der französischen Sozialisten doch auch in den Arbeiterkreisen Frank reichs die Neigung zum Rachekrieg lebendig bleibt. Der Kampf um Zacatecas. Die Rebellen Haden Zacatecas wiederum ange griffen und wir brachten in der gestrigen Morgen, ausgabe schon die Nachricht, daß di« Regierungs truppen zurückgedrängt wären. Eine neuere Meldung besagt aber gerade das Gegenteil. Die Vorhut der Hauptarmee Villas hat nämlich am Sonntag eine empfindliche Niederlage durch die mexikanischen Bundestruppen unter General Burron erlitten. Die Insurgenten befinden sich auf wilder Flucht. Villa eilte abends im Sonderzuge von Torreon nach Calera, unweit Zacatecas. Er hofft, die geschlagenen Truppen dort zu sammeln. Es ist dies der zweite Sieg von Burrons, der erst vor zwei Wochen die Armee Nateros. des Generalissimus der Re bellen, entscheidend geschlagen hat. Villa, der von Carranza seine Gleichstellung mit Natero er- iwungen hat, brennt darauf, durch einen Sieg über Burron diese Rangforderung zu rechtfertrgen. Villa» Hauptarmee von 25000 Mann mit 124 Geschützen wird am Mittwoch vor Zacatecas eintreffen. Dort dürfte dann der erbittertste Kampf dieses Feldzuges entbrennen, da e» für die Bundestruppen gilt, den Rebellen den Weg nach der Hauptstadt zu verlegen. Einige Brigaden der Rebellen verließen gestern Larranzas Haupt- quartier Saltillo, uni San Luis de Potosi an zugreifen. Heer und Zlotte. * Manöoer-Neuordnu »g. Die vom Kaiser unter dem 23. Mai genehmigte neue Manöverordnung wird jetzt an die Truppen ausgegeben. Sie bringt stark gesteigerte Kriegsmäßigkeit der Uebungen. Nach ihr wird bereits im diesjährigen Kaisermanöver ver fahren werden. Koloniales. - * Im Betlaufe der Etatsdebatte im Gouverne mentsrat von Deutsch-Ostasrika bedauerten die außer amtlichen Mitglieder — in unserem letzten Bericht stand infolge eines Versehens deS Wolffschen Bureaus „außerordentliche" Mit glieder — die Ablehnung des Entwurfes über den Laudesrat durch das Kolonial- amt. Die Angriffe des Abgeordneten Erzberger gegen die Pflanzer wur den zurückgewiesen, wobei die Vertreter der evangelischen und katholischen Missionen zu stimmten. Weitere Redner protestierten gegen die Behandlung des Etats für 1914 seitens der heimischen Instanzen, insbesondere gegen die Ab striche am Ausbau der Verwaltung, sowie an den wirtschaftlichen und sanitären Forderungen und Legen die Aufbürdung von Militärlasten, die L>chwächung des Ausgleichsfonds und die Uebertragung der Bauzinsen der Kagerabahn auf den ordentlichen Etat. Die Kaiverordnun- aeu wurden scharf angegriffen, insbesondere die Festsetzung ohne Anhörung des Gouvernements^ rats, die Differenzierung der Gebühren für Da ressalam und Tanga sowie die Schädigung der Interessenten durch die angebliche Monopolstel lung der Landungsunternehmer. Der Gouver neur wies auf die gesetzlichen Grundlagen der Etatsfestsetzung hin und gab eine eingehende Darlegung über die Gründe der Ablehnung der LandesratSvorlage sowie der Etatsänderungen. Weiter legte der Gouverneur die Untunlichkeit der vorherigen Vorlage der Kaiverordnungen dar, deren Inhalt ciuf dem Ergebnis lang wieriger in Berlin geführter Verhandlungen be ruhe. Der Gouverneur begründete die auch in Zukunft beibehaltene Differenzierung der Kai gebühren mit den früher eingegangenen Ver pflichtungen und kündigte die Milderung hcr- vorgetretener Härten an. Die im Etat für 1915 vorgesehene Erhöhung der Kopfsteuer wurde all seitig begrüßt. Deutsches Reich. * Der Verein der Fortschrittlichen Bollspartei in Leipzig und Umgegend veranstaltet.heute, Dienstag, abends ^9 Uhr, in Brückners Restaurant, Kolonna- denstraße, eine Mitgliederversammlung. Dr. A. Ifir Vie 200-Jahrseier -er Sroihan- schenke bei Halle. Mit einer großen Reihe von Festlichkeiten, die vier Tage währten, wurde von Halle und der wei teren Umgebung die 200-Jahrseier der historisch be rühmten Broihanschenkc begangen. Die Broihan- tchenke existiert allerdings sqon viel länger als 200 Jahre; in der heutigen Gestalt aber wurde sie im Juni 1714 fertiggcstcllt. Einige Geschichtsforscher glauben, daß die Schenke schon zur heidnischen Zeit erbaut worden sei; mancherlei Fabeln führen auf die heidnische Zeit zurück) andere sind der Ansicht, daß fie zu Beginn der christlichen Zeit entstanden sei, während wieder andere ihre Entstehung auf das Ende des 10. Jahrhunderts verlegen. Iedensalls finden wir sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts in alten Ehroniken schon erwähnt. Mehr als ein Jahrhundert lang gehörte das Broihanbier, das nur in der Broihanschenkc gebraut werden durfte, zu den berühmtesten Bieren Deutschlands; nach vielen galt es als das schmackhafteste in Deutschland ge braute Bier. Die Schenke war somit ein sehr ergie biges Unternehmen, und mehr als ein Jahrhundert lang stritten sich der Rat der Stadt Halle, die theo logische Fakultät der Universität Halle-Wittenberg und das Domkapitel zu Magdeburg in listigen und erbitterten Kämpfen um die Schenke. Einmal ist das Domkapitel der Besitzer, einmal die theologische Fakultät in Halle und dazwischen immer wieder der Rat -er Stadt Halle. 1713 — die Schenke gehörte damals dem Magdeburger Domkapitel — machte sich ein vollständiger Neubau notwendig. Der Beescner Rittergutsbesitzer Logt riet dem Domkapitel „die durch die Lange der Zeit und Altcrthum ganz untüchtig gewordene schenke von Grund auf neu zu bauen, weil doch anderer Gestalt solche länger zu erhalten inpracticabel fället, zudem auch der bisher miserable Gelaß verursachet, daß einige daselbst zu logieren umso vielmehr angestandcn, alß niemantt mehr vor den Dieben das seinige sicher verwahren kan, welche, wie nur lctzchin noch dem Neuen Schcncken, deme sie über 24 Rthlr. werth gestohlen, und anderen vorhcro mehr widerfahren, ohne Mühe mit den Händen die alten Wände von außen durch stoßen können, allda einzukehrcn in Furcht setzen." Da» Domkapitel folgte diesem Rat und das Ge Lärche ili«- Li» -cut« in der Gestalt stehen, wi« es im Jahre 1714 gebaut wurde. Etwa 1s>4 Stunden von Halle entfernt erhebt es sich — ein stattlicher Bau mit vielen Kellern, Sälen und Nsbesnäumen, an der Seite die Landstraße, oberhalb eines reiz vollen Landschastsbildes. In weiten Auen streben mächtige Bäume empor und mitten hindurch schlän gelt sich die Elster. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts bleibt die Schenke eine ergiebige Einnahmequelle; das dort gevraute Bier erfreut sich allgemein außerordent licher Beliebtheit. Die Studenten vor allem nehmen lein anderes Getränk zu sich. Mit dem Aufblühen des preußischen Staates nach dem Befreiungskriege tritt in dem Betrieb der Broiltzinschenke ein gewal tiger Rückgang ein. Der Staat baut eine neue Heeresstraßc und die Broihanschenkc bleibt abseits liegen; außerdem wird der Brauzwang aufgehoben. — Viele historische Reminiszenzen hängen an der Schenke. Magister Laukhard, Magister Kindlcbcn und viele alte Ehroniken erzählen von ihr. Am be kanntesten von allen Geschichten, die mit der Schenke Zusammenhängen, dürste wohl „der Auszug oer Kinder Israel" sein. Die Studenten Halles hatten zu Beginn des 19. Jahrhunderts andauernd Streit mit den Behörden und dem Senat der Universität. Man wollte den Studenten die Freiheit beschränken und so beschlossen sic im Februar 1822 den „General streik". 000 Mann stark verließen sie die Stadt Halle und zogen gen Beesen. In der Broihan- schenke setzten sie sich scst und verbrachten hier vier Tage. Sie zechten nach Herzenslust, bewundert von den Bewohnern der umliegenden Ortschaften. End lich entschloß sich die höllische Universität, sie zurück zuholen und ihnen ihre alten Rechte einzuräumen. Ein Hallenser Student erzählt diese Begebenheit im Jahre 1822 in einem Büchlein, das sich „Das Buch vom Auszug des Volkes Israel" betitelt. Das Buch ist nur mehr in einem Exemplar vorhanden. An läßlich der 200 Iahrfeier ist cs jetzt wieder neu hcr- ausgcg.bcn worden. — Die Feier, die ein großes Komitee vorbereitet hatte, stand unter dem Protek torat des Landrats des Saalekrcises, des Herrn von Krosigk. Sic begann in der Nacht zum Sonnabend mit einem Fackelzug der Studentenschaft, der den „Auszug der Kinder Israel" vorstellcn sollte. Mit ihren und den Unioersitätssahnen zog die gesamte Hallcsche Studentenschaft mit Fackeln durch die Stadt Halle, durch die Vorstadt, über Felder und Wiesen, der Elster entlang zur Broihanichenke. Trotz der i Nachtzeit hatten sich dort mehr als tausend Menschen eingefunden, die dem Nahen des Zuges, der wte eine mit Lichtlein besteckte Riesenschlange ausjah, entgegenharrte. In Hellem Glanz erstrahlte die fest lich geschmückte Schenke. Im weiten Hof des Brau hauses wurde ein Kommers abgehalten, an dem dte Spitzen der Stadt Halle teilnahmen. Die Hauptrede hielt Geheimrat Kattenbusch, der Rektor der Univer sität, der die historische Bedeutung der Schenke wür digte und auf die akademische Freiheit der Studen ten trank. Die ganze Nacht hindurch währte das Kneipen der Studenten in den ausgeräucherten Räumen. Am nächsten Tage fand ein Trachtenfest statt, das unter dem Motto „Aus zwei Jahr hunderten" stand. Tausende von Bewohnern Halles und der Umgebung hatten sich eingefunden. Jede Tracht der letzten zwei Jahrhunderte war vertreten. Ein fröhliches Treiben mit Musik und Einzelvor- führungcn währte bis in die späte Nacht hinein. Die beiden nächsten Tage waren Volksfesten gewid met. Theatervorstellungen, Buden, Karussells, Ka baretts im Stile der atten Zeit sorgten für die Be lustigung der Menge, die in dem Rahmen der Schenke keinen Platz hatte, so daß sich außerhalb der selben, an den Ufern der Elster, ein Treiben ab spielte, wie cs der Ort Beesen wohl noch nie gesehen hat. Lksttiu t'euebtvanxer. Zu Carl Reineckes -0. Geburtstage. (23. Juni 1914.) Als vor zehn Jahren Carl Reinecke» achtzigster Geburtstag in festlicher Weise in Leipzig begangen wurde und der greise Meister alle die damit verbundenen Strapazen mit erstaun licher Frische überwunden hatte, da hofften wohl im stillen seine Freunde und Verehrer, daß es ihm viel, leich vergönnt sein würde, auch noch den neunzigsten Geburtstag zu erleben. Scherzhaft meinte der Vor sitzende des damaligen Reinecke-Komitees bei dessen Schlußsitzung: „Das Komitee vertagt sich auf zehn Iahrr!" . . . Diese Hoffnung hat sich nun leider nicht erfüllt, schon seit länger als vier Jahren ruht der Meister aus von seinem arbeitsreichen Leden, und alle, die gewohnt waren, ihm persönlich zu seinem Geburtstage zu huldigen, müssen heute mit i ihren Blumengrüßen hinauspilgern an die Stätte der Ruhe und des Friedens. An solchem Tage schweifen die Gedanken zurück in die Vergangenheit, und man erinnert sich gern der Zeiten, da Carl Reinecke im Mittelpunkte des musikalischen Lebens unserer Stadt stand, als klassischer Meister des Taktstocke» oder unübertreff licher Interpret eines Mozartschen oder des Beethovenschen C-Moll-Konzerts und eigener Werke. Wer je ihn in dieser Eigenschaft auf der Höhe seines Ruhmes gehört und gesehen hat, wird einen unaus löschlichen Eindruck davon empfangen haben. Einen besonderen Zauber übte jedoch besonders auch feine herzgewinnende Persönlichkeit aus auf alle, die das Glück batten, ihm nahezustehen; von seinem gütigen Auge strömte eine milde Wärme aus, seine ehr würdige Erscheinung und schlichte Vornehmheit zogen jeden, der ihm gegenüberstand, in seinen Bann, und man hatte sofort das Bewußtsein, eine bedeutende Persönlichkeit vor sich zu haben, schon der Gedanke daran, daß Reinecke das Licht der Welt erblickt hatte zu einer ^eit, tr ncch ein Beethoven, Schubert und Goethe unter den Lebenden weilten, und er in per sönlichem Verkehr mit Mendelssohn, Schumann und anderen musikalischen Größen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts gestanden, verlieh seiner Per son etwas Ehrfurchtgebietendes. Trotz seiner großen Erfolge als Künstler blieb der Meister in seinen persönlichen Bedürfnissen überaus anspruchslos und fühlte sich am wohlsten im Familien, und Freundeskreise, und wer hier öfter mit ihm verkehrte, wird aus seiner geistreichen Unterhaltung, die häufig mit feinem Humor ge würzt war (der ja auch vielen seiner Werke eigen), stets neuen Gewinn und neue Anreguna empfangen haben. Gern erzählte er von seinen Begegnungen mit großen Künstlern wie Schumann, Liszt, Ernst, Jennv Lind u. a., und für Anekdoten harmlosen Inhalts hatte er eine besondere Vorliebe. Mögen diese Zeilen dazu beitragen, daß man in musikliebenden Kreisen des edlen, liebenswürdigen Alten im lockigen Silbcrhaar nicht vergesse und sich auch des Komponisten Carl Reinecke wieder mehr erinnere, der nicht nur entzückende Jugend- und Hausmusik geschrieben, sondern auch feinsinnige größere Wcrkc aller Gattungen, aus denen allen sein musikalischer Leitspruch zu uns redet: Die Kunst soll den Menschen beglücken! I'.v.L
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