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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 01.07.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-07-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140701018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914070101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914070101
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-07
- Tag 1914-07-01
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Monat
1914-07
-
Jahr
1914
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vor der Narentamündung anlangte, leistete da» dort verankerte Schlachtschiff „viribus uniti»" einen Geschützsalut von 19 Schüssen. Heimwärts auf de» Schlachtschiff „viribus uuiti»-. Die „Dalmat" legte an der Sette des Schlacht schiffes an, worauf beide Särge an dessen Bord gebracht wurden. Das Achterdeck des Schiffe» war in eine Kapelle umgewandelt und mit Kriegs flaggen und Fahnen geschmückt. Der Schiffsgeistl'che nahm in Anwesenheit des ganzen Hofstaates, des Statthalters sowie der Offiziere und Mannschaften eine feierliche Einsegnung der Leichen vor. Nach v Uhr lichtete das Schlachtschiff „Viribus unitis" die Anker und steuerte mit der Kriegs flagge und der erzherzoglichen Standarte auf halbmast dem Norden zu. die verwaisten Kln-er. Das Prager Blatt „Hlas Noroda" meldet aus Chlumetz: „Die Schreckensbotschaft aus Serajewo traf am Sonntag mittag hier ein; sie wurde den Kindern des Erzherzogs Franz Ferdi nand bis zum Abend verheimlicht. Nach dem die Kinder von der Gräfin Henriette Chotek schonend vorbereitet worden waren, übernahm der Erzieher Stanowski das schwere Amt, ihnen den Tod ihrer Eltern mitzuteilen. Als die Kinder die Nachricht erfuhren, brachen sie in Weinkrämpse aus. DreKräfinChotek fiel bei dem herzzerreißenden Anblick der verzweifelten Kinder in Ohnmacht. Die erschütternde Szene ergriff die Umstehenden aufs tiefste. Graf Wuthenau und Gemahlin sowie Fürst Schönburg und Graf Nostiz be mühten sich, den verwaisten Kindern Trost zuzu sprechen." Der neue Thronfolger bei Kaiser Franz Joseph. Kaiser Franz Joseph empfing am Dienstag um 8 Uhr morgens den Thronfolger Erz herzog Karl Franz Joseph in besonderer Audienz, später die Ministerpräsidenten Grafen Tisza und Stürgkh und um 1 Uhr den Grafen B e r ch t o l d. Kaiser Wilhelms Reste nach wlen. Der Kaiser gedenkt am 2. Juli abends, von Wildpark aus sich nach Wien zu begeben, wo er am 3. Juli vormittags eintreffen und nachmittags an einer Trauerfeier für den verstorbenen Erz herzog Franz Ferdinand teilnehmen wird. Die Rück- kehr nach Wildpark wird am 4. Juli erfolgen. Der österreichisch-ungarische Botschaf ter weilte am Dienstag zur Frühstückstafel im Neu'N Palais. Erst um 4 Uhr nachmittags kehrte der Botschafter, der mit dem Kaiser eine längere Besprechung gehabt haben dürfte, nach Berlin zurück. Am Spätnachmittag sprach der Reichs kanzler im Neuen Palais vor. Beileid des preußischen Abgeordnetenhauses. Der Präsident des preußischen Ab» geordnetenhauscs telegraphierte an den österreichisch-ungarischen Botschafter in Berlin folgendes: „Tief erschüttert durch das entsetzliche Er eignis in Serajewo, dem Erzherzog Fran- Ferdinand und Gemahlin zum Opfer fielen, spreche ich namens des preußischen Abgeord netenhauses Euerer Exzellenz das innigste Beileid zu dem schweren Verlust aus, den da» Kaiserhaus und ganz Oesterreich erlitten haben. Ich bitte ergrbenst, auch Ihrer hohen Regierung den Ausdruck meiner aufrichtigen Teilnahme über mitteln zu wollen." Ruhe in Serajewo ? Ssrsjevo, 30. Juni. (Wiener Korr.-Bur.) Die in auswärtigen Blättern verbreiteten Gerüchte über Anschläge auf de« Landeschef von Bosnien, Potiorek, und von einem Brand in der Stadt Mostar sind gänzlich aus der Luft ge griffen. (?) Di« Nacht ist vollkommen ruhig ver- lausen: nur sechs Personen wurden wegen ge- ringfügiger Delikte, zumeist wegen Widerstandes, verhaftet, aber nach Feststellung ihrer Persona lien wieder freigelassen. Gegenwärtig herrscht vollkommene Ruhe. Weitere Verhaftungen in Serajewo. Wien, 30. Juni. Nach einer Privatmeldung aus Serajewo wurde der Chefredakteur Radu, lovic des serbisch-radikalen Blattes „Naro d" wegen Verbrechens der Aufreizung der Bevölkerung verhaftet, ebenso der Führer des gesamten ser bischen politischen Lebens in Bosnien, das Mit glied des Landtages, Iesanovic, an der serbischen Grenze bei Viscgrad. Das Bestehen einer Verschwö rung zur Erii.ordung des Thronfolgers sei durch das zynische Geständnis der beiden Verbrecher vollkommen erwiesen. Es stehe fest, daß unter der Menge sich noch Genossen der Verbrecher befanden, die ebenfalls mit Bomben und Revolvern ausgerüstet waren. Die von den Tätern verwende ten Bomben waren sogenannte serbische Mili tär b o m b e n. Strakenkundgebungen in Travnik. Serajewo, 30. Juni. In Travnik fanden gestern patriotische Kundgebungen der katholischen und der moslemitischen Bevölkerung statt, an die sich eine scrbenfeindliche Demonstration schloß. Als die Demonstranten an der serbischen Schule die Fenster einwarfen, feuerte ein Pope aus der Schule und verwundete eine auf der Straße stehende Person. Der Pope wurde ver haftet, da die Menge ihn lynchen wollte. Lärmszene»» im kroatischen Landtag. Agram, 30. Juni. Die Trauerkundgebung des kroatischen Landtages wurde durch heftige Lärmszenen unterbrochen. Während der Rede des Präsidenten riesen die Mitglieder der Rechts. Partei gegen die Koalition gewendet: „Habt ihr Bomben mitgebracht? Rieder mit dem Mörder! Das ist das Werk der Belgrader Hand!" Die Rechtspartei ist die nationalistische kroatische Partei, die das Zusammengehen von katholischen Kroaten und ortho doxen Serben mißbilligt. Der Präsident sah sich ge- * nötigt, die Sitzung zu unterbrechen. Trauersitzung des ungarischen Abgeordnetenhauses. Im ungarischen Abgeordnetenhause versam melten sich am Dienstag in Trauerkleidung fast alle Abgeordneten zu einer Trauer sitzung. Der Präsident des Abgeordnetenhauses, Beöthy, widmete dem Thronfolger und seiner Ge mahlin einen äußerst warmgehaltenen Nachruf. Nach ihm ergriff im Namen der Regierung Finanzmtntster Teles - ky das Wort, sodann der Präsident der Ar- beitspartei, Graf Khuen-Hedervary, worauf die einzelnen Vertreter der Opposition zu Wort kamen. Namens der Unabhängigkeit-Partei sprach Graf Albert Apponyt, im Namen der Verfassung». Partei Graf Jultu» Andrassy, und für die Volks- Partei Graf Zichy. Vie Se-rückurr- -er Deutschen ia Sosnien. Ein gelegentlicher Mitarbeiter in Wien schreibt un»: In den österreichisch-ungarischen Reichslanden, in Bosnien und in der Herzegowina, treiben Deutschenhaß und Slawenfreund schaft ihre üppigsten, freilich auch verderb lichsten Blüten. Es ist eine kaum glaubliche, aber vollkommen wahre Tatsache, daß vor kurzem eine Verfügung der bosnischen Regierung ergangen ist, wonach jeder Deutsche innerhalb dreier Jahre Serbisch lernen müsse. Geschieht dies nicht, so verliert er seine Stellung. Bon dieser empörenden Verfügung werden Deutsche betroffen, die schon zehn Jahre in Bosnien wirken und ihr Deutschtum tapfer bewahrt haben, die als aufrechte Pioniere fürs Deutschtum eingetreten sind! So kolonisiert man in Oesterreich! Die Folgen sind nicht ausgeblieben: Serajewo redet d e deutlichste Sprache. Es ist so weit gekommen, daß Deutsche und Italiener, die doch in den Grenzgebieten selbst manchen harten Strauß mit einander ausfechten, sich in Triest, Eörz und vielen anderen Orten an der Adriakuste zusammen geschlossen haben gegen das übermütige. von der österreichischen Regierung gehätschelte Slawen tum. Die furchtbare Mordtat würde wohl wenigstens eine gute Folge haben, wenn sie die leitenden Männer in Wien endlich dazu veranlaßte, von ihrer unheilvollen Politik abzulassen. Tagaus, tagein sind die deutschen Blätter fast in der gesamten Doppclmonarchie erfüllt von Klagen über Be drückungen und Ungerechtigkeiten — alles vergebens. Oft und ost haben sie darauf hin gewiesen, daß die Deutschen die stärkste Stütze der Monarchie seien, aber ihre Worte verhallten un gehört. Das Echo der Schüsse von Serajewo wird aber nicht überhört werden können . . . Vie wirren in Albanien. Die Reise Lurkhan Paschas findet in den römischen Blättern einen wenig freundlichen Widerhall, der nur geringe Hoffnungen für die Erfüllung seiner Wunsche übrigläßt. Aus Du- razzo kommt die überraschende Meldung, daß ein neuer Vorstoß der Regierungstruppen ge- plant und daß diese sehr kampfeslustig seien. Das widerspricht allen bisherigen Berichten und bedarf einer weiteren Bestätigung. In Valona ist der aus Durazzo strafweise entfernte Major Sluns zum Kommandanten ernannt worden, und die Verhängung des Belagerungszustandes läßt aus die Gefährdung der Stadt schließen. Es liegen folgende Meldungen vor: Turkhan Pascha in Rom. Rom, 30. Juni. Die „Agenzia Stefani" meldet, daß Turkhan. Pa s/h,g heute früh in der Consulta eine Ün-rrrnnmg tE Mai> quis di San Giuliano und General sekretär di Martino gehabt hat. Rom, 30. Juni. Die Morgenblätter raten dem hier eingetrofsenen albanrschen Mnister- präsidenten Lurkhan Pascha unverblümt, heimzukehren und dafür zu sorgen, daß seine Beys und Hodjchas Freundschaft und Frie- den halten; Oesterreichs und Italiens Bereit willigkeit, dem Fürsten zu helfen, bedürfe keines Beweises und keiner Ermunterung, die albanische Frage wäre längst geregelt, wenn die Albanier untereinander einig wären. Kriegslust in Durazzo - In Durazzo wurden Kriegskarten für den Vormarsch verteilt. Eine kleine Abteilung der Malissoren rückte bis zur Dort« Romana vor, wo sie ein Lager bezog. Die Regierungs truppen sollen sehr kampflustig und begie- rig sein, die Niederlagen zu rächen. In der Stadt nehmen nach hiesigen Berichten die Plünderungen zu, so daß der Fürst durch emen Erlaß den Ersatz aller.Schäden aus seiner Kasse versprach. valona im Belagerungszustand. valona, 30. Juni. Ueber Valonaist heute der Belagerungszustand verhängt wor den. — Der holländrsche Major Slnys ist zum Platzkommandanten ernannt worden. Keine Verlegung der Residenz nach Skutari. Halbamtlich wird aus Berlin gemeldet, daß entgegen einer römischen Meldung der Fürst nicht beabsichtige, seine Residenz nach Skutari zu verlegen und daß auch von feiten der Mächte keine .Anregung dazu ergangen sei. Der Fürst wolle vielmehr Durazzo nicht eher verlas sen, als bis sich die militärische Lage geklärt habe. politische Ueberlicht Verfassungskonflikt in Mecklenburg! Ein Berliner Abendblatt will aus sicherer Quelle erfahren haben, daß de: Großherzog von Meck- lenburg-Strelitz einem Wunsche seines ver storbenen Vaters entsprechend den Ständen des Stargarder Kreises ihre Privilegien nur mit der Kautel aufrechtzuerhalten beabsichtige, daß durch deren Erhaltung nicht das all gemeine Landesinteresse verletzt würde. Diese Handlungsweise des Großherzogs würde einen großen Teil ver Stände veranlassen, dem Eroßherzog die übliche Huldigung zu verweigern. Es könnte dann leicht zu einem Konflikt zwischen dem Eroßherzog und den Ständen kommen. In die sem Falle würde die neue Verfassung dem Lande vom Eroßherzog oktroyiert werden. Die Verweigerung der Huldigung durch sonst doch so gern und so heftig auf ihre Fürsten - Paris. Mein letzter Ein-ruck. Von Herbert Eulenberg. Wagen wir es, ihr es einmal offen ins Gesicht zu sagen, dieser stolzesten und eitelsten aller grauen: Auch sie ist alt, und, was nicht dasselbe, sondern etwas viel SchUmmeres heißen will, häßlich geworden, la plus bolle vills äu monäe, dies Haupt der Welt, vor besten Lächeln die Dichter und Künstler des vorigen Jahrhunderts auf den Knien lagen. Ein moderner Bazillus hat sich zum Todfeind ihrer Schön- heit entwickelt und häßliche Furchen und Falten in ihr blühendes heiteres Antlitz gezogen. Ich erkannte diesen Schädling in feiner ganzen Verderblichkeit, als ich vor kurzem wieder einmal zwischen den paar Franzosen und den vielen Fremden vor dem Laft de la Paix sitzend dem Leben auf den Boulevards zufchaute und mir plötzlich fast laut sagte: „Nun fährt kein einziger mit Pferden bespannter Omnibus mehr durch Paris!" Vor einem Jahre gab es wenigstens noch ein paar dieser lieben, langsam rollenden und leise schaukelnden Ungeheuer, auf deren Verdeck man mit der Geschicklichkeit eines Matrosen oder eines Assen klettern mußte und von wo man im behaglichen Trab der hin und wieder aufwiehcrnden Rosse freund lich in das Grün der Kastanienbäume auf den Boule vards, in die Läden und auf das fröhliche Treiben auf den Straßen wie auf ein Bild von Pissarro hinab- chaute. Am Bahnhof Et. Lazare wurde noch ein von einen beiden Pferdegenosten angenehm begrüßter »itter Gaul vor den lustigen Schaukelkasten gr- pannt, und dann ging es trapp, trapp zum Mo u- martre, dem heiligen Berg der Lebensfreude, hinauf durch die endlos lange schmale Rue d Amsterdam, in der Heinrich Heine einst seinen schweren ollerletztrn Abschied von Paris genommen hat. E» war noch ein Hauptveranügen von Emile Loubet, dem biederen drittletzten Präsidenten der Re publik gewesen, diese billigen Korsofahrte» auf dem Verdeck eines solchen gemütlichen Pferdeomnibusses durch Pari». Und wir alle, die wir gern einmal in Paris mit der Zett leichtfertig und sorglos umgingen, konnten dieses bürgerliche Vergnügen wohl verstehen. Heute macht es kaum eine Freude mehr, auf das ver- rußte und verstaubte Oberdeck ein« solchen fauchen den Auto-Omnibusse» zu steigen, der «inen im Hui durch eine Stinkwolke von Benzin über die ganzen Boulevards und im Nu zur Place de Tltchy oder zur Place Blanche hinaufschlcppt. O dieser entsetzliche, häßliche Höllengcruch des Benüns oder Benzols, wie einem Sachverständige da» billige, in Pari» allgemein verbrauchte Treibmaterial benennen, er geht un» nicht mehr au» der Nase, sobald wir da» Pflaster von Paris betreten haben! Er macht die zwischen der Bastille und der Madeleine ausgestreüte Linie der großen Boulevards zwischen den hohen Hausern zu einem einzigen langen durchräucherten Tunnel. Namentlich beim Boulevard Bonne Rouvelle oder Martimdeffen «neben, erhöhte Bürgersteige einst Dtt-KchM »tnf»r«r ftnHch, IHM, Wt W einem doppelt häßlich in unserem Riechorgan auf. Man kommt sich mitten im Frühling in dieser einst um ihren herben Duft gepriesenen Stadt wie auf einem Fabrikhof vor, in dem bläulicher giftiger Rauch fortwährend unsere Augen beizt. Mißmutig darüber, daß einem der Aufenthalt auf den Boulevards, wo man einst stundenlang nach einem leckeren Dejeuner beim Kaffee, der den Alkohol, und dem Likör, der das Koffein wieder verjagte, dcni Leben zuschauen konnte, durch diesen ewigen Gestank der brutal hin und her hastenden Autos ganz verleidet worden ist, schwingt man sich auf eine lang- sam auf ihren weichen Gummirädern vorbei bummelnde Taxameterdroschke. Rian hat ja Zeit, man will ja als Fremder Zeit haben und ver schwenden in Paris. ,,^u do»!" Und schon klappert der Kutschkasten, der als modern empfindendes Wesen jede Minute zu Geld für sich macht, mit uns los an der Madeleine vorllver durch die Rue Royale, dort lockt Larue, da lacht Maxim! — und über die Place de la Concorde mit der noch immer umflorten Figur der Straßburg (o, wirf ihn fort, den Witwenschleier!) auf die Champs-Elysees. Aber auch hier auf dieser btetten Avenue, der Königin der Avenuen, die in erhabener Gerade zum größten Triumphbogen der Welt ansteigt, auf besten Platt form ich im Geist immer auf hohem Katafalk den Sarg Victor Hugos sehe, wie er vor seiner Ueber- führung nach dem Panthüon hier von seinem Volke ausgestellt worden war, auch hier auf dieser herr lichen Promenadenstraße mitten zwischen den bunten Gartenanlagen zu beiden Seiten verläßt uns dieser greuliche Benztnaöstank, der uns aus Paris ver trieben hatte, nicht mehr. Eingekeilt in die lange Reih« der Droschken und Autos, die unaufhörlich wie eine rollende Kette oder das Laufwerk einer Baggermaschine zum Etoile hinauf und herunter fährt, atm«n wir immerzu diesen Verwesungsgeruch der Schönheit de» einstigen Pari» ein. Selbst im Bois de Boulogne, dessen bestaubte und verrauchte Baume uns mit traurigem Mitgefühl zuntcken, ist eine Spazierfahrt zwischen diesen qualmenden, un anständig eiligen Benzintasten ein zweifelhaftes Vergnügen geworden. Und wehe der Stadt, die durch diese chronisch vergifteten Lungen ihre Luft «inatmet! Gewiß, das Automobil, da» notwendigste Uebel unserer Zeit, hat auch der Schönheit der anderen modernen Großstädte hart zu gesetzt. Aber dies« hatten all« nicht soviel zu verli«r«n wie Parts, dessen klastische Schönheit seit Napoleon dem Ersten langsam gebildet und gezüchtet und vor allem unter seinem Neffen, einem Stadtbaumetster ersten Ranges, aufs höchste entwickelt worden ist. Bei den erst in den letzten Jahrzehnten ins Riesenhafte zu- sammrngeschossenen wüsten Stadtkonalomerüten wie London, Berlin und Wien stört dieses sausende, dampfende moderne Vehikel viel weniger, weil wir durch das Durcheinander, das uns in ihnen kubistisch umgibt, ganz anders zur Aufnahme de» Stadtlebcns eingestellt sind. Aber da» ruhig«, vornehm« Str aß« «bild der Rue ds Rivoli beispielsweise, di« M MM DMUrM BGVIMMWN MM HM"S MM-M MP, wird durch diese unregelmäßig hin und her fahrenden und heulenden Unholde, die wie die Geister der in der Bartholomäusnacht hier Er schlagenen einhersausen, direkt verzerrt. Das Tempo der ganzen Stadt, das nicht wie Berlin und London auf Hetzen und Arbeiten stand, ist zerstört und ver dreht worden, und man hat «m unangenehmes Ge fühl dabei, wie wenn ein breit und heiter adagio angelegtes Musikstück auf einmal überstürzt und presto heruntergerastelt wrrd. Hier in Paris hat man als Fremder sich stets einmal gern gehen und treiben lasten. Hier wollte man Kunst genießen in großen Portionen in den Museen des Louvre und Luxembourg, und in kleinen Portionen naschen in den Kunst- uitv Kaufläden der Rue Tattbout und Lafitte. Hier wollte man stundenlang durch die Straßen bummeln, dort «inen Hutladen, da ein Juwelierge^chäft betrachten, ohne durch fortwährende Hupenruse hinter einem aus der Stimmung de» süßen Nichtstuns gerissen und roh daran erinnert zu werden, daß man heute mit der Zeit geizen müsse, und daß die Straße für den Verkehr und nicht für den Müßiggang bestimmt sei. Hier in Parts war jeder Fremde früher ein mü taiusant, ein König Faulpeh und fühlte sich eine Weile lang recht wohl in dieser Rolle. Man nahm so viel in sich auf bei diesem Umherflanieren durch Paris, daß gar keine Gewissensbisse über die ver geudete Zeit aufkommen wollten. Heute bietet das Straßenbummeln durch Paris, die einstige Wonne Mußets, Zoias, Bismarcks und noch Eduards VII., für uns bei Tag und Nacht kaum noch einen Genuß. Man gerät tagsüber durch die Hast, die uns umgibt, bald in die businoos- und tim« is Stimmung London» und Berlins. Und das Nacht leben auf dem Montmartre in den Tanzlokalen und den Kabaretts, der längst abgestandenen und schal gewordenen Geburtsstätte der göttlichen Boette Euilbert, der valrrts viorgv äs I» Dutt«, ist jetzt ebenso, nur minder großartig, industrialisiert wie auf der Friedrichstraße und Unter den Linden. Die Bahöme-Heiterkelt, die einst um Moultn de la Galette flatterte, ist dahin wie der Straßengesang, den die Automobil« ntedergefahren haben. Alle» dort oben in der viU» ftuuvv« hat jetzt seinen Tax wett und geht auf den Fremdenfang aus. Ameri kaner, Engländer und Deutsch« haben die Place Clichy und die Place Pigalle erobert und auf den internationalen üblichen Lergnügungston ohne Eigenart abgrsttmmt. Einzig in der Kochkunst und in der Schöpfung der Frauenmode hat so Paris noch seinen alten großen Ruf gerettet und gewahrt, wenngleich auch hierin di« Konkurrenz im Norden und Osten stark mit ihm wetteifert. Und dies beides kann auch kaum mehr für die Stravazen entschädigen, die der Aufent halt in dieser durchrauchten und vom modernen Hetz betrieb zerstörten schönen Stadt von 1880, 1860, 1880 und 1900 heurigen Tages mit sich dringt. Man ver steht, di» in die Nacht und in den Traum von diesen dumpfen Huppentönen verfolgt, die wie ein großes unablässige», melancholisches Frofchquaken die Stadr durWaÜen, recht gut, wj« e» kaum ein Künstler und W-rtstHtzls« »ehe «Halten kann, lang« tz, ParM zu leben, das die großen Männer der letzten und vor letzten Generation nur ungern lange verlassen moch ten. Stendhal, Verlaine und Baudelaire klagten noch fern von Pari» ihm nach wie Ooid in Tonn seinem geliebten Rom. Jetzt Hausen die Rostand, Maeter linck und Bataille an der Riviera oder in der Touraine auf ihren Schlössern viele Meilen weit von Paris, mit dem sie nur durchs Telephon verbunden sind, und kommen höchstens zu den Proben und Pre mieren ihrer Stücke auf kurze Zeit in die Hauptstadt der Welt. So hat die Verhäßlichung von Paris zu einer Dezentrallsation des Landes geführt, die man s«it mehr al» hundert Jahren vergeblich angestrebt hatte, und wird dies vermutlich noch immer mehr tun. Es ist, als ob die besseren Menschen beute angesichts die- fes großen heulenden und stinkenden Fabrtkhofes, zu dem sich das moderne Paris entwickelt hat, von der Scheu ergriffen werden, die einst schon Jean Jacques Rousseau vor dieser Stadc empfand, der nur ungern in ihr atmet«, und den es nach wenigen Wochen stets in die liebliche Umgebung nach Montmorency oder Ermenooille hinaustrieb. Und >o geschieht auch uns schon, was wir vor zehn Jahren kaum für mög lich gehalten, daß wir nicht ungern unsere Sachen zu sammenpacken, um erleichtert, mit einem tiefen letzten Atemzug Benzinluft die Stadt der Städte zu ver lassen. Wir wollen nicht undankbar auf Paris zurück blicken: Es ist und bleibt die heilige Geburtsstätte unserer ganzen heutigen Staaisocrfastung und Zivili sation. Und e» war gar nicht so übertrieben von Victor Hugo, wie man damals meinte, wenn er in flammenden Oden 1870 die Deutschen von der Schän dung der Stadt abzuwehren suchle, die doch auch die Wiege ihrer Freiheiten gewesen sei. Hier sind — und das soll unvergessen bleiben! — die Menschenrecht« zuerst erklärt und verkündet worden. Und al» ich kürzlich in das erhabene Innere der Kirche St. Eustache in der Nähe der Markthallen des ventrs äe Lun» eintrat, in der Anno 1793 das Fest der Vernunft ge feiert und di« Kirche zum Tempel des Ackerbaues er nannt wurde, da mußte ich mich wieder der Kurz sichtigkeit unserer Gefchichtsleyrer und Schreiber ärgern und schäm«», die sich nicht genug tun konnten, diesen großen Gedanken wieder klein zu machen. Wir, die wir weiter schauen und von einem höheren Blick punkt der Zeit, wir wollen nicht mehr durch Chauvi nismus oder Konfession verblendet, über die große Revolution, durch die w.r alle unser jetziges polt- tischrs Leben führen, spotten, noch d^n Liberalismus, dem wir alles was wir sind und denken dürfen, ver danken, al» eine Oberflächlichkeit beschimpfen, wie die» heute leider in Deutschland da und dorten Mode geworden ist. Was die unerkennbare, nicht voraus zukündende Voriehung, um im Stil der französischen Regierung vcn 1792 oder schöner gesagt, vom Jahr« Ein» zu reden, mit Pari» beschlossen hat, ob es sich zu einer total neuen Großstadt weiterentwickeln und in neuen Formen ausbauen wird, oder ob es mehr und mehr von seiner Bedeutung verlieren und in Zukunft wie die Roma aoierna im Mittelaller versinken soll, eine« ist es gewesen und wird es für unser Jahr- -«adert «nd all, wstteren bleiben: die Debultsilätts tz« WchWM» «KMHstt.
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