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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 21.06.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-06-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191406210
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140621
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140621
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-06
- Tag 1914-06-21
-
Monat
1914-06
-
Jahr
1914
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frauen-kunäzetiau - die jungtürkische Zrauenbewegung. Mr dringen hiermit eine Erörterung über die jungtürkische Frauenbewegung, und zwar an erster Stelle die Ausführungen eines an gesehenen türkischen Gegners der Frauen bewegung, an zweiter die Antwort einer deut schen Frau. I. Lin offener Brief de» Jakub Kadri Effendi. Mitgeteilt von Oberleutnant Ismail Hakti Bei Tewsik, Berlin. Seit mehreren Jahren nach Deutschland komman diert, habe ich stets mit Interesse die Aussätze in der Presse verfolgt, die sich mit der türkischen Frauen bewegung beschäftigen, und wahrgenommen, wie die Bestrebungen der osmanischen Frauenwelt seitens der deutschen Leser und Leserinnen eifrig verfolgt wer den. Im großen und ganzen wird der Ueberzeugung Ausdruck geyeben, daß die Bestrebungen umerer Frauen vorwärts gehen und daß sie in der Türkei fast überall sympathisch begrüßt werden. Von meinem Standpunkte aus mutz ich jedoch aus die verschiedenen Verfügungen des Schechs Uel Islam Hinweisen, wenn ich auch persönlich mit den Be strebungen der islamitischen Frauenwelt im Prinzip einverstanden bin. Ich mutz ferner dabei als An gehöriger einer fremden Nation betonen und fest stellen, wie weit bei aller Aufgeklärtheit und Reform freundlichkeit ein großer Teil der Gebildeten unseres Volkes von dem Grundgedanken europäischer Frei heitsbegriffe und den Rechten der Geschlechter noch entfernt ist. Ich kann mich des Eindrucks nicht er wehren, datz es noch lanHe Zeit dauern wird, ehe in der Wirtlichkeit eine Brücke über diesen un endlichen Abgrund der Auffassung geschlagen weiden kann. Nachstehend unterbreite ich den deutschen Lesern einen „offenen Brief des Jakub Kadri Effendi", der als Schriftsteller uird Gegner der Frauenbewegung am 28. April d. I. eine Entgegnung auf einen ihm geltenden Angriff einer Frauenrecht lerin wegen der Reformen der türkischen Frauen in türkischen Zeitungen veröffentlichte. Um den origi nellen Eindruck nicht abzuschwächen, habe ich, ab gesehen von kleinen Abänderungen, an der Schreib weise des Originals keinerlei Verbesserungen vor genommen. Der Brief lautet wie folgt: „Auch Sie, schöne Frau, haben während der Frei heitstage und auch noch später ungestraft unnütze Worte gesprochen, und ich war traurig, als ich Sie von dieser allgemeinen Krankheit ergriffen sah, welche darin bestand, lediglich Phrasen und Worte in der Oeffentlichkcit ausMprechen. Fortschritt! Zivilisation! Reform! .... wie kam cs nur, datz Liese für Sie als Frau so häßlichen Worte Ihrer Zunge entglitten? Wenn Sie die Langeweile guälte oder wenn Sie mich angreifen wollten, wieder holten Sie diese Worte, die Ihnen anscheinend Freude bereiteten! Und das taten Sie, die Sie doch io reizend sind: Tie, die Sie ausschließlich die Fein- eit in Ihren Blicken und Ihrem Lächeln sowie die Eleganz in Ahrem Austreten besitzen! Wenn Sie dock) nur wüßten, wie unendlich weit solche Worte von der wahren Zierde und Schönheit eines Ge sprächsthemas entfernt sind! Als ich Ihnen einstmals in früheren Zeiten die Wahrheit sagte, waren Sie sehr böse auf mich ge worden. Sie meinten, meine Ideen ständen nicht auf derselben Stufe wie die Ihrigen und ich könnte Sie nur deshalb angreifcn; -sie glaubten, ich hätte als Mann auf Ihre Bestrebungen mit Gering chätzung und Hohn geantwortet. Als Sie mich fragten: „Wie sollen denn die türkischen haniims sein?", antwortete ich Ahnen ganz offen: „Genau so, wie sie augen blicklich sind, sie sollen keine Reformen erstreben. Wenn es Ähre Erziehung und feine Frauenhöflich- keit erlaubt hätte, würden Sre mich, so weit ich es beurteilen kann, auf diese Antwort hin am liebsten aus Ihrer Wohnung hinausgeworsen haben. Als Sie mir jedoch eine der von Ihnen leidenschaftlich erfochtenen Ideen klarmocheu wollten, schlug mein erz unwillkürlich schneller infolge eines Blickes von Ihnen, der mir rlarmachte, daß alle Ähre Aus führungen nur leere Phrasen seien. Ach erinnere :.ch, schöne Frau, datz ich mich eines Tages bückte, :m Ihr hingeworfenes Taschentuch aufzuheben, wo- .ei ich Ihren einladenden und ermutigenden Blick sah.*) Bei der Verteidigung Ihrer Ideen bemerkte ich einen ähnlichen Blick, wobei Sie, schöne Frau, ver achten, den anscheinend von selbst sich entblößenden Hals mit Ihrem dünnen Schleier zu verdecken; Sie zeigten dabei aber ein ernsthaftes Gesicht und schienen sehr bei der Sache zu sein. Nicht wahr, Hanum effendi! Sie sehen ein, daß die Frauen Loch sehr ernst bei der Cache sein müssen, wenn sie bei solchen Gelegenheiten kokettieren und ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Kleidung und die des anderen lenken können!!! Wenn aber die Frauen für etwas Wichtigeres als für das Kokettieren und den Zustand ihrer Toilette auf der Welt sind, so wird es wohl das Singen von Wiegenliedern und das Märchenerzählen für Ihre Kinder sein Jetzt glauben Sie wieder, datz ich mich über Sie lustig mache? Ich schwöre Ahnen aber bei dem feinen Schleier, der Ihren schönen Nacken ver birgt, daß ich wirklich aufrichtig und in vollem Ernste spreche! Jawohl , » . Wiegenlieder und Märchen, schöne Frau!........ Wenn ich eine Tochter hätte, würde ich mich bemühen, diese nur für Frauen be stimmten Eigenschaften bei ihr zu vervollkommen und auszubauen: ich würde sie lehren, wie man dem Vaterlande ein edelmütiges und geliebtes Mitglied erzieht, wie man seinem eigenen Kinde mit der schönsten und wohlklingendsten Sprache Märchen er zählt und wie man mit der melodischsten aller Stimmen Wiegenlieder singt. Und warum? Weil eben diese in allen Ihren Gesprächen mit Sehnsucht, Begierde und Sorgfalt erwähnte „Zivilisation", welche Sie jetzt als eine neue Gottheit verehren, aus Len Wiegenliedern und Märchen der Frauen ent standen ist, wie beispielsweise auch manche Zivili sation durch das Kokettieren der Augen einer Frau zugrunde gegangen ist!! Bemühen Sie sich nicht, umsonst die Gründe zu er forschen, die die Menschen nach vorwärts und nach oben, nach rückwärts und in die Tiefe treiben, denn sie, die Frauen, sind rs selbst, welche, ohne es zu wissen und zu wollen, die Ursache zu all diesen Vorgängen bilden und auch stets bleiben werden. *) Taschentuchsvrachc: Gewisse türkische Frauen lassen zuweilen absichtlich das Ta'chentuch fallen; der Mann hebt cs auf und folgt in einer gewissen Ent- iernung bis zu der Wohnung oder dem Hause, wohin die Frau sich begibt. Zuweilen enthalt das Tuch auch einen Brief nebst Adresse, Einige türkische Damen, zu denen, wie ich sehe, auch Sie gehören, werden von Furcht und Schrecken befallen, sowie sic erfahren, datz es mit dem Reiche abwärts geht, und daß das Land vom Unglück ver folgt ist. Die Folgen dieser Angst treten darin zu tage, datz die Frauen ihr Heim verlassen und sich an Männeroersammlungen beteiligen. Sie wollen mit den dortigen Menschenmassen zusammen gegen unbe kannte Horizonte in die Ferne ziehen, und vergessen dabei ihre eigentliche Pflicht: Stehen, Warten, Zurückbleiben! Ja, Zurückbleiben, und diejenigen, die blindlings nach vorwärts hasten, von der Gefahr zuriickhalten.! Die Frau mutz unter allen Umständen Zurückbleiben, damit der nach vorwärts strebende Mann mit Sohnsucht zurückblickt und an die Heimat und die Familie denkt. Die Frauen sind die einzigen Beschützer der Kraft der Nation, nämlich der Ueber- lieferungen. Sic sind die einzigen Wächter der Wiege der Zivilisation, d. h. der Familie, des Hauses! Ick) bin der Meinung? datz das zwanzig Jahre lange Warten der Penelope am Stickrahmen, diese Folge der Irrfahrten des Odysseus, eine der erhabensten Taten der Frauen, darstellt. Sehen Sie, das alles habe ich Ihnen sagen müssen, hanüm effendi! Ich wollte Ihnen meine Unschuld beweisen und habe Ihnen wehe getan. Vielleicht hal ten Sie mich jetzt für einen Schwätzer und unan genehmen Plauderer? Ach kann aber doch nichts dafür! Solche Gespräche, wie wir sie geführt, bewirken nur, daß die Frau nichts mehr für das Haus übrig hat, auf böse Gedankten kommt und daß der Mann unverträglich wird. Mann und Frau sind nach meiner Ansicht nicht dazu geschaffen, sich gegenseitig über solche Themata auszusprcchcn. Wenn Sie mir in Zukunft nicht mehr wehe tun . wollen, so bitte ich Hie, für das nächste Mal bei un serem Zusammentreffen mir nicht die hochklingenden Worte wie „Freiheit"', „Reform" usw. ins Gesicht zu schleudern Sollten Sie mir sonst nichts zu sagen haben, so kokettieren Sie lieber mit mir und vergessen Sie ja nicht, Ihren durch Zufall entblößten Hals mit dem dünnen Schleier zu verdecken So können Sie dainn stundenlang schweigen —!!!" H. Die Antwort einer deutschen Frau. Herr Oberleutnant Ismail Hakki Bei Tewfik ver öffentlichte den offenen Brief eines türkischen Schriftstellers, Jakub Kadri Effendri, in welchem Lieser seinen Standpunkt der jungtürkischen Frauen bewegung gegenüber darlcgt. Es drängt mich, einige Worte darauf zu er widern. Nicht so slchr, um seine gegnerischen An schauungen zu bekämpfen, als vielmehr um auf das binzuweisen was ihm und uns — den Frauenrecht lerinnen, ob türkisch oder deutsch, — gemeinsam ist. Vielleicht ließe sich.dadurch ein gegenseitiges besseres Verständnis anbahaen. Durch Liesen Brief zittert nämlich trotz gewisser geringschätziger Zymsmen — die wohl mehr auf Rechnung des Feuilletonisten su setzen sind und keiner allzu ernsten Widerlegung bedürfen — ein Ton echter Besorgnis. Gcht und rührend zugleich — denn er appelliert an das stärkste Gefühl in der Brust des Weibes — an das mütterliche Empfinden. Ja. mein Herr Zalud Kadri Effendi, wir Frauen rechtlerinnen aller'Nationen sind darin vollkommen eines Sinnes mit Ihnen: Es gibt für die Frau kein größeres Glück und keine heiligere Aufgabe, als die Pflege und Erziehung des Heranwachsenden Men schengeschlechtes. Selbstverständlich, denn dieses repräsentiert unser aller Zukunft! Die Frage ist ivvr, ob diese Aufgabe in Wahrheit und für alle Zeit -durch das Singen von Wiegen liedern und Mürchenerzählcn zu lösen ist? Hier — fürchte ich — tuennen sich unsere Wege. Wer lehren wilü muß lernen! Wer für die Wirk lichkeit erziehen wW, mutz etwas davon kennen und sogar mehr als das, er mutz selbst inmitten dieser Wirklichkeit gelebt haben, denn sie steht auf keinem Gebiete jemals stiß! Will die Erziehung dem Rech nung tragen, so »Litz sie ihre Ziele beständig höher und weiter steüen;fum das zu können, darf vor allem die eigene Entwitklung, d. h. die Selbsterziehung, nicht stillstehcn. Müßte nicht nach Ihrem Rezepte die Distanz zwischen der stUlsttzhenden, wartenden, zurückbleiben- Len Frau und dem worwärtsstrebenden Manne schließ lich eine so große werden, datz keine Brücke mehr von Seele zu Seele reicht, datz Leere und Enttäuschung der Lohn des Mannes würde, der, Sehnsucht im Her zen, zurückkeyrte? Und mit welchem Rechte wollen Sie überdies die (Frau, die wie Sie hungert und dürstet, liebt und leidet, wie Sie Wissensdrang und Arbeitslust spürt — von dem allesbeherrschenden Ge setz der Bewegung des Fortschritts und der Entwick lung ausschlictzenf? Unmögliches Beginnen! Als vor Zeiten? die erste Lokomotive das schlafende Land mobil machte, riefen die aufgefchreckten Bewoh ner Weh und Ach. über die unerhörte Störung. Uno es ist wahr — manch schöner stiller Erdenwinkel wurde durch die 'daherbrausende unbekannte Kraft entweiht. Aber war es nicht die gleiche Kraft — die jedem, der das sehen wollte, neue Schönheiten er schloß, die ungeahnte Quellen des Wohlstandes er öffnete und denMerkehr und den geistigen Austausch von Mensch zu Mrnsch vermittelte? So kam es, wie es kommen mußtq! Das unwillkommene Neue siegte und wurde allmählich allen, auch den Mißtrauischen und Feindseligen« zu unentbehrlichem Besitz. Aehnlich bürte es mit der Frauenbewegung gehen! Geschalte», verleumdet und angofeindet, wird sic ihren Weg verfolgen — unaufhaltsam, bis sie einmündet in dcrr Strom der gesamten Menschheits bewegung. Sie wird auf diesem Wege manche wert lehaltenc Ueberlrefcrunz, eine ganze Menge selbst- üchtiger Allusionen und etliche poetische Träume zer- tören müssen —> aber der Gewinn an schaffender Kraft, an Lebensfreude und regstem Verständnis, an bewußter Erfassung der allgemein menschlichen und spezifisch weiblickchn Aufgaben, den sie zu Nutz und Frommen beider Geschlechter hcrbeiführen wird — dürfte die zum Äeil recht imaginären Verluste hun dertfach überwiegen. Aufwärts uni« vorwärts ist ihre Devise — nicht gegen den Mannj — niHt ohne ihn — sondern mit ihm und für ihn im Interesse aller kommenden Generationen. Indessen — das ist ein Ausblick in sehr, sehr ferne Zukunft! /Wenn uns in unserem mühseligen Kampfe der M>1t gestählt wird durch die Ueoer- zeugung, daß die, Frauenbewegung im tiefsten Kerne elementarer Arv ist, eine Kraft, di« weder an sich, noch in ihren (A.fcheinungen aus dem Entwicklungs prozeß der Menschheit ausgeschaltet werden kann — so sei den Gegnern zum Trost gesagt, daß ihr spe zieller Entn icklungsrerlanf ein unendlich lang samer sein wirt. Das WartmS mindestens werden die Frauen in diesem Kampfe/ nicht verlernen. Aber keine Macht der Welt wird uns zwingen können, in dem Wirbel dauernder Gestaltung um uns her stehen zu bleiben, nicht einmal unter eigener Wille. Die Zeit gestattet es nicht mehr, und wenn wir freiwillig, hier und da Zurückbleiben soll ten, so wird es geschehen, weil wir einen Teil unserer besonderen Aufgabe darin erkennen, matzhaltend und maßbostimmend auf die Dinge um uns her zu wirken. Zum Schlüße noch eine Versicherung! Die fatalen Worte: Reform — Fortschritt — Zivilisation — die Jakub Kadri Effendi von Frauen gesprochen so ganz besonders unangenehm und verletzend klingen, werden um so seltener von ihnen gebraucht werden, je mehr das, was sie besagen, sich auch für ihr Geschlecht in greifbare und wohltuende Wirtlichkeit umsetzt. Er selbst und seine Gesinnungsgenossen hatten es in der Hand — indem sie dazu beitragen — die ihnen so schmerzliche Phrase rasch zum Verstummen zu bringen. Vielleicht wäre dieses Schweigen beiden Teilen willkommen. Berlin, im Juni 1914. Anna Kraußncck. deutscher Zrauenbunü. Ortsgruppe Leipzig. Säuglingspflege. Es ist bekannt, daß in Leipzig die unehelichen Neugeborenen einer weitgehenden Fürsorge und Be aufsichtigung genießen, und zwar vor allem durch das von Herrn Geheimrat Dr. Taube ins Leben gerufene Zichkindersystcm, das in unserer Stadt die treff lichsten Resultate ergibt und zugleich für ganz Deutschland vorbildlich geworden ist. Im Gegensatz zu dieser vorzüglichen Organisation fehlt es in Leipzig noch an genügender Fürsorge zugunsten der ehelich geborenen Kleinkinder. Wie notwendig es ist, hier einzugreifen, das hat, um nur ein besonderes Beispiel zu nennen, die erschreckend hohe Sterbeziffer der Säuglinge in dem heißen Sommer von 1911 ge zeigt. Eine große Anzahl von Säuglingen starb da mals nur, weil die Mütter nicht rechtzeitig auf die besonderen Maßnahmen zur Gesunderhaltung ihrer Kleinen in solcher Hitzeperiode hingewiesen wurden. Auch mangelte es, damals wie heute, an entsprechen den sanitären Einrichtungen, die den Müttern die in dieser Zeit doppelt schwierige Pflege der Kinder erleichtert hätten. Im Hinblick auf die vielbeklagtc und nicht mehr zu verkennende Wahrnehmung, datz die Geburtenzahl unserer Nation ständig sinkt, gilt es jetzt, das vor handene Menschcnmaterial so viel als irgend möglich zu erhalten und zu schonen. Hier sollte vor allem die deutsche Frau ihre Kräfte helfend, schützend einsetzcn für die Kleinen, damit nicht alljährlich Tausende und Abertausende von ihnen durch Unkenntnis oder Nach lässigkeit der Pflegenden elend zugrunde gehen. Der Deutsche Frauenbund hat aus der Erkenntnis dieser Tatsache heraus die Säuglingspflege in seinen Ar beitsplan mit ausgenommen. Es ist bereits inner halb des Bundes eine Kommission für Säuglings pflege gebildet worden, deren Wirken speziell dem Schutze und der Pflege der ehelichen Neugeborenen dienen wird. Die Tätigkeit der Helferinnen soll vor allem darin bestehen, die wichtigsten hygienischen Vorschriften über zweckmäßige Ernährung, Köroer- pflege und Bekleidung der Neugeborenen in dm weitesten Volkskreisen zu verbreiten, das Verständ nis der jungen Mutter dafür zu wecken »nd durch solche Aufklärung und Belehrung die Kleinkinder zucht in jeder Weise zu erleichtern und zu verbessern. Zu diesem Zwecke hat der Deutsche Frauenbund die Hauptregeln der Säuglingspflege, kurz und eindring lich gefaßt, auf Flugblättern und Plakaten zusammen, gestellt, die durch die Helferinnen zur Verteilung an die Mütter gelangen sollen. Ferner sollen gelegent liche bzw. regelmäßige Besuche von feiten der Helfe rinnen den jüngeren Müttern Gelegenheit geben, persönlichen Rat und Auskünfte über alle die Säug lingspflege betreffenden Fragen zu erhalten. Erfahrene Frauen und Mütter aller Kreise, die sich entschließen, einen kleinen Bruchteil ihrer Zeit und ihrer Fähigkeiten für die Allgemeinheit zu opfern, könnten auf diesem Gebiete der Volkswohl fahrt außerordentlich viel Gutes stiften. Möchten doch recht viele der Aufforderung Folge leisten, die der Deutsche Frauenbund hierdurch an sie ergehen läßt. Sie werden den Dank für ihre Mühe in dem beglückenden Bewußtsein finden, jungen Menschen- lindern Leben und Gesundheit und ihrem Volke kräftige Bürger und Bürgerinnen zu erholten. Sie werden gebeten, sich zur Beteiligung an der Säug- lingspfleqe und Kleinkindirfürsorge Schwägrichcn- straße 9, II, zwischen 2 und 3 Uhr zu melden. verschiedenes. * Die Prepagandazentrale des Kartells der Landes, und Provinzialoerbände der deutschen Frauenbeweyuny entfaltet eine außerordentlich rührige Tätigkeit in diesem Jahre besonders im Königreich Sachsen. Es sind eine ganre Reihe von Vorträgen über die Ziele der Frauenbewegung in verschiedenen sächsischen Städten bereits für den Herbst festgelegt worden. In der Hauptsache han delt es sich darum, die Frauen für die kommunale Mitarbeit in der Armen- und Waisenpflege, der Wohnunasinfxektion, der Raterteilung in sozialen und Rechtsfragen zu interessieren. In Deutschland sind bereits 8000 Frauen in kommunalen Ehren ämtern und besoldeten Aemtern tätig. — Davon sind aber nur verschwindend wenige Frauen im Königreich Sachsen, nur in Leipzig und Zittau angcstellt. Wel chen segensreichen Einfluß die Frauenarbeit in der Gemeinde mit sich bringt, beweisen die sich immer günstiger gestaltenden Armenoerhältnisse und die ab- ,nehmende Säuglingssterblichkeit in den Städten, in denen Frauen in der Kommune mit tätig sind. Die Säuglingssterblichkeit ist dort, wo die Frauen in aus reichender Zahl als Waisenpflegerinnen angestellt sind, um die Hälfte gesunken, und der Armenetat nimmt eher ab, wo Frauen Mitarbeiten, weil diese den armen Frauen leichter Arbeitsgelegenheit ver schaffen. So hat die Stadt Neiße, eine Stadt von etwa 20000 Einwohnern, im ersten Jahre der Mit- arbeit der Frauen 8000 .« im Armenetat gespart. Die Propagandazentrale bittet alle Frauen, oi« sich für die Frauenbewegung oder die Gsmeindearbeit der Frau interessiere», sich möglichst bald bei der Pro- pagandazentrale Breslau, Kaiser- Wilhelm Straße 109 zu melden und sie durch Angabe von Adressen zu unterstützen, an die wir Flugschriften senden, und sie zum Besuch der Vorträge einladen können. Die Mißerziehung der amerikanischen Miß. Einer der freimütigsten Kritiker des gesellschaft lichen Lebens der oberen Zehntausend in New Pork, Frederik Townscnd Martin, der als Schriftsteller auch bei uns geschätzt wird, ist jüngst gestorben. Aus seinem 'Nachlasse veröffentlicht nun der „New Pork Ameri can" einen Aufsatz, der am besten als „die Miß erziehung der amerikanischen Miß" zu überschreiben ist, in dem Martin ein äußerst hartes, aber wohl ge rechtfertigtes Urteil über ÜlKsen und Gebaren der vornehmen jungen Amerikanerin abgibt. Er spricht vom „vollkommenen Verfall guter Ma nieren" und bezieht dies nicht erwa auf die jungen Mädchen allein, sondern selbst auf die jungen Frauen, Beobachtet man sie, so fällt einem zunächst auf, dag sie eine Sprache brauchen, die weder Englisch noch Amerikanisch ist, sondern ein ganz gemeiner amcrika nischer Klang, auf den man in der guten Gesellschaft gar nicht rechnet. Die jun,rcn Amerikanerinnen aber finden es eigen, so zu sprechen und unterhalten sich ganz unverfroren in dieser gemeinen Sprache. Weiter ist an der Sprache zu tadeln, daß die jun gen Amerikanerinnen außerordentlich schnell, ja l)astig, zudem gewöhnlich zu mehreren gleichzeitig sprechen: sind drei oder mehr von ihnen in einem Ge spräche, so reden sie gewiß alle gleichzeitig, unbeküm mert Lamm, ob irgendeine die andere versteht, denn cs kommt ihnen nur darauf an, daß sic überhaupt reden. Dabei ist es eigentlich nicht reden, sondern schwatzen zu nennen, und man hat den Eindruck, als wüßten sie nicht, daß jedes Wort seine besondere Be deutung hat. Die Fehler, die Martin den Amerikanerinnen vor wirft, gehen natürlich auf deren Eltern zurück, und da bei der amerikanischen Erziehung der allzu be schäftigte Vater kaum eine Rolle spielt, ist es die Mutter, die der Vorwurf trifft. Sie versäumt, so entnimmt man Martins Darstellungen, nicht nur ihre Pflicht, die Tochter zu guten Manieren und zu vernünftigem Sprechen anzuhalten, sondern erlauvt sogar, daß junge Mädchen mitten in der Nacht, nach dem Theater, Konzert oder ähnlichen Veranstaltun gen, bis in den frühen Morgen hinein im Restau rant sitzen! Martin steht mit seiner Ansicht offenbar nicht allein, denn er weist auf einen Bund hin, der sich zur Aufgabe gestellt hat, diese Mißerziehung der amerikanischen Miß zu beseitigen. Der Weg, den die „Junior League" einschlägt, ist wohl der richtige: die Mißerziehung liegt darin, daß das junge Mädchen sich selbst überlassen ist. Man braucht ihr nur eine ver nünftige Arbeit zu übertragen, so ist eine Aenberung leicht herbeizufllhren, und so unterhält dieser Bund denn seit einiger Zeit Einrichtungen, in denen die Töchter der guten Gesellschaft nach kurzer Vorbildung als Lehrerinnen ihrer minderbegüterten Schwestern in allen möglichen Dingen beschäftigt werden. Literatur. Geschichte der Krankenpflege von Urzeiten bis jetzt, mit besonderer Berück- sichligung der letzten dreißig Jahre. Band III, herausgegeben und teilweise geschrieben von Lavinia L. Dock, R. N., übersetzt von Schwester Agnes Karll. Verlag von Dietrich Reimer (Ernst Vohsen) in Berlin. Preis gebunden 10 .tl. Der III. und IV. Band der Geschichte der Krankenpflege unterscheiden sich von den zwei ersten Bänden des Werkes in einem wesentlichen Punkte. Mußten die Verfasserinnen bei jenen, besonders beim ersten, ausschließlich oder doch in hohem Maße auf Biöliothekstudien fußen, so steht Miß Dock mit den neuen Bünden, die sie allein herausgibt und von denen jetzt der III. in deutscher Sprache vorlieat, mitten im vollen, fluteirden Leben des Tages. Es handelt sich um die Geschichte der allerneuesten Gegen, wart. Um möglichst objektives und zuverlässiges Material zu beschaffen, hat sie sich mit den maß gebendsten Persönlichkeiten Les Berufs in jedem Lande in Fühlung gesetzt und gewöhnlich einen ganzen Kreis der>elben zur direkten Mitarbeit ge wonnen, so daß sie das Ergebnis von deren Arbeit nur noch formte und übersetzte. Der III. Band greift die für den Beruf wichtigsten Länder zunächst heraus. Die ersten beiden umfang reichsten Kapitel, welche die moderne Krankenpflege bewegung in den vereinigten Staaten von Groß britannien schildern, tragen noch am ersten Len Charakter des Fcstumrissenen, Fertigen, wenn auch noch im vollen Wachstum Begriffenen. Der Kampf um eine gründliche Berufsausbildung von feiten der Frau gegen das Utilitätsprinzip des Mannes ist der Grundton, die Forderung der Frau, sich vollwertig einsetzen zu dürfen für die Hebung der sozialen Not ihres Volkes das Leitmotiv. Sozialpolitiker müßten in diesen Kapiteln Antwort auf manche ernste Frag« finden. Der gleiche Ton klingt auch in den weiteren Kapiteln fort, wenn auch nicht immer gleich scharf er kennbar. Die Krankenpflege der nordischen Länder entspricht so ganz der schlichten Eigenart derselben, daß sich deren knappe Schilderung trotzdem fesselnd liest. Dann folgt Frankreich mit dramatischem Schwung, wohl Len Höhepunkt des Bandes bildend. Die tragische Vertreibung der Ordensschwestern nach vielhundertjähriger Arbeit aus den Pariser Hospi tälern; die rührenden Bemühungen, durch theoretische Kurse aus ganz ungebildetem, stark nnt Analpha beten durchsetztem Mcnschenmaterial ein erträgliche« Pflegepersonal für die zirka 30 000 Kranken und Siechenbetten der Weltstadt zu machen: im Süden des Landes die mutige junge Medizinerin, die al» Doktordissertation „die Krankenpflege" wählt und in dieser energisch den Weg zum Florence Nightingale-System weist; Der Arzt-Bürgermeister, der bereitwillig den von ihr gegebenen Anregungen folgt; die neueste Phase der Pariser Bestrebungen — das sind Erlebnisse, die nicht nur für L«ute vom Fach Interesse baden, sondern ein lebendiges Stück Menschengcschichte bedeuten. Deutschland erscheint im letzten Kapitel daneben fast dürftig. Wollte mau seine Uebersülle verschiedenartiger Gestaltunaen auf dem Gebiet der Krankenpflege erschöpfen, so bedürfte es nicht nur eines ganzen, sondern mehrerer dicker Bände. Die Herausgeberin hat sich nur dem ein- gehender zugewendet, was al» absolute» Novum her vortritt, die Gestaltung einer selbständigen Fach- organisation durch die „freien" Schwestern, deren Da seinsberechtigung auch hier nicht mehr gut bestritten werden kann, feit die Statistik ergab, daß die alten Institutionen nur noch die größer« Hälfte der Krankenpflege zu leisten imstande sind. Die Uebersetzung tzes IV. und letzten Bandes wird im nächsten Jahre erscheinen,
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