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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.05.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140528026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914052802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914052802
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-05
- Tag 1914-05-28
-
Monat
1914-05
-
Jahr
1914
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Seur 2. Nr. 2S8. Ndenü-Nusssve. Leipziger Tageblatt. Vonnerstsg. 28. Mal lSl4. fchast zu Lanken. Trotz sozialer Gegensätze habe sich gerade diese Berussoertretung nieinals al» einseitige Interessenvertretung gezeigt, sondern von Anfang an ihre Ausgabe in gerechter Würdigung der allgemei nen Verwaltung erfüllt. Dadurch habe sie em gut Stück Arbeit zum Ausgleich sozialer Gegensätze und zum sozialen Frieden beigetraaen. Möchten die Ver handlungen auch heute im alten Geiste wirken zum Segen der deutsck>en Arbeit und der Industrie! Für die KreistMuptmannschast übermittelte Geh. Oberregierungsrat Dr. Raschle die Wünsche für "besten, erfolgreichen Verlauf der Verl-andlungen, an denen auch die genannte Behörde weitestgehendes Interesse nehme. Namens des Rates der Stadt Leipzig begrüßte Stadtbaurat, Bau- und Finanzrat Trautniann die Teilnehmer. Sie könnten überzeugt sein, daß auch der Rat die Beratungen mit großem Interesse verfolge, gehör« er doch mit seiner Arbeiterschaft nicht weniger als 10 Bcrufsgcnosscnschastcn an. Die heutige Tagung beweise, daß man auf dem Wege der sozialen Fürsorge weiter vorwärts schreite. Ferner hielten Begrüßungsansprachen der Ver treter der Leipziger Handelskammer und der Vertreter der Leipziger Gewer bekam m e r. Nachdem der Vorsitzende allen Rednern gedankt hatte, wurde der Geschäftsbericht auszugsweise erstattet, da der Bericht schon den Teil nehmern gedruckl vorlaa. Der Vorsitzende hob be sonders hervor, daß das Jahr 1011! ein Jahr der An passung an die neuen Rechtsverhältnisse gewesen sei. Der Verband stehe aber nach wie vor auf dem Standpunkt, daß mit Rücksicht auf die besonderen Per hältnisse der Belufsgenossenschaftsverwaltung jede Fesselung der Selbstverwaltung sowie jede Lchadlo- nisierung von Aebel sei. schärf st e Verwahrung erhob dann der Vorsitzende gegen die im Reichstage gelegentlich der Etatsberatungen ausgestellten Bclnuptunzen, die B e r u f sg e n o s s e n s ch a f t c n seien cs gewesen, die durch ihre Agitation bemüht gewesen seien, auf die Rechtsprechung des Reichsvcrsichr- rungsamts einen illoyalen Einfluß auszuüben. Er geißelte die Naivität derjenigen Reichstagsabgeordneten, die den Vcrufsgenossenschaf ten wiche Beeinflussungsvcrsuche vorwcrfen und un mittelbar darauf ihrerseits dem Reichsocrfichcruiigs- amt Richtlinien für seine Rechtsprechung vorzuzeich nen sich für berechtigt hielten. Endlich wies er auch die sonstigen im Reichstage gegen die verufsgcnossen schastliche Entschädigungspraxis gerichteten Angriffe mit cncrgiscyen Worten zurück. Zu Punkt 2 der Tagesordnung: Verhältnis der Aerzte zu den Berufvgenossenschaften nimmt Direktor Schauscil in einem fast ein stündigen Vortrag Stellung zu dem Referat, das am 7». Juli litt:; auf dem :ro. Deutschen Acrste'az durch Sanitätsrat Dr. B c s s e l m a nm, München-Glad bach, über das Verhältnis der Aerzte zu den Bcruis genossenschaften erstattet worden ist. Den von Bcssolmann in diesem Referat angcichiagenen Ton und die von ihm vorgebrachten llebertreibungen, die wegen ihrer Verallgemeinerung beleidigend werten mutzten und auch von der Gesamtheit der deutschen Bcrufsgenosscnjchaften als unverdiente Beleidigun gen empfunden worden find, weist Herr Schauseil mit Nachdruck zurück. Er unterzieht die sämtlichen von der Aerzteschast oorgebrachlen Beschwerden, ins besondere die Klagen über ungenügende Honorierung der ärztlichen Leistungen einer eingehenden, von strengster Objektivität getragenen Prüfung. Mit Wärme tritt er für eine faire, von jeder kleinlichen Rücksichtnahme sich freihaltendc Bezahlung Lor Aerzte ein, beschäftigt sich ausführlich mit den sämtlichen von Bessclmann ausgestellten Leit'ätzen und erklärt hierbei insbesondere die Forderung, auch für das Gebiet der Unfallversicherung die freie Arzt wahl uneingeschränkt einzuführen, sür die Berufs genossenschaften überhaupt nickit für diskutabel. Die Versammlung tritt seinen Ausführungen einmütig bei. In der sich anschließenden Aussprache wendete sich Direktor Lohmar-Köln gleichfalls gegen die Bejselmannschcn Angriffe und fand damit allgemeine Zustimmung. Urber di, Ausbildung von Betriebshelsrrn führte Verwaltungsdirektor Rcgicrungsrat a. D. Dr. Stöcker-Bochum etwa folgendes aus: Die auf Anregung des Präsidenten des Reichsversicherungs amtes von den Berussgenossenschaften in Gemein schaft mit dem Verein vom Roten Kreuz seit mehreren Jahren betriebene Ausbildung von Arbeitern in der ersten Hilfe der Be triebsunfällen (Betriebshelfer) hat sich, da cs sich zunächst nur um ein versuchsweises Vorgehen handelte, bisher in der Hauptsache auf eine be grenzte Zahl von größeren Städten beschränkt, in denen für diese Zwecke Ortsausschüsse bestehen. Nachdem die Versuche sich als erfolgreich er wiesen haben, hält der Berichterstatter angesichts der Tatsache, daß die Brussgenossensch -stcn durchweg in ihren neuen Unsallvcrhütungsvorschriften den Betriebsunternehmern die Bereitstellung solcher Be triebshelfer zur Pflicht machen, es für geboten daß nunmehr die Ausbildung tunlichst rasch auf alle Orte, insbesondere auch auf solche auf dem platten Lande, erstreckt wird, in denen hierfür ein Bedürfnis besteht. Zu diesem Zwecke empfiehlt er, als Zwischeninstanzen zwischen dem für das Zusammen wirken der Berussgenossenschaften mit dem Roten Kreuz in Berlin bestehenden Hauptausschuß und den örtlichen Ausbildungsstellen künftig provin zielle Ausschüsse oder Landesausschüsse zur Durchführung der gesamten Helferausbildung in einem größeren Bezirk zu errichten, wie solche be reits seit mehreren Jahren sich in Westfalen gut be währt haben und neuerdings auch für Rheinland, Brandenburg und Baden ins Leben gerufen worden sind. Der Berichterstatter legt die Art des Vor gehens in Westfalen und die damit erzielten Er folge im einzelnen dar und erörtert ferner die Mittel, durch die das Interesse der Betricbsunter- nehmer für diese wichtige, schadenverhütende Auf gäbe belebt und wachgchalten werden könne. Ueber den weiteren Verlauf der Verhanolungen werden mir in der Morgenausgabe unseres Blattes berichten. Vie wirren in Albanien. Die heute vorliegenden Meldungen bezeichnen die Lage in Durazzo neuerdings als besorgniserregend. Die Aufständischen sollen angeblich entschlossen sein, den Angriff auf die Stadt zu unternehmen, wenn ihre Forderungen nicht sofort erfüllt werden Da aber, wie wir bereits im Tepeschenteil unserer Morgenausgabe meldeten, die Aufständischen selbst untereinander nicht einig sind, wird es wohl vorläufig bei Drohungen der Aufständischen bleiben. 2m einzelnen verzeichnen wir folgende Draht meldungen: Tnrazzo „efährdet. Nom, 28. Mat. Nach hier eitigetrofftuen Tele grammen tft die Lage in Durazzo äußerst be- forg «iSerregend. Den Aufständischen strömen immer nene Scharen zu, die zum Angriff auf die schutzlose Stadt cu «schlosse» siud, wenn ihrer Forderung nach Abdankung des Fürsten Wilhelm nicht willfahrt wird. Jeder Widerstand ohne Hilfe fremder Truppen märe nutzlos und würde nur ein furchtbares Blutbad ergeben. Gemeinsame Sache der Bewohner von Zentral albanien. London, 28 Mai. „Daily Telegr." meldet aus Durazzo: Die internationale Kontrollkommission, die mit den Aufständischen unterhandelt, hat erfahren daß alleBewohn er von Zentralalbanien mit den Aufständischen gemeinsame Sache machten, die Beamten der Regierung des Fürsten Wilhelm verjagten und andere gewählt Haven. Die Aufständischen ver langen jetzt ihren Anschluß an die Türkei oder die Internationalisierung des Landes und erklären, sofort gegen die Regie rung vorrücken zu wollen, sobald sie von den Katholiken angegriffen werden. Die Truppen des Fürsten Wilhelm brauchen dringend Ar tillerie zu ihrem Kampfe mit den Epiroten. Fürst Wilhelm hält jedoch die Kanonen in Durazzo zurück, da er sie dort notwendiger zu gebrauchen glaubt. Er hat der Expedition nur zwei Kanonen mitgeben lassen. Beketltgung von Italienern am Umsturz k Wien, 28. Mai. Tie „N. Fr. Presse" erhält von diplomatischer Seite Mitteilungen, die als ziemlich gewitz erscheinen kaffen, datz unter geordnete italienische Stellen mit . GssadPascha an einem Umsturz in Albanien gearbeitet habe«. Vs wird zwar nur ein Indizienbeweis geführt, aber ein jedenfalls ein leuchtender. Deutschlands diplomatische Vertretung in Albanien. Petersburg, 28. Mai. lEiaene Drahtmel dung, j Der hiesige deutsche Botschaftsrat v. Lucius ist zum Gesandten in Albanien ernannt worden. Sein Scheiden aus der russischen >- esidenz wiro von der deutschen Kolonie wie auch von der russischen Hosgeiellschaft, in der sich Lucius großer Sympathien erfreute, lebhaft bedauert. Soviel wir uns erinnern, ist vom Reichstag für Albanien keine Gesandtschaft, sondern ein General konsulat in Verbindung mit einer diplomatischen Agentur bewilligt worden. Herr v. Lucius würde also für diesen Posten in Frage kommen. 2m übrigen weist der „Verl. Lok.-Anz. mit Recht darauf hin, daß die Nachricht den Tatsachen vorauseilt, weil dieser Etatspvsten vom Reichsgesetzblatt noch nicht publiziert wurde und diese Publikation eine Vorbedingung für die Erledigung der Personalfragen ist. Die Mission des Hofmarschalls von Trotha. Ueber die Reise des Hofmarschalls von Trotha nach Berlin werden allerhand Vermutungen ausge stellt. So glaubt die „Kreuzztg." zu wissen, daß cs sich hierbei um keine politische Mission handle, jedoch habe der Fürst einige Wünsche mehr persön licher Natur, deren Erfüllung freilich auch eine Rückwirkung auf seine Stellung haben dürste. Herr von Trotha werde nach Erledigung seiner Mission wieder nach Durazzo zurückkehren. — Die „Vossische Zeitung" nimmt an, daß Herr von Trotha den Auftrag habe, an zu ständiger militärischer Stelle Aufklärungen zu geben über das Verhalten des Fürsten anläßlich der Flucht auf die Kriegsschiffe, da bem Fürsten, der möglicher weise wieder in seine alte Heimat übersiedle, daran gelegen sein müsse, sich an militärficher Stelle darüber auszusprechen. Möglich sei auch angeblich, daß Herr v. Trotha als Major « D sich in der vom Ehren kodex oorgeschriebenen Weise Genugtuung verschaffen wolle für Aeußerungen, die der bisherige Hofarzt Dr. Berghausen über ihn getan habe. polMetie UeberlietU Kongreß für gewerblichen Rechtsschutz. 8. L 14. Augsburg, 27. Mai. In der diesjährigen Hauptversammlung des Kon gresses für gewerblichen Rechtsschutz wurde ein Be schluß zu den» ersten Teil des Hauptthomas: Patent gesetzentwurf, nämlich dem Erfinderrecht und der Angestelttenernnder nicht gefaßt. — Die vor gelegten (von uns bereits gestern mitgeteilten) Leitsätze sollten nur als allgemeine Rechtsgrundlagen für die gesetzgeberische Arbeit angesehen werden. Als zweites Unterthema behandelte Patent anwalt M rntz - Berlin die Organisation des Patentamtes. Nach tnrzer Diskussion wurden folgende Sätze angenommen: „Der Einführung des Einzelprüfers wird zuge- slimmt. Der Anmelder har im Erteilungsoerfahren Anspruch aus eine dritte selbständige Instanz. Es ist erwünscht, baß die Mitglieder des Patentamtes eine ähnliche Vorbildung nachweisen, wie dies bei den Patentanwälten der Fäll ist. Die Einspruchsgebühr ist zuiückzuerstatlen, wenn der Einspruch Erfolg ge habt hat. Die Beschwcrdegebühr ist im Falle des Er folges zurückzuerstatlcn. Das Patentamt ist berech tigt, auf Antrag schon vor der Entscheidung, gemäß 8 Itl, eine vorläufige Anordnung zu erlassen, durch welche dem Antragsteller einstweilen bis zur rechts kräftigen Entscheidung die Benutzung gegen Entgelt gestattet wird: die Parteien sind vorher zu hören. Ilngebührstrafen gegen Rechtsanwälte und Patent anwälte sind unzulässig. Die Entscheidung über Be schwerden auf dem Gebiete der Sitzungspolizei steht dem Vollsenat zu. Der Erlaß von Teilurteilen ist für zulässig zu erklären." Tie >vaU>iciide BeMüu.im? des Peutichen Miltcliloiiöc« und die Liebe zur guml. zur goNNllzeu Euuft der Munt, sind die beiden vauelmolive, auö denen sich die beweche und spannende, an erschütternd tra-iüchc» wie an qeinütvolicu und beiieren Episoden reiche Handlung unseres neuen R a m r n e „Vas Glück -er an-eren" von stklv stübcr-Äunlhcr entwiche», der, über den Zweck iliictniqcr IluterlmNung biuau», auch zu ernstem Nacltdenken anzuregen qeeianel ist. scd.irs Umrissen und mit unübertrcsslicher szolacrichtiakeil charakterisiert, siebt im Mittelpunkte die Gestalt eine» Manne», den weder äussere Widrigkeiten noch tiesstes innere» Web abkatien können, da» Rechte zu tun und den rechten Wer, zu wandeln, und der den Lobn, den ihm ein unaünstine» Lckncksal, eine kurzsichtige Umwelt versagen, schliesslich doch im eigenen Herzen findet, farbig, plastisch und leben-wabr sind auch die äignrcn, die sich um ihn gruppieren, mit lebendiger Anschaulichkeit gezeichnet das gesellschastlickw und landschaftliche Milien. ärid Stüber-äsunther, der Verfasser des Werkes, in Wien lebend, wo er 1872 geboren wurde, hot sich sowohl durch seine frilhercn sozialen Romane („C. i.", ..Schwiegersöhne", „Ter Schünheitspreir") als auch durch seine zahlreichen, in verschiedenen Bändchen gesammelten humoristischen Skizzen und Erzählungen einen weitbekannten und geachteten literarischen Rainen erworben, dec ihm unter anderem im Jahre 1010 die Zuerkennung des Bauernseldpreises eintrug. Wir glauben, dass dieser neueste Roman von ihm in seiner besinnlichen, betrachtenden Art auch bei unseren Lesern viele freunde sinden wird. Vas vlüttr Sei» an-eren. 1f Roman von Fritz Stüber-Gunther. «Copriskt wtt b? Orotdlsin <t Lo. 6, w. d. ll. 1. Kapitel. So breit behäbig, ruhig abweisend und selbstsicher lagen der alte Park und das alte Haus mitten im Gewimmel und Geklirr der hastenden Großstadt, knapp an der Kreuzung zweier Haupl- adern des Berkehrsstromes, daß, lver gelegent lich daran vorüberkam, hier sicher den feudalen Herrensitz eines Reichen und Mächtigen ver mutete, der auf Erwerb und Geschäft keine Rück sicht nahm. Zumal dem flüchtigen Blicke die dunklen Wipfel der Ulmen nnd Pappeln, Linden und Kastanien, die die hohe, verwitterte, von einem einzigen Gitterpförtchen durchbrochene Um- fassungsmaper überragten, weit zahlreicher, Gie bel, First und Uhrturm des grauen Gebäudes, das zwischen jenen hervorlngte, viel stattlicher erschienen, als sie in Wirklichkeit waren. Roch war das Grundstück nicht durch die ringsum fiebrisch wütende Abbruch- uud Bautätigkeit zur Insel geworden. Roch hing cs hinten mit eben falls älteren, wennschon nicht gleich alten Höfen und .Häusern zusammen, ein ümbrandctes Kap, ein gefährdetes Fort, ein vorgeschobener, tapfe rer Außcnposlcn, der seine zaghaften, grünen und steinernen Genossen zu trösten schien: „Fürchtet nichts, ich halte aus!" — und alle Erobernngslüstcrucn unerschüttert abzulvehren: „Spart die Mühe, mir kommt nicht List bei, noch Gewalt!" „Zum scharfen Eck", hieß es im Volksmundc. Das Haus aber war tein adliger Palast und sein Garten kein Schlosspark. Doch eignete es dem Reichsten an Macht nnd Geld im Lande: Dem Staare selbst. Er besäst es feit einem Dutzend Jahrzehnten, seitdem nämlich Josef II., der frommen Kaiserin unfrommer Sohn, die Bcttelmönchc, die hier dem Herrgott lobsangcn, aufgescheucht und ver trieben hatte. Rach dein Klvsterlein beherbergte es ein Spitälchcn. Nnd als auch dieses in grösterc und geeignetere Räume verlegt wurde, diente daS Gartenhaus „Zum scharfen Eck" a.b- wechselnd verschiedenen ärarischen Zwecken, bis es eine dauernde Bestimmung erhielt, die man, hatte man die Kühnheit aufgebracht, durch das äussere Tor und die kurze Allee bis zur Haus pforte vorzudringen, von dieser ablesen konnte. Dort hing nämlich eine blecherne, marmorädrig lackierte Tafel, aus deren oberstem Rand stand in winzigen Goldbuchstaben: „Ministerium für Volkswirtschaft"; darunter etwas grösser: „Sta tistisches Amt": und noch weiter abwärts mit noch höheren Lettern: „Hypotl-etisckws Depar- lemcnt"; endlich zu allerunterst und am wei testen sichtbar: „Retrospektive Abteilung". Bei dem immer wachsenden Umfange der staatlichen VolkSwirtschaftsfürsorgc und ihres wichtigsten Zweiges, der volkswirtsckaftlickwn Statistik, litt das Ministerium für Volkswirt schaft an beständigem Raummangel nnd musste daher seine einzelnen Departements und Dc- partementsabteilungen in die entlegensten Stadt gegenden zerstreuen. To war die retrospektive Abteilung des hypothetischen Departements des Statistischen Amtes im zufällig eben wieder leerstehenden, mit vieler Eile und wenig Kosten adaptierten Slaatsgebände „Zum scharfen Eck" untergcbracht worden, gleich nach ihrer Errich tung, die dem unermüdlichen Spürsinne eines berühmten einheimischen Juristen und Kamera listen zu danken war . . . Das Zimmer des Herrn Amtsvorstaudes war natürlich von allen Amtszimmern im .Hause das bestausgestattetc. Es hatte zweifarbige Pa- picrtapeten au den Wänden, es hatte ein großes, goldgerahmtes Oelbild, den Herrscher in Jung- lingsjahrcn und im Krünungsornat darstellend, es hatte außer Schreibtisch und Schreibsessel noch einen kleineren Tisch mit etlichen verschie denartig geschweiften und gepolsterten Stühlen herum; dann ein breites, hohes, braungestrichc- nes Regal für Aktenstücke in Folioformat und ein schmaleres, niedrigeres, gclbgestrichenes für Akten in Quart, einen Kleidcrschrank und einen Waschtisch, einen weißen Kachelofen mit Mcs- singtürehcn, einen grauen, rotgerandcrtcn Tep pich in der Mitte des Fußbodens und zwei grüne Hängeteppiche zum Schutze gegen Zugluft an den beiden Fenstern. So prächtig man diese Ausstattung finden konnte — weit prächtiger war doch die Aussicht aus den Fenstern, die Aussicht auf die knorrigen Bäume und üppig wuchernden Sträucher des alten Gartens, seine breiten Rasenflächen, sein steinschnöckeliges, malerisch abbröckelndes, längst staubtrockenes Brunnenbecken. — Nächtens gefallener Fcbruarschnec schmiegte sich an den rissigen Stämmen empor, lastete dicht und weich auf dem schwarzen Geäst und Gezweig, drängte sich um die imiuergrllncu Kugeln der Leimmistel und die braunstruppigcn Ballen der Krähennester hoch oben, gab mit seihen glänzenden, flaumigen Hauben dem Stein brunnen die Gestalt eines geheimnisvollen Mär- chenfeendenkmalS und dem ebenerdigen Hüttchen an der Umfassungsmauer, in welchem früher einmal der Klostcrpsörtncr einsam getraust harte, jetzt mit seiner Familie und einem bissigen Köter der amtlich bestellte Haushüter und Gärtner wohnte, das Aussehen eines verwunschenen Knusperberensitzes. Und der vergißmeinnicht blaue Wtnternwrgenhimmel, strahlend heiter, als Kommerzienrat Guggen Heimer - Augsburg referierte über Spezialgerichtsbarkeit i« Pate»tsach<«. Er führte aus, daß der Wunsch nach einer Aende- rung der Gesetzgebung Lurch Hereinziohung des tech nischen Elements in bas Gericht ein Verlangen des weitaus überwiegenden Teiles der an der Patent gerichtsbarkeit interessierten Kreise ist und verneint unter lebhafter Zustimmung den in der Begründung zum Gesetzentwurf enthaltenen Satz, als sei Liese Er wägung mehr und mehr zur Ruhe gekommen. — Das Korreferat erstattete Iustizrat A x te r - Berlin. — Nach längerer Aussprache würben die Vorschläge der Referenten in verschiedenen Leitsätzen zusammen gefaßt uns gebilligt. Darin wird u. a. ausgeführt: Die Patenttoinmission stimmt dem tz 48 des Ent wurfes zu. Die in K 49 des Entwurfes vorgesehene Sondergerichtsbarkeit wird in entsprechender Weise erweitert. Die Parteien können beantragen, daß für die Hauptoerhanolung zwei vom Gericht zu er nennende Sachverständige als Beiräte in das Richter kollegium zugezogen werden, die an der Beratung und Abstimmung teilnehmen. Zum Zwecke der Be setzung dieser Gerichte wird eine Liste technischer Rich ter ausgestellt. Es wild oorgeschlagen, die in tz 49 vorgesehene Zentralisierung und Erweiterung auch auf die Oberlandesgerichte zu erstrecken. Die Kom mission bezeichner die Zentralisierung der Gerichts barkeit für erfindcrrechtliche Streitigkeiten für die Landgerichte von Groß-Berlin als ein dringendes Bedürfnis. Den technischen Angestellten der Par teien und den Patentanwälten muß auf Antrag das Wort »erstattet werden. Der Kongreß erachtet es als dringende Notwendigkeit, daß die Zahl der den Spezialkammern und Senaten überwiesenen Sachen nicht größer angesetzt wird, als im Interesse einer sorgfältigen und gründlichen Vorbereitung und Ver handlung der Sachen zulässig ist. Der gegenwärtige Zustand bedeutet eine Ueberlastung, die eine sach gemäße Erledigung immer mehr erschwert. Ein zu? Gr-nung gerufener Minister. Die Streitfrage, ob iu einem deutschen Par lament ein Minister vom Präsidenten zur Ord nung gerufen werden kann, wenn er gegen die Ordnung des .Hauses verstößt, ist in Bayern bereits praktisch gelöst. Präsident Dr. von Orter er hat in der Mittwochsitzuug der bayrischen Kammer der Abgeordneten den Fi- uanzministcr von Brcuning zur Ordnung gerufen, weil dieser einem Abgeordneten hämische Redeweise vorgeworfen hatte. Nach Blatt ermelduugen wurden von zwei sozialdemokratischen Abgeordneten heftige Klagen über das Hofjagd- wcsen vorgebracht. Die Gcmcindejagd von Obcra m m crga u halte früher Prinz regent Luitpold für 4000 Mark gepachtet, König Ludwig III. sollte 5,000 Mart zahlen. Das lehnte tue Hofverwaltung ab; nun wurde die Jagd an Private verpachtet und erzielte 13 000 Mark. Die Hofjagd zwischen Ober ammergau uud Linderhof wurde mit einem ö Kilometer langen, 2 Meter hohen, sechsfach mit Stacheldcaht bewehrten Zaun umgeben, der mindestens 30 000 Mark gekostet hat. Die ses Verfahren tadelte ein sozialdemokratischer Abgeordneter, iveil es den Fremdenverkehr schädige. Der Abg. Süßheim (Soz.) brachte scharfe Klagen über Begünstigungen bei Jagdvcrpachtungen vor, bei denen Be ziehungen, hohe verwandtschaftliche Verhältnisse ausschlaggebend seien. Fi nanzminister v. Brcuning widersprach die sen Klagen ganz energisch; das Wild sei nur in mäßigen Grenzen gehegt, daher dürften auch keine großen Einnahmen aus den Jagden verlangt werden. Eine völ lige Ausrottung des Wildes wolle man vermeiden, der 'Naturfreund sehe gern hier nnd da Wild. Die Beseitigung von Weg markierungen ist vorgenomincn worden, um ungeübte Touristen vor Schaden zu bewah re«. Die .Hofjagd uud die Hofjagdvcr- waltuug sei übrigens private Angelegenheit der Krone, und eigne sich nicht zur Behänd- habe er all seine Tränen mit einem Male für ewige Zeiten geweint und kein Tröpfchen, keine Flocke je mehr übrig, rundete ruhevoll das feier liche Landschaftsbild, das wer draußen in den tauenden Straßen durch breiigen Kot und tückische Lachen stapfte in solcher Nähe kaum denken konnte. Der Vorstand der retrospektiven Abteilung des hypothetischen Departements vom Statisti schen Amt im Ministerium für Volkswirtschaft, Herr Kalknlationsrat Ernst Lockenhans, hatte sich an dem bezaubernden, von der Schönheit des späten Winters zu der des nahen Frühlings hinüberleitcnden Anblicke gründlich geweidet und auch den schwerfällig streichenden, kokett stelzen den, schwanzwippendcn Krähen, die dieses Meer von Weiß und Blau als tiefschwarzc Gondeln kreuzten, seine nachdenkliche Aufmerksamkeit zu- gewcndct. Nun trat er vom Fenster zurück an den Schreibtisch, ließ sich in den Lehnstuhl fal len und griff nach der entfalteten Zeitung, um die Rubrik „Theater und Kunst", die er bereits cininal durchflogen, nochmals zu studieren. Sie enthielt einen langen und begeisterten Bericht über die gestrige Aufführung der Oper „Fedora", genauer gesagt, über das Auftreten eines be rühmten Gastes, einer welschen Primadonna, in diesem modernen Tondrama: und eben dieses Referat schien den Herrn Kaltulationsrat un entrinnbar zu fesseln. Endlich legte er das Journal beiseite und rückte dafür cm dickleibiges Aktenstück in die Tischmitte, in einem groben Umschläge eine hohe Schicht von Blättern und Bogen, die mit schwar zen, roten, blauen, grünen Linien in unzählige Fächer und Kästchen eingeteilt waren, welche wiederum ein ungeheures .Heer von sorgfältig gemalten Ziffern zu Regimentern, Bataillonen, Kompanien und Zügen ordneten. Kalkulations rat Lockenhaus hob eins der Blätter nach dem andern empor, 4egte es so, daß es das Tages licht voll beleuchtete, preßte bald die Lippen zusammen und öffnete sie bald zu einem un hörbaren Murmeln, zog die Stirne kraus nnd glättete sie wieder, trommelte jetzt mit den Fin gern auf die Tischplatte und machte dann mit dem Bleistifte mystische Zeichen und Anmerkun gen zu dieser und jener Zahl. (Fortsetzung i« tz« MovgenauHgab«)
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