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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.05.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140528016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914052801
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914052801
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-05
- Tag 1914-05-28
-
Monat
1914-05
-
Jahr
1914
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Morgen - Ausgabe fiir Leipzig un» vorori« Lurch unser» Lr-aer vkAUAVpr»»^»» UN» Spediteure rmoltägliA In» hau» grbrachtr monatlich t.r» M., vterteliührlich Z.7S M. Sei »er Seschästssteilr, unser» Ziltalen un» flusgobesteUen obgeholt: monatlich l M.,vl«rt»lISHrlich r M. Durch »>« Post: innerhalb DeutschlanS» un» »er »rutschen Kolonien monatlich I.S» M., vtrrteljährlich 4.S» M.. ausschließlich postdestrllgelS. Do» Leipziger Lagrblatt erscheint wrrktag» rmal,Sonn»u.Zeiertag»>mal. 2» Leipzig, Sen Nachbarorten un» »en Deien mit eigenen Zilialrn wir» Sie slbenSousgab« noch am siden» Se» Erscheinen» in» hau» geliesert. berliner N«Soktion:2n üenLelt«n>7, Zernsprecb-Nnschluft: Moabit Nr. «»7. ^LndelsFeitung /lmtsblockt des Rute» und des polireuuntes der EtoDt Leipzig NeSaktion un» SeschästssleUe: ?ohanni»gass» Nr.». » Zernsprech.slnschluß Nr. 14 »42, >4»4r un» «»44. ISS. Jahrgang sln;kl--npr°ise: von «»»wart» I» Pf., Neklomen I.2S M., Klein« Anzeigen »iepetitieile nue SS ps.b.wi«S«rb»l.Nab., Inserate von SehörSen im amtllchenLeil Sie Petit» zeit» S» Pf. Seschüstoanzrigen mit plahoors<brist im Preis» erhöht. Nadott nach Laris. Setlagen: Sesamtaufl.SM.Sa» Lausen» auaschl. Postgebühr. fl«r»igen»Nnnohme: Zohanniogasse», bet sämtlichen Zillalen ü«, Leipziger Lagediatte» un» allen sinnoncen-LxpeSltionrn »es In» un» stuslanSe». Srs<häst»st,ll»sür0erlIn u.üie pr.0ranü«nburg: vircktionwolterZlieg»!, Serlin w. 10, Margoretbeastraß« ». Zernsprrch-Nnschiuß: Lünow s»7i. Nr. 2S7. vonnrrsisg, »en 28. Msi. l9l4. Das Wichtigste. * Bei der Etotsberatung im preußischcil Herrenhausc hielt der neue Minister oes Innern von Loebell eine längere Rede über seine Politik. (S. Art. und Bcr.) * In Stuttgart ist am Mittwoch die S ch i f f s b a u t e ch n i s ch e Gesellschaft zu ihrer Sommertagung zusammeugetreten. (S. letzte Dep.) * Der G o u v e r n e m e u ts r a t von D e u ts ch-O st a f ri t a ist auf den 19. Hum einberufen worden. (S. Kol.) * Bei der ll e b e r r c i ch u n g des Kar dinalshutes an die neuernanutcn kardinale hielt der Papst eine bedeutsame Ansprache. (S. Pol. Ucbcrs.) * Die geplante Intervention der Mächte in Albanien ist vorläufig auf gegeben worden. Dagegen wird noch darüber verhandelt, ob nicht eine internationale Truppenmacht nach Turazzo verlegt werden soll. (S. bcs. Art.) * Für den O st m a r ke n f l u g sind 30 Nennungen abgegeben. (S. Sp. u. Sp.) Deutschland und Frankreich. Vom Ksl. Legationsrat Frhrn. o. Nichthofen, Ai. d. R. In den letzten Reichstagsverhandlungen über die auswärtige Politik hat unser Verhältnis zu Frankreich einen breiten Raum eingenommen. Wenn man von einigen stark deplacierten Aeußerungen aüsieht, so mutz man es doch als erfreulich bezeichnen, daß eine so eingehende Erörterung über das Thema Deutschland und Frankreich überhaupt stattgefunden hat, denn sie beweist, daß man nicht in allen Kreisen ein schlechtes Verhältnis zu Frankreich als ein un abänderliches geschichtliches Fatum ansieht. Vielmehr hat sich in der großen Oeffentlichkeit beider Länder seit einiger Zeit nicht nur ver einzelt die Ansicht herausgebildet, daß, wie im Leben der einzelnen, so auch im Leben der Völker alte Wunden vernarben können, und daß das auf wirtschaftlichen Gründen beruhende gegenseitige Friedensbedürfnis doch vielleicht dahin führen könne, eine Brücke zwischen den beiden feindlichen Nachbarn zu schlagen. In dem Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich liegt nach wie vor der Schlüssel zur Gruppierung der europäischen Mächte. In ihm wurzelt der Dreibund und die Tripel- Entente. Solange europäische Großmächte sich mit Recht darauf verlassen, in jedem Kampfe gegen Deutschland stets auf Frankreichs Hilfe zählen zu können, werden voraussichtlich alle unjere Bemühungen, zu einem vollen Einver nehmen mit denjenigen europäischen Staaten zu gelangen, mit welchen uns nicht der Selbst erhaltungstrieb als das realste aller Interessen verbindet, vergeblich sein. Gewiß können wir durch einen glücklichen Ausgang der deutsch-englischen Verhandlungen über Kleinasien und Zentralafrika unsere Be ziehungen zu England nicht unwesentlich ver bessern. Verständige englische Staatsmänner werden aber, wie die Dinge stehen, uns gegen über stets Frankreichs antideutsche Haltung bei ihren Plänen berücksichtigen und würden auf- horen auf realpolitischer Grundlage zu arbeiten, wenn sie darauf verzichteten, diesen Umstand uns gegenüber als Druckmittel zu verwerten. Und Rußland ist auf der anderen Seite seit dem Ende der traditionellen Freundschaft zu Deutsch land finanziell und politisch so einig mit Frank reich geworden, daß man bei uns hoffentlich jetzt emgesehen hat, wie zwecklos es ist, die so häufig unternommenen vergeblichen Versuche, dieses Band zu lockern, wieder aufzunehmen. So steht nach wie vor unser Verhältnis zu Frankreich im Mittelpunkt der europäischen Politik, und die Politiker, die sich nach einer Entspannung und nach einer Verminderung des durch die immer zunehmende militärische Rüstung verursachten finanziellen Druckes sehnen, sollten logischerweise ihre Bemühungen vor allem auf eine Aenderung der deutsch-fran zösischen Beziehungen richten. Zahlreiche Kreise veider Nationen werden die Richtigkeit dieser Tatsache zwar nicht bestreiten, dann aber die Hände in den Schoß legen, durchdrungen von dem Gefühl, daß hier doch nichts zu machen sei, daß eben das unabänderliche Fatum, von dem ich oben sprach, vorwalte. Und doch würde es eine Kulturtat von kaum absehbaren Folgen sein, wenn diese beiden hochzioilisierten Völker Kontinentaleuropas einmal den ernsthaften Versuch zu einer Verständigung machten. 2n den Reden im Deutschen Reichstag sind zwei Dinge mit Recht besonders hervorgchoben worden: zunächst die Tatsache, die man jenseits dar lirenD imrne? nicht recht glauben will, daß die weitüberunegende Mehrheit des deutschen Volkes feindliche Gesinnungen gegen Frankreich nicht hegt; es liegt dies ja auch nur in der Natur der Dinge, da wir bei der letzten großen kriegerischen Auseinandersetzung die Sieger ge blieben sind. Zweitens wurde aber darauf hln- gewiejen, daß wir auch Interessengegensätze in anderen Teilen der Welt mit Frankreich eigent lich nicht haben, sondern daß es in erster Linie Deutschland gewesen ist, das Frankreich bei seinen Bemühungen, sich ein großes Kolonial reich zu schaffen, unterstützt hat. Fürst Bismarck war bekanntlich der Ansicht, daß eine starke koloniale Betätigung Frankreich von den Re vanchegedanken abziehen werde und hat jahr zehntelang danach gehandelt. Daß die Fran- zoien infolge dieser Haltung große Erfolge er zielt haben, ist unbestreitbar. Allerdings ist ihnen auch dieser oder jener Plan im Laufe der Zeiten mißglückt; aber nicht durch unsere Schuld. Wir hätten nichts dagegen gehabt, wenn die Franzosen 1882 die Engländer nicht allein in Aegypten gelassen hätten, und bei dem Faschoda-Konslikt waren unsere Sympathien sicherlich nicht gegen Frankreich gerichtet. Erst die Einverleibung Marokkos in das nord afrikanische Kolonralgebiet Frankreichs hat zu schweren Unstimmigkeiten geführt. Die Be weggründe unserer Regierung für diese etwas veränderte Stellungnahme sind einleuchtend. Es waren dies die Tatsache, daß unser bis heriges ruhiges Zusehen bei aller Vergrößerung französischer Kolonialmacht die antideutsche Haltung Frankreichs nicht nur nicht gemildert, sondern wie die Schaffung der Tripel-Entente bewies, nur gestärkt hatte, und dann der Umstand, daß es sich für das an Bevölkerung immer mehr wachsende Deutsche Reich schon längst als absolut notwendig heraus gestellt hatte, gegenüber fremden kolonialen Expansionen seinerseits Kompensationen zu ver langen. Vielleicht wäre es richtiger gewesen (und manche Politiker haben auch, als die marokkanische Frage noch zur Entscheidung stand, diesen Standpunkt vertreten), Marokko voll ständig den Franzosen zu überlassen, um dafür an einer anderen Stelle der Welt, allerdings in wesentlich erheblicherem Maße als durch die Kongozipfel, entschädigt zu werden. Dadurch wären alle die immer wieder von neuem auf tretenden Schwierigkeiten vermieden worden. . . Muß nun aber, nachdem dies nicht geschehen ist, diese Reibungsflüche beständig aufrechter halten bleiben? Man sollte eigentlich meinen, daß es bei etwas gutem Willen beiden Regie rungen möglich sein dürfte, über diese Einzel fragen, die doch weder das deutsche noch das französische Lebensinteresse berühren, zu einer Verständigung zu gelangen. Dies wäre aber um so erwünschter, weil es ja bekanntlich sehr häufig relativ unbedeutende Angelegenheiten sind, die Deutschland und Frankreich gegen einander immer von neuem in den Harnisch bringen. Der Ausfall der Wahl in Frankreich hat ge zeigt, daß die große Mehrheit des französischen Volkes kriegerischen Tendenzen abhold ist. Kein ernsthafter Politiker wird aber glauben, daß deswegen auf einmal die politische Richtschnur in Paris oder Berlin irgendeine durchgreifende Aenderung erfahren werde. Dazu ist der Glaube an die historische Gegnerschaft zwischen Deutsch land und Frankreich viel zu sehr befestigt. Aber andererseits ist die öffentliche Meinung für die Gestaltung der gesamten internationalen Politik eine immer größere Macht geworden, und ihre Aufgabe mußte es sein, diesen fatalistischen Glauben zu zerstören. Ein positives Eifern gegen denselben wird allerdings wenig Aussicht aus Erfolg haben. Derartig festeingewurzelten Ideen kann nur langsam der Boden entzogen werden, am sichersten dadurch, daß man thn nicht immer von neuem künstlich düngt. Wenn in Deutschland und Frankreich ernsthafte und einflußreiche Politiker in größtmöglicher An zahl dafür sorgen würden, daß nicht hüben wie drüben jeder Zwischenfall oder jede Meinungs verschiedenheit in unnötiger, und zwar häufig in hetzerischer Weise aufgebauscht wird, so kann bei dem Fehlen realer Gegensätze dadurch auf die Dauer das zurzeit noch Unwahrscheinlichste Ereignis werden. Man kann ein noch so großer Skeptiker in dieser Frage sein und wird dock die hierauf gerichteten Bestrebungen des in diesen Tagen in Basel zusammentretenden deutsch-fran zösischen Verständigungskomitees nur sympathisch begrüßen können. Denn nur in einer solchen ruhigen und beruhigenden Arbeit besteht die Möglichkeit, die Erkenntnis der tat sächlichen Interessen beider Nationen wirksam werden zu lassen; und diese muß dahin führen, daß der ewige gegenseitige Hader am letzten Ende nur anderen zum Nutzen dient und daß ein großer Krieg doch ein zu gewaltiges Risiko darstellt, um die Entscheidung über die Not wendigkeit eines solchen mehr oder weniger in die Hände anderer Staaten und deren Inter essen zu legen. Das ist aber der Fall, solange die ganze Welt bei politischen Zukunftskalku lationen die Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich als sichersten Faktor einzustellen in der Lage ist. Herr v. LoebeU im Herrenhaufe. Stimmungsbild aus dem preußischen Herrenhause. G Berlin, 27. Mai. Herr von Loebell hat dem Charakterbild, das er vor 1'/, Wochen von sich im preußischen Abgeord- netenhause entworfen hatte, heute in der Herren kurie noch ein paar bezeichnende Striche beigefügt. Der Schilderung, die allzugeschäs- ze Hände bei seinem Amtsantritt von ihm geliefert hatten, ist er freilich dadurch nicht ähnlicher geworden; weit eher erinnerte das, was er heute vortrug, an die Reden, die er ehedem als Landrat von Rathenow als konser vativer Abgeordneter im Reichstage zu halten pflegte. Aber man weiß nun einigermaßen, woran man ist, und die Erkenntnis deßen, was ist, hat auch in der Politik, wo nichts so sehr schadet, als Träume und Phantasien, schließlich ihren Wert. Man war im Herrenhaus heute bet der Fortsetzung der Etatsbe ratung, und da das Herrenhaus die schnelle Arbeit liebt, war man sozusagen im Handumdrehen mit der Generaldebatte fertig. Sie war an sich nicht son derlich belangreich. Der erste Sprecher war der Freiherr von Richthofen-Dahmsdorf. Den hieß man, als er noch Reichstagsabgeordneter war, den „alten Herrn von Richthofen". Er ist in zwischen natürlich nicht jünger geworden, und seine Reden wurden entsprechend schwächer, so schwach, daß der alte Herr es fertig brachte, mit Befriedigung von „besser gewordenen Verhältnissen" zu Rußland zu sprechen. Was er im übrigen er zählte, waren im wesentlichen die Klagen über den Wehrbeitrag und die Reichsvermögenssteucr, die er nach dem herkömmlichen Sprachgebrauch einen „Eingriff in die Steuerhoheit der Einzel staaten" nannte. Dann wurde der Kriegs minister belobt, dieweil er an der Kommandogewalt des Kaisers nicht rütteln lasse und auch Herr von Dallwitz erhielt den verdienten Dank. Und nun war Herr von Richthofen bei dem jetzigen Minister des Innern angekommen, dem er die Aufgabe zuwies, dem Terrorismus der Sozialdemokraten energisch entgegenzuwirken. Das war das eine Stichwort für den neuen Herrn. Das andere lieferte der Herzog von Trachenberg, der dem Bedauern Ausdruck gab, daß neuerdings die bürgerlichen Parteien so ost mit der Sozialdemokratie zusammcngingen (nebenbei aber auch den Herren: der äußer sten Rechten die weitere Pille verabreichte sie hätten durch die Ablehnung der Bülowschen Deszen dentensteuer den sogen Eingriff in die einzelstaatliche Steuerhoheit selbst heraufbeschworen.s Run erhob sich Herr von Loebell, um sich dem Hause oorzustellen. Er wiederholte den Satz von neulich, der ihm besonders gefallen haben muß: daß ein preußischer Minister kein Programm haben dürfe. Aber dann entwarf er doch etwas wie ein Programm: er tat der Mehrheit der um ihn Versammelten den Gefallen, zu versichern, daß die Belastung durch die Sozialpolitik überaus hoch, vielleicht kaum noch er schwingbar geworden sei; er gelobte, ausländischen Agitatoren in der Nordmark mit aller Energie entgegenzutreten und wandte sich zum Schluß den von Herrn von Richthofen aujgerührten Klagen über den sozialdemokratischen Terrorismus zu. Herr von Loebell will das Werk des Herrn von Dallwitz fortsetzen, indem er durch Polizei verordnungen den -Streitbedrohungen entgegenzu arbeiten gedenkt. Im übrigen wies Herr von Loebell — darin wird man ihm nicht ganz unrecht geben dürfen — den Hauptherd der sozialdemokratischen Agitation den Fabriken und Werkstätten zu, wo der Mann vom Mann bearbeitet und je nachdem auch bedroht und gezwungen wird. Gegen diese Art von Agitation und Terrorismus aber, meint der Minister, gebe es kein Mittel, das eher Erfolg verhieße, als der Widerstand der Unternehmer selbst und. im weiteren Sinne, das Zusammenstehen aller bürgerlichen Elemente. Darin war gewiß manches an sich nicht unzutreffend. Aber in dem Ton, in dem Herr von Loebell das jagte, war etwas, was miß fallen mußte, vornehmlich das eine, daß Herr von LoebeU ausschließlich von Abwehrmaßregeln zu berichten wußte, kein Wort aber über positive Maß nahmen verriet. Die Wahlreform hätte in dem Programm, das Herr von Loebell den preußischen Herren entwickelte, keine Statt. Er will nur der Minister für die Sammlung sein: und noch ein anderer Satz fiel in seiner Rede auf und mußte dem geschärften Ohr auffallen: die, wie es scheint, für dieccht preußischen Herzen bestimmte Ankündigung, er wolle bemüht fein, die Interessen des Deutschen Reichs nach Kräften zu fördern, „soweit das Interesse Preußens es zuläßt". „Soweit!" Wir haben bis lang immer geglaubt, daß die Interessen von Reich und Einzelstaaten unlöslich miteinanoer verbunden seien. Was an Herrn von Loebells Rede sich dann noch anschloß, verdient kaum, besonders hervorgehoben zu werden. Graf Mirbach, der auf feinen heimischen ostpreußischen Gütern immer mehr zum Sonderling geworden ist, erklärte kurz und bündig, nur durch eine rücksichtslose Revision der sozialpolitischen und Steuergesetzgebung lei die sozialdemokratische Agitation zu bekämpfen, und der Freiherr von Vissing schalt scharf auf die im Reichstag beim Kaijerhoch sitzengebliebenen So zialdemokraten. Daneben ging noch eine Aus einandersetzung über die preußischen Staatsfinanzen, an der Herr von Gwin ne r und Herr von Rhein baben, der frühere Finanzminister, teilnahmen. Sie war an sich wertvoller und lehrreicher als die ganze Umsturzdebatte Aber außerhalb Preußens wird man sich kaum stark für sie interessieren. Ein« Zriedensrede -es Grafen Posa-owfkp. Bei dem Festmahl, das die in Deutschland weilenden englischen Arbeiter und An- gestellten ihren deutschen Gastgebern znm Abschied gaben, hielt Graf Posadowsky eine Ansprache in englischer Sprache, worin er seine Auffassung der Bölkerbeziehungen in gewinnen der Form zum Ausdruck brachte. Der Wortlaut ist uns freundlicherweise übermittelt worden, und wir lassen die llebersehnng hier folgen: „Ak eine Damen und Herren! Sic sind zu uns herübergekommen. um Ihr Interesse und Ihr Wohlwollen für Deutschlands Land und Volk zu zeigen, um Ihren freundschaftlichen Gefühlen für unsere Ration Ausdruck zu geben, und das zu einer Zeit, in der wir gewohnt sind, täglich in der euro päischen Presse zu lesen, wie verdrießlich sich die po litischen Verhältnisse entwickeln. Von diesem. Ge sichtspunkt aus betrachtet, scheint mir unsere Zu sammenkunft eine höchst erfreuliche Tatsache zu fein. In früheren Zeiten hörte man den Kriegslärm nur zeitweise nach langen Zwischenräumen eines ge sicherten Friedens: heutzutage ist der Kricgsschrecken ein chronisches Uebel geworden. Jeder Tag lehrt uns, wie gefährlich die politischen Verhältnisse, wie groß die Spannung zwiscizen den Großmächten geworden ist, wie nahe wir der Möglichkeit kriegerischer Ereignisse gegcnübcrstehen. Lese ich das, so muß ich mich immer fragen: Wer und wo sind die unheilbringen den Bösewichte, die die Figur dieses schwarzen Ge spenstes an die Hausmauern eines werktätigen, fricdenliebenden Volkes malen? Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen großen Handclsnationen sind so mannigfaltig, so miteinander verbunden, unsere ganze wirtschaftliche Produktion ist auf so feinen, finanziellen Unterlagen aufgebaut, daß jeder Krieg zwischen diesen großen Handels nationen notwendig sehr ernste Folgen für weit- Kreise lxider Teile, den siegenden wie den geschlage nen zugleich, mit sich bringen würde. Alle gesitteten Völker stellen heute eine Art eines großen wirtschaft lichen Machtbereichs dar; wer daher die Gewässer innerhalb dieses Bereiches beunruhigt, wird immer seinen eigenen Fischfang stören. Und was die be siegte Nation anbelangt? Ein großes volkreiches Land kann nie auf längere Zeit zu einem Nichts herabgedriickt lverdcn: Nationen, das lehrt uns die Geschichte, sterben schwer, und gesunde, intelligente, fleißige Völker werden immer zu ueuem Leben er wachen. Ich wünschte, diese Einsicht könnte all denen ekngeträufelt werden, die für ihre Pläne und Ge schäft« stetige Friedenszeiten wünschen. Welch ein Segen- daß ganz von selbst aus den Tiefen des Volksbewußtseins der sehnsüchtige Ruf nach Waffenstillstand in dem ewigen Streit erschallt, nach freundschaftlichem Verständnis, nach gemein samer nützlicher Arbeit für den wirtschaftlichen und menschlichen Fortschritt. Und deshalb freuen wir uns, daß Sie herübergckommen sind, zum Zeichen internationaler, gemeinsamer Gesinnung." Die Wirren in Albanien. Wie in Wien und Rom, so hat auch in Berlin die Rede San Giulianos hauptsächlich durch ihren österreichfreundlich.'n Ton einen guten Eindruck her vorgerufen. Die zeitweilig geplante Intervention der Mächte ist, wie an zuständiger Berliner Stelle verlautet, aufgegcben worden, doch wird nach wie vor darüber verhandelt, ob nicht eine inter nationale Truppen macht nach Durazzo verlegt werden soll. Nach den neuesten Meldungen wird es immer offensichtlicher, daß cs bei dem Auf stande sich um eine lang vorbereitete Bewe gung gehandelt hat, deren Leiter sich in Tirana be fanden. Die Aufständischen haben nunmehr der Kontrollkommission ihre Wünsche in einer Zuschrift dargelegt, die in der Hauptsache die bereits bekannten Forderungen darstellcn. Folgende Drahtmclduugen liegen vor: Die Zusammensetzung der Aufständischen. Durazzo, 27. Mai. (Wiener k. k. Tel.-Korr.» Bureau.) Nach übereinstimmenden Berichten der in Schiak gefangen gewesenen Fremden rekrutieren sich die Aufständischen aus Kroja, Tirana, Schiak, Pekini und Kawaja. Die eigentlichen Leiter der Bewegung, die sich in Tirana aufhalten, blieben unsichtbar. Die Gefangenen konn ten seststcllen, daß sich unter den Aufständischen fünf zehn besser gekleidete Türken befinden. Ebenso sahen sie guteingerichtete Offiziersmenagen, jedoch keine Offiziere. Auch katholische Dörfer nehmen an der Bewegung teil. Nach Kawaja sind 7VÜ re gierungstreue Albanesen im Anmarsch. Die Kontrollkommission begibt sich morgen dorthin. Unter den Aufständischen befinden sich solche, die zum Fürsten halten. Eine andere kleine Partei erklärt sich für den Sultan; die Mehrzahl ist unent schlossen. Es wird immer klarer, daß es sich um eine lange vorbereitete, unter Ausnutzung verschie dener lokaler Unzufriedenheiten großgezogene Bewe gung handelt, deren Anstifter bald Farbe bekenne« werden. Die Wünsche der Aufständischen. Durazzo, 27. Mac Die Aufständischen haben an die Kontrollkommission eine Zuschrift gerichtet, in der sie als Zweck der Volksbewegung folgende Wünsche ansühren: 1. Der Souverän Albaniens möge den Reli gionsunterricht, der die Grundlage unsere; Glaubens ist, heben. 2. Die Persönlichteiten, denen der Souverän die Regiernngsgcwalt übertragen hat, sind Leute, die seit langem die Bevölkerung verfolgten und.noch oer- solgen. Während wir dieses unser einziges Ziel aus- einandcrsetzcn wollten, sandte die Regierung-gegen un» Kanonen und erschütterte dadurch unsere Sicher heit und unser Vertrauen. Infolgedessen wünschen wir die Herrschaft und Verwaltung des
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