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Sächsische Dvlkszeilung Nummer 188 H August London beobachlek Berlin Lehren der englischen Demokratie (Von unserem Mitarbeiter.) I.. U. London, im August. Die deutschen Wahlen fanden naturgemäß starkes Interesse in England. Da man weiß, daß ihr Ausgang von größerer Wichtigkeit für die deutsche Innenpolitik als sür die deutsche Außenpolitik ist, da man serner in Lausanne die Erfahrung ge macht hat, daß eine deutsche Rechtsregierung viel eher und leichter kleinzukriegen ist als der hartnäckige und zielsichere Brüning, betrachtet man mit Neugierde, aber nicht mit Aengst- lichkeit die deutsche Entwicklung, wie sie seit dem Sturze Brü nings einsehte. Hitler wird als das betrachtet, rvas er ist: als Werkzeug des klügeren Generals von Schleichet. Das englische Publikum hat eine feinere Witterung sür den echten Politiker und für den theatralischen Demagogen. Es mißt beide an ihrem öffent lichen Auftreten, wie sie überzeugen und überreden können. Dem kühlen Engländer geht aber selbst die sprühende Bered samkeit des Wallisers Lloyd George auf die Nerven. Er will durch Argumente, durch Für und Wider gewonnen sein. Eine dem Empfinden und dem Verstände der breiten Volks schichten angepaßte Argumentation machte bei den letzten Wahlen tausend- und millionenfach aus den Labourleuten und Liberalen Anhänger der sog. nationalen Konzentration, be kehrte in den letzten sechs Monaten scharenweise Freihändler zu Schutzzöllnern. Die vernünftig« Rede, die einleuchtende Beweisführung und die selbstverständlick>e Annahme, daß auch der schärfste politische Gegner ein Brite ist, halten alle di« Uebcrtreibungen, die Theatralik und Aufmachung, mit der in Deutschland von politisch jungen und unerfahrenen Gruppen Politik betrieben wird, aus der Öffentlichkeit fern. Dafür spielt hier ein anderer Faktor eine große Rolle: der Witz, die Karikatur. Kann man sich vorstellen, daß etwa eine deutsch nationale Zeitung eure witzige und gelungene Karikatur ihres Parteisllhrers Hugenberg bringt, wenn er einen seiner bekann ten Mißerfolge einzustccken hat, oder daß der klein« Goebbels eine wirklich witzige Wendung über seine sozialistischen und marxistischen Gegner fände, ohne dabei in hysterisches Kreischen und Schimpfen zu verfallen? Das nämliche gilt, wenn auch in abgcschwächtem Maße, sür die meisten anderen Parteien, Es fehlt im deutschen Partcileben und in der deutschen voli- tischen Oefsentlichkeit die entwaffnende Leichtigkeit des Tones und des Verkehrs, die Selbstverständlichkeit, auch im schärfsten sachlichen Gegner den Deutschen zu sehen, und die Naivität, sich selbst, was man ist und kann und darstellt, dem Gerichte der Oefsentlichkeit zu unterstellen. Wieviel Augenweide und wie viel Ohrenschmaus wird den deutschen Wählern verabreicht, bis etwa Hitler zu den Massen redet. Und warum spricht Hitler nicht im Rundsunk? Die englischen Zeitungen zerbachcn sich darüber den Kopf und fanden dann als richtige Lösung, daß der von Gefühlen und Wünschen der Massen lebende Redner Adolf Hitler seinen Anhängern vor dem einsamen Mikrophon die herbste Enttäuschung bereiten würde, weil dann auch viele seiner Anhänger die I n h a l t l osi g ke i t und Armut seiner Rede erkennen würden. Für die zukünftige Entwicklung in Deutschland wird vor allem Brüning und seiner Politik eine entscheidende Rolle zugeschrieben. Di« „Times" zitiert die Aeußerungen aus seiner Berliner Rede, daß vor 1930 in Deutschland ein übertriebener Parlamentarismus herrscht«, daß es aber für die Zukunft darauf ankomme, eine vernünftige autoritäre Demokrat« herauszu bilden, da es auf die Dauer in Deutschland nicht möglich sei, gegen die Mehrheit des Volkes zu regieren. Die „Times" fügt hinzu, daß Brüning mit dem letzten Satze dem Denken und Fühlen der deutschen Oefsentlichkeit viel näher stehe als sein Nachfolger, Reichskanzler von Papen. Sir Walter Layton, der als englischer Sachverständiger auf der Lausanner Konferenz eine einflußreiche Rolle spielt« und als einer der besten Kenner der deutschen und der europäischen Wirtschafte- und Finanz probleme gilt, kam auf einem Vortrag in Oxford in der Libe ral Summer School auch auf die deutschen Wahlen zu sprechen und meint«, das Gesamtergebnis sei gut, wenn auch nur in einem negativen Sinn, da es den extremen Parteien an einer Majorität sehle und somit staatspolitische, wirtschaftliche und finanzielle Experimente ausgeschlossen seien. Laytons Mei nung gibt wohl das englische Eesamturtell gut wieder. Man wünscht Deutschland eine ruhige und friedliche Entwicklung, um die Möglichkeiten des Aufstiegs, die seit Lausanne zu einem gewissen Grade vorbereitet sind, allmählich auszunutzen. Spricht man privat mit Engländern, dann kann man jetzt eher Verständnis dafür finden, wenn man sagt, daß die Radikali sierung nach links und rechts ein Ergebnis der französischen und — lange Zeit hindurch — auch von England unterstützten Re- paratiocispolittk ist. Die meisten Engländer sttimmen dem zu. Japans Schuld festgestellt? Der vorläufige Bericht des Mandschureiauoschusse». London, 10. Accgust. Nach einer Meldung des „Daily Expreß" au» Washington soll der vorläufige Bericht der Mandschureiaus- schusies des Völkerbundes feststen«», daß Japan sich in 1» Punkten schuldig gemacht habe. Die japanischen mili tärischen Stellen hätten absichtlich und nach genauer vorheriger Vorbereitung die Feindseligkeiten begonnen. Der Bericht, daß die Kämpfe wegen der Zerstörung einer Eisenbahnbrück« be gonnen hätten, sei nicht zntressend, da der Ausschuß auch nicht den geringsten Anhaltspunkt für einen derartigen Anschlag ge sunden habe. Wahrscheinlich habe sich die Explosion überhaupt niemals ereignet. Ein großer Teil der japanischen Beamten in der Mandschurei sei ihrer Ausgabe nicht gewachsen. Japan tragt die Hauptschuld an den Unruhen in der Mandschurei, obwohl zugegeben werden müsse, daß die mandschurische Regierung Schwäche und Unfähigkeit gezcigt habe. * Ausgabe von Seipel-Marken in Oesterreich. Unter de» im Herbst erscheinenden österreichischen Wohltätigl. itsmarke« befindet sich auch eine Seipel-Marke zum Gedenke» de» Altbundeskanzlers. Der Nennwert dieser Marke beträgt so Erofchen, der Berkaufswert 1 Schilling. ' l Zwischen Bolschewismus und Faschismus Don Dr. Smil van den Boom, M.-Gladbach Der gewaltige Widerhall, den das ^veltrundschrciven Papst Pius' Xl. über die gesellschaftliche Ordnung innerhalb der kurzen Zeit eines Jahres gefunden hat, ist ein lebendiger Beweis dafür, wie sehr die hier nieder gelegten lsiedankengnnge und Forderungen den inneren Be dürfnissen der nach Glück und Frieden lechzenden Mensch heit entsprechen. Und ihre Verwirklichung wird bei uns um so dringlicher, je stärker Bolschewismus und Faschis mus, an deren Stelle die berufsständische Ordnung in un- sctcm Sinne Platz greifen soll, bei den jüngsten Reichstags wahlen zahlenmäßig sich erwiesen haben, allerdings aus der Not einer Zeit heraus, die wie kaum eine zuvor anor mal den Strömungen des Radikalismus günstig ist. Auch die deutsche Wirtschaft beschäftigt sich mit den einschlägigen Problemen in wach sendem Matze, er Die Neuordnung von Staat, Wirtschaft und Gesell schaft bedeutet Sozial r ef or m und greift als solche wett über die bisherige Sozialpolitik hinaus. Dabei soll nicht im geringsten unterschätzt werden, was die insbeson dere auch vom deutschen Katholizismus seit Jahrzehnten geforderte und vorangetragene Sozialpolitik für die Ge staltung des Lebensschicksals der Arbeitnehmerschaft sowie der gesamten Gesellschaft bedeutet, Im Gegenteil! Dio Auswirkungen dieser Sozialpolitik wa ren außerordentlich weitreichend. Indem sie als Arbeiterschutz und -Versicherung Leben und Gesund heit des einzelnen sicherte, half sie zugleich mit. die Volks kraft zu erhalten und möglichst noch weiter zu steigern. Ohne die durch die soziale Staats- und Selbsthilfe in Gestalt der v-emeinschastsbewegung in ihren Existenzbedingungen ge schützte, cmporgehobene und zu geistig-sittlicher Entfaltung geführte Arbeiterschaft hätte die deutsche Wirtschaft nie mals vor dem Krieg ihren einst ungeahnten Siegeszug autreten und vollbringen, Hütte das deutsche Volk die Probe eines Weltkrieges schwerlich in dem Maße, wie es tatsäch lich der Fall war, bestellen können, wäre die revo lutionäre Sozialdemokratie niemals in die Bahn der Evolution mit dem Be kenntnis zu Volksstaat und Volkswirt schaft gedrängt worden. * Ist für den Stand und den Umfang der Sozial pol i t i k entscheidend der Lebensbercich und die Gestalt der Wirtschaft, so drängt die heutige Wirtschaft zur Sozial- refor m. Es ist die Vermacht» n g. von der das Welt rundschreiben spricht, die die Sozialpolitik als solche nicht mehr genügen läßt, sondern die Sozialreform gebieterisch fordert. Es ist jene Konzern- und Trustbildung — national und international —, von dem es in dem Rundschreiben heißt: „In die Augen springt, daß in unserer Zeit nicht nur Reichtümer aufgehäuft werden und Kapital entsteht, son dern das; eine ungeheure Macht und despotische Herrsch gewalt über die Wirtschaft sich zusammenballt bei wenigen Menschen, die meistens nicht Eigentümer, sondern Hüter und Verwalter des hinterlegten Kapitals sind, über das sie nach Lust und Laune verfügen. Das gilt vor allem von den Finanzgewaltigcn, die mit dem Kredit das Lebens element der Wirtschaft unter ihrer Faust haben, daß gegen ihren Willen niemand atmen kann. Aus der schranken losen freien Konkurrenz, welche nur die Stärksten am Leben läßt, die ost die gcwissenslosesten Gewaltmenschen sind, ent stand diese Macht- und Krastzusammenballnng." — Dabei ist zu bemerken, daß diese Worte nicht nur zutresfen sür die gewaltigen Wirtschaftsgebilde des letzten Jahrzehnts, sondern auch für die großen Wirtschaftsverbände, insbeson dere dann, wenn sie einen Klassenkampfcharakler tragen und die einseitige Formung der Wirtschaft nicht zuletzt auch nach politischen Tendenzen sich zum Ziel setzen. Die ne ne Ordnung in unserem Sinne verwirst die Klasse, den Widerstreit der Parteien des Arbeits marktes und will den Verufsstand. Die gemeinsame Arbeit zur Deckung des Güterbedarss des Wirtschafts volkes ist das Entscheidende. In den Berufsständen sind alle Angehörigen der gleichen wirtschaftlichen Funktion zu- Polizisien durchsuchen einen Radfahrer. lieber IS00 Beamt« der Hamburger Polizei durchsuchten überraschend in einer großangclcaten Aktion den berüchtigten llnniheherd der Alt-Stadt von Hamburg, das Käiige-Vicrtel, wobei zahlreiche Waffen gefunden und über S0 Verhaftungen vorgcuommen wurden. sainmengefaßt, Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer. Das Einheitsprinzip ist die immer und überall — auch in der Klassengesellschaft — notwendige Zusammenarbeit an einer bestimmten qualitativ einheitlichen Leistung, die als Teil der gesellschaftlichen Gesamtleistung in das Gemeinwohl cingeht. Diese Stände aber regel» ihre Angelegenheiten als Selbstverwallnngskörpcr eigenen Rechtes genossenschaft lich. Insbesondere sollen sie so in den Stand gesetzt wer den, auf Grund ihres autonomen öffentlichen Selbstverwal tungsrechts den größten Teil der bisher, mangels einer anderen Stelle, vom Staat zentralistisch durchgesiihrten So zialpolitik zu übernehmen. Durch diesen Aufbau des Wirt- schaflsvolkes soll nicht zuletzt auch die Freiheit der Person gesichert werden gegenüber den Kräften konzentrierter K a p i t a l g c w a l t e n und dem totalen Planstaat des Sozialis- »i u s o d e r d e in absoluten P o l i z e i st a a t des Faschismus. — Dies« Unterschiede zwischen den ein zelnen Strömungen zur b.erufsstündijchen Ordnung hin ver dienen scharf ins Auge gefaßt zu werde», seitdem neuer dings auch die Organisationen des Unternehmertums, so weit sie die deutsche Wirtschaft präsentieren, damit anfan- gen, sich eingehender mit den Problemen der berufsstündi- schen Ordnung zu befassen. * Denn ein wesentlicher Teil dieser Organisationen wird durch die neue berufsständische Ordnung auf das engste be rührt, sei es, daß in ihnen bereits gewisse Ansätze zu einer solchen Neuordnung enthalten sind, fei es, daß sie nach dieser Richtung hin selbst in Zukunft umzubilden sind. Die bezüglichen Erörterungen haben jedoch den Fehler, daß sie für gewöhnlich sich auf eine Schilderung der Strö mungen, die auf eine bernfsständifche Ordnung hinziele», beschränken bzw. speziell auch den Vorschlägen Pius' Xl. gegenüber eine starke Zurückhaltung üben. Unseres Er achtens zu Unrecht. Wäre es nicht zweckdienlicher und auch grundsätzlich klüger, bei den Besprechungen den Mahnun gen zu folgen, die vor kurzem auf einer Sitzung des Hauptausschusses des Reichsverbandes der deutsche» In dustrie, dessen Prüsidialmitglied Clemens Lammers in einem sehr lesenswerten Referat über den berufsständi- schen Staat an seine Zuhörerschaft richtete und die da lau ten: „Auf die mehr formale Seite der gedachten berufs ständischen Ordnung habe ich gleich noch einzugchen. Sie erscheint mir von mindeMU Belang. Wertvoller ist es, darüber nachzudenksckjiWMe wir wirtschaftenden Menschen ourch unfe re innere Einstellung und unser praktisches Handeln dazu bei trag en können, jener Fülle geistigen Le bens schon unter der heutigen Wirt schaf 1 s f o r m z u m s i ch t b a r c n A u s d r u ck z n v e r - helfen, die sich vielerorts regt und deren Gläubigkeit Der 'Reichspräsident begibt sich »ach der Ankunft aus dem Berliner Bahnhof Friedrichstraße in sein Automobil. Erfüllung finden muß, wenn vertrauendes Aufbauen wie« Verkehren soll. Es muß uns gleichgültig sein, welche politi schen Richtungen, welche Organisationen und geistigen Zen tren die verschiedenen Gesichtspunkte herausarbcitcn. Wir sollen vernehmen, verstehen und Mitarbeiten. Und wo wir anerkennen, da geschehe es nicht aus Zweckmäßigkeit, sondern um unserer eige nen Verantwortung halber." Es hat sich in der Geschichte der deutschen Sozialbewe- gung und der Sozialpolitik als ein großer Rachteil erwiesen, wenn Schritte oder Einrichtungen weit hinausgezogen wurden, die später doch getan oder getroffen werden muß ten. Diejenigen Kreise der Wirtschaft aber, die da glau ben, das Problem der bernfsstündischen Ordnung am besten, entspreck)«nd den Gedanken des Nationalsozialismus, lösen zu sollen, sollten eines nicht vergessen, daß heute der Faschismus die absolute Diktatur be deutet, die der Freiheitdes Gei st es und gerade der im Augenblick wieder gefor derten Freiheit der Wirtschaft brulal ein Ende mach t.