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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.11.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-11-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111115010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911111501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911111501
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-11
- Tag 1911-11-15
-
Monat
1911-11
-
Jahr
1911
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vss Klsrakkll-Mkllmmen : m üer Suügetkommitlion. Im weiteren Verlaufe der Beratungen, über die wir dereits in der gestrigen Abendausgabe be richtet haben, bemerkte Staatssekretär v. Kiderlen- Wächter, das, ein französijck)es Eelbbuch über das deutsch-französische Abkommen bisher nicht ver- öffentlicht worden sei. Ob die deutsche Regierung ein Wcihbuch vorlegen werde, vermöge er nicht zu sagen. Das Material dazu würoe sehr mager sein, denn die Verhandlungen seien mündlich geführt worden. Vielleicht werde später eine Denkschrift und historische Darstellung der Verhandlungen ge geben werden. Ein nativ nallibcraler Redner leitete daraus, dass im Maroktoabkommcn Frankreich für die Zukunst das Recht beliebiger Erhöhung der marok kanischen Zölle, allerdings unter Wahrung des Meistbegünstigungsrechts, zugesianden wird, die For derung ab, dass das Abkommen dem Reichs tag zur Genehmigung unterstände. Vom Vorsitzenden der Kommission wurde die Debatte mit der Mitteilung unterbrochen, der Staatssekretär des Auswärtigen Amts habe ihn ge beten, der Kommission belanntzugcbcn, das; das F u s i o n s a d l o m m e n der (Leb rüder Man nesmann mit dem französischen Interessenten zu- standegekommcn sei. Ebenso teilte der Vorsitzende ein Telegramm der (Leb rüder Mannesmann an ein Mitglied der Kommission mit, in dem sie ihrer Befriedigung über den Abschluss des Abkommens Ausdruck geben und die energische und taktvolle Un terstützung des deutschen Botschafters 'n Paris, Freiherrn von Schoen, hervorheben. Staatssekretär des Reichsjustizanns Dr. Lisco be gründete darauf noch einmal durch cingch-noe stilistische Darlegungen den Standpunkt der Re gierung. Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt Dr. Kriege ergänzte diese Erklärungen und be tonte, die deutsche Konsulargerichtsbarkeit in Ma rokko sei keineswegs aufgehoben. Sollte es in Zu kunft dahinkommcn, so sei selbstverständlich die Zu stimmung von Bundesrat nnd Reichstag erforderlich. Ein Sozialdemokrat meinte, die Bestimmungen der Verfassung und die bestehenden Gesetze ver böten doch wenigstens nicht, die Genehmigung des Reichstages zu erfordern. Ein Redner der Fortschrittlichen Volkspartei er klärte: Wir brauchen unserseits die Politik des Herrn Reichskanzlers nicht zu unterstützen, im anderen Falle würde ich geraten haben: legen sie das Abkom- men zur Genehmigung vor. Rach der suristisch-staatsrcchtlichen Debatte wies «in nationallideraler Abgeordneter, nachdem er auf die politischen Konsequenzen der ev. Annahme des Antrags Basic rmann aufmerksam gemacht hatte, darauf hin. das; es ein Alt politischer Klugheit sei, wenn der Reichskanzler den Reichstag nachträg lich nm seine Genehmigung zu dem Abkom men ersuchen würde. Staatssekretär Delbrück er klärte, er hege die Auffassung, daß die Mitwirkung der gesetzgebenden Faktoren nicht erforderlich sei. Der Vertrag gelte ohne Genehmigung des Reichstags nach autzcn hin. Es sei zu überlegen, ob cs ratsam sei, dem nationalliberalen Antrag« zuzustimmen, der für die Zukunft einen Konflikt mit unabsehbaren Folgen herbcisübren könne. Ein nationalliberaler Redner bemerkte zum Schlust, dast er mit seinen Freunden einen solchen Konflikt nicht wünsche, son- derir-nur das Recht Les R e «-.«ahe-n wolle. Daraus vertagte sich die Kommission. Spanien und Las Marokko-Abkommen. Nachdem zwischen Deutschland und Frankreich e- »u einer Regelung der Verhältnisse in Afrika ge kommen ist, handelt eS sich nunmehr noch darum, auch mit der dritten dabei interessierten Macht, mit Spanien, ein Einverständnis herbcizusühren. Zwischen Deutschland und Spanien dürfte das weni ger Schwierigkeiten bereiten, und haben auch die Verhandlungen darüber »wiscl>cn beiden Mächten bereits begonnen; nach allem, was biS jetzt darüber verlautet, dürste Deutschland dabei seine Wünscl)« erfüllt sehen. Beginn der deutsch-spanischen Verhandlungen? 0. Madrid, 14. November. Nach einem Tele gramm der „Franks. Ztg." toird eine längere Unter redung, die am Mittwoch der deutsche Botschafter Prinz Ratibvr mit dem spanischen Minister des Acußern hatte, trotz amtlicl;er Ableugnung, mit der Frage der Abtretung der spanischen Kolonie Rio Muni in Zusammenhang gebracht. Rio Muni grenzt südlich an Deutsch-Kamerun. Hoffentlich bestätigt cs sich auch, daß die spanische Insel Fernando Po, die Deutsch-Kamerun gczen- überliegt, an unS fallen soll. Schon früher wurde ««gedeutet, dast die Entschädigung, die Spanien verlange, ihm nicht von Deutschland, sondern von Frankreich zu leisten ist. Schwieriger scheinen sich die Verhältnisse zwischen Frankreich und Spanien zu gestalten. Die Basis der französisch-spanischen Marokko verhandlungen. Paris, 14. November. (Eig. Drahtmeldung.) „Eclair" veröffentlicht heute die hauptsächlichsten Punkte der Antwort, die Frankreich der spanischen Negierung bezüglich Marokkos zugcben lassen wird, nachdem es sich mit England darüber verständigt hat. Die Verletzung des Vertrages vom Jahre 1904, die sicb Spanien durch die Besetzung von Larrasch und Elksar hat zuschulden kommen lassen, genügt für Frankreich nicht, den Vertrag einfach für null und nichtig zu erklären. Die Verhandlungen sollen den Zweck haben, das Gleichgewicht des Geheim abkommens wieder hcrzustcllen. Frankreich wird Spanien den Beweis erbringen, daß. die spanische Regierung an die französische eine große Schuld ab zutragen hat, da Frankreich durch seine Kongo kompensationen an Deutschland Marokko von der deutschen Hypothek befreite. Spanien könnte als Ausgleich in Marokko höchstens ein Küstenstrich am Atlantischen Ozean angeboten werden, und zwar gerade in der Gegend von Larrasch und Elksar, da England fick biSl^r stets geweigert hat, seine Zu stimmung zu einer Besetzung der Mittelmecrküste Marokkos durch Frankreich zu geben. Damit nun Spanien ohne Verletzung seines Nationalstolzes Lar- rasch und Elksar an Frankreich abtrcten kann, ist Frankreich bereit, der spanischen Negierung zu ge statten, den ganzen übrigen Teil der spanischen Ein- flnßzone in Marokko einfach zu annektieren. TaS Blatt fügt zu diesen Ausführungen hinzu, daß diese Kompensationen für ein Volk, das cm Punkte der Ehre so empfindlich sei wie das spanische, hinlänglich ausreichend seien. Mas soll aber aus der Integrität des scherisiscl-en Reiches tvcrden, die dock durch die Algeciras-Aktc feierlich garantiert ist, wenn es tatsächlich zu diesen Verschiebungen in Marokko kommen sollte? Die Zultönüe im lranzölllchrn Ministerium Les Aeutzeren. I-. Pari», IS. November. ym Ministerium de» Auswärtigen ist nach Abschluß des deutsch-französischen Marokko-Ab kommens eine grimme Fehde entbrannt; nachdem sich Minister de Selbes vor der Kommission der auswärtigen und kolonialen Angelegenheiten durch seine Unkenntnis des wichtigsten Paris—Ma drider Tepcsck?en!vechsclS gründlich bloßgcstcllt hatte, suchen die ihm unterstellten Beamten nach alten möglick»cn Mitteln, um sich gegenseitig zu bekämp fen und unmöglich zu machen. Tie Pariser Presse ist angefüllt mit Attacken und Gegenattacken von politisch« und Kabiuetlsdirekloreu dcS Quai d'Orsay. Ter Direktor der politischen und kommerziellen An- gclegenhcitcn, Evmond Bapst, der de SelveS vor die parlamentarische Kommission begleitete und ebenfalls nichts von dem Dossier wußte, den der voransgegangene Minister des Auswärtigen, Grup pt, über den Protest Frankreichs gegen die spanische Böschung von Larrasch uno untsar ausgestellt barte, erhielt zwei Monate Urlaub, was dem unrühmlicicen Ende seiner langen Tiplomatcnkarrjere aleichkommt. Er entschuldigte seine Unkenntnis des Dossiers zu nächst nur daniit, daß er sich im Monat Juni, als Spanien sein Vorrücken nach Elksar notifizierte und Cruvpi dagegen Verwahrung einlegte, im Urlaub in Biarritz befand. Die Presse fragte, warum er nach seiner Rück kehr aus den Ferien nicht so viel Neugier bekundet habe, sich über die Ereignisse zu informieren, die sich während seiner Abwesenheit zugetragen und für die er als höchster Beamter unter dem Minister die Verantwortung trug. Jetzt geht Bapst von der Verteidigung zum Angriff über. 23aL man in weiteren politischen ^reisen schon längst wusste, wird öffentlich bestätigt: daß am Quai d'Orsay ein gro ßer Zwiesvalt herrschte und daß zweierlei Ein- slüsse unter oem Minister die auswärtige Politik Frankreicl)S in verschiedenen Richtungen zerrten. Neben dem Direktor der politischen Angelegenheiten, dem nach dec inneren Konstitution deS Ministeriums alle Akten unterbreitet tvcrden sollen, die von den Tienstzweigen auSgearbcitet werden, gab cZ den Ka- binettsdireltor des Ministers, Maurice Hcrbette, der sich mehr mit den internen Dingen befassen soll. Herbette, ein Sohn deS früheren Botschafters in Berlin, ist ein sehr liebenswürdiger und kluge: Herr, aber nach unserer Kenntnis keiner der deutsckp freundlichsten Diplomaten. Wenn während der Ma- rokkoverhandlunaeu unter Cruppi und de SelveS von einer „Politik Bapst" und einer „Politik Hcrbette" gesprochen wurde, so hastete der letzteren gewiß nicht der Verdacht an, Nachgiebigkeit gegenüber Berlin zu bekunden. Ter „Dem PS" eröffnete mit schwerem Geschütz die Attacke auf die Festung Herbette; das Blatt versickerte, daß die Maßregel gegen Bapst nicht auSreichc und daß die erste Untersuchung am Quai d'Orsay eine große Unordnung in den Atrributioneu der BurcauS ergeben habe. Tie nach Madrid ge sandten Telegramme wären nie in§ Bereich des Direktors der politischen Angelegenheiten gekommen, sondern von dem KabinettSdireltor gemeinsam mit dem Ehes deS Marokko-BureauS auSgcarbeitet wor den; eine Kontrolle über die mit Spanien geführten Verhandlungen habe nicht mehr bestanden. Hcrbette habe noch in anderer Weise seine Macht befugnisse überschritten. Als Botschafter JuleS Cam- bon Ende August nach Berlin zurücksuhr, in seinem Portefeuille tue Instruktionen, die in seiner Gegen wart von den Ministern Caillaur, de SelveS, Lebrun, Eruppi, Mcssimy und den Botschaftern Paul Cam- bon und Barröre ausgcarbeitet worden waren, be merkte er, daß der Text dieser Instruktionen nach träglich abgeändert worden war. Ans seine Klage erfuhr er, daß die Abänd. rungen das eigen mächtige Werk dcS KabinettsdirektorS waren, der be hauptete, da eS sich nicht um eiuen offizielle» Mi- nistcrratsbeschluß, sondern nur um die Weisungen einer offiziösen Konferenz handelte, habe ihm nichts Retuschen untersagt. Botschafter Cambon soll fick noch mehrmals über Widersprüche der vom Quai d'Orsay kommenden Instruktionen beklagt haben. Als letzten Vorwurf erinnerte der „Tcmps" an eine pessimistische Note, die vom Kabincttsdirektor ohne Wissen deü Min-sters an die Zeitungen gesandt wurde und die einen Börsenkrach herbcisuhrten. Hcrbette hat wegen dieser Anklagen eine Untersuchung gegen fick selbst beantragt; er dementiert, daß er an der Abfassung der Depeschen nach Madrid mitgearbeitet oder sie zurückgehalten hätte, daß er der Urheber der Veränderungen an den Instruktionen Eambons wäre; die pessimiftisck>c Note an die Presse wäre ihm voin Minister selbst diktiert worden. Schließlich gibt Herbette dem AuSlandS- redakteur des „Tempo", dem bekannten Herrn Tar- dieu, GesandtschaftSsekretär z. D, seinem geschwore nen Feinde, einen empsindlick»en Stoß, indem er fragt, ob man ihm auch vorwerse, beim Prozeß Maimon für Ausschluß der Oesfentlichkeit gesorgt zu haben. Maimon wurde bekanntlich mit dem lungen Diplomaten Nouet wegen Verrats von Aktenstücken zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Prozeßakten ergaben, daß Maimon mit Tardieu, dem Vertrauensmann der von Deutschland über nommenen N'Goko-Sangha-Gesellscbast, mit Maimon in regem Verkehr standl — Jaurös meint in der „Humanits": „Tas alles ist verblüffend und würde uns furchtbar demütigen, wenn nicht die Torheiten in der deutschen Burcaukcatie als „Konrpensation" gelten könnten . . * Paris, 14. November. (Eig. Drahtmeldung.) Einer Blättermeldung zufolge sollen mit der Un tersuchung der jüngsten Vorkommnisse im Mi nisterium des Auswärtigen die Botschafter Bar- rdre, LouiS und Gsrard beauftragt werden. Oie Revolution in China. Die Lage in Kanton ist, wie der „New Pork Herold" zu berichten weih, äußerst ernst. Während der beiden letzten Tage sind dort viele tausende Piraten angekonnnen, di« zum Schrecken der Ein. wohner der Stadt unter ihren Führern Luk-Lun- Ching und Li-Tang-Toung in der Stadt sengend und plündernd umherziehen. Die meisten von ihnen sind gut bewaffnet, und die, denen es an Waffen fehlt, überfallen Polizeiposten und fetzen sich in den Besitz ihrer Waffen. Die Piraten drohen die Stadt Siouknan am Pekiang anzugreifcn; als Grund für ihr Verhalten geben sie an, daß die Revolutionäre den ihnen versprochenen Sold nichr ausgezahlt haben. Die Konsuln haben den Fremden in der Umgebung der Stadt den dringenden Rat ge geben, sich umgehend in Sicherheit zu bringen. In Hounan und Futschou kam «s aus bisher noch Durch Mor-ch unö Ssüisen. Von Hans Bethge. t-Iüchtruct vcrbolcii.) Es gibt kaum eine Fahrt im nördlickxn Deutsch land, voll io köstlicher Stimmung der Ebene erfüllt, wie die Fahrt durch die Marschen Schleswig- Holsteins. Ich fahre über Itzehoe, Meldorf und Haide nach Husum. Gesättigt: Fluren, Wohlstand, wohin das Auge gebt. W:iden von seltener llcppigkeit, darauf das herrlichste Di.'h. Die einzelnen Be sitzungen sind durch Knicks voneinander getrennt, Pferde, Kübe, Schafe weiden beieinander. Das Land ist von schmalen, mit dem Meere verbundenen Kanälen durchzogen, auf denen still« Ewer treiben. Hier und da in der Ferne siehst du mitten im Lande ein Segel in Li« Höhe ragen, während die enge Wasserstraße d«m Auge verborgen bleibt, ein seil- sanier Eindruck, wenn du ein Fremdling in diesem Lande bist. Die Gehöfte stehen meistens vereinzelt. Ni«dersüchsische Bauernhäuser mit breitem Eingang zur Tenn«, strohgedeckt, aui dem Giebel noch häufig die gekreuzten, Heidnischen Pferdcköpfe. ' Die Gebäude sind aus roten Backsteinen ausgeführt, während das Fachwerk in lebhastzm Kontrast dazu mit grüner Farbe gestrichen ist. Uebcr dem Tennentor rst der Name des Besitzers und seiner Frau verzeichnet, darunter ein ehrwürdiger Spruch. Auf dem Dach ein Storchnest. Ein Brunnen mit riesigem Schwebe balken nahe bei dem Tor. Ein paar uralte Bäume, meist Eschen, aber auch Eichen oder Linden, verstreuen ihren Schatten über das mocsüoerwachsene Dach und Len Eingang. Ein Garten mit Gemüsen und bunrcn Sommerblumen liegt, gegen Len Meerwind geschützt, nach Osten hin. Kiebrtze und Störche fliegen durch das Land, nirgends sichst du sie in größeren Scharen. Sie verleihen dieser nördlichen Landschaft einen charaktsristiscljen Reiz, besonders die Störche. Es ist ebenso vrrgnüglicb, sic mit Würde über eine sumpfige Wiese stolzieren zu ichen. wie 'n beobachten, wenn sie sich flllgelichlagcnd auf ihre Rester Niederlagen oder sich von diesen erheben. Die Kiebitze haben einen merkwürdigen Flug. Sie fliegen nicht, sie schwirren, sie stechen, sie bohren, wie kleine flüchtige Teufel. In Husum verlasse ich den Zug. Husum ist die Eeburtsstadt Theodor Storms. Ein stiller Ort mit gewundenen Straßen und al-Dn Giebeldächern, auf denen die Störche ihre Nester haben. Vor den Toren dehnt sich nach Osten die Geest mit ihren Heiden, dem Meer« zu die fruchtbare Marsch, von salzigen Wasser- prielen durchzogen, die sich von Westen her ins Land gefressen Haden und zur Eöbczeit verschlammen. Tas feste Land schützt ein breiter, überaus kostbarer Deich. Hinter ihm lebt das Meer. H:utc in Aufruhr, morgen in heiterer Ruh«, von silbernen Vögeln belebt, dann ganz verschwunden, nur noch Schlick, seichte Rillen, Muscheln, Baken. Tcstrü"v nnd Leichen von See tieren — mitunter auch andere noch. Heut« Sonnen licht, darinnen die fernen Fenster der Halligen blänkern. morgen Rebel, Nebel, Rebel, alles be grabend, alles verschickend, der Tod für die, die sich beim Wandern über den Schlick von ihm über raschen lassen. Der Nebel aber häufiger als die Sonne, uns die Farbe des Wassers nur an er lesenen Tagen blau. Möwen, Kraken, Regenpfeifer, selten in einem Garten der Stadt eine Nachtigall. In der Marsch Störche und Kiebitze, oben auf der Geest Windböcke, Kathen, vereinsamte Höfe, lleberall aber vernimmst du das Meer, brüllend oder raunend, und stehst du während der Ebbe auf dem Deich, so dringt aus dem Schlamm herauf ein Knistern und Gären an dein Ohr wie geheimnisvolle Warner stimmen. Las ist die Heimat Theodo: Storms. Hier dichtete cr, hier verbrachte er die größt« Zeit seines Lebens, hier liegt er begraben. Hier hat man ihm auch «in würdiges Denkmal aus Erz errichtet, unter den Linden im Schloßgarten, zu denen vom Deich herüber die ewigen Lieder des Meeres klingen. Vor Iebrcn, als Student, kehrte ich hier ein im gastlichen Hause der Frau Do. So hieß der tote Dichter seine Gattin Dorothea, die nun auch gestorben ist, so lieft man ilwen Namen auch in seinem Vers- buch. Nach einer Weile «rinnerungsvollen Plauderns rüstete sich di« alte Dame, und kurz darauf wanderten wir zusammen durch die einsamen Straßen der Stadt. Vcrwctterte Schiffergenchter mit grauen Bärten be gegneten uns und grüßten; Frau Rat war «inem jeden bekannt. Auf dein Marktplatz schritten wir am Gcbnrtshausc Storyis vorüber, einem der ältesten Ge bäude der Stadt, lieber uns hing ein bleierner Himmel, der den Husumern Gewohnheit ist. Ein paar Möwen haschten sich kreischend über dem Markt platz. Von einem Dache erhob sich mit breiten Flügeln ein Storch. Die alte Turmuhr hob aus und schlug die Mittagsstunde. An der St. Magdalenenkirche vorüber betraten wir den Friedhof. Hart an der Straße, von vollen Linden beschattet, lieat «ine vcrroetterte, schmucklose Gruft. Hier ruhen dir Toten der Familie Storm. Hier ruht auch der Dichter.unter ihnen. „Es ist nur noch ein Platz in der Grube", sagte damals Frau Do. „Der ist für mich. Dann wird man die Grube verschließen aus immer." Seit dem Februar 1W3 liegt sie neben dem Dichter dort unten .... Kein Name steht auf der Gruft. Keine Rosen blühen daraus. Nur spärlicher Efeu rankt sich darüber. Es ist eine Grube aus elendem, grauem Kalk, grauer Himmel ist weit oben, und die Rufe grauer Vögel erklingen bei Tag und bei Nacht. Aber fröhliche Kinder spielen dicht daneben auf der Straße und klettern zuweilen lachend auf der Stätte des Todes herum, und im Sommer blühen die Linden darüber und duften, duften stark und wunderbar. Nachdem ich einen Rosenstrauß auf d«n bröckelnden Kalk geschoben habe, schlendere ich langsam durch die altertümlichen Straßen. Ueberall in ihnen gibt es Erinnerung an den toten Dichter. Mas cr auch immer schuf, er schöpfte es aus dem Born der Heimat: aus Begebnissen, aus Ueberlieferungen, aus Träumen. Nachher ziehe ich vor die Stadt hinaus zum Deich. Kühe weiden in dem flachen Wiesenland, das man dem Wasser abgerungen hat. Dann das Meer. Es weht eine leiche Brise aus Westen. Di« Flut, auf der ich in wenigen Stunden hinausfcchrcn werde, ist im Steigen begriffen. Draußen liegen die Inseln, die Halligen, still und stumm, flach, in blaße Schleier gehüllt, verloren« Königreiche, graue Gestade der Eimamkeit. Aus dem nahen Nordstrand gehen ein paar Mühlen, langsam, langsam, mllöe. Einige Boote mit riesigen Segeln schaukeln in der Ferne. Unter mir g_ui den seichten Watten stehen auf hohen Beinen allerhand Strand vögel, ohne sich zu regen. Sie Haven zumeist die Köpfe unter die Flügel gesteckt. Andere rascheln durch Las Schilf am Ufer entlang. In der Luft einige See schwalben und Möwen. Der Himmel ist wie Blei, genau wie das Meer. Du ahnst nicht, wo di« Sonne verborgen steht. Jetzt lösen sich vereinzelt« Tropfen aus der Höhe,. Ich wende mich und kehre langsam nach Husum zurück. Ich schreite zum Hafen hinab, wo der klein« Dampfez liegt, der mich durch di« Inseln tragen wird. Der Husumer Hafen ist eng und still, gleich der Stadt, der er gehört. Zur Ebbezeit liegt er verschlammt, erst die Flut führt ihm Wasser zu. Er birgt nur HatligsibZsc, Dampfer und Segelboote, die in der Mehrzahl zur Beförderung von Gütern dienen. Die Halligleute verlassen die Inseln nur selteir. Ein Klingelzeichen. Der Schornstein tutet. Das stämmig«, kleine Fahrzeug löst sich und strebt durch den engen Kanal, der das Watt mit dem Hafen ver- bindet, qualmend und stampfend hinaus. Nun qeht es durch Len Deich, in den eine Schleuse eingebaut ist, düe sich hinter uns wieder schließt. Nun sind wir im Watt. Einige Möwen gesellen sich zu uno und umkreisen das Fahrzeug. In den seichten Stellen am Ufer hockt noch immer das geisterhafte Geflügel oder huscht durch die Natter des Schilfes hin. Ich bin der einzige Passagier. Ich stelle mich vorn aufs Sprict, das unter unr schäumend Las Meer auf reißt, die salzigen Tropfen spritzen zu mir empor und durchnässen'mich. Die See wogt leise. Zuweilen unterscheidet mein Auge große lila Quallen auf dem graugrünen Master, wie Teller, einmal weiterhin den schlauen Kopf eines Seehundes, der schnell wieder verschwindet. Aus Westen rücken graue Schleier heran und hüllen die Fernen ein. Die entlegenen Inseln verschwinden, die näheren ragen geisterhaft aus dem flutenden Nebel auf. Die uralten Häuser auf den Werften sind nun wie trotzig« Felsenburgcn. Einmal fahren wir ganz hart an dem zernagten Rand einer Insel vorbei: Hooge. Die Werft herab schreitet langsam ein Mensch, er erscheint wie ein Riese aus vergangenen Tagen. Di« weidenden Schafe auf der Heid«bedeckten Hallig sind wie Ungetüm«. Bin ich in einem Zauberland? Der Dampfer stampft weiter. Hooge liegt im Nebel begraben. Verirrt« Töne dringen aus dem Dunst herüber. Die Insel, von der sie ausgehcn, ist nicht zu erkennen. Die paar Vögel, di« das Fahrzeug begleiten, flattern unstät durch die Dämmerung, gleich den Seelen Toter, die keine Ruhe finden. Der graubärtiqe Steuermann, in einen Teerkittcl gemummt, Hai sich zu mcr gesellt und erzählt eine alte Inselsage. Dann spricht er von den Läufern über d«n Schlick. Es ist bekannt, daß man, wenn tief« Ebbe ist und das Master aus dem Matt bis aus vereinzelte Rillen uird Prielen in die hohe See hinausgetreten ist, über den Schlick hinweg zu Fuß von einer Insel zur anderen gelangen kann. Aber cs ist kein gefahrloses Tun und will kaltes Blut haben, denn der Schlick ist nichts weiter als eine große Tücke. Es verlangt nicht nur eine gute Kenntnis des Matts und seiner Bänke und Tiefen, sondern auch behende Füße und eine ausdauernde Kraft. Und dann eine geschickte Verwendung der knapp be messenen Zeit, denn die Flut kommt mit unabänder licher Pünktlichkeit, und wen ihre Master einmal um spülen. der darf getrost sein letztes Vaterunser beten und darf sich ruhig hinstellen gnd zusehen, wie sein Grab mit nassen Zungen zu ihm hinaufleckt. Der größte Feind der Schlickläufer aber ist der Nebel. Er ist aus den Watten das, was man in den Wäldern des Binnenlandes di« Irrwische heißt. Un vermutet wie ein Gedanke ist er da. Er kommt und wächst zu einer grenzenlosen Wand, die sich bis zum Himmel cmporreckt und durch die Klarheit schiebt, langsam, unheimlich, alles begrabend, «ine würgende Faust. Er gibt den Dingen ein anderes Wesen und den Tönen einen anderen Klang. Er verwirrt die Richtungen des Himmels und narrt alle menschlichen Sinne und Gefühle. Wehe dem Läufer durch den Schlick, der eines Tages in eine Nebelwand hinein gerät und in den trügerischen Schleiern, die sich Nässend um ihn schlingen, die Richtung des Weges und die Fassung seiner Seele verliert. Es sind nicht wenige Halligkinder, di« im Nebel begraben liegen. Das Schreien ist ohne Nutzen, denn die Stimme trägt nicht weit. Nun irren sie, hierhin und dorthin, aber ist die Richtung einmal verloren gegangen, jo findet sie sich auch so leicht nicht wieder. Und nun laufen sie, mit aufgeristenen Augen, und sehen am Ende, daß ihre Sinne sie wieder und wieder betrogen haben, und dann meinen sie, in der Ferne etwas wie eine auf strebende Werft zu erkennen und eilen mit klopfender Hoffnung darauf zu und müssen erfahren, daß es nur dichtere Nebelschichten sind, und dann kommt di« Ver zweiflung, sie ballen die Faust und recken sie in den Nebel und möchten den Nebel ermorden, und sie schreien von neuem wie die Tiere, bis ihre Kehlen heiser sind, und der Schweiß tritt ihnen aus und ihr« Zäbne knirschen, und sie können nicht mehr. Und dann auf einmal hören sie ein Rauschen. Erst leise, aus der Ferne, ein sanftes, lieblich«? Plätschern, das die Prielen und Gräben im Schlick langsam zum Schwellen bringt. Bald aber lauter und brausender, und plötzlich spült es um ihre Füße herum, feucht und kalt, greift höher und höher, ein graues, ekelhaftes Gewässer, und sie können sich nicht mehr vorwärts noch rückwärts regen, es schwillt und wogt um sie her und sprudelt: das ist die Flut — und I das Ende ....
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