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3. Beilage. Mittwoch, l. November 19N. L-eiMger Lsgevlsn. Hochgebirgsroman von Adolf Ott^ (Nachdruck verboten.) sie hat einmal an himmlische Gnade geglaubt. Damir ist es zu Ende. Jetzt weiß sie es besser: Es gibt keine Gnade, sonst hatte die sich ihr offenbaren müssen. Wenn es keine Gnade gibt, gibt es auch keinen Herrgott. Der Himmel ist leer. Was soll Larin sein? Es überläuft das Weib ein kalter schauer, sie empfindet plötzlich: „Es ist schwere Sünde, wenn du so denkst!" Und dann fragt sie sich: „Gibt cs eine sünde, wenn cs vielleicht keinen Gott gibt, oder nur einen solchen, der sich um die schmerzen der Welt und der Menschen nicht kümmert?" sie wird immer verwirrter, fiebriger. Es däm mert bereits, als sie mit wankenden, ungleichen schritten die große Straße erreicht, die ins Dorf hinabführt. Anna-Marie hat nichts genossen, seit sie von daheim fort ist. Und jetzt wandelt sie eine schwäche an, Latz es ihr dunkel vor den Augen wird, und in dieser Dunkelheit feurige Sterne herumschwirren. Die Tasche, in der sie einen lleinen Munüvorrat trug, hat sie irgendwo liegen lassen. Es stellt sich auch ein brennendes Durstgefiihl ein. An abertausend stel len des Hochgebirges plätschern und rinnen die Wasser — hier an Liefer Straße war auf weil nichts Der artiges zu sehen. Wenn sie nur die Hände in bas rinnende Aas; Hölle tauchen können oder die Stirn damit benetzen, hinter der die wilden Gedanken toben! so geht sie weiter, nicht mehr in gerader Bahn, sondern ähnlich wie ein Trunkener. Plötzlich dreht sich olles um sie im Kreise, mit einem dumpfen Aechzen schlägt Anna-Marie mit dem Gesicht nach abwärts zu Boden. so mochte sic vielleicht zehn Minuten gelegen haben, als unweit von ihr ein Zöger mit Flinte und Rucksack, Len rotbraunen Schweißhund hinter sich, auf einem Nutzstem LaherkommenL, ans Lein Walde tritt, um die Straße zu gewinnen. Er bleibt stehen und schaut scharf aus Len dunklen Gegenstand, der sich von dem Hellen Straßenkörper abhebt. Aber es ist schon dämmrig und er must näher heran, um nun ;u erkennen: „Dort liegt ein Mensch, und zwar eine Frau. der Kleidung nach." Der Jäger — unser Hans - ist kein freund von Bittgängen und Wallfahrten. Er meint, man könne dem Herrgott auch auf andere Art nahekommen, sein erstes Gefühl ist Las des Aergers. „Was brauchen schwache oder kränkliche Weiber sich einer solchen An strengung auszusetzen!" Der Forstqehilfe kommt ganz nahe heran und glaubt eine Tote, sie er nicht kennt, die aber gut ge kleidet ist, vor sich zu haben. Vorsichtig äugt er die nächste Umgebung ab, um darüber klar zu sein, ob hier ein zufälliges Ereignis oder «ine Gewalttat vor liegt. Er weiß aus der Praxis, da» schon ost Lurch zu rasches Zugreifen Talspuren übersehen oder ver wischt worden sind. Von Gewalttat scheint hier kein« Rede zu sein. Er kniet nieder und wendet den reglosen Körper so, da» er auf dem Rücken zu liegen kommt. Fast hätte er ihn aus Schrecken und Entsetzen jäh fallen lassen — die, die er in seinen Armen hält, ist Anna-Marie, das Weib seines Bruders. Es will ihn packen wi« ein Schüttelfrost, aber die Nerven des Hans sind gut uns folgen seinem Willen. Darum hebt er den leblosen Körper auf und legt ihn auf den Wiesenstreifen, der zwischen strasze uno Wald hinläuft. Tot oder nur tief ohnmächtig? Ter Forstqehilfe kniet sich nieder und legt sein Ohr an die Brust der Frau. Anfangs kann er nichts hören, denn sein eigenes Herz schlägt so toll und unregelmäßig, dafz er vor Lesse» lautem Pochen nichts wahrnehmen kann. Der starke Mann stöhnt vor innerer Erregung und der kalte Angstschweiß perlt ihm von der Stirn. Aber er fühlt, daß er sich beruhigen muß. und atmet einig« Male hoch aus, indem er sich erhebt. Jetzt hat er sich in der Gewalt. Was er nun ver nimmt, ist ein ganz leiser, schwacher Herzschlag. Er hätte aufjauchzen mögen vor Freude und nun stand klar vor ihm: die arme Frau war aus Er schöpfung hinter dem Wallfahrtszuge zurückgeblieben und hier aus Erschöpfung zusammcngedrochcn. Wasser, Wasser! Er blickt sich um und erinnert sich blitzschnell, daß wenige hundert Schritte aufwärts, in der Nähe Les Fußsteiges, ein kleiner Wassersadcn durch das felsige Gestein sich seinen Weg sucht, wenn er auch bald darauf im sumpfigen Boden versickert. Zn weiten Sprüngen rennt Hans zurück und füllt seinen Hut mit dem kalten Naß. Dazu genügen einige Minuten. Die Anna-Marie erwacht langsam aus ihrer Ohnmacht, als ihr das Wasser ins Gesicht gespritzt und über die Stirne gegossen wird. Sie richtet sich auf, schaut anfangs wirr und fragend um sich — a^, sie endlich Hans erkennt, der freudig und teilnahmsvoll auf sre niederschaut, wirst diese kleberraschung >>e saft ein zweitesmal in Besinnungslosigkeit. Aber sie faßt sich init aller Gewalt, schlägt die Hände wie in tiefer Scham vor das Gesicht und bricht dann in ein schluchzendes Weinen aus. Hans stört sie nicht: er fühlt, Laß diese Gemüts bewegung dnrchgelämpft werden muß. Als sic wieder ruhiger wird, durchsucht er seinen Rucksack und bietet ihr. unter sanftem Zureden, den Rest seines, auf den Revierqang mitgenommenen Mittagsmahles an, etwas Brot und kaltes Fleisch. Auch eine Neige Enzian findet sich noch in dem kleinen Fläschchen, das er bei sich trägt Sie nimmt willenlos, was er ihr bietet, bezwungen von der sanften Stimme und der Art, wie sie genötigt wird. Wie lange schon ist cs her, daß ein Mensch so zu ihr gesprochen hat? Und dabei erholt sic sich, dankt und will ihren Weg foctsctzen. Es ist, als ob eine tödliche Furcht in ihr wäre, länger mit dem Forstgehilf n allein zu jein. Aber als sie aufsteht, wankt sie und muß sich an Hans halten, der sie wort los zu einem besseren Sitz am Waldsaum führt. Der Forstgehilf« läßt sich neben ihr nieder: er be lästigt sie nicht mit Fragen, denn er ist fest überzeugt, daß das geängstigt« 2Leib doch noch zu ihm sprechen wird. Endlich ist die Anna Marie so weit gedankenklar, daß sie mit schwacher, stockender Stimme beginnt zu erzählen, wieso es gekommen war, daß sie hier er schöpft zujammenbrech. Vielleicht wollte sic cs gar nicht sagen, aber unwillkürlich verriet sie, daß sie kürzlich acht Tage krank gelegen hatte. Hans warf teilnahmsvoll die Frag« ein. was ihr gefehlt habe. Da rötete sich in Scham ihr bleiches Gesicht: es bekam einen bitteren Ausdruck der Kälte und Strenge: die Hände faßten krampfhaft nach den Knien und der Mund schloß sich, als ob cs ihr un möglich wäre, darüber zu reden. Als Hans erstaunt aufblickte, bemerkte cr von der Stirne in die Haare verlaufend eine noch frische Narbe. Das war es also! Mißhandelt war das Weib geworden und sic war zu stolz, um es einzugestcheu. Der Forstgchilfc drang nicht weiter in ne. aber cr war empört. Doch Helzen und sic vor Weiterem zu beschützen, dafür wußte cr keinen Rat „Gott und die Heiligen müssen dir helfen," sagte er mit einem Seufzer, der seine breite Brust hob, vor sich hin Da fuhr die Anna Marie auf und lachte schrill: „Gott und die Heiligen? Ha, du glaubst noch d'ran? Zch nicht. Vielleicht gibt es lein' Gott, denn es gibt auch kei' Gerechtigkeit auf der Welt. Bitt'» und bet'»! Wenn das helf'n könnt, so wär's scho' lang aus mit mein' Elend. Sterb'»! Bald, je eher desto lieber." Da erschrak der Hans. Dieser leidenschaftliche Aus bruch war ihm mehr als überraschend gekommen. Zetzt erkannte er in vollem Umfange die Lebensqual dieses an und für sich sanften Geschöpfes, cr hörte dir Verzweiflung, die gellend aus ihr schrie. * „Lästre nicht, Anna-Marie!" entgegnete er fast schroff. „Wer kann sag'n, es gibt kein' Gott? Du wärst ärmer als das Allerärmst', wenn du so denk'» könntest. Za, ich geb zu. daß dir elend um's Herz ist. Aber bedenk', wi« viel ist der Mensch selber schuld an dem, was über ihn kommt! Da muß man schon Geduld hab'» und nachgeb'» und glaub'», daß es besser kommen wird." Hans jagte Las letztere, obgleich cr selbst nicht daran glaubte. Aber es drängte ihn nach einem Trostwort und in seiner Einfalt fand er nichts Besseres. Er erkannte auch sofort seinen Zrrtum, als er in die trostlos blickenden Augen des junge» Weibes sah, das matt und abwehrend den Kopf schüttelte. „Das ist's ja grad," entgegnete sie, „das ist's ja, Nr. 303. los. Jahrgang. daß ich mich »et 'nausseh und noch dazu mein' Herr, galt verloren hab. Begreifst d' jetzt, wie 's mit mir steht? Wenn du aber von einer Schuld red'sr, das trifft mich net." Zn diesen Worten lag ein Trotz, der dem teil nahmsvoll zuhörenden Hans nicht entging. Aber er verstand ihn nicht und maß ihn der Erregung zu, rn der Anna-Marie sich befand. Er hätte soviel darauf entgegnen können: aber warum alte, längst vergra bene Vorgänge aus der Tiefe schaufeln und sie an » Licht ziehen, wo sie nur Schmerzen erregen können? Beide verfielen in ein länger andauerndes Schweige», das drückend auf ihnen lastete. Wie eine Furcht lag es zwischen diesen Menschen, sich mehr von dem Leben ihrer Seelen mitzuteilen. Warum auch? Sie gingen ihre besonderen Wege und es war nur gut, wenn sich diese nicht kreuzten. Mit einem tief aus der Brust kommenden Seufzer erhob sich das Weib und streckte dem Füger dankend ihre Rechte hin. „Es wird Zeit für mich, daß ich heimkomm'," sagte sie matt und setzte sich gegen die Straße zu in Be wegung. Aber ihr Schrill war so unsicher und schwan. kend, daß Hans es für ein Unrecht gehalten hätte, würde er jic nicht begleitet und gestützt haben. Sie wollte ihm ubwehre». aber er schüttelte energisch den zzopi und blieb bei ihr. Der heiße Sommerlag war in einen schwülen Nachtansang vbergegangen. Zm Westen stiegen dunkle, schwere Gewitterwolken auf, aber noch hatte der Südwind die Oberherrschaft und fuhr ab und zu saujend durch die Bäume. Die Vögel schwiegen längst, selbst das zirpende Heer ter Grillen war ver stummt. Drückend lag diese ermattende Stimmung der Natur auf de» beiden Menschen, die, nur wenige gleichgültige Worte wechselnd, langsam ihres Weges zogen. Hans hielr das junge Weib untergcsaßt und fühlte mit steigender Angst, daß sie sich immer mehr auf ihn stützte, ihre Schrille immer kürzer und un sicherer wurden. Was tun? Sie waren noch eine gute Stund« vom Tanneckhofe entfernt, auf dem man sich sichtlich nicht darum kümmerte, daß die Bäuerin, die schon längst zu Hause Hütte sein können, noch nicht da war: Plötzlich griff Anna Marie ächzend, mit beiden Händen nach jeinem Arm. Hütte er sie nicht fest ge halten, würde sie niedergejunken sein. Da blieb ihm nichts übrig, als daß er sie emporhob und vorsichtig, sitzend an den Stamm einer Fichte lehnte, die neben dein Wege stand. Während er überlegte, ob er nicht nach einem Wagen eilen oder warten sollte, bis sie sich wieder soweit gekräftigt hatte, um weitcrzugehen, ließ sich von oben her das Rollen eines Wagens vernehmen. (Fortsetzung in der Abendausgabe.) k nbriü >Vittcnber^e, l'er. Eolsckum. Xäbinasebinen qebüren rn ckcn uneutbekrbcbstcn kicqenslünck'n cler ban-lieben kb'nricblunx. Em 50 nicbt qer ist cs. bei <Ier dnscbattüu > ckie ricbtikrv ^Vnbl ru tiekten. Tz A bl Xübmssckincn, ckie ein ?lc s'bcn.iltcr uuslcultcu nmt solckc, ckw un b ncni^cu ?ubrcn Vtrbiaucbt unck kür jcckeu l rcis rn teuer siack. ^er vou uus buutt, ist lieber, clug k'e-cke ru erhalten. Lö^usms — Lei öarriitblun^ Rabatt. HueiitAeltliolwr Hutcrriebt irri Xübon, Ltieksu und Ltoxtsrc. 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