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8. BeUa-e. Sonntag. 29. Vktover 19N. Leipziger Tsgedlstt. Nr. 300. lVS. Jahrgang. Ssln. Hochgebirgsroman von Adolf Ott. lNachdruck verboten.) „Hans", sagte sie, in bebender Erregung, „Hans, ist das dein Ernst, kannst du wirklich so von mir, dem armen Mädl, denk'n?" Da legte der Bursche die Hand aufs Herz, als wenn er schwören wollte, und entgegnete in warmem Tone fester Ueberzeugung: „So sicher und g wiß, als ich den Herrgott um eine gute Sterbstund' bitt'." Heber Afras Gesicht legte sich der Glanz eines dankbaren, glücklichen Lächelns. „Ich dank dir , sagte sie herzlich, „du weiht net, was du mir Eut's damit geben hast." Sie stand auf, ging nachdenklich einmal die Stube auf und nieder, dann setzte sie sich wieder neben den Burschen. Was sie jetzt sprachen, hatte aus das Borherge gangene keinen Bezug, war nicht mehr und weniger, als junge Dorfleule, die zufällig nebeneinander zu sitzen kommen, auch bereden. Daß Hans in die Welt gehen wollte, galt als eine abgemachte Sache, über die nichts weiter zu sagen war. Als er im Scherz fragte, ob er ihr Nachricht geben soll, wo er hingeraten ist, schüttelte Afra zu seiner Ueberraschgung, ja fast zu seinem Aerger, den Kopf und entgegnete: „Lieber nicht; du muht ganz frei sein." Was sie damit sagen wollte, verstand er freilich erst nach langer Zeit. Sein Aerger verflog aber ebenso rasch, als er aufgestiegen war, als er die <mnd des Mädls auf seinem Scheitel fühlte, das ihm leicht über die gewellten Haare strich. Afra setzte ihm auch keinen Widerstand entgegen, wie er Len Arm um sie legte und ihr in das lächelnde Gesicht lab. „Was du für schöne Augen hast, Mädl, und was für ein kußliches Goschsrl", meinte er, widerstand aber der Versuchung, ihr auf das kuhliche Eoscherl einen Kuh zu drücken. „Meinst d'?" sagte sie, wobei die Augen schelmisch aufolctzten. „Und dös tät' dir g'fallen?" „Freilich!" entgegnete er lebhaft und wollte die Versäumnis nun gutmachen. Da drückte sie ihn aber sanft und doch energisch zurück und schüttelte abwehrend den Kopf. „Nehmen Iah ich mir nix. Geb ich freiwillig, ist s eine andre Sach!" Im gleichen Augenblicke schlangen sich ein Paar weiche Arme um den Hals des 'Burschen, und er fühlte einen heißen, brennenden Kuh auf seinem Mund. Als der Morgen noch kaum graute, wanderte Hans Greiner mit rüstigen Schritten gegen Norden. Nur ein Kurzsichtiger könnte behaupten, bah die Entwicklung des Lebens willkürliche Sprünge macht. Alles baut sich logisch auf, aus die Individualität des einzelnen und die diesen treffenden äuheren Ein wirkungen. So muhte es kommen, dah die Ehe des Tanneck bauern mit der Anna-Marie vom Lenzhofer keine glückliche werden konnte. Freilich trug in erster Linie der männliche Teil daran die Schuld. Aber auch das Weib besah nicht die innere Festigkeit und Ueberlegenheit, um stetig einen bessernden Ein fluh auf einen moralisch tiesstehenden Menschen, wie Kilian war, zu gewinnen. Die erste Zeit hatte er sich gut gehalten, so dah die Anna-Marie glauben konnte, vor einem, wenn auch nicht glücklichen, Loch erträglichen Weiterleben zu stehen. Dah durch die Heirat Hans gleichsam aus der Heimat vertrieben worden war, blieb ihr aber stets «in peinliches Gedenken. Es stiegen Zweifel in ihr auf. ob sie nicht anders, fester, gehandelt hätte, wenn er sich mit ihr offen auseinandergesetzt haben würde. Aber drohend erhob sich hinter diesen Gedanken das Gespenst der väterlichen Autorität, dem gegenüber sie schwach und willenlos sein muhte. Nun verblieb ihr nur noch der gute Wille, oas Un abänderliche mit Würde zu ertragen und als Gattin und Mutter ihre Pflicht zu tun. Der Kilian machte ihr Las aber mit jedem Tag schwerer. Er verfiel nach und nach in seine alten, schlechten Gewohnheiten, sah bis tief in die Nacht oder bis zum grauenden Morgen in den Wirtshäusern, trank, spielte und lieh die Dienstleute machen, was sie wollten. Kam er aber einmal aus Zusall aus eine größere Unregelmäßigkeit, so machte er sein Weib dafür ver antwortlich, behandelte es schlecht uns roh und trieb nach solchen Auftritten sein liederliches Leben ärger als zuvor. Nach einem Jahr sollte Anna.Marie Mutter wer den. Kilian dachte sich cs gar nicht anders, als daß sic einen Sohn, den künftigen Hoferben, gebären würde. Mit derselben Energie, mit dem er den Be sitz an sich gerissen hatte, wollte er diesen auch seinen Nachkommen gesichert missen. Das Testament enthielt aber eine Klausel, die ihm arge Furcht bereitete, gegenüber der er sich erst als wirklicher Eigentümer des Tanneckhoses fühlen konnte, wenn jein Stamm einen männlichen Sprossen getrieben hatte. Denn im anderen Falle ging nach seinem Tode der Hof an den älteren Bruder oder Lessen männliche Nach kommen über. Waren diese nicht mehr vorhanden, dann erst verblieb das Gut in seiner Linie. Seine Spannung wuchs mit jedem Tage, der ihn der Ge burt seines Kindes näher brachte. Er peinigte das arme Weib mit den unsinnigsten Drohungen und Verwünschungen, wenn sie ihm ein Mädchen gebären würde. Am Tage, als es soweit war, sah er den Vor mittag und einen Teil Les Nachmittags im Wirts hause und suchte seine Unruhe durch Trinken und spielen zu vertreiben Erst am anderen Tag brachten ihn ein paar Bauern, trunken bis zur Bewußtlosigkeit, auf einem Karren, schleppten ihn in die Kammer und warfen ihn wie einen Klotz, bkutbesudelt und beschmutzt, auf sein Bett. Am Schlüsse der Zecherei hatte es noch eine tüchtige Rauferei gegeben, weil ihn die Kame raden gehänselt hatten, Laß sein „erster Bub" ein Mädl geworden war. Anna-Marie aber war aus Schrecken und Ent setzen über Len wüsten Auftritt in eine tiefe Ohn macht gefallen und lag darauf viele Wochen schwer krank danieder. Das Kind war schwächlich aber zäh und gedieh nur unter vielen Sorgen und Widerwärtigkeiten. Als der Bauer sich von seinem Rausch und den Prügeln etwas erholt hatte und wieder denken konnte, ging sein Wutgefühl in einen tiefen Groll über, den er auf das unschuldige Weib warf. Solange sie krank lag, kümmerte er sich weder um sie noch das Kind; keinen Schritt macht« er in die Krankenstube. Anna-Marie war so unglücklich, als man in einem solchen Fall sein kann. Ihr ganzer Trost war die Aiße Liebe zu dem schwächlichen Wesen, das sie mit Tränen und Bitten dem Himmel abrmgen zu müssen glaubte. Nach und nach besserte sich das Verhältnis zu ihrem Gatten dahin, daß er wenigstens das Not wendigste mit «br besprach. An Roheiten und Miß handlungen fehlte es trotzdem nicht. Als sich die Bäuerin in ihrer Verzweiflung gar nicht mehr zu helfen wußte, wendete sie sich an ihren Vater. Bei dem kam sie aber gut an! Er behauptete von allen häus lichen Uneinigkeiten ein- für allemal nichts wissen zu wollen; er habe genug mit sich und seinem Hof zu tun. Hans war seinerzeit gegen das Flachland zu ge wandert, hatte sich dort auch als Knecht verdingt, aber die Sehnsucht nach den Bergen packte den Ge- birgler, und so traf es sich, daß er nach Tölz kam, dort zufällig von dem Forstmeister, der ihn von Holzver käufen her kannte, angesprochen und nach seinen Er lebnissen ausgefragt wurde. Die treuherzige, offene Weise, in der der Bursch erzählte, gefiel dem alten Grünrock und da kam er denn mit dem Vorschlag heraus, ob der Hans cs nicht mit dem Iägerhandwerk probieren wolle. Er müsse zwar ganz unten anfangcn, später eine, für ihn nicht allzu schwere Prüfung machen, dann könne er es zum königlichen Forstgehilfcn, Forstwart und vielleicht zu noch mehr bringen. Die Vorbedingungen lägen günstig, denn Hans verstünde ja schon etwas vom Holz und dem Waldbau und soviel er, der Forst meister, wisse, hätte der Hans Greiner auch Kenntnis und Lust zur Jagd. Das war freilich sehr übcrra'chend für den Bur schen; daß er diesen Lebensweg gehen solle, war ihm bis jetzt nicht in den Sinn gekommen. Aber es lag für rhn viel Sympathisches darin; die freie Gottes natur und was wächst, kreucht und flcucht, hatte immer sein höchstes Interesse erregt. Nach kurzem Bedenken schlug er ein. wurde Forst mann und ließ es in dieser neuen Beschäftigung an Fleiß und Eifer nicht fehlen. Nach drei Jahren ehr lichen Strebens hatte er auch sein Examen mit einer sehr guten Note bestanden, obgleich "es ihm ziemlich schwer geworden war, die arbeitsgewohnte Hand zu leserlichen Schriftzügen und den Kopf zum Studium aus den Büchern mit den vielen Paragraphen und Zahlen zu zwingen. Sein« eiserne Energie überwand auch diese Miß helligkeit glänzend, und er konnte auf die Anstellung als Forstgehilfe hoffen. Eines Tages beschick» ihn der Forstmeister zu sich und übergab ihm schmunzelnd das von der Regierung ausgestellte Anstellungsdekret, ohne ihm zu sagen, wo der künftige Wirkungskreis des Neubeförderten sein werde. Glückstrahlend, aber mit zitternden Händen öffnete Hans das Schreiben, zuckte aber, als er gelesen, zu sammen und ließ kopfschüttelnd und verwirrt den Arm mit dem Papier sinken. „Na!" rief der alte Forstmeister. „Na? Hab ich's nicht reckt gemacht?" und schlug dem Forstaehilfen er munternd auf die Schulter. Aber der Mann war so benommen davon, daß ihn die Anstellung wieder in den Heimatsort zurück ¬ führen sollte, daß er lan^e nicht sprechen konnte, so»» Lern wie erschreckt vor sich htnschaute. Nun fing der Forstmeister, der Aehnliches schon erwartet hatte, weil er Hans und dessen Vergangen» heit kannte, an, ihm vorzuhalten, daß er diese Be förderung und Versetzung als ein besonderes Zeichen der Anerkennung der Vorgesetzten zu betrachten habe. Bis jetzt hätte man nur altgediente Leute auf diesem exponierten Posten gehabt, damit aber keine beson ders guten Erfahrungen gemacht. Jetzt wolle man es mit einer pflichteifrigen Kraft versuchen, der cs nicht cm Jugend und Energie fehle. Die dortigen Bauern seien nichts weniger als handsame Leute und würfen, wenn sie nur könnten, der Forstoerwaltung Prügel zwischen die Beine. Da sei von ihm, dem Forstmeister, auf Hans Greiner hiugewiesen worden. Wenn es überhaupt möglich ist, mit den Leuten in Güte und Strenge auszukommen. Als Hans den Namen Reichenbach gelesen hatte, waren mit einem Male alle mühsam zur Ruhe ge brachten Geister der Vergangenheit lebendig gewor den. Er hatte gedacht, damit fertig zu sein, und nun mußte er erfahren, daß es Loch nicht so war. Mit der Heimat hatte er alle Verbindungen gelöst gehabt; inan wußte, daß er sich in Tölz "bei den „Grünen befand und wunderte sich darüber; mehr aber nicht. Traf es sich zufällig, daß er auf einen Bekannten von dort stieß, so fertigte er einen solchen so kurz ab oder ging ihm gleich gar aus dem Wege, daß es überhaupt zu keinen Ausfragen und Aussprachen kommen konnte. Was er aber am allermeisten vermieden l>atte. das war, von seinem Bruder und dessen Weib zu hören, obgleich er die Empfindung hatte, als ob das so ein« Art von nicht einwandfreiem Vorsichselbstverstecken sei. Nun mußte er wohl oder übel sie doch Wieder sehen, mit ihnen vielleicht in noch nähere Berührung kommen. Gegenüber dem Bruder brachte das schon sein Amt mit sich, wenn zum Beispiel, wie es seit vielen Jahren von den Tanneckcrn geübt wurde, dieser Holz im Staatswald kaufte, um damit ein Geschäft zu machen. Was er für die Anna-Marie empfunden hatte, war nicht vergessen und einge schlafen, aber es hatte die Form einer Einneruna angenommen, deren Ecken und Kanten nicht einmal mehr weh taten. Auch das Gedenken an jene Nackt im Löwen wirtsbaus blitzte in ihm auf. Die Afra, das arme liebe Mädel! Der Vater soll im Rausch plötzlich ge storben. das Anwesen verkauft worden sein. Wohin die Tochter gekommen war, wußte er nicht. Es war nickt umsonst, daß der Forstmeister so stark an sein Ehrgefühl appelliert hatte. Der Hans hatte seinen neuen Stand achten und lieben gelernt. Mit ganz andern Augen blickte er jetzt auf das Wesen der Forstwirtschaft als früher, wo er auch da von nicht viel anders und besser dachte wie sein« Dorfgenossen. Er war stolz darauf, einer von denen zu sein, die dieses Stück Nationalgut zu fördern und zu hüten berufen waren. Und an diesem Stolz erhob sich sein Wille. Als er sich dessen bewußt war. ließ er auch alle Rück sichten und Einwände fallen und gelobte sich, auf diesem Fleck Erde, der ihm sicher noch manches Unan genehme zeigen würde, in vollem Maße seine Pflicht zu tun. (Fortsetzung in der Morzenaupgabe.) M 4L.50 ^o/ys/7e/r-77o/s/?/ r/. LeM 777 70.50 st/5 LU/e/n /soße LS/n /'/? A7/nono/ö5m /n/7 Ar/zr/e/' L/Än, ms/v/re //? s/Ten moöe/n. 777. 50 /e-z- -s/7-sz-. /z-szz^WA. ?sFo/zn. -0-. 7s7/ezz 77o/szz/ 777. 76. -