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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 20.03.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-03-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140320013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914032001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914032001
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Bemerkung
- Ausgabe beschädigt
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-03
- Tag 1914-03-20
-
Monat
1914-03
-
Jahr
1914
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Morgen - Ausgabe 0e,«g»pr»lft: monatlich 1.25 M., »lerteUSHrllch 5.75 M. Set der G»pchSft«a,U». »»kein» Zlllalr» und NnsgadefteUen adgeholt: «»aattlchiM.oleeteULHrllchSM. Lurch Sl« Post: lanrrhald deutsch!»«»» uuü Ser »»«»scheu Loloaira »oaatllch I^S M.. »lerteliührtlch 4^0 M., ausschUeßllch pogdestellgelS. V»»L«lpZl,»rrag«dlatt erscheint Werktag» »mal, Sona» a. Zetertag» imot. Zu Leipzig, Sen Nachbarorten uaü Sra Orte« mit «taeaen Filialen wir» Sie ridenSausgad« noch am stbenS Seo Erscheinen» in» tzau» geliefert. S erUner NeSaNio«: Zn Sen Zelten 17. Zrrnsprech» aschluft: Moabit Nr. 447. Zkrttsblatt des Rates und des polrzerarntes der Stadt Leipzig keSaktlon un» Seschlist-steU«: Johanalogofs, Nr.», a §rn»fpr«ch-N«fchlutz Nr. 14 SSL 14S43 an» 14 »44. los. staMgeaprelse: 'LLTSL, »an »«»wärt» 3» ps.. Nektamen 1.20 M. til». SSps.b.wteSerbol.Nab., Znsrrat» ,on SekvrS«, zetl» so ps. ch«schSst»oai«tgen mit playoorschrt, nach Saris. Vetlagea- Sesamtausl.SM So»San Nnzetgea-stanabme^ labanni.golse», bei sämtlich» kageblatte» uns olle» Nnaoncea-LeprSltionea Seo chrschäst»sl,U« für Seriln u. Sl« pr. vron< «ndurg vir». Srrlla V >0 MorgoretbrnNrolir ». Zernlprrch - Nnlch. Nr. 143. ^reilsg, ürn 20. Msr;. Vas wichtigste. * Dem Landtage ist ein Eisenbahn dekret zugegangen, worin eine erste Rate für den Bau einer vollspurigen Nebenbahn von Wurzen nach Eilenburg gefordert wird. (S. Pol. Uebers.) * Der Reichstag schloß am Donnerstag die zweite Beratung des Etats für Deutsch-Ost afrika ab und trat in die Erörterung über den Etat für Südwestafrika ein. (S. Art. u. Ber.j * Der Deutsche Handelstag hat am Don nerstag seine Beratungen beendet. (S. Ber.) * Der französische Marineminister Monis hat seine Demission eingereicht. (S. Ausl.) * In Venedig ertranken bei dem Zu» sammenstoß des italienischen Torpedoboots „5V t" mit einem Passagierdampfer über 50 Personen. sS. Letzte Dep.) Europa, öie Union und öer paaamakanal. Von Professor Dr. Görcke. Der ziemlich allgemein verbreitete Glaube, der Panamatanal verdanke wirtschaftlichen Erwägungen sein Dasein, ist nur teilweise richtig. Allerdings ist die Inangriffnahme dieses zweiten Riesenunter nehmens Ferdinand von Lesseps' hauptsächlich aus den glücklichen geschäftlichen Erfolgen seines Suez kanalbaues herzuleiten. Aber der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika drängte frch der Entschluß zu unbedingter Durchführung des aus fran zösischer Seite zwar nicht formell, aber doch tatsächlich ausgegebenen Werkes um jeden Preis doch erst auf, als der Mangel eines Cchisfsweges durch die Land enge sie vor eine unbequeme militärisch-politische Lage stellte. Das war. als beim Ausbruch des spa nisch-amerikanischen Krieges im Jahre 1898 eines der besten Schlachtschiffe der Union, die „Oregon", von der Westküste Amerikas einen Weg von 1600 Kilometer zurücklegen mußte, um die dringend nötige Verstärkung der Seestreitkräfte vor den Antillen zu ermöglichen. Ohne diesen Anlaß würde der end gültige Ausbau des Kanals zweifellos noch geraume Zeit haben auf sich warten lassen. Wenn wir gleich wohl in Kürze seine Eröffnung erleben werden, so hat das demnach in erster Linie nicht wirtschaftliche, sondern politische Ursachen. Und in der Tat wäre es auch bedenklich, wollte man die große weltpolitische Bedeutung des neuen Seeweges über seiner weltwirtschaftlichen Wirkung gering «inschätzen oder gar übersehen. Vielleicht ist fene gerat« für Europa, also auch für uns Deutsche, sogar schwerwiegender als diese, mag auch die Er schwerung unseres wirtschaftlichen Wettbewerbes an der Westküste Amerikas, in Ostasien, Australien und in der Südsec gegenüber den Nordamerikanern in folge der großen Verkürzung der Seewege für diese gewiß nicht auf die leichte Achsel zu nehmen sein und andrerseits die Eröffnung neuer Routen unseren Schiffahrtsgesellschaften manchen Anreiz zu neuen Unternehmungen bieten. Die Eröffnung des Kanals bezeichnet den Ab schluß eines langen Ringens zwischen den Vereinig ten Staaten und Europa, das in diesem außer durch Frankreich hauptsächlich durch England vertreten worden ist. Ob allerdings der Abschluß endgültig sein wird, steht dahin. Seine Vorgeschichte und die notwendigen nächstliegenden Folgen des Kanalbaues deuten vielmehr aus politische Zukunftslagen, die den Großmächten noch manche Nuß zu knacken geben werden. Wird z. B. doch nun erst die Frage der berühmten Monroedoktrin wirklich akut, während sie bisher nur ein mehr oder weniger akademisches Interesse hatte. Sie bildet übrigens in gewisser Weise auch den Ausgang des englisch-amerikanischen Kampfes um den mittelamerikanischen Kanal. Bekanntlich wurde in der Botschaft des Präsidenten der Vereinigten Staa- ten Monroe, die er am 2. Dezember 1823 der Volksvertretung zugehen ließ, der mit dem obigen Namen bezeichnete Grundsatz ausgesprochen, daß die Vereinigten Staaten jede zum Zweck der Unter drückung unabhängiger amerikanischer Regierungen unternommene Einmischung anderer Staaten als eine den Vereinigten Staaten unfreundliche Hand lung betrachten müßten und daß die Kontinente Amerikas nicht mehr als Gegenstände der europäischen Kolonisation angesehen werden dürften. Allmählich wuchs sich die nordamerikanischc Auffassung etwa da hin aus. daß ganz Amerika, soweit nicht gerade europäische Mächte dort noch Besitzungen haben, als Interessengebiet der Union zu gelten habe und alle europäischen Beziehungen irgendwelcher Art eigentlich nur kraft nord-amerikanischer Duldung beständen. So nahm z. B. Präsident Tleveland im englisch- vcnezuelischcn Grenzstreit 1895 zufolge der Monroe doktrin das Schier-srichteramt für sich in Anspruch. Die Union trat bereits wenige Jahre nach dem 1821 erfolgten Abfall Zentralamerikas von Spanien mit den ncuerstandeaen Republiken in Derhant- ' lungen über einen Kanalbau an irgendeiner Stelle ein, aber ohne Erfolg. Dagegen faßten dies« Staaten 'selbst im Jahre 1823 den Beschlug, daß ein Kanal durch Nicaragua gebaut werben sollte, und vergaben aurch die Bauerlaubnir dazu. Die Unternehmer fa,Metten. Auch mehrere andere Konzessionsertci- lungen brachten die Sache nicht weiter. ^Pährenddessen ließ der Präsident des damaligen Steckttenbundes Neugranada (das heutige Kolumoia, Venezuela und Ecuador) eingehende Untersuchungen üLer Baumöglichkeiten anstellen, und diese wiederum erregten an verschiedenen Stellen Europas poli tisches Interesse; auch in England, das im Verfolg seiner nun einsetzendcn Versuche, sich irgendwie die Herrschaft über den zukünftigen Kanal zu sichern, schließlich die Republik Nicaragua durch eine Be setzung der Mosquitokiiste zu einem Vertrage (vom März 1818) gefügig machte. Nach diesem besetzte England unter anderem die Küstenstadt Ereyton, in deren Nähe ein Kanal durch Nicaragua endigen mußte. Die entrüsteten Nordamerikaner quittierten mit einem anderen Vertrage, der ihnen das alleinige Recht zum Bau eines Kanals durch Nicaragua gab, und erregten damit ihrerseits einen Sturm der öffentlichen Meinung in England. Nach verschiedenen weiteren Schachziiaen von beiden Seiten endete der Wettstreit vorläufig in dem Clayton-Bulwer-Der- trage vom Jahre 1850. Er verpflichtete beide Mächte, niemals eine ausschließliche Kontrolle über den Kanal auszuüben, keine Befestigungen anzulegen, nicht zu kolonisieren und keine Herrschaft oder Protektorat über Mittelamerika auszuüben und schließlich ge meinsam die Sicherheit und Neutralität des Kanals zu garantieren; die anderen Mächte sollten aufge fordert werden, dem Vertrage beizutreten. Außer dem sollten gleiche Rechte für alle festgesetzt werden, die den Kanal benutzen würden. Versuche der Amerikaner, von dem Vertrage wie der losznkommen oder einen entscheidenden Ein fluß auf den allmählich in den Vordergrund des In teresses tretenden Panamakanal zu erhalten, schei terten. Mittlerweile versuchten die Franzosen den Bau. Für England und die Union blieb aber die Laae im allgemeinen bis 1898 ganz unverändert. Da ließ das Uebergreiken der Vereinigten Staaten auf die Philippinen und andere Südseebesitzungen im Verlaufe des spanischen Krieges den Besitz einer mittelamerikonischen Wasse-straße bald noch not wendiger erscheinen, als es die Unannehmlichkeit der Oregonfahrt schon getan hatte. Indessen weigerte sich England nach wie vor, von leinen Rechten aus dem Clayton-Bulwer-Dertrage zurückzutreten. Bei dieser Lag« d«r Ding« kam nun der Burenkrieg den Amerikanern gerade zurecht. England beauemte 'ich fetzt wohl cder übel zu einem neuen Abkommen vom Februar 1900, in dem den Vereinigten Staaten der Dau und die Aufsicht über den Kanal zugestauden, aber jede Befestigung oder Blockade des neutralen Kanals ausgeschlossen wurde. Das genügte aber den Amerikanern durchaus noch nicht. Sie wollten den Kanal eben nicht als ein wirtschaftliches, sondern in erster Linie als ein poli tisches Instrument in Händen haben. Deshalb be drängten sie die durch den Burenkrieg zur Ohnmacht verurteilten Engländer unausgesetzt von neuem, bis diese im zweiten Hav-Pauncefote-Vertrag vom 1. No vember 1901 der Not gehorchend noch weitere Zuge ständnisse machten. Danach soll der Kanal den Schiffen aller Nationen unter völlig gleichen Be dingungen zur Verfügung stehen. Er darf nie blockiert werden, keine kriegerische Aktion erleben, auch nicht, angegri'ien werden. Die Vereinigten Staaten haben das Recht zur Aufrechterhaltung der Ordnung eine militärische Aufsicht auszuüben. Ein ausdrücklich ausgesprochenes Befestigungsverbot ist im Wortlaut nicht mehr enthalten. Wie die Union sich die junge Republik Panama dann zur Durchsetzung ihrer Zwecke nutzbar machte, nachdem sie die bisherigen Kanalanlagen von der französischen Gesellschaft übernommen hatte, ist noch in guter Erinnerung. Heute steht das Unternehmen kurz vor der Vollendung, im vollen Besitze der Ver einigten Staaten, von ihnen sehr stark befestigt und als eins ihrer hauptsächlichsten militärischen Macht mittel betrachtet. Der bisher erfolglose Einspruch Englands gegen den geplanten Erlaß der Kanal gebühren für Schiffe der Union ist weniger eine politische als eine wirtschaftliche Angelegenheit; immerhin darf er als ein Zeichen für die auch poli tisch bedeutsame Kühnheit angesehen werden, mit der die Amerikaner den Vertrag nach ihren Wünschen auslegen. In dem Ringen von etwa sieben Jahrzehnten ist also Europa unterlegen. Besonders England hat in seiner Bedrängnis während des südafrikanischen Krieges zurückweichen müssen und auch seitdem bei seiner eingebildeten steten Besorgnis vor einem deut schen Ueberiall nicht gewagt, seine politische Nieder lage irgendwie wieder wcttzumachen. Damit ist der bisher einzig dastehende Fall eingetreten, daß England einen hochwichtigen Seeweg erster Ordnung der Kontrolle eines anderen überläßt, weil cs sich nicht mehr stark genug fühlt, diese zu hindern. Denn die andere Auffassung, Engiand habe in dem Streit um die Neutralität des amerikanischen Kanals nach gegeben. weil es den Suezkanal in sicherer Hand habe und diesen für wirtschaftlich wert bedeutender halte, beachtet den Umstand nicht, daß England nunmehr tatsächlich von der unbeschränkten Herrschaft der Weltmeere zurückgetreten ist, die es doch tatsächlich bisher besaß und mit einem eigenen oder wenigstens neutralen Panamakanal auch weiter besitzen würde. Aber gerade deshalb ist hier vielleicht das letzte Wort auch noch nicht gesprochen. Um so mehr, als die Existenz des Panämakanals in nordamcrika- nischen Händen noch weitere Aussichten bedenklicher Art für Europa und wiederum im besonderen für England eröffnet. Daß der neue Schiffahrtswcg di« Stärke der Vereinigten Staaten zur See außer ordentlich hebt, ist zweifellos. Zugleich aber bedeutet er für sic auch einen neuen Schwächepunkt, denn eine kriegerische Wegnahme oder auch schon Unbrauchbar machung würde eine schwere Schlappe für die Union bedeuten. Und dabei liegt er wett vom Heimatlands entfernt inmitten von Staaten, deren Grenzen immerhin nahe genug sind, um von ihnen aus im Krieqsfallc qe ährlichc Handstreiche zu organisieren und ins Werk zu setzen. Dessen sind sich die Amerika ner auch wohl bewußt. Diese Situation muß ten be reits in dem Ansprüche der Monroedoktrin zum Aus druck kommenden Panameriftinismus bedenklich für. dern und das Augenmerk der Nordamerikaner auf die Angliederung der mittelamerikanischen Staaten lenken. Die ersten Schritte dazu scheinen sogar be reits getan zu sein. Nikaragua soll sich verpflichtet haben, ohne Einwilligung der Vereinigten Staaten keinen Vertrag mit irgendeiner Macht abzmchlicßen, ebensowenig irgendwelche diplomatische Schritte zu unternehmen oder einen Krieg zu führen. Mit Co lumbien schweben seit langem Verhandlungen. Und nach einer Kabelmeldunq aus New Pork soll Präsi dent Wilson dem Scnatskomitec für auswärtige An gelegenheiten bereits die Mitteilung gemacht haben, daß man sich sofort nach Erledigung der mexikanischen Frage mit den mittelamerikanischen Republiken werde beschäftigen müssen. Das sind die Vorstufen für die Ausdehnung der Macht der Union bcs nach Südamerika hinein. Am nächsten wird durch ein solches Vorgehen England berührt, dessen Kolonie Honduras geradezu ein geschnürt wird. Aber auch das übrige Europa wird eine derartige Ausdehnung der Bereinigten Staaten nicht sorglos hinnehmen können, wird doch dadurch der jetzt lchon gewichtige Druck der Union auf Süd amerika noch bedeutend gesteigert und auch an sich ihr politischer und wirtschaftlicher Einfluß auf die weitere Umwelt, Europa, Kanada, Ostasien zu be denklicher Höhe getrieben. Vor einiger Zeit ging das Gerücht, die Reise des deutschen Botschafters bei der Republik Frankreich nach Berlin hätte gemeinsamen Schrillen Frankreichs. Englands und Deutschlands in der Milteiamerikani schen Frage gegolten. Ob dem wirklich jo war, ist öffentlich nicht betanntgeworden. Durchaus erklärlich würde es jedenfalls sein, wenn sich diese drei am meisten interessierten Mächte nicht allein auf den augenblicklichen Gegensatz zwischen Mexiko und der Union und etwaige Unterstützung des ersten durch Japan im Konfliktsfalle verlassen wollten. England vor allem wird allen Anlaß haben, rechtzeitig seine Augen auf die Vorgänge in Mittelamerita zu r chten, falls es nicht von vornherein eine schließlich sichere llcberflügeluny durch dis Union kampflos hinnehmen will. Dazu dürfte ihm aber eine bauernde Besserung seines Verhältnisses zu Deutschland unerläßlich ein. Da diese selbstverständlich nur dadurch zu erreichen ist. daß England aushört, fortgesetzt Deutschland m d-m Weg zu treten und seine Gegner zu unterstützen, so ist es angebracht. k>el der Abschätzung dec Fol en der Eröffnung des Panamakanals neben den erwähn ten ungünstigen Aussichten aut wirt chaftlich.'in und politischem Gebiete auch die Möglichkeit einer uns gewiß erwünschten Annäherung der europäischen West- und Zentralmächte nicht außer Acht zu lassen. Wie es nun auch kommen möge, mag man die mittel amerikanischen Republiken und danach schließlich euch Südamerika widerstandslos der Union ausliesern, oder mag Europa Schritte tun, eine solche übermäch tige Grütze der Union zu verhindern, jedenfalls wird d>e Fertigstelluna des Panamakanals den ursächlichen Anlaß zu hochoebeutenden politischen Vo gänsen wahrscheinlich schon in nicht sehr ferner Zukunft bilden. Jugendfürsorge. (H Berlin, 18. März. Wir leben, trotzdem mancher Eifer sich kühlte und in weiten Schichten der Egoismus, zumal der poli tische und wirtschaftliche, nach starker Betonung drängt, noch immer in eurer sozial gestimmten Z«lt. Und wir leben (obschon die Wenduirg allmählich ein wenig abgegriffen wurde) im „Jahrhundert des Kindes". Wir sorgen uns ganz ernsthaft um die Heranwachsende Generation und ringen alle um die Jugend. Leider zeigt sich auch hier wieder das Erb übel der Deutschen, die es schlecht vertragen können, wenn andere nach anderen Konfessionen — das Wort hier im allerweitesten Verstände gebraucht — ,elrg werden sollen. Ganz ohne Umschweife gesprochen: auf einem unendlich spröden, noch wenig beackerten Feld, wo nur durch Zusammenfassung aller Kräfte, strafte Zentralisation und Ausnützung der bewährten und gelernten Helser etwas zu erreichen ist, meldet sich immer wieder das Verlangen, eine gesonderte Heer straße zu ziehen und bei Bestrebungen, deren Ziel bei allen das gleiche ist, sich eine Extrawurst braten zu lassen. Heute sind es die Sozialdemokraten, die der ihrem so törichten wie verderblichen Bemühen, Hürden um ihre Gefolgschaft aufzurrchlen und alle nationalen Gemeinsamkeiten aufzulüsen, sich eigene Organisationen schäften, morgen ist es der eine oder andere an sich wohlmeinende Philanthrop, der bei den bisherigen Einrichtungen seine besonderen Ideen und Wünsche nicht genügend berücksichtigt fand und so .zerrinnt als armseliger Kanal im Sande, was, in das rechte Bett geleitet, unserer Jugendfürsorge neue Antriebe hätte zuführen können. Für die besteht nämlich schon seit demnächst sieben Jahren eine zen trale Organisation, aus der bei immerhin beschrank ten Mitteln durch eine glückliche Verbindung von be amteten Kräften und freiwilligen Helfern (nebenbei: meist weiblichen Helfern; wie denn überhaupt au) diesem Felde Frauen durch ihren Takt, ihre fein fühlige Behutsamkeit und ein reges soziales Ver ständnis ganz Ausgezeichnetes geleistet haben) ein Strom von Sogen auf unsere notleidende und ge fährdete Jugend geflossen ist. Diese Organisation, die „Deutsche Zentrale für Iugcndjür- sorge", die am 23. April 1907 aus der Vereinigung zweier um die Jahrhundertwende gegründeter, bis lang konkurrierender Vereine mit ähnlich roett- gejpvnnten Zielen erwuchs, hat sich ja als Hauptauf gabe gesetzt, die da und dort bestehenden Unter nehmungen der Jugendfürsorge zusammenzu'ühren; zwischen den Behörden, der freiwilligen Fürsorge tätigkeit und dcr Bevölkerung zu vermitteln, in wissenschaftlichen Publikationen und regelmäßigen Versammlungen und Tagungen die einschlägigen Fragen zu erörtern und nach Möglichkeit zu klären und durch Anträge an die parlamentarischen Körper schaften auch auf Gesetzgebung und Verwaltung Ein fluß zu üben. . Das sind Worte, werden uns manche Aber diese Worte gewinnen Leben, wenn m t>«riodischen Veröffentlichungen der „ Zentrale für Jugendfürsorge", den „Mitte, und den in der Regel ungemein anziehend denen Jahresberichten blättert. Da enthüll uns Nachtbilder unserer Gesellschaft, Höhlen Brutstätten dcr Verwilderung und des Lasters, nur wenige Schritte abseits von den Prunkstra» unserer gepriesenen Hochkultur sich auftun, werd» zugleich aber auch bescheiden und .nspruchslos, den noch beharrlich und mit tief eindringendem Verständ nis in das Allzumcnschliche aller sozialen Nöte die Wege gewiesen, aus denen so oder so dem Hebel ein wenig beigckommen lverden könnte. Die Gesetz gebung Hai mehr als einmal von den Anregungen der „Deutschen Zentrale für Jugendfürsorge" pro fitiert: die Kommissionsfassung des Entwurfs über die Jugendgerichte, den, wir wollen hoffen, die heurige Session doch noch verabschiedet sehen wird, entstand unter ihrer Mitwirkung. Noch häufiger sind die Fälle des Zusammenarbeiten-; mit den staatlichen und städtischen Behörden, den Jugendgerichten und dem Berliner Polizeipräsidium. Solchem Zusammen wirken mit dem Berliner Vormundschaftsamt gelingt es z. B. häufig, die Fürsorgeerziehung individueller und den Anlagen des einzelnen Zöglings mehr ent sprechend zu gestalten. In Berlin allein sind durch Vermittlung der Zentrale seit 1908 4169 Schutz aufsichten ausgeübt worden; von den im Berliner Polizeipräsidium eingclicferten Jugendlichen haben sich im Jahre 1912 474 ihrer Fürsorge erfreuen dürfen. Daneben geht dann natürlich die breite Masse jener Anlässe, wo die Zentrale direkt Hilfe leistet; wo sie zwischen Ehegatten vermittelt, zwischen Eltern und Kindern, wo sie für Unterbringung in Pflegestellen sorgt, di« Kosten für Erholungsaufent halt übernimmt und in Fällen schlimmster Not gar Lebensmittel, Heizmaterial und Kleidungsstücke beschafft. Die Zentrale hat sich zudem noch als Auskunfts stelle für Behörden und Private bewährt und als tatkräftige Förderin des Kindcrhortwesens in Deutschland. Durch ihre Bemühungen ist in Templin r. d. Mark die erste Anstalt für minderbemittelte Psychopathische ins Leben gerufen worden, denen sich bisher keine Heilstätte geöffnet hatte: die be stehenden Anstalten bedeuten selbst für den Beutel der Wohlsituierten eine starke Inanspruchnahme. Bei dieser steten Durchforschung der Nachtseiten des sozialen Lebens sind durch die Zentrale ^um Teil ganz neue Einsichten gefördert worden. Vor allem hat man die verhängnisvolle Rolle begreifen gelernt, die der trunksüchtige Familienvater spielt; erkannt, wie der derzeitige Stand der Gesetzgebung in keinem Belang leider ausreicht, die Heranwachsenden und die Ehefrau vor dem Wüstling zu schützen. Das alles aber war doch nur durch eine straffe Zentralisation und Zusammenfassung zu ermöglichen. Dadurch, daß man ökonomisch aroeitete und nach einem großen Plan und das verderbliche, Kräfte und Mittel zer reibende Ecgeneinanderarbeiten verschiedener Orga nisationen ausschloß. Nirgends ist der Kampf der Parteien jo wenig angebracht wie auf diesem Feld; in der Beziehung gilt noch Wort für Wort, was bei einem von der „Deutschen Zentrale für Jugendfür sorge" in Berlin veranstalteten Erörterungsabend vor zwei Jahren ausgcführt wurde. Was damals der Berichterstatter, der verdienstliche Neuköllner Bürgermeister Dr. Weinreich, darlcgte, und was hinterher in dcr Diskussion von Vertretern aller Parteien und Richtungen zugegeben ward, das ist heute noch genau so richtig; in diesen Stücken gibt es eben nur e i n Ziel, und nur in gemeinsamem Wirken ist es zu erreichen. Sismarck-Zilm. Von heute ab wird auch in Leipzig der Film ab gerollt werden, dcr das Leben Bismarcks zur Dar stellung bringt. Wer ihn sich anjchaut, unterstützt damit das Rationaldenkmal auf der Binger Höhe. Er wird aber auch eine besondere Freude genießen, indem er alle Einzelheiten jenes gewaltigen Lebens im Fluge üücrdliat. Das Kind, der Srudent, der junge Staatsmann, der Gutsherr und Ehemann, Deichhauptmann, Botschafter, Bundes- und Reichs kanzler, der Alte von Friedrichsruh, alles, was uns an ihm lieb ist, Kleines und Großes, Anekdoten und weltbewegende Ereignisse. Scherz und Ernst, vor. allem das rein Menschliche an „unserem" Drsmarck genießen wir im engen Raum einer Stunde. Wer da nicht tief ergriffen nach Hause geht, dem ist nicht zu helfen. Auch künstlerisch sicht die Vorführung auf großer Höhe. Der Schauspieler, dem es in jo aus gezeichneter Weise gelang, den Mann zu verkörpern, hat sich den Dank der Nation verdient. In Berlin bot der Kampf um die Plätze im Mozart-Saale, die Spannung. Hingabe, Begeiste rung des Volkes, dem hier für verhältnismäßig billiges Geld Unschätzbares geboten wurde, einen un vergeßlichen Anblick. Der viclgcjcholtcne Kientopp im Dienst edelster, vaterländischer Kunst: Das sollte denen zu denken geben, die glauben, geistreich zu jein, wenn sie diese neue Erscheinung unterschiedslos weg werfend beurteilen. Bekanntlich liegt dem Reichs tage eine Novelle zur Gewerbeordnung vor. die di« Kinemarographentheater einer Beschränkung unter werfen will. Sic fallen zurzeit noch nicht unter H 33» dcr Gewerbeordnung, wo auch von theatra lischen Darstellungen die Rede ist. bei denen „ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft" nicht „obwaltet". Ihnen sollen nunmehr die „Lichtspiele" — man beachte Las gute deutsche Wort — angereiht werden. Also auch ein Film, wie ocr oben be sprochene.' Aber gerade er lehrt uns. wie hier eine neue Kunstform im Aufblühen begriffen ist, die als schlechthin niedere zu kennzeichnet ganz oerietzrt wäre. Solche Vorführungen können himmelhoch über gewissen rein theatralischen Aufführungen stehen, selbst über solchen, bet denen ein höhere« Kunst-
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