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m Sain. Kochgehirgsroman von Adolf Ott. (Kachdruck Verbote».) Derzweiflungsvoll wand sich das Weib auf ihrem Laaer. Bei dem Streit, in der Erregung war es ihr leicht geworden, mit ihrer Entfernung zu drohen, die ein Ausraffeu aus dem lethargischen Zustand, in dem sie sich befand, bedeutet hätte. Aber, wo wollte sie hin? Diese Frau war keines jener Wesen, die trotzig den Kampf mit dem Dasein aufnehmen, un bekümmert um die Folgen eines solchen Schrittes. Der Vater hatte ihr mit dürren Worten erklärt, das; sie ihr Los zu tragen hätte, daß sein Haus ihr verschlossen fei. WiN sie ihr Vorhaben durchführen, so vleibt ihr nur die fremd«, kalte Welt, diss sie nicht kennt, vor der ihr graut. Fliehen, davongehen und das kränkliche Kind zurücklassen, das ertrüge sie nicht, lieber gleich in den Tod! Die Anna-Marie ist religiös, der Gedanke an die Selbstvernichtung ruft den an die ewige Verdamm nis wach. So kommt sie langsam dazu, Hilfe aus ihrem Elend von den himmlischen Mächten zu hoffen, zu erflehen. Die gebsnedeite Gottesmutter muß ihre Fürsprecherin werden; vor ihr will sie liegen, weinen, beten, bis ihr ein Zeichen wird, das; Gott sich ihr wieder gnädig zuwendet. Einige Stunden von Reichenbach, hoch oben im Gebirge, ist ein wundertätiger Gnadenort, zur Mutter Gottes im Grün geheißen. Dorthin verlobt sie sich zu einer Wallfahrt. Warum soll ihr nicht Erfüllung ihres heißen Wunsches werden, nachdem schon viele Tausende ge tröstet von dort zurückgekehrt sind? Bittet sie doch nur um etwas Kleines vor dem Herrn, um den häus lichen Frieden. Die Liebe ihres Gatten zu erringen, einen so vermessenen Wunsch trägt sie nicht in sich, damit hat sie resigniert abgeschlossen. Liebe! Was wußte die Anna-Marie von Liebe? Damals, als der Hans zu ihr ans Kammerfenster gekommen war, ging ihr freilich eine Ahnung davon auf. Aber zum lebenskräftigen Baum hatte sich die zarte Pflanze nicht entwickelt, sonst hätte sie sich nicht von dem väterlichen Machtgebot knicken und entwurzeln lassen. Tas gequälte junge Weib dachte freilich: „Wenn ich....? Hätte ich nicht....?" Aber dann war sie un fähig, diese Gedanken weiter zu entwickeln, denn wie ein Eisstrom lief es ihr über bas Herz, daß der Hans niemals nur ein Wort von Liebe zu ihr gesprochen, daß er niemals etwas von ihr verlangte, was ein Zeichen, ein Unterpfand dieses Gefühles hätte sein können. Sie hat sich also getäuscht, und es ist ihr in diesen Tagen nichts übriggeblieben, als zu folgen, sich zu unterwerfen. — Von weit her kam das Landvolk, männlichen und weiblichen Geschlechts, in Reichenbach zusammen, von wo aus die jährliche Wallfahrt zur Mutter Gottes im Grün abging. Nach Hunderten zählte die Menge, die unter dem Vorantritt der Priester und deren Diakone, singend und betend, mit buntgestickten Kirchcnfahnen und Muttergottesbildnisien herbei strömte. In malerischen Gruppen lagerte sich das Volk um die Kirche und den Hügel, auf dem diese sich erhob. Dichtaesüllt waren die Wirtshäuser von Männlein und Weiblein, die es mit der Kasteiung nicht so genau nahmen und sich Stärkung holen woltz ten, auf den weiten, beschwerlichen Weg, der von der Straße abführend sich auf steinigem Gebirgspfade, durch Wälder und öde sonnenbeglänzte Strecken, gegen die Gnadenkapelle zog. Die ersten Morgenstunden vergingen im Warten und Zögern, weil noch nicht alle Gemeinden, die sich dem Zuge anschließen wollten, eingetrofsen waren. Dann begannen die sämtlichen Glocken der Pfarr kirche zu läuten, die Ministranten entzündeten die Weihrauchgefäße, die Reihen, denen voran die Fahnen schwankend und vom Winde bewegt getragen wurden, ordneten sich — wie eine bunte, schillernde Schlange kroch langsam der Zug der Wallfahrer die Höhe hinan und verschwand im Walde. Es war ein drückend heißer Sommertag und die Sonne warf ihre Strahlen senkrecht herab, als die von der Hitze ermatteten Leute vor der wunderreichen Waldkapelle ankamen. Nach einem kurzen Aufent- halt ordneten sich die Scharen um die im Freien stehende Kanzel, von welcher einer der Priester eine vorbereitende Ansprache hielt. Danach füllte sich das Kirchlein mit den Pilgern bis auf den kleinsten Raum, um vor dem wundertätigen Mutter-Gottes- bild zu beten und sich von dem Allerheiligsten segnen zu lassen. Die Menge der Lvallfahrer war so groß, daß nur immer ein bestimmter Teil Einlaß fand.. Laut betens, den Rosenkranz zwischen den gefalteten Hän den, knieten und standen die Wartenden vor der Ka pelle, unbeschützt vor heißem Sonnenbrand, bis auch sie an die Reihe kamen, eingelassen zu werden. Unter diesen befand sich auch die Anna-Marie. Nur mit Aufbietung aller Kräfte hatte sie sich bis hierher geschleppt. Das Stoßen und Drängen der ungeduldig in das Heiligtum drängenden Pilger fürchtend, kniete sie betend abseits Ueber ihr Ge sicht perlten große Schweißtropfen der Erschöpfung, im Kopfe fühlte sie einen peinigenden Druck und in den Ohren sauste das erregte Blut. Sie war nahe daran, die Besinnung zu verlieren, nur der Gedanke, der sie hierher geführt hatte, hielt sie noch aufrecht. So wartete sie, bis die große Menge ihr Andachts bedürfnis gestillt hatte, dann wankte sie mehr als sie ging in die Kapelle und warf sich vor dem den Altar abschließenden Gitter nieder. Der Weihrauch hatte in dicken blauen Wolken den ganzen Raum erfüllt, die Luft war zum Ersticken ichlecht geworden. Aber daran dachte, das kümmerte das arme Weib nicht. Die Stirn auf die krampfhaft gefalteten Häirde gepreßt lag es vor dem Altar, ihr Elend der gnaden reichen Gottesmutter klagend und sie mit heißer In brunst um ihre Vermittlung bei dem Allmächtigen anflehend. Ab und zu erhob sie sich, dann suchten ihre Augen das wundertätige Bild, eine kunstlose Holzschnitzerei, wie wenn sie ein Zeichen der Gewährung erwartete. Die Weihrauchwolken stiegen aufs neue wirbelnd und sich kräuselnd gegen die Decke: die um den Altar sitzenden Priester murmelten ihre lateinischen Gebete; ab und zu war ein unterdrückter Seufzer, wie der Aufschrei einer winiden Seele, zu hören; das Kommen und Gehen der Menschen verursachte ein schlürfendes, trippelndes Geräusch auf den Steinfliesen des Bodens — aber unentwegt sah das Marienbild mit seinen ge malten Augen auf das kronengeschmückte Christus- kind herab, das es auf den Armen hielt. Anna-Marie hatte sich keine bestimmte Vorstellung gemacht, in was das Zeichen der Erhörung, das sie erwartete, eigentlich bestehen sollte. Aber unwill kürlich erhoffte sie es von der heiligen Jungfrau. Hatte diese nicht schon Hunderte, ja Tausend« von Wundern getan und bewirkt, den Mühseligen und Beladenen zugelächelt, oder sie mit ihren göttlichen Augen, gnädig erhörend, angesehen? Die ganze Um gegend wußte davon und beschwor die Wunder mit heiligen Eiden. War es denn zuviel, um was die Anna-Marie so innig und andächtig flehte? War es nicht etwas, das in der Ordnung der Dinge lag, die Gott selbst zum Sakrament erhoben hatte? Das mußte er beschützen, hier mußte er Umkehr und Wandel schaffen, sonst wurde sein« heiliae Einrichtung zu einer nicht länger zu ertragenden Qual. Wie das Weib jetzt in sich steigernder Erregung betete, das war nicht mehr das Flehen eines de mütigen' Kindes, sondern ein Fordern, ein Heischen nach ausgleichender Gerechtigkeit. Trug sie eine Schuld? Nein, sie konnte sich kein« beimessen. Ehrlich und treu hatte sie sich bemüht und gequält, ihrem Mann ein christliches Eheweib zu sein. Dem väterlichen Willen hatte sie sich gebeugt, trotz ihrem Bangen vor der Zukunft. Was weiter? Wird sie dafür bestraft, weil sie sich das Gedenken an die wenigen nächtlichen Stunden, in denen der andere vor ihrem Kammerfenster gestanden hatte, nicht aus dem Herzen reißen kann? Liebt und pflegt sie nicht das kränkliche Kind des ungeliebten Mannes mit aller Hingabe eines heißen Muttergefühls? Und Loch und doch! Diese uttd ähnliche Fragen wirbeln in ihrem ge quälten Gehirn wie wild flatternde, eingespcrrte Vögel, und verwirren nach und nach ihr Denken zu einem Trotz, vor dem sie sich fürchten würde, wenn sie ihn nüchternen Sinnes betrachten könnte. Immer heißer, fanatischer werden die stillen, von ächzenden Seufzern unterbrochenen Stoßgebete oes mit ihrem Gott ringenden jungen Weibes; das Blut steigt ihr zu Kopf, nur unklar sieht sie das Wunder bild dort am Altar durch den süßlich duftenden Rauch schleier; für alle Geräusche um sie hat sie vollständig die Empfindung verloren. Und jetzt, in der höchsten Ekstase, nahe dem Wahn sinn oder einer Ohnmacht, jetzt ist es ihr, als ob sie mit ihrem Gebete bis zum Himmel gedrungen wäre; jetzt muß das Zeichen kommen, das sie erwartet, jetzt, jetzt' Und sie erhebt sich mit flehend zusammengepreßten Händen und blickt mit brennenden Augen auf das Gnadenbild, das im Augenblick ganz von einer Rauch wolke verdeckt ist. Der blaue Dunst zerrinnt — wie immer blickt die wundertätige Madonna auf das Christuskind in ihren Armen. Ein Aufschrei, gemischt aus Enttäuschung, Zorn, Entsetzen! Die Tanncckbäuerin sinkt bewußtlos, mit dumpfem Aufschlag zu Boden. Man trägt die Frau hino"?, spritzt ihr kaltes Wasser ins Gesicht, nachdem man sie unter einen schattigen Baum gelegt hatte. So etwas kam häufig vor. Der weite, beschwerliche Weg. di« Hitze, die schlechte Kirchenlust, vielleicht etwas zu streng ge fastet — das sind die Ursachen, um die man sich nicht viel kümmert, die man hinnimmt, wie sie eben kommen. Die Anna-Marie erholte sich rasch. Am liebsten würde sie sich sofort aus den Heimweg gemacht haben, l nur um nichts mehr von der Wallfahrt und den l Menschen, die an die wundertätige Madonna glauben, i sehen zu müssen. Al« sie sich erhob, fühlt« st«, daß ihr die Bein« der Dienst versagen würden. Da ging sie schwankend unt gebrochen tiefer in den Wald hinein und legte sich unter «ine breitästige Tanne. Ihre Gesichtszügc zeigten einen harten, abweisenden Ausdruck, als ob sie von Stein gemeißelt wären. So lag sie, dumpf vor sich hinbrütcnd, bis es drüben an der Kapelle ganz still geworden, die Wallfahrer bei Glockenklang unter Singen und Beten wieder heimwärts gezogen waren. In dem Weibe war etwas anders geworden; ihr naiver Kinderglaube war plötzlich zusammengebrochcn, und was blieb, war etwas, an das sie sich nicht halten und aufrichten konnte. Ein trotziger Zorn über die Gegenwart, verbunden mit einem dumpfen Gleich gültigkeitsgefühl für das, was die Zukunft bringen wird, erfüllte sie. Leben! Warum leben? Eigentlich hatte sie, verlassen von der göttlichen Gnade, nichts mehr auf der Welt zu suchen. Wer wird sie vermissen, wenn sie geht? Niemand, vielleicht nicht einmal ihr Kind. Wie die Anna-Marie an das Kind denkt, gibt es ihr aber Loch einen Stich durch das Herz. Ihr Mann, der die Kleine fast haßt, wird womöglich das arme, unschuldige Ding noch schlechter behandeln, als er es jetzt schon tut. Da bäumt sich die Mutterliebe in ihr auf, heiß, kampflustig. Nein, dazu will sie dem wüsten Menschen keine Gelegenheit geben. Wie einen Schild will sie sich selbst vor diese Gefahr halten. Oder? Wenn das nichts nützt, so geht sie aus der Welt und — nimmt ihr Kind mit. „Mörderin!" schreit es in ihr. Aber die Anna- Marie schüttelt den Kopf und lacht grell auf. Ihr Kopf weiß es besser als das Herz. Nicht eine Mörderin wird sie dann sein, sondern eine Befreierin vom gegenwärtigen und künftigen Elend. Die Strahlen der Sonne beginnen schon schief ein zufallen; die Amseln und Drosseln fangen an, im Wald ihr Abcndlied zu flöten und zu singen; über den zertretenen Grasplatz vor der Kapelle wechselt schüchtern ein Reh, hebt plötzlich Len seinen Kopf und springt mit einem mächtigen Satz in den Wald zurück. Mit langsamen Schritten, den Kopf zur Erde gesenkt, die Hände über der Brust zu Fäusten verkrampft, tritt Anna-Marie aus dem FichteNdickicht. Als sie an der Kapelle vorüberkommt, wirft sie einen Blick auf diese, der sagen wollte: „Ich glaub' nichts mehr — alles ist Lug und Trug." Der Rasenplatz vor der Kirche ist zertreten, Reste von Eßwaren, abgenagte Knochen, Papier, das zum Einwickeln der Speisen verwendet gewesen war, be decken, verunzieren ihn. Die Frau empfindet Ekel, als sie das Wüste schaut. Jetzt muß sie auch darüber Nachdenken, warum sich der oder jene an der Wall fahrt beteiligt hatten. Nachdem sie die Ortsoerhält- nisse genau kennt, weiß sie auch für viele den Grund sich zu sagen, lind da überfliegt ein Lächeln kalten Hohnes ihr bleiches Gesicht. Keiner und keine ist ge kommen, weil ihn sein religiöser Drang dazu ge trieben Hatz Alle haben etwas erbitten wollen, ent weder -ür sich selbst, für ihnen Nahestehende, ja, selbst für das liebe Nutzvieh in den Ställen oder auf den Almen. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.) o M40.- n 2^ /'/? -e/r //? Deu/O/snö e> szz§ ezz^/Wez- AzZ, zz?z7 Hs/V/e/'öe Le/Zz/ZezZ E ech/ ezz^/z/cHez? Lszz? szz/znzzez- 5ez'öe ecH/ ezz^/Wezz 5/oFezz. Azzzzz^/zzzzö ÄzvzzeZ zzz// z-ez'zzez- Fez'öe Le/zz/7ez7 . szz§ wezq-wo/'/zLezz AoFezz zzzz/ M/e/'Ze sz/5 Mwez?zz ecH/ ezz^/Wezz 5/oFezz Ao/UMWQß? 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