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Donnerstag. IS. Oktober 19U. Lcirmgrr Laycolou. Ne. L6S. LOL. Zonrqutty. Kirch« und Krieg" fort. Der Redner wies ein leitend darauf hin, daß die Bereinigung schon lange das Bedürfnis gehabt hab«, sich einmal üoer diese» Thema zu äußern. Besonders die Arbeiterschaft kämpf« gegen den Krieg und könne es nicht verstehen, daß sich tue Geistlichkeit nicht auch geaen denieloen wende. Als man Las Thema auf di« Tagesordnung gestellt habe, sei der italienisch-türkisch« Krieg noch nicht ausgebrochen. Er scheide also aus d«n Kreis der Betrachtungen aus. Die Frag« soll sowohl von dr: rein theoretischen, als auch von der ethischen Seit« be. handelt werden. Hieraus ergebe sich üie Fragestel lung. welchen Standpunkt derjenige zum Kriege ein- nehm«, d«r sich als ernsten Christen bezeichne. Jesus hab« z. B. inemals für vd«r aeg«n d«n Krieg ge sprochen, obwohl seine Zeit ein krieaertsch«» Bild dar- g«bot«n habe. Auch hab« er das Ansinnen, sich «in weltliches Reich zu gründen, glatt zurückgewlesen. U. a. habe er auch zu Petrus gesagt: Steck« d«in Schwert in die Scheide. Er sei also rmmer gegen den Kampf und gegen jede Gewalt gewesen und in ihm habe «in absolut unkriegerischer Geist, d«r Geist des Duldens und des Friedens geherrscht. Der Sozialdemokrat Koutsky habe Jesus einmal als Re- volutionär darzustellen versucht, der im Kampfe gegen di« Staatsgewalt gefallen sei. Das sei jedoch längst widerlegt word«n. Auch in der alten Kuck)« s«i nie mals de: Versuch erwähnt, daß die Christen zu den Waffen gegriffen Härten. Ueberall habe der Geist des Friedens geherrscht. Je weiter jedoch das Christen- tum vorgeschritten sei, um so brennender sei die Frage des Krieges geworden. Bei der ältesten Christenheit habe sogar die Anschauung gehen cht, daß ein Christ überhaupt lein« Waffen tragen dürfe. Erst Konstantin habe den Gott der Christen zum Kriegsgott erklärt und damit habe die Staats:?«« über dl« christliche Idee den Sieg davongetragen. Es seien dann heilig« Krieg« geführt und Kreuzzuge veranstaltet worden. Ferner erinner« er an dre Hugenotten, an d«n Dreißigjährigen Krieg usw. Auch in den Liedern der Befreiungskriege sei der Krieg als eine Sach« Gottes hingestellt worden. Eine besondere Bewegung von christlicher Seite gegen den Krug sei von Amerika seitens der Quaker ausgegangen Schließlich habe der Staatsgedanke den Standpunkt des Christentums abgetötet, da der S aat nicht ohne den Krieg auskommen konnte. Die heutige Versamm lung wolle nun beides: Das Christentum und den Staat. Die Frag« sei nur die, ob der Sraaisgedanke geschädigt werde, wenn man gegen den Krieg agi tiere. Festzuft«ll«n sei. Laß tatsächlich die Krieg« gegen früher bedeutend abgenommen hätten. Di« Reibungsflächen zwischen den Völkern würden klei ner und die Kriegsmöglichkeiten durch die Assoziation der Menschheit immer geringer. Durch Len handel, Lurch die Kunst, die Technik, die Weltausstellungen und durch tausend andere Fäden seien Li« Völker miteinander verbunden und aufeinander angewiesen. Zweifellos ziele heute alles auf einen allgemeinen Frieden ab. was vor einem Jahrhundert noch als Utopie erschienen sei. Di« Kriegsriistungen zehren am Marke der Völker und die Existenz der Staaten werde dadurch bedroht. Auch sei man sich der Ver antwortung und der Folgen «ines Krieges jetzt mehr bewußt als früher. Er glaube, daß auch in unserem Kaiser der Friedensgedanke dauernd lebendig sei. Allerdings habe die modern« Friedensbewegung mit dem Christentum gar nichts zu tun, sondern di« leiten, den Kreise derselben leisten nur real« Arbeit. Auch sei man bestrebt, das Völkerrecht immer mehr aus- zubauen, wozu noch der Schiedsgerichtsgedanke komm«, der allerdings schon sehr alt sei. So seien in den letzten I 110 Jahren 241 international« Streitfälle durch ! SchieosgerOht« erledigt worden. Die moderne Po litik bediene sich immer mehr dieses Instruments und alle Staaten hätten sich bi» jetzt den Schiedssprüchen gebeugt. Jedenfalls sei also der Gedanke de» Frie den» auf dem Vormarsch begriffen. Für ihn al» Christ gelte d«r Grundsatz, den Gedanken des Frie dens so weit als möglich zu stärken. Den Kriegs- Heyern müsse der Mund möglichst «stopft werden, und es sei ein große» Unrecht bei vedanfesten Kriegs- reden zu halt«». Selbstverständlich könne sich für den Staat dl« Notwendigkeit ergeben, daß er zum Schwerte greifen müsse. Der Krieg sei früher tatsäch lich «in Kulturträger gewesen, doch heute gleite ter Kampf der Abrüstung immer mehr auf das geistige G«k>i«t über. Allerding» sei «in« Abrüstung iru: noch nicht möglich, sondern erst dann, wenn di« Völker lo weit seien, ihre Streitigkeiten durch internal onol- f Schiedsgerichte zu schlichten. Der Vortrag, an L- i si.h eine lebhafte Aussprach« knüpft«, fand rauschenden Beifall. Serlchtslasl. Königliche» Schwurgericht. rm. Leipzig, 11. Oktober. Meineidsprozeß. Der in Pausitz bei Riesa ge borene -13 Jahre alte Viehhändler Gustav Bernhard Nocke in Kleinbothen stand unter der Anklage des Meineids, den er in einer gegen den Pferde maller L. anhängigen Strafsache am 10. August 1908 vor der 6. Strafkammer des hiesigen Landgerichts geleistet haben sollte. Die Anklage vertrat Staats anwalt Dr. Lange, die Verteidigung führte Justiz rat Broda. Da der Vorsitzende der jetzigen Schwur gerichtsperiode, Landgerichtsdirektor Schmidt, in dieser Straflache als Zeuge auftrat, fand die Ver handlung unter dem Vorsitz des Landgerickstsdirektors Dr. Selle statt. Auf Antrag des Verteidigers wurde die Verhandlung unter Ausschluß der Oefient- lichkeit geführt. Nach dem Wahrspruch der Geschwo- rcnen, welche die Echuldfrage verneinten, wurde der Angeklagte kostenlos freigesprochen. Königliches Landgericht. -rm. Leipzig, 11. Oktober. De» Wucher» angeklagt. Gegen den aus Klein- Drsesen stammenden Landwirt Karl Emil Hertel war Anklage wegen vollendeten und versuchten Wuchers erhoben worden, die heute vor der VI. Strafkammer zur Verhandlung kam. Nach der Anklaa« hatte Hertel dem Lehrer M. ein Darlehn in Hohe von 280 .^l gegen Ausstellung von acht Wechseln über je 50 gewährt. Ferner hatte M. noch für ein weiteres Darlehn in Höhe von 185 .6 Wucherzinsen zahlen müssen. Der Schneiderin R., die 146 von dem Angeklagten geliehen erhielt, hat vier Akzepte über je 50 ./L ausstellen müssen. Einer Frau Sch. gab Hertel gegen Ausstellung von drei Wechseln über je 100 ./L ein Darlehn von 192 ! Endlich fiel dem Angellagtcn noch ein versuchter Wucher zur Last. Der Schlosser V. wollte von dem Angeklagten 300 ./L als Darlehn haben. Heriel machte aber die Hingabe des Geldes von der Aus- ' stellung von Wechseln in Höhe von 450 abhängig, worauf B. jedoch nicht einging. Auf Grund der Er gebnisse der Beweisaufnahme wurde der Angeklagte des Wuiers überführt und zu sechs Monaten Gefängnis und dreihundert Mark Geldstrafe verurteilt. Außerdem wurden Hertel die bürger lichen Ehrenrechte auf die Dauer von zwei Jahren aberkannt. > Widerstand -egen dir Staatsgewalt. Von dar vierten Strafkammer wurden am 1L. Mai nach drei tägiger Verhandlung d«r Dachdecker Max Lindau von Yle: wegen mehrerer Cinbrucksd-e'bstähle M vier Jahren Zuchthaus, dar Maler Schön«- meyer au» Lützschena zu zehn Jahr«n Zucht« Haus und der Bäckergeselle Riehl zu einer län geren Gefängnisstrafe verurteilt. Als nach der Ur« reilsverkündung ver Vorsitzende das Urteil begrün dete, kam es im Gerichtssoale zu «inem wüsten Auf tritt. Der Ai'.Hcklagt« Schöne meyer wollte aus der Anklagebank springen und sich auf den Milan- geklagten Niehl stürzen, der ibn belastet batte, uitd als der Angeklagte Riehl aus der Anklagebank geführt worden war, begann dr: Angeklagt« Lindau zu toben und Droh, und Schimpfwort« auszustoßen. Als ihn die Gerichtsdiener abstirrrn und iym dir Hand- fesseln anlegen wollten, schlug Lindau wie toll um zi..) and leistete loei» Beamten den heftigsten Wider stand. Schließlich wurde er von mehreren Gerichts dienern überwältigt und gefesselt. Auf dem Korri dor machte Lindau nochmals «inen Versuch, sich zu widersetzen, ließ sich aber dann, als die Handknebel fester angezogen wurden, in das Unteriuchungsge- fängnis äbführen. Des Wider st ands gegen die Staatsgewalt augeklagt, hate Lindau sich jetzt vor der H. Strafkammer zu verantworten. Der gefesselt voraoführte Angeklagte gab zu, Laß er den Beamten Widerstand geleistet habe. Er sei aber durch das Urteil so erregt gewesen, daß er gar nicht mehr gewußt habe, was «r eigentlich tue. Durch ver schieden« Gerichtsbeamte wurde bestätigt, daß Lindau Ausdrücke wie „Stromer", „Lump" usw. ausgcftoßeu habe. Es konnte aber nicht festgestellt werden, ob der Angeklagte mit diesen Ausdrücken den Staatsanwalt Dr. Oertel, welcher in jener Verhandlung die An- klagel'ehürde vertrat, oder seinen Mitangeklagten Riehl gemeint hatte. Den Eerichtsdicner F. hat der Lindau bei dem Auftritt in den Finger gebissen, daß dieser acht Tage lang stark angeschwollen war. Außerdem ist der Beamte von Lindau mit solcher Ge walt vor die Brust gestoßen und geschlagen worden, daß er noch heute an der betreffenden Stelle Schmerzen hak. F. führt sein Herzleiden auf den Vorgang vom 13. Mat zurück, ^er Nnsdaltsarzt Dr. Müller- Hoheneck, der bestätigen sollte, daß Lindau in der dortigen Strafanstalt Anfälle von Geistesstörungen oder Krämpfe gehabt habe, konnte sich nicht erinnern, daß der Angeklagte an derartigen Anfällen gelitten hab«. Lindau s«i in der Anstalt vielfach renitent gewesen, so daß er mit schweren Disziplinarstrafen bk» zu 21 Tagen Arrest belast worden sei. Gerichts arzt Medizinalrat Dr. Thummler gab sein Gut- achten dahin ab, baß der Angeklagte bei dem Aus tritt keineswegs in einem unfreien Willenszustande gehandelt habe. Dies gehe schon daraus hervor, daß er von seinem Transport nach dsm Unter suchungsgefängnisse noch ganz genaue Erinnerungen habe. Das Gericht verurteilte den Angeklagten Lindau Meinem Jahredrei Monaten Ge fängnis. Königliches Schöffengericht. * -rrm Leipzig, 11. Oktober. Beleidigung Arbeitswilliger. Am 13. August hatte der Arbeiter Burckhardt in einem Tanziaal in Leutzsch zwei Arbeiterinnen, die bei der Firma K. L M. in Leutzsch, bei der damals Streik ausgebrochen war, beschimpft und bedroht. Er rief den beiden Mädchen, die sich dem Streik nicht angcschlossen hat ¬ ten, -rod« Schimpfwort» >», nannt« sie Streikbrecher und droht« rhneu, «tn«n Topf beißen Wasser» über d«a Kr.'i zu gießen. Wegen Lelewigung verurteilte da» Sü.as-rngenchl d«a Angeklagten Burckhardt zu acht Tagen Haft. <1. Lhemnitz, 11. Oktober. Sistmordpr»z«ß. (Fortsetzung.) Zu Beginn de- dritten Verhandlungstages tm G i s t m o r d p r o z e g Voigt vor L«m hiesigen Schwurgericht wurte die Beweisaufnahme mit der Vernehmung weite rer Zeng«» fortg«setzt. Die am Vormittag abge- hörten Zeugen waren hauptsächlich Lieferanten der Angeklagten, di« noch Forderungen an ü« haben. Der Inhaber einer D«l«uchtung»arrikelhandlung bekam zü: eine Forderung von 11b «inen Wechsel, d«r einmal prolongiert worden und später zum Protest gegangen ist. Ein Möbelgefchäftsinhaber hat auf die gleiche Weise den Verlust von 680 zu beklagen. Ein zweiter Möbelhändler lieferte für 1785 Möbel, be dielt sich aber Las Eigentumsrecht vor. Die Ange klagte zahlte teils bar, teils in Wechseln und blieb schließlich 976 -K schuldig, worauf der Lieferant aus Herausgabe der Möbel klagte. Einer Dutterhäiid- lerin schuldete die Angeklagte 55 di« sie mit einem Wechsel in der gleichen Höhe bezahlte, der jedoch später nicht eingelöst wurde. Von einem Bauunter nehmer wollte die Voigt ein Haus kaufen und 6000 Mark anzahlcn. Der Vertrag wurde abgeschlossen, die Voigt zahlte jedoch nicht. Schließlich hat der Zeuge auf Zahlung des vereinbarten Rcug-'lves von 2000 geklagt, aber nichts erhalten. In allen Fällen hat «ich die Angeklagte als vermögende Frau ausgegeoen und hat mir einem auf 3000 ,tt lautenden, nur zum Schein ausgestellten Schuldschein operiert. Van größe rem Interesse war die Aussage des Naturheillundigen Brock meyer aus Saarbrücken, der früher in Chem nitz, und zwar bei der Angeklagten als Untcrm cter wöbntc. Der Zeuge bekundete, daß die Frau Borgt gute Kenntnis in medizinischen Dingen gezeigt habe. Als der Zeuge einmal über Eelonerlegeuhcit klagte, habe die Angeklagte bemerkt, er werde sich am besten aus dieser Lage oefreien, wenn er sich gegen Unfall versichere und dann eine Verletzung Leibringe. Es dürfe ihm einmal auf zwei Finger nicht aukommcn, er arbeit« doch mit dem Kopfe und nicht mit den Händen, das Klavierspieler! werde er wohl auch lassen können. Sie nannte ihm einen Agenten und unter breitete ihm auch Pr>. itc, die in ihrem Besitz waren. Der Zeuge hör -er Anregung, keine Folge geleistet. Die Angeklagte hat dem Zeugen auch wiederholt Heiratsvorschläg« gemacht, u. «. hat sie ihm ihre eigene Tochter angeboten. — Nach der Ver nehmung des Zeugen bezeichnete die Angeklagte alle sie belastenden Aussagen als „erlogen"? wie sie ec- schon immer getan.hat. — Gegen 2 Uhr trat eine ein stündige Pause «in. Für den Nachmittag waren 18 Zeugen geladen, darunter 11 Agenten und Ange stellte von Versicherungsgesellschaften. Es wurden dabei die Versicherungsanträge sowie die Brand schäden und der Unfallschaden der Frau Voigt be sprochen. Berlin, 11. Oktober. Der Prozeß gegen den Grasen Wolfs-Metternich sForts). Zu Beginn der heutigen Sitzung wurde ML82M 1911. M!i3U88ik!!uvg für 6ö8ilMk!!8Bklsk zvsträ snäZ'üHis' srri 31. Oktober Z-osoblosssn. LosuoborrLkI bis 6. Oktober 4767593 korsonon