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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.09.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-09-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110928011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911092801
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911092801
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-09
- Tag 1911-09-28
-
Monat
1911-09
-
Jahr
1911
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Nr. 269 l05. Ishrgsny. Negierung ist eifrig bemüht, die für das Expeditions korps bestimmten Soldaten durch das Los zu wählen. Es melden sich jedoch so viele Frei willige, dah diese Bemühungen vollständig über flüssig sind. Die Regierung übt eine strenge Zensur aus über sämtliche eingehenden und nach dem Aus lande abzusendende Depeschen und Telephonate. Der deutsche Botschafter beim Sultan. Konstantinopel, 27. September. (Eig. Drahtmeld.s Die Beunruhigung der Bevölkerung wächst hier immer mehr. Die Nachricht, daß die Türkei sich zum Zwecke der Intervention an Deutschland gewandt habe, wird allgemein energisch dementiert. Trotzdem wird nicht bestritten, daß heute der deutsche Botschafter Freiherr Marschall v. Bieberstein vom Sultan in Audienz empfangen wird. Diese Audienz soll mit der Tripoliscrpedition in engem Zusammenhänge stehen. Wie hiesige Blätter meiden, soll sich die Türkei auf Veranlassung D-ntsch lands an Italien zum Zwecke einer friedlichen Einigung gewandt haben. Hiernach will die Türkei Italien einige wichtige .Konzessionen zugestehen. Man glaubt, daß auf diese Weife eine friedliche Einigung zwischen den beiden Mächten zustande lammen wird. Die Stimmung in Konstantinopel. Konstantinopel, 27. September. (Wiener K. K. Tclegr.-Bureau.) An massgebender Stelle werden die j u n g t ü r k i s ch c n Zeitungsnachrichten für falsch erklärt, wonach der Ministerrat beschlossen babe, das; im Falle einer Landung italienischer Trup pen in Tripolis die dort liegende Division b i s zum letzten Mann zu kämpfen hätte, das; die Italiener aus der Türkei vertrieben, die Beziehungen abgebrochen und die Ka pitulationen für Italien gekündigt werden sollten. Nach sicheren Mitteilungen besteht jetzt in den Ne gierungskreisen eine hoffnungsvollere Auf fassung, weil Besprechungen über die Forderun gen Italiens angeknüpft worden sind. Konstantinopel, 27. September. (Wiener K. K. Tcl.-Korr.-Bur.) Die Nacbrichtcn über die Vor bereitungen Italiens rufen in der öffent- lick-en Meinung der Türkei Bestürzung hervor. Die Regierung ist bemüht, die Erregung zu dämpfen. Eine für morgen angesagte a n t i i t a l i c n i s ch c Versammlung ist verboten worden. Der Mi nister des Innern beries gestern die Pressevertreter zu sich und empfahl ihnen, angesichts der Lage die Veröffentlichung von Alarmnachrichtcn zu ver meiden, weil die Erregung der Gemüter bedenk liche Folgen zeitigen könne. Der Kriegs minister bat die Presse, über militärische Matzregeln nichts zu veröffentlichen. Beim Großcvesir finden täglich M i n i st e r b e r a t u n g e n statt, deren Be schlüsse gehcimgchalten werden. Gerüchte besagen, es herrsche die Meinung vor, das; Truppen und Mu nition nicht nach Tripolis gesandt werden sollen. — Der italienische Geschäftsträger hatte mit -em Grotz- wesir auf dessen Wunsch eine lange Unterredung, die für die Lage bedeutsam sein soll. , Die Haltung Deutschlands. Von keiner der an der Tripolissache beteiligten Parteien ist, wie uns unser Berliner Vertreter tele graphiert, bisher in Berlin ein Antrag, zu ver mitteln, gehellt worden. Die Meldung, das; vom Sultan der Türkei die deutsche Vermittlung nach gesucht sei, ist falsch. Ebensowenig ist von Italien ein solcher Schritt getan worden. Italien hat die Mächte auch heute noch nicht amtlich über seine Ab sichten unterrichtet. Dagegen setzt die deutsche Diplomatie in Rom und Konstantinopel ihre Die Vsremnlel. iSlechdruct verboten.) Bei einer Fahrt durch Schuxden oder Norwegen wird der Reisende zwar eine Abnahme, ein Spär- licherwerden der Vegetation wahrnehmen, di« Um welt aber, die Städte mit allen Reichtümern und Früchten des Orients lassen in ihm vom Süd- bis zum Nordende kaum das Gefühl aufkommen, datz er sich von der Kultur des Südens entsernr. Der Som mer ist wohl kürzer und die Nacht hell, aber die Wärmeverbältnisse ähneln doch den mitteleuro- püisck-en. Ganz anders wird cs, sobald das Schiff dem Festland« den Rücken kehrt und ins offene Po larmeer einlenkt. Man kann wohl sagen, die Brust wird weit, man grützt die unbekannte Wildnis mit den« staunenden Gemüt eines Europamüden, eines Entdeckers, eines Befreiten, besonders, rvenn die erste Polarnacht mit der Mitternachtssonne die Reize der Arktis enthüllt. Die glühende Färbung der Wol ken, das Abendleuchtcn, das ins Morgenrot so flie hend überschmilzt, die Lichtspiele der purpurnen Fluten am Abcno und die weitzen Wolkentämme der blauen Wogen am Morgen eines ersten Polartages bleiben dem unvergeßlich, der bei schönem Wetter das Eismeer zum ersten Male erreicht. Aber nach dem ersten Genus; erwacht doch wieder die Begier, Land zu sehen, Land. Und der Reisende wird eher den freundlichen Schlaf missen, als so zei tig wie möglich die erste arktisch« Insel zu sichren, die Bäreninscl. Die Spitze liegt unter 7-1^ Grad sü-lick-cr Breite, und wobl mancyer hat schon sei nen Blick nach ihr gerichtet, und vergeblich. Ihre Lage nm Golfstrom bringt cs mit sich, datz meist dichter Nebel auf ihr und um sie lagert, das; eine Landung unmöglich ist und schon ein Erblicken eines Eckchens aus dem Nebel heraus mit Freuden begrützt wird. Zu den Glücklichen, die die ^nsel in ganzer Schönheit sel>en und «inen Teil durchwandern durf ten, gehörten am 3. August 1911 die Passagiere des Dampfschiffes „Andenacs". Am Morgen gegen zwei Uhr zeigte sich die äutzere Gestalt. Allmählich wur den die schroffen Formen -es Eilandes in völliger Klarheit sichtbar, nur zwei parallele weiße Wolken streifen durchquerten ihr Gelände wie Nctenl'nien. Und auf einmal versank auch die Insel völlig im Nebelmecr. Bei einer Temperatur unweit vom Ge frierpunkte, di« sich dis Mittag zu 3 Grad erhob und dann wieder allmählich zu 1 Grad sank, und bei nicht zu klarem Wetter wurde die Insel wieder sicht bar. Schließlich lag die Hauptinsel, ein« kleinere -weite torähnlichc und eine dritte grötzere vor unse ren Blicken. Das Wasser und di« Luft waren erfüllt vom Geschrei und Geflatter Tausender von Alken, Lummen, Möven, Enten, Secschwalben. In den felsigen Löchern und Höhlen -es Steilstrandes krochen, liefen, brüteten sie. Häufig sah man das Alt« mit dem Jungen zusammen schwimmen, so leisten, Papageitaucher. Eissturmvögel. Di« jäh au fragenden Felsen der Insel bestehen aus Kalk, Schiefer, Sandstein. Kohlen und Phosphate haben zeitweilig der Insel Unternehmer -»geführt, deren Häuser und Anlagen noch stehen. Außerdem hatte ein« TrmHederei ihr Wohngezelt an geschützter Stelle Leipziger Tageblatt. Bemühungen, eine friedliche Verständi gung zu erzielen, fort. England aus der Lauer. Aus K o n st a n t i n o p e l wird dem „D. T." ge meldet: In italienischen politischen Kreisen vermutet man, datz der englische Kreuzer, der von Malta mit geheimer Order abging, den Auftrag hat, im Falle der Besetzung von Tripolis durch Italien die englische Flagge an der Küste von E y - renaiko zu hissen. pretzltimmen. lieber die italienische Fahrt nach Tripoli» schreibt der „Berliner V ö r s e n - C o u r i e r": „Einen Krieg mit Italien braucht die Türkei vielleicht bei dem jetzigen Stande ihrer militärischen Einrichtungen nicht ohne weiteres zu scheuen, wenn auch Italien zur See zurzeit gewiß die unbedingte Ucberlegenheit besitzt. Aber der türkische Staats körper hat in letzter Zeit so viele Zuckungen durch gemacht, leidet noch im Innern an so bedenklichen Mißverhältnissen, datz der etwaige unglückliche Aus gang eines Konfliktes mit Italien leicht einen v oll st ä n d i g c n Zusammenbruch des gegen wärtigen Regimes zur Folge haben könnte. Uno davon abgesehen lauern an den Grenzen des osmanischen Reichs genug alte Gegner, die wohl gern di« gebotene Gelegenheit ergreifen würden, zeit weilig zurückgestellte, aber innerlich nie ausgegebene Ansprüche durchzusetzen. Das wäre dann nichts an deres, als di« Aufrollung der orientali schen Frage in größtem Umfange. Diese Gefahr könnte freilich durch ein einheitliches, ent schlossenes Vorgehen der übrigen Großmächte unbe dingt verhindert werden. Wenn diese in Sofia, Belgrad, Athen und Cetinje erklären ließen, jedem Angriff auf türkisches Gebiet mit Gewalt entgegen treten zu wollen, so würden selbstverständlich die leitenden Stellen in jenen vier Hauptstädten sich be scheiden znrückhalten und, wenn auch zähneknirfche/.o, dem Waffengang zwischen der Türkei und Italien mit gekreuzten Armen Zusehen. Aber wir fürchten, an ein solches gemeinsames Auftreten der Großmächte wäre nicht entfernt zu denken, und mit jener Gefahr einer unabsehbaren Ausdehnung des entstandenen Brandes in hohem Maße zu rechnen. Und von diesem Gesichtspunkt aus muß man ein etwaiges 'lie ge risch es Abenteuer Italiens uw. Tri polis in schärfster Weise mißbilligen." Die Augsburger Abendzeitung" warnt ebenfalls: „Die italienischen Machthaber müßten von allen guten Geistern verlassen sein, wenn sie sich auf ein so gefährliches Aben teuer einlassen sollten, zumal sie dabei höchstens auf die aktive Unterstützung Montenegros, allenfalls noch Bulgariens, zu rechnen hätten. Viel wahr scheinlicher ist, daß sie den Weg diplomatischer Verhandlungen mit der Pforte wählen und versuchen werden, sich durch eine Verständigung mit der Türkei gewisse wirtschaftliche und koloniale Vor rechte in Tripolis zu verschaffen. Hierfür würde Italien die kräftige Unterstützung der deutschen Re gierung bei der Psorte sicher finden und könnte daher einen schnellen Erfolg dieser Bestrebungen erwarten. Die Türkei selbst ist noch auf lange Jahre b naus durch nähcrlicgende und dringendere Aufgaben in Anspruch genommen, als daß sie in der Lage wäre. Tripolis für sich wirtschaftlich auszubeuten. Sie würde sich daher nicht benachteiligen, wenn sie diese afrikanische Provinz, die letzte, die ihr noch geblieben ist, der ökonomischen Betätigung Italiens überließe. Begnügt sich Italien weise mit wirt schaftlichen Zugeständnissen in großem Stil, dann vermeidet es einen blutigen und kost spieligen Feldzug mit immerhin zweifelhaftem Aus gange und kann doch alle kolonialen Vorteile ge nießen, die ihm eine Okkupation von Tripolis ein tragen würde. Datz Tripolis ohne einen solchen Feldzug für Italien nicht zu haben wäre, darüber wird man sich im Quirinal hoffentlich ganz klar sein. Zum Ueberfluß bestätigen cs noch alle Konstantino peler Berichte ausdrücklich, auch zuverlässige von pri vater Seite. Zu Abdul Hamids Zeiten wäre Tripolis vielleicht durch einen „militärischen Spaziergang" zu haben gewesen — heute sicherlich nicht mehrsi' Die „Vossische Zeitung" würdigt sehr gut die Lage Deutschlands in diesem Falle: „Deutschlands Haltung — worauf unsere lieben Freunde von der westlichen Seite der Tripleentente wohl am neugierigsten sind — ist nicht minder klar vorgezeichnet. Das Deutsche Reich ist mit Italien verbündet und legt, gleichwie Oesterreich- Ungarn, Gewicht darauf, daß die politischen Fäden, die es mit Italien verknüpfen, sich nicht lockern. Das Deutsche Reich ist aber auch mit der Türkei befreundet, hat in der Türkei sehr beträchtliche wirtschaftliche Interessen und würde eine Zerstücke lung des türkischen Besitzstandes mit großem Be dauern sehen. Schließlich — und das ist der dritte Gesichtspunkt — wünscht man in Deutschland, wie die letzten Monate aufs neue bewiesen haben, die Er haltung des europäischen Friedens. Daraus ergibt sich -er Wunsch und das Bestreben, den türkisch-italienischen Konflikt, so weit diploma tische Mittel hierfür ausreichen, zu mildern." Deutscher Nsturkorlcher- unü Serstetsg. Ilg. Karlsruhe, 27. September. Am Dienstag sprach nach einem Vortrag Prof. K. A. Haberers-Eriesbach über die letzte Afrika reise des Herzogs Adolf Diedrich zu Mecklen burg-Schwerin Dr. R. Hennig, Berlin-Friedenau, über Telegraphensqstem der Naturvölker. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, wenn man olaubt, daß die Kunst der Telegraphie erst eine Er findung der neueren Zeit sei. Vielmehr sind optische und akustische T'legraphie in systematischer Anwen dung seit den ältesten Zeiten und bei zahlreichen Völker stämmen, zum Teil >ogar bei ganz wilden Völkern nachzuweisen. Ebenso finden wir die Feuertelegraphie in oft erstaunlicher Genauigkeit bei zahlreichen mehr oder weniger wilden Völkerschaften der verschiedensten Erdteile und in höchst entwickelter Weise gerade bei den auf verhältnismäßig sehr niedriger Stufe stehen den Eingeborenen Australiens. Neben dieser Tele graphie, die nur dort anwendbar ist, wo große Ebenen weite Ausblicke gestatten, tommen noch akustische Signale in Betracht, die sogen. Trommeltele- graphie, die man erst in den allerletzten Jahr zehnten kennen gelernt hat. Diese Telegraphie ge stattet, jede beliebige Meldung zu übermitteln. Die Trommeltelegraphie scheint bemerkenswerterweise weder den Europäern, noch den Asiaten, noch den Nordamerikanern bekannt gewesen zu sein, sondern vor allem den Völkern in Südamerika und schließlich auch auf der australischen Inselwelt, wo sich selbst deutsche Regierungsbeamte der Tronuneltele- graphie zu Verhandlungen mit feindlichen Ein geborenen mit Erfolg bedient haben. Sehr bemerkenswerte Ausführungen über nervöse Entartung machte in einer gemeinsamen Sitzung der Abteilung für Psychiatrie und Neurologie mit verschiedenen anderen medizinischen Gruppen Professor Oswald Bumke-Freiburg i. Br. Das Entartungsproblem ist sehr viel älter als die wissenschaftliche Psychiatrie. Die Frage, warum Familien und Völker zugrunde gehen, hat die Menschen von jeher beschäftigt. In sofern handelt es sich um ein geschichtliches Problem. Es gibt heute keine endogene Geistes- und Nervenkrankheit und überhaupt kein nervöses Symptom, das nicht gelegentlich zur Entartung gerechnet worden wäre, oft genug hat man den Nach weis bestimmter körperlicher Varietäten für aus aufgeschlagen. Ein Walfischkadaver zeugte noch von der «l)«inaligen Tätigkeit gewinnsucherrder Menschen. Mit einem Motorboot fahren wir in den sicheren Hafen und können dabei sehr gut die ähnlich wie in Capri gestalteten Meercsgrotten und die ähnlich wie beim Grand-Canyon in -en Vereinigten Staaten ver schiedenfarbigen Schichten der aus dem Meere em- porgehebcncn und zum Teil wieder abgewitterten Insel sehen. Der 536 Meter hohe Iammerberg, der am 9 Juni 1596 von Barents entdeckten und von Cherry wieder entdeckten Insel bleibt vorläufig unse ren Blicken verborgen, dagegen zeigt sich uns eine liebliche, grüne, nicht allzustarke Rasendecke, di« auf den Höhen im abbröckelnden und abschiefernden Ge stein nicht Fuß fassen, aber fortwährend von den Schnecbüchen und Gletscherflüßchen genährt werden kann. Denn auch im Sommer verschwindet der Schnee nicht ganz aus den Runsen und den Feld pfannen, und im August lagen noch einige Treibeis- schellen an verschiedenen Üfcrstellen. Das Landen macht keine Schwierigkeit. Die See ist ruhig, von beispielloser Durchsichtigkeit, und das Fahrwasser ge nügend tief. Ein Holzgerüst, ein mit Obergeschoß versehenes Brctterhaus sind di« ersten Zeichen menschlicher Ansiedelung. In dem Haus und Schup pen liegen noch di« Reste der Bewohner, darunter Pclzsticfel, getrocknet« Fische, Tisch, Kommod« und dergleichen, aber viel zerbrochenes Fensterglas. Ne ben dem stinkenden Walfisch, der fünfzehn Meter lang ist, liegen Reste früherer Schicksalsgenossen: Fischbein, Schädclstnckcn und zu Elfenoein geschliffene Knochen. Natürlich versahen sich die Besucher weid lich mit Andenken. Das Ersteigen der ersten Höhe wird durch einen schönen Weg erleichtert. Ein quer über Feld gezogener Draht scheint eine alte Besitz grenze zu kennzeichnen. Aus dem Krün tauchen schüchtern, an geschützten Stellen sehr kräftig, aller hand Blümchen auf. Es mischt sich das Rot, Gelb und Weiß der Blüten zu lieblichem Verein. Beson ders sicht man Steinbrech. Sauerampfer, Löffelkraut, Polarmohn, Mire, Hahnenfuß. Es fehlen aber voll ständig Sträucher, Bäume, Insekten. Während unse res Aufenthalts konnte man von der Tierwelt, so weit nicht Vögel in Betracht kommen, wenig sehen. Es sollen zuweilen Blaufüchse gejagt werden, von Eisbären, nach denen die Insel zufällig ihren Namen hat, kann gegenwärtig nicht die Rede sein. Die reichen Kohlenschätze der Insel wollte seinerzeit Lerner ansbeuten. Eine rege Berichterstattung macht« damals die Bäreirinsel in breiteren Kreisen bekannt. An der Entlegenheit der Insel, dem schwie rigen Transport, den unsicheren Lanbungsverhält- nissen und anscheinend ungenügendem Kapital ist leider das ganze Unternehmen gescheitert. Daß trotz der ungünstigen Witterung«,- und Nebelverhältnisfe neu« Zlzager di« unbestreitbar wertvollen Natur schätze der Bäreninscl immer wieder zu hel-en :>er- suchen werden, daran wird die unternehmungslustige Nachn-elt kein Mißlingen verhindern. U«ber die Gerollfelder der zertrümmerten Kalk- und Cchieferselsen streben wir der Höhe zu. WiÄ>er liegt in anmutiger Mxoellung ein Holzhaus vor uns. das den ganzen Hasen der SüVbucht überblicken läßt. Da« Inn«« ist öde »nid der Bode« von zer ¬ tretenen Fensterscheiben bedeckt. Rinnsal« fließen durch Trümmer und Moos der Küste zu und sorgen für eine etwas üppigere Vegetation. Hier hat man einzelne Steine zu einem Herd zusammengclegt, dort verkünden Tierknochen die Tätigkeit von Jägern und Raubtieren. Ein mäßig klarer Himmel läßt uns in der Morgenfriihe einen großen Teil des Inselbildes klarer vor unseren Augen erscheinen. Reich mit Schätzen aus den drei Naturreichen beladen lehren wir zu unserem Motorboot zurück und umfahren die Südküst«, um unser schützendes Schiff zu erreichen. Die Temperatur bewegt sich noch immer in den unteren Graden, sie fiel am ganzen Tag nicht unter 0 Grad. Wir sind aber an mehr Wärme gewöhnt, und darum legt jeder immer noch ein Kleidungsstück mehr an, und kleine Gesellschaften bilden sich, die in Dauer märschen die Schiffspromenade umwandeln. Ein wärmendes Frühstück stärkt, und ein schneller Morgen schlaf soll uns erholen. Aber die Insel bleibt noch lang« vor unseren Augen. Wie sich erst die fast diagonale nach Osten gehobene Schichtung von Süden her und die senkrechte Gliederung der Bäreninscl in scharfen Formen zeigte, so bietet das Gelände von Nordrresten gesehen das hübsche Bild einer Doppel welle mit mehrzackigen Wolkenkämmen. Von den zerstreuten kleinen Schnccfeldern sieht man die Sil berfäden der gespeisten Bäche dem Meere zueilcn, und die Küsten, die anfänglich hier und -a von Schnee- und Eisschollen verbarrikadiert werden, verändern sich zu kahlen, grauen, nräßig hohen Felsenvorlän dern. Allmählich versinkt die Insel vor unseren Augen. Nach fliegen Scharen von Sturmvögeln und zeugen von der Rähe des Landes. Beim Mittags mahl wird ein dreimaliges Hurra auf -en König Hakon ausgcbracht, dessen Geburtstag heute ist. So bald wir das Deck betreten, sehen wir. wie die Insel plötzlich vom Nebel wieder eingehüllt und verhüllt wird. Es ist, als hätte «in Zauberer gerade der „Andenacs" die Bärcninsel von allen Seiten und in ihrer ganzen Schönheit zeigen und sie dann schnell wieder verhüllen wollen. Nun steuert das Schiff schon wieder im unbegrenzten Meer, die Külte legt sich in die Kabinen und auf die Glieder. Wer nicht Polaruniform trägt, zieht doppelte Kleidung an. Aber der Salon des Schiffes, dessen sechzig Passa giere zu einem Drittel aus Deutschen, einem Drittel Nordländern und einem Drittel Rusten, Rumänen, Franzosen. Italienern, von New Pork bis Tunis und Petersburg besteht, ist abwechselnd angefüllt mit all denen, die in dieser Polarwest der Ihren in der Fern« gedenken und die gewonnenen Eindrücke aufs Papier bannen. Ohne künstliches Licht kann man in der Mittcrnachtsstunde schreiben und lesen, denn wir be finden uns im Bereich d«r Mitternachtssonne und bleiben darin noch zwei Wochen. Schon sind wir in den Gevüissern von Spitzbergen und sehen in mcilen- weitcr Entfernung das Südkap in nebliger Ferne und weiterhin das Gelände der gan^n Westinsel. Das Treibcis kommt nät>er, schon har d«r Kapitän mit sicherem Auge und fester Hand den ersten See hund erlegt, der in Triumph am Geburstag König Hakon» in letzter Stund« an Bord gebracht wird. Und weiter steuert da« Schiff den Fjorden Spitz bergen« M. L. D. Donnerstag, 28. Septemder ISN. reichend gehalten, um den Träger für dekadent zu erklären. Die meisten Trinker sind von Hause aus abnorm und veshalb wissen wir oft nicht, wie viel von ihrer Krankheit sowohl, wie von der ihrer Kinder wirklich auf Rechnung des Giftes kommt. Gar nicht beantwortet ist bisher die Frage, wie weit die Schädigung der Descendenz reicht. Ob außer den Kindern auch die Enlel noch getroffen werden, das Haden bisher weder klinische, noch experimentelle Untersuchungen ganz aufgeklärt. Sicher ist dagegen, daß Alkohol und Syphilis die Sterblichkeit der Rach kommen erhöhen und so zum Aussterben der erkrankten Familien Veranlassung geben In den bekannten Versuchen von V ro wn-S? guard, Westphal und Obersteiner aber bat es sich um Keimschädigungen, nicht um wirkliche Vererbung handelt. Damit fällt eigentlich schon das ganze Lehrgebäude, das Morel errichtet hat, in sich zusammen. Auch die allgemeinen Anschauungen über die pathologische Heredität, von denen er ausging, sind inzwischen widerlegt worden. Nicht zur Entartung führen die Vererbüngsgesetze, sondern zur Regeneration. Im übrigen hat die Ueberfüllung der Irrenanstalten im wesentlichen soziale Gründe, und daß die Geisteskrankheiten wirk lich zunehmen, ist nicht bewiesen. Häufiger sind die Selbstmorde geworden und auch die Kurve der Kriminalität steigt noch. 2n allen Epochen der Weltgeschichte finden sich die gleichen Symptome — darunter nicht bloß die Häufung funktionell — nervöser Erkrankungen, sondern sogar das eigentüm liche Streben auch unserer Zeit, bei bestimmten Naturheilmethoden seine Zuflucht zu suchen. Voraus setzung dazu ist nur noch eines: „Die Selurität". „Aeußerer Wohlstand und Fehlen drängender Sorgen disponiert zu grämlicher Selbstbeobachtung und hypochondrischen Klagen, sagt Hoche und „Wenn es an den Kkagen geht, hört die Nervosität auf" meint His. Somit ist die nervöje Entartung genau wie die körperliche Degeneration der Fabrit- devölkerung eine soziale Erscheinung. Daß sie er heblich zugenommen hätte, ist nicht sicher bewiesen, aber das andere ist wichtiger: sie ist kein Fatum, kein geheimnisvolles. unaufhaltsames Geschick, sondern ein sichtbarer Feind, den wir bekämpfen und überwinden können. * Professor Ehrlich über Ssloarfan. 2n der zweiten Gesamtsitzung der medizinischen Abteilung der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, zu der sich der Großherzog von Baden mit einem zahlreichen Gefolge eingefunden hatte, nahm am Mittwoch unter allgemeiner Spannung das Wort zu seinen Ausführungen über Salvarfan Ge heimrat Prof. Dr. Ehrlich-Frankfurt a. M. Er führte aus :Es ist ebenem 2ahr verflossen, seitdem aufdcr letzten Raturforjcherveriammlung in Königsberg eine aus führliche Besprechung der Salvarsäntherapie stalc- gemnden hat, und doch glaube ich. da«; eine Wieder aufnahme der Diskussion einem wirklichen Bedürfnis entspricht. Es ist durchaus nicht verwunderlich, -aß die Resultate, die an den verschiedenen Behandlungs stellen erzielt wurden, so verschieden gewesen sind, und es war daher eine Rotwendigkeit, den Ursachen dieser Verschiedenheit nachzuspüren, um so die Grundlage festzustellen, nach der eine Behandlung in der zweckmäßigsten Weise erfolgen kann. Erklärlich wird die Bakterienrntmicklung dadurch, daß wahrscheinlich unter dem Einfluß der Bakterien leichen die Arsenavidität der körperlichen Zellen, das heißt ihr Bestreben, das Arsen festzuhalten, eins Er höhung ersährt, so daß sie mehr von dem arsenhal tigen Mittel aufnehmen, oder es auch vielleicht inten siver spalten, und daß infolgedessen die Spirochcten von dem Mittel nicht «o schar; getroffen werden. Sehr ausführlich besprich; Geheimrat Ehrlich auch dieNeuro- rczitive, das heißt die krankhaften Nervenvciänds- rungen. Geheimrat Ehrlich geht nunmehr auf die Todesfälle ein, die mit Salvarfan in Verbindung gebracht worden sind. Es sind meistens Fälle, in denen das Salvarfan nur als allerletztes Rettungs mittel verwendet worden ist. Durch dis Untersuchungen und Erfahrungen des letzten Jahres ist das Salvcrr - san als eine relativ unschädliche Substanz „psrlilsl" in llopenllsven. Ein interessarttes künstlerisches Ereignis dürste sich Mitte Oktober in Kopenhagen abspielen. — An der Spitze eines Komitees, Vas den ersten Kreisen des „nordischen Athen" entstammt, und das sich den Zweck gestellt hat unter dem Protektorate der Königin Luise von Dänemark, erstklassige Konzerte zugunsten der Armen zu veranstalten, steht Dr. Karl 2acobsen, welcher bekanntlich die wunderbare Carlsberg-Giyp- tothek, deren Errichtung bekanntlich einen Aufwand von 30 Millionen Mark erforderte, der Stadt Kopen hagen zum Geschenk gemacht hat. Komiteemitglieder sind unter anderen die Gemahlin des deutschen Ge sandten Frau von Waldhausen, Frau Minister von Neeigaard, Kammersänger Wilhelm Herold, Frau Etatsrat Ruben, Frau Etatsrat Dessau und Konferenzrat Lyngby Als Präsidentin des Komi tees fungiert die verdienstvolle Frau Redakteur Mimi Carstensen. Schon im Frühjahr fand unter dem Protektorat der Königin das erile dieser Konzerre statt, das vom deutschen Kapellmeister Seeber van der Flec dirigiert wurde. Damals entstanden ni bezug auf die orchestrale Beihilfe namhafte Schwierigkeiten, da das Orchester der Königlichen dänischen Hofoper ungeachtet des Protektorats der Königin mehrfach an der Mit wirkung verhindert wuroe. Erst als Kammersänger Herold sein Orchester zur Verfügung stellte, konnte dieses Konzert, das dann einen glanzvollen Verlauf nahm, stattfinden. Da jetzt aber der genannte Künstler sein Orchester aufgelöst hat, weil er von'diesem Herbste an seine europäische Tournee antritt, war das Komitee infolge der ablehnenden Haltung der König!, dänischen Hofoper genötigt, ein ausländisches Orchester zu engagieren. Es handelt sich diesmal um die möglichst groß zügige Konzertaufführung von Wagners „Parfisal" mit Soli, Chor und Orchester. Einleuchtend dürste es sein, daß das dänische Komitee in diesem Falle ein deutsches Orchester, und zwar das Blüthneror« chester aus Berlin, engagierte, da auch die Soli tun lichst mit Kräften besetzt werden, die bereits in Bayreuth mitgewirkt haben. Nichtsdestoweniger macht sich in Kopenhagen von gewisser Seite ein Geist des Widerspruchs gegen die Mitwirkung des deutschen Orchesters bcinerlbar, und das angeblich darum, weil der Reinertrag des diesmal im größten Stile in deutscher Sprache veranstalteten Konzertes an läßlich des bevorstehenden 60. Geburtstags der Königin Luise der mildtätigen Herrscherin gleichsam als eine zugunsten ihrer Armen zu verwendende Liebesgabe gewidmet werden soll. Und da meinen die Vertreter gewißer Kreise, daß zu diesen dänisch. national» humanen Zwecke ein deutsches Orchester nicht Mit wirken sollte. Nebenbei wird das Blüthnerorchester, das der deutsche Dirigent Herr v. d. Flec dirigieren soll, als minderqualifiziert angegriffen. Das Bliith- nerorchester hat naturgemäß nicht geschwiegen, und nun hat sich in Kopenhagen eine groze Zeitungs polemik entwickelt, sodaß zu erwarten sieht, daß die bevorstehende Aufführung von Parsifal in Kopen hagen im Zeichen des Kampfes stattfinden wird. Lk wout 8<rb»mbvr^
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