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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 08.12.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-12-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111208020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911120802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911120802
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-12
- Tag 1911-12-08
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Monat
1911-12
-
Jahr
1911
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bewuhlen und stetigen au»wärtigen Politik de» Fürsten Bismarck, die für Deutschland die ihm gebührende Stellung im Slate der Bölter und in der Weltpolitik errungen hat. Die deutsche Reichs« »artet sieht in einer, allen Wechselfällen gewachsenen starken Rüstung zu Lande und zu Waiser die Boraussetzung der erfolgreichen Durchführung einer solchen Politik und zugleich die sicherste Gewähr für die Ausrechterhaltunn des Friedens. Wir treten veshalb em für die Erschließung unseres Kolonialbesitzes und für die Schaffung von Siedlungsgebieten zum Nutzen unseres an Zahl stetig wachsenden deutschen Bottes. Die Boraussetzung für die Kraftentfaltung nach außen wie lür die Entwicklung der inneren Stärke sind gesunde Reich skinanzen, Bewahrung des Reichs vor Defizit- und Anleihewirtschaft, in die wir immer mehr zu verfallen drohten. Die durch greifende Reichsfinanzresorm war daher eine nationale Notwendigkeit, eine Lebensfrage für Reich und Bolk. Daran mttzuarbeiten und ihr zuzustimmen war unsere nationale Pflicht, so lehr wir auch das Zustandekommen der Reichsfinanzrefornr rn anderer Weise gewünscht hätten. Zuerst und ausschließlich durch die Reichs- finanzreform ist dce Möglichkeit ge chaffen, die be rechtigten Wünsche der Reichsbeamten aus Derdeffe- rung ihrer Bezüge entsprechend den gestiegenen Lebensanfordeiungen zu erfüllen und den Dank des Vaterlandes für die Teilnehmer unserer glorreichen Kriege in verstärktem Maße zum Ausdruck zu bringen. Nur die sichere und gedeihliche Entwickelung seines Erwerbslebens kann unserem Volke dce Kraft geben, seine militärische finanzielle Rüstung »u tragen. Die Aufrechterhaltung der bewährten Politik aleichmätztgen Schutzes aller Zweige der heimischen schaffenden Arbeit, der Landwirtschaft wie der In dustrie und des Gewerbes ist daher ein Gebot nationaler Selbsterhaltung. Der Schutz der nationalen Arbeit hat unseren Arbeitern reiche Arbeitsgelegenheit und steigenden Arbeitslohn geschaffen und gesichert. Der Schutz der nationalen Arbeit war die Voraussetzung für den Ausbau der Arbeiterversicherung. die durch die Reichsversicherungsordnung, rn der Für sorge für die arbeitsunfähigen Arbeiter und deren Hinterbliebenen durch Ausdehnung des Kreises der Beteiligten und Vermehrung der Leistungen in wünschenswerter Weise erweitert ist. Bei der Fort« führung der sozialen Gesetzgebung, die wir erstreben, ist jede Ueberstürzung zu ver meiden; in vollstem Maße sind hier zu berücksich tigen die schon aufs äußerste angespannte Leistungs fähigkeit der selbständig Erwerbstätigen und die Lebensbedingungen unserer Volkswirtschaft gegen den Wettbewerb des Auslandes. Mit Genugtuung begrüßen wir es. daß aus der Arbeiterschaft heraus auf nationaler oder christlicher Grundlage eine Eegenbewegung gegen die Sozialdemo kratie entstanden ist, deren Erstarken im Interesse des inneren Friedens und im Interesse der Arbeiter selbst dringend wünschenswert ist. Durch die Fertig stellung des Pr ivatbeamtenversrcherungs- Gesetzes ist den Wünschen des angcstellten Mittel» standes Rechnung getragen. Wir wünschen dem selbständig erwerbenden Mittelstände in Stadt und Land, namentlich dem schwer um leine Existenz rinaenden Handwerk und Kleingewerbe, die kräftigste Fürsorge des Reiches zu widmen. Neben der Erhaltung und Förderung des Bauernstandes ist auch der städtische Grundbesitz als ein wichtiger Bestandteil des Mittelstandes anzuerkennen und in leinen berechtigten Bestrebungen zu unterstützen. Kaiser und Reich, Staats, und Rechtsordnung und bürgerliche Freiheit sind gleichmäßig bedroht durch sozraldemotratische Ilnterwühluira. Sozial« demokratischer Terrorismus greift in da» freie Selbst, bestimmungsrecht der Arbeitgeber und Arbeiter ein. Es ist Pflicht des Reiches, hiergegen mit allem Nach druck Schutzwehren zu errichten. Wir sind bereit, hierbei mitzuarbeiten. Zusammenschluß aller vater ländischen Parteien zur Bekämpfung des gemein, samen Feindes ist auch für die bevorstehende Reichs- tagswayl die Parole der Reichspartei, keine direkte oder indirekte Unterstützung der Sozial« demokratic ist unsere Stichwahlparole. Wie auch immer der bedauerliche Zwist zwischen den bürgerlichen Parteien sich weiter eniwickelt. die Recchspartei bleibt sich als selbständige Mittel« Partei ihrer Aufgabe bewußt, die patriotischen Männer von rechts und links zur gemeinsamen Arbeit im Dienste des Vaterlandes zu vereinigen. Wir treten in den Wahlkampf ein getreu unterer Ver gangenheit mit dem Wahrspruch, dem wir immer »olgten und den wir stets zu betätigen bereit sind: Das Vaterland, nicht die Partei! O Eine Spekulation auf die Urteilslosigkeit der Reichstagswähler, an die er sich wendet, stellt der sopsldemokratische Wahlaufruf dar, den Parteivorstand und sozialdemokratische Fraktion de« Reichstags der Kundgebung des Parteivorstandes vom 21. September hinterher schicken. Daß in dem Aufruf die Reich», finanzreform und die gegenwärtige Teuerung mit einem reichlichen Aufgebot sozialdemokratischer Kraftausdrücke zur Verhetzung gegen Regierung und bürgerlich« Parteien weidlich ausgenützt oder viel mehr mißbraucht werden, ist selbstverständlich. Daß man dann just eine halbe Seite des „Vorwärts", der den Aufruf veröffentlicht, mit Forderungen der sozialdemokratischen Weltbeglücker füllt, ist ebenfalls nicht weiter verwunderlich. Interessant ist, daß man in dem Ausruf den Wählern als Neuestes ein- zureden verfucht, daß am Wahltage „viel- leicht die Entscheidung über Krieg und Frieden" in der Hand der Wähler liege. Mit dieser Redensart bezweckt die Sozialdemokratie ihreFriedensliebe und ihren Friedenswillen in Gegensatz zu bringen mit der Kriegslust des deutschen Bürgertums und der Regierung. Kann man sich eine haltlosere Behauptung gerade jetzt wohl vorstellen? Hat nicht gerade in den letzten Wochen unsere Regierung einen geradezu glän'enden Beweis für die friedliche Tendenz unserer deutschen Außen- Politik gegeben? Ist der Friede, den wir Gott fei's gedankt fett über 40 Jahren in Deutschland genießen, vielleicht ein Erfolg der roten Internationale? Und was bedeutet denn das sozialdemokra tische Friedensgerede, das übrigens immer un- angenehm absticht von dem wütenden Kampf- unc> Bernichtungsgeschrei gegenüber den eigenen Volksgenossen, die sich gegen die Wohltaten der roten Volkvbeglücker sträuben, was bedeutet dieses Friedensgered« in der Praxis? Haven etwa die italienischen Genoffen den Krieg zwischen Italien und der Türkei verhindern können oder haben sie es gar ernstlich versucht? Hat etwa die „stärkste Fraktion im österreichischen Abgeoronetenhauie" ein Blutvergießen nach der Annexton Bosniens durch Oesterreich-Ungarn beschworen oder können dieses Verdienst die durch ihre militärciche Stärke gesicherten Regierungen Oesterreich. Ungarns und Deutschlands für sich beanspruchen? Haden denn die französischen Sozialisten den Zug nach Fez, die russischen Genossen den Einmarsch in Persien aus zuhalten vermocht? Nicht je stärker die Sozialdemo- kratie imReichstage vertreten ist, sondern je geringer die Zahl ihrer Vertreter wieder auf der Bildfläche erscheint, um so gesicherter ist ein ehrenvoller Friedefür Deutschland. Die von der Sozialdemokratie angestrebte „Eroberung der politischen Macht" steht auch in diesem Falle dem Wohle Deutsch lands entgegen. Ebenso wie in wirtschaftlichen Fragen: im Abbau der Jndustriezölle, in der Ab- sage an die Kolonialpolitik. in der Beseitigung der indirekten Steuern und wie die Unsinnigkeiten des Programms noch alle heißen mögen. Mit derartigen Mitteln wird nicht „Arbeit und Brot für alle" ge. schaffen, sondern Arbeitslosigkeit und Not sind die folgen einer derartig utopistiichen, jeder Fühlung mit den wcrklichen Bedürfnissen des Lebens ent behrenden Politik. Ktd. Der türtrilch-itslienilche Krieg. Italienischer Jubel. In ganz Italien finden täglich Kund gebungen größter Begeisterung für die Eroberung von Tripolis statt. — Jnr Skalatheater zu Mailand hielt der frühere Deputierte Veachini einen patrwtischen Vortrag, dem. Senator Graf von Turin, mehrere Depu tierte und alle Behörden sowie eine zahlreiche Zuhörerschaft beiwohnten. Für daS Rote Kreuz kamen 15 000 Lire ein. — In Nom hielt der Deputierte Fra de Letto einen mit großem Beifall aufgenommenen Vortrag über die ge schichtliche Wiedergeburt Italiens. — In Fer rara jubelte die ganze Bevölkerung der nach Tripolis abgehenden Artillerie zu. — Der Kor poral Astorre, der im Gefecht am 26. Oktober verwundet wurde, als er eine grüne türkische Fahne eroberte und dafür die Tapferkeitsmedaille erhielt, wurde bei seiner Rückkehr auf dem Bahn hof in Rom mit herzlichen Kundgebungen emp fangen. Allzugroße Veranlassung zum Jubeln hätten die Italiener nach folgender, ans türkischer Quelle stammender Nachricht nicht, denn danach scheint ja ihre Suprematie in Tripolis noch nicht so unbestritten. Wenn der Kampf für sie auch nicht ungünstig war, so brachte er auch keinen tvesentlichen Erfolg. Ei» »euer Angriff der Jtakie»er. Konstantinopel, 8. Dezember. (Wiener k. k. Telegr.-Korr.-Bureau.) DaS Kriegsmini- sterrum erhielt abends eine Depesche des Kom- mandanten von Tripolis über einen allgemeinen Angriff der Italiener am 4. Dezember. Das Telegramm besagt, daß die italienischen Streitkräfte zehnfach überlegen seien. Der Kampf dauerte vis zum Abend. Die Ita liener, welche das Zentrum und den rechten Flügel der türkisch-arabischen Stellung angriffen, hatten mehr als fünfhundert Tote. Einen entscheidenden Ausgang konnten sie nicht herbeiführen, noch auch die Rück- zugSlinie der türkisch-arabischen Streitkräfte ab- fchneiden. Letztere zogen sich in Ordnung zurück. Rekognofzierungoflüge italienischer Aviatiker. Rom, 8. Dezember. (Eig. Drahtm.) Aus Tripolis wird gemeldet: Die italienischen Militär aviatiker, die heute ihre Rekognoszie rungsflüge tviedcr ausgenommen haben, berichteten, daß in einem Umkreis von ungefähr 20 Kilometern um Tripolis keine feind lichen Truppen mehr vorhanden seien mit Aus nahme eines kleinen Lagers im Westen von Ain Zara und einer Gruppe Soldaten westlich der Oase von Tripolis. Hinrichtung von 14 Araber«. Rom, 8. Dezember. (Eig. Drahtm.) Heute wurde das Todesurteil an 14 Arabern, die wegen UeberfallS aus italienische Soldaten verurteilt worden waren, auf dem Handelsplätze vollstreckt. Italiens sittliche Entrüstung. Rom, 8. Dezember. (Eig. Drahtm.) Gegen über den türkischen Behauptungen, nach denen Italien die Anschläge in Mazedonien anstifte, erklärt die „Tribuna": Italien ist über einen derartigen Verdacht zu erhaben, um sich mit diesen perfiden und absurden Beschuldigungen zu befassen. Die euro päische Diplomatie weiß, was Italien getan habe, zu dem Zweck, nicht nur um den Frieden auf dem Balkan nicht zu gefährden, son dern um ihn zu sichern, da er ebenso in unserem Interesse liegt, wie in dem ganz Europas. Der Artikel schließt: Angesichts der Erfolge, die uns auf dem Kriegsschauplatz zu gefallen, sind nicht wir, die Sieger, die Inter esse daran haben könnten, Unruhen anzustiften, wohl aber die unwiderruflich geschlagene Türkei. Zur Dardanellenfrage erfährt die „Kölnische Zeitung" aus Berlin: Don russischer Seite wird mit einer gewissen Be flissenheit hervorgehoben, daß man im Wider spruch zu anderen Meldungen nicht gewillt sei, die Dardanellenfrage jetzt in Fluß zu bringen; daß dies in der Tat nicht in Form einer diplo matischen Note geschehen ist, wurde bereits her vorgehoben. ES wird aber kaum glaubhaft er scheinen, daß diese Frage nicht in irgendeiner Weise in Koirstantinopel zur Erörterung gestellt worden ist. Die neuesten russischen Nachrichten deuten darauf hin, daß man diese Verhandlungen vorläufig einzustellen gedenke und so kann man nur abwarten, wie diese Angelegenheit sich weiter entwickeln wird.'' Die Dardanellen bleibe« geschloffen. Konstantinopel, 8. Dezember. Der Mini sterrat beschloß, Rußland zu antwor ten, daß infolge verschiedener Konventtonen, besonders aber auf Grund des Vertrages von 1871 die Türkei keiner Macht freie Fahrt ihrer Kriegsschiffe durch die Meerengen ge statten könne. Die Revolution in Lisins. An den Rücktritt des bei den Chinesen verhaß ten Mandschuprinzen Tschun von der Regentschaft und an di« Einführung eines verantwortlichen Kabi netts werden in China naturgemäß große Hoffnungen geknüpft. Doch wird abzuwarten fein, wie sich die Militärregierung der Rebellen in Nanking und die bei Hankau versammelten Aufständischen verhalten werden. Denn daß sich di« Revolutionäre mit der bloßen Abdankung de» Regenten und seine Ersetzung durch die Kaiserinwitwe begnügen wird, ist ausge. schloffen. Sie wollen m«hr, sie wollen die konstitutionell« versoff««-. Schanghai, 8. Dezember. sReuterbureau.) De- peschen aus Wutschang besagen, daß revolutio när« Verstärkungen aus Schanghai, Kanton und Nanking dort eingetroffen find. Liyuanhuna und die vereinigten Revolutionäre erklärten, daß sie sich den Wünschen der Majorität fügen wür den, wenn diese sich für eine konstitutionelle Regierung entschiede und Puanschikai oder irgendeinen andern ihnen zusagenden chinesischen Führer als Leiter der Staatsgeschäfte annehmen würden, der an die Verfassung gebunden und für das Parlament verantwortlich sei. Weiter wird gemeldet: Der Waffenstillstand in Wutschang ist unter der Bedingung, daß beide Par» teien ihre Stellungen beibehalten, auf 15 Tage ver längert worden. Der Verkehrsminister Tangschaoji, die rechte Hand Puanschikais, wird sich nach dem Sü den begeben, um zwischen der Regierung und den Revolutionären zu vermitteln. Die Revolutionäre haben, wie schon gemeldet, in Nanking eine vor läufige Regierung eingesetzt. Unter den verschie denen Gruppen ist ein Streit über die Wahl des Prä sidenten ausgebrochen. Es wird befürchtet, daß Eene> ral Liyuanhung in Wutschang wegen seiner Zurück setzung verstimmt ist. Es schweben Verhandlungen über die Abhaltung einer Friedenskonferenz in Schanghai. Reformen der Regierung. Peking, 8. Dezember. Durch -in heute erschienenes Edikt wird das Abschneiden der Zöpfe ge stattet. Die Frage der Annahme des Kalenders bei Ausländer ist dem Kabinett unterbreitet worden, da darüber beraten wird, wie die Reform durchzuführen ist. — Schihusue hat die Vormund schaft über den Kaiser angenommen, die ihm zugleich mit Hsuhishang angeboren wurde: der letztere hat es abgelehnt, diese Ernennung anzunehmen, aber der Thron hat sich geweigert, diese Ablehnung an zunehmen. Vie persische Frage im e»g- Mchen Parlament. I« Unterhaus. London, 8. Dezember. Auf verschiedene Anfragen über Bersten erwiderte Grey, di« britische Regierung habe keine Mitteilung von der russischen Negierung erhalten, in der di« Wiedereinsetzung des Exschahs vorgeschlagen wird. Soviel er wisse, sei von Rußland keine spezifizierte Summe als Entschädigung von Persien verlangt worden. Die britische Regierung habe kein« Forderung für die Kosten der britischen Truppen in Südpersien gestellt. Der persischen Re gierung sei mitgeteilt worden, die englische Re gierung habe allen Grund zu der Annahme, daß bei Erfüllung des ersten Ultimatums die russischen Truppen zurückgezogen würden, und deshalb sei ihr geraten worden, ohne Zeitverlust zu handeln. Es sei aber der persischen Regierung keine Zusicherung ge macht worden. Die persische Regierung habe einge willigt, der Forderung nachzukommen. Inzwischen habe aber Rügland weitere Truppen gelandet. Auf die Anfrage, ob die englische Regierung der Forde rung der Entlastung Shusters zustimmte, sagt« Eren ziemlich schroff, er könne nun weitere isolierte Fragen nicht mehr beantworten. Die persische Frage sei ernst und von dringender Wichtigkeit und werde bei Wiederaufnahme der Debatte über auswärtige Po litik weiterbehandelt werden. Asguith teilte mit, am nächsten Donnerstag werde die Debatte wieder ausgenommen werden. Im Oberhaus fragte Lord Curzon, welche Politik Großbritannien in Persien verfolg«. Es sei nicht klar, daß die Re gierung überhaupt «ine bestimmt« Politik habe, oder daß sie wisse, in welcher Richtung sie oorgehe. Er habe keine Anklage gegen die Regierung zu erheben, aber er wünsche auf di« Möglichkeit gewisser Ent wicklungen der gegenwärtigen Lage hinzuweisen, die, wenn man sich nicht gegen sie schütze, für Persien wie Großbritannien äußerst gefährlich sein würden. Er fürchte, die Unabhängigkeit Persiens könne verloren gehen, während man darüber debattier«, auf welche Weise sie am besten aufrechterhalten werde. Viscount Morley sagte, das Ziel der russischen Regierung sei, normale, dauerhafte Beziehungen mit der persischen Regierung zu schaffen und all« Elemente der Zwie tracht aus dem Wege -u räumen. In dieser Absicht wolle Rußland Persien weitere Vorschläge machen. Vie Strstze als Erzieher. Barr Rektor P. Hoche > Wriezen). Es liegt sicher viel Wahres in dem Satz, daß der Mensch ein Produkt seiner Umgebung sei, wenngleich dieser Gedanke nicht ohne Einschränkung zu nehmen ist. Er deutet .zugleich darauf.hin, daß die eigent- lcclfen berusencn Erzieher des Kindes nicht allein des Zöglings Wachsen und Werden bestimmen kön- neu, daß es vielmehr eine ganze Menge geheimer Miterzieher gil>t, deren Einfluß bald geringer, bald größer, bald gut, bald böse ist. Zu dielen wich tigen Miterzichern des Kindes gehört sickler die Straße. Es ist die erste und zugleich eine für sich abge schlossene Periode, solange dcS Kindes ganze Umwelt noch die Kinderstube oder ihre Erweiterung, die elter lich Wohnung ausmacht. Zwar treten auch hier die geheimen Miterzieher nicht garrz zurück, selbst in den ersten Lebensjahren deS jungen Menschen nicht. Ammen, Kindermädchen, Großeltern, Onkel und Tanten hinterlassen bei dem Kinde mannigfache Eindrücke. Aber doch ist sorgsamen Eltern gerade in diesen Jahren des Kindes »eine Erziehung in die Hände gegeben. Haben sie liebende Teilnahme und «inen scharfen Blick für ibr Kind, so werden sie manches merken, was teilnahmlosen Eltern ver borgen, ein unaufgeklärte- Wunder bleibt. Zn keiner späteren Zeit sind die Eltern jo unbeschränkte Herr scher über ihr Kind wie in seinen ersten Lebens- jähren. Aber die Verhältnisse ändern sich gar bald. ES kommt die Zeit, wo da» Kind hinaus will, hinaus muß au» den engen Grenzen seines HeimS, hinaus in» Freie, in die Straße Ein neuer wichtiger Mit erzieher beginnt seine Wirksamkeit. Zunächst ist eS die Mannigfaltigkeit der Eindrücke, der sinnlichen Wahrnehmungen, die auf des Lindes Gemüt mit dem Rei» de- Neuen eindrängen. Tie Flut der neuen Vorstellungen, die die Straße dem Kinde bietet, ist arotz. Aus Schritt und Tritt fällt ihm etwas Neues in* Auge: hier daS HauS, da neben der Garten, hier der Turm, da ein Laternen pfahl, jetzt ein Trahtzaun, dann ein Dorfteich. Wieviel verschiedene, kür das Kind neue Dinge reihen sich da schon aneinander, und wieviel gibt es nicht wieder an jedem einzelnen oieser Gegenstände zu beobachten! Aber daö sind doch alle» alltägliche Dinge, die der Beobachtung gar nicht wert find, wird vielleicht mancher geneigt sein, hier einzuwenden. Uber durchaus niOj U mag ja fein« daß dieser Einwurf für manche Erwachsene zutrifft — leider! — wie wir gleich sehen werden —, für daS Kind gilt er glücklicherweise meist nicht. Ihm sind alle diese alltäglichen Sachen etwas Neues. Es sieht sie auf merksam, interessiert an und gewinnt dadurch klare, selbst gewonnene Anschauungen und Vorstellungen, die in genügender Menge da sein müssen, damit es sühlcn und denken, damit eS sich seelisch und geistig betätigen kann. Da prägen fick; an diesem Hause Farben, an fenem Drahtzann die Formen, an jenem Pfahl ber Stoff genau ein, da sieht eS an jenem irabenden Pferde das Bcwcgungsmotiv der Beine, an dem uns gleichgültig erscheinenden Kutscher die hintenüber gebeugte Gestalt. Ja, auf der Straße lernt daS Kind, wo» wir Großen schon wieder verlernt haben: das Sehen. Es klingt sonderbar, aber es ist wahr, daß wir oft nicht sehen können. WaS unS nicht gerade au» einem Grunde besonders interessiert, was nicht ge rade auffällig ist, das übersehen wir eben. Hundert mal gehen wir an einem Gehöft vorüber, ohne zu Wissen, was für ein Banm das ist, der an seinem Eingang steht. Das Bncberwissen, das, was man ans ihnen erlernt hat, das Gedankliche überwiegt in unserm Leben zu sehr. Wir gebrauchen unsere Sinne, besonders unsere Augen viel zu ivenig, gehen blind durch die Welt der Erscheinungen und entbehren da her oft der einfachsten Vorstellungen und finden das langweilig, was dock' fo interessant ist und uns manchen Genuß verschaffen könnte. Tocb zurück zum Kind ans der Straße. Es lernt hier senen, weil e- eben viel zu schauen gibt, und weil daS Kind noch die naive Natur besitzt, die Außenwelt in ungehinderter, rein natürlicher Weise in sich auszunehmen, nicht durchs Denken, nicht durchs Wort anderer Menschen, sondern durch seine eignen gesunden Sinne, die durch diese Betätigung nur immer mehr geschärft werden Und dann der Inhalt de» Gesehenen! Man denke nur an die Straße in der Stadt, in der Großstadt, die eine ganz andere Wirkung hervorbringen wird al» die sttlle Dorfstraße. Wie hier der Wea asphal tiert wird, wie sich dort das prächtige Museum mit seinem Säulenvortal präsentiert, wie und warum die Elektrische auf einmal stehen bleibt, das alle» setzt seinen Gedankenkreis in Bewegung, führt ^,um Nachdenken. Die verschiedenen Waren in den Schau fenstern vermitteln eine Unmenge anschaulicher Kenntnisse: hier sicht eS die Früchte de» heißen Süden», Waren au» fernen, fremden Ländern, die Erzeugnisse der heimischen Industrie. Und alle» .Festzuge mit bis vor da- Rathaus, sieht hier, wie c nn- harten Treibers. Alle diese verschiedenen Erlebnisse setzen fick in seiner Seele fest und hinterlassen dort ihre wirksamen Spuren. Nach dem Gesagten könnte e« scheinen, al» sei die Straße nur ein wohltätiger Mitertteher de» Kinde-. Allein da» kann leider nicht bejaht werden. Im Gegenteil, sehr häufig kommt e» auch vor, daß Laß sie den Menschen auch schädlich beeinflußt. DaS Kind erhält hier manche Eindrücke, die man besser von ihm sernknelte. Auch hierbei ist wieder zu unterscheiden »wischen Tors und Stadt. Nicht olles, was es in den Schaufenstern au»gelegt sieht, dient zu seinem Nutzen. Unzüchtige Bilder erfüllen seine Phantasie mit unreinen Gedanken, vergiften ost schon in jungen Jahren sein kindliche» Gemüt. Bü- chertitel, Ditze in aufgeblätterten Zeitschriften im prägt fick der Seele leicht ein und wird nicht wieder vergessen. Auf der Straße aber lernt das Kind nicht nur eine Menge neuer Dinge kennen, sondern tritt auch in Beziehung zu andern Menschen. Manches „Ein zige", das daheim stets allein sein muß, oder in der unkindlichen Atmosphäre der Erwachsenen lang weilige Tage hinschleppt, findet aus der Straße ver traute Genossen zum lustigen Spiel. Und hier ist die stille geräumige Dorfstraße wieder im Vorteil gegen die lärmende, von geschäftigen Menschen und Tieren erfüllte Straße der Stadt. Wie steigt ihr auf in der Erinnerung, ihr grünen Anger, iyr Tummelplätze fröhlicher Kinderspiele, von denen wir nur ungern schieben, wenn in der Dämmerung, nach dem da» Abendglöcklein verhallt war, der Gang inS Haus angetreten werden mußte! Zwar erzieht daS Spiel im Freien da» Kind schon an und für sich; aber auch sonst noch wirken die Menschen der Straße auf seinen Charakter ein. Da wird manche unan genehme Eigenschaft abgeschlisfen, die im Hause oft gar nicht einmal beachtet oder bekämpft wird. Kinder sind bekanntlich große Egoisten; sie haben ein seines Gefühl für das, was ein anderes Kind Unrechte» getan hat, und üben meist ein schnelleres Gericht über ihresgleichen au», als Eltern «S tun, die in ihre Kinder oft mehr als verliebt sind. Aber auch daS ganze öffentliclie Leden der Menschen, daS sich auf der Straße abspielt, beeinflußt die empfängliche Kindesseele. Das Kind begleitet den ernsten Leichen- zug zum Friedhöfe, begegnet dort einem Lahmen, der nur mit Mühe weiterhumpeln kann, läuft mit dem das gemarterte Zugtier sich bäumt unter den barmherzigen Schlägen des harten Treibers. .Buchhändlerladen, Verse auf ausgestellten Postkarten regen es aus und drängen seinen Geist vielleicht in eine Richtung, die zum sittlichen Verderben der Anfang sein kann. Wo es so vielen verschiedenen Gesichtern begegnet, sieht es auch an den Menschen, mancherlei, hört eS zufällig Tinge, die sonst der Erzieher sorgsam bestrebt ist, von rhm fernzuhalten. In der reichen Mannigfaltigkeit der wechselnden Eindrücke liegt an und für sich schon eine Gefahr. Ihre kaleidoskopische Buntheit und schnelle Abwechse lung, die gar nicht Zeit läßt zum ruhigen Besinnen und Beschauen, verbraucht viel Nervenkrast, macht reizbar und befördert dadurch die herrschend« Krank heit des Jahrhunderts: die Nervosität. Aber sie führt ebenso zur oberflächlichen Betrachtuna der Tinge und Vorgänge, zum Scheinwissen und zur Halbheit. Und wo der junge Mensch auf der Straße viel mit andern Kindern zusammenkommt, da fliegt auch der Dame de» Unkrauts gar leicht in sein unbe wachte» Herz. Kinder nehmen von ihresgleichen sehr viel an, ohne daß sie erst lange prüfen, ob e» Gute» oder Schlechtes ist. Ein zufällig gehörte» Wort, eine schnelle Gebärde, eine fluchtige Stellung, sie genügen schon, in der Kinderseele einen Eindruck zu hinter lassen, der sich nicht mehr verwischen läßt. Wie der Wind die Samenkörner Hierhin und dorthin trägt, wie davon wohl manche vergehen, ersterben, wie aber zufällig ein anderes einen günstigen Boden findet, so ist e» auch mit den Eindrücken, denen das Kind auf der Straße gegenübersteht. Welche Eltern hätten darin noch keine Erfahrung gemacht, wie ihr Kind eines Tages von der Straße hereinkommt und Worte gebraucht, die es zu Hause nie gebraucht hat? Und manches hat cs auf der Straße erfahren, wovon es zu Hause nichts merken läßt, ivcil e» eben ahnt oder weiß, daß eS nichts Gute» ist. Ta» ist aber mit der Uebelstand, daß so viele» in der Erziehung durch die Straße geheim bleibt. Tie Eltern wissen nie, was ihr Kind draußen in sich aufnehmen kann, ob Gute» oder Böse». Fast alle ihre vielen Einflüsse sind dem Erzieher unkontrol lierbar, weil sie sich seiner KKntni» entziehen. Ein Gassenjunge oder -mädchen zu sein, schließt in der Regel kein Lob in sich. Tiefe Beziehung erinnert zu sehr an Verwilderung, Ungezogenheit Mancher hütet sein Kind ängstlich vor den Einflüssen der Straße, und diese Absicht ist geiviß löblich. Aber wir können das Kind so nicht immer durchs Leben geleiten, e» mutz lernen, allein gehen, selbständig gewonnene Eindrücke in fick zu verarbeiten. In
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