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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.11.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-11-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111129012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911112901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911112901
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-11
- Tag 1911-11-29
-
Monat
1911-11
-
Jahr
1911
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Lewmer Tsgevlrm. Nr. 33 l. 105. Iskirrirmy Mittwoch, 29. Nooemder l91l. gertscher Verwicklungen, deren Grund nicht mehr in Marokko, wohl aber in der Balkan frage gesucht werden muß. Es ist nicht ausgeschlossen, dag der italicnisch'lürkisch'. Krieg von den Gegnern Deutscylandv, hierzu muß jetzt auch Zta- lien gerechnet werden, benutzt wird, um Komplika tionen zu ichasscn. durch die em Krieg unvermeidbar wird. England scheint das italienische Vorgehen im Balkan eher zu begünstigen als binicnanzuhalten. Bei dieser ,. litHchen Lage ist es angebracht, aus ein Zusammenarbeiten oller bürgerlichen Parteien in Deutschland bei den Wahlen binzu- arbeiten. Lieht das Ausland, das; die Parteien unsere Regierung im Stilb lassen und sich gegenseitig bekämpfen. so bedeutet dies eine größere politische Schwächung unseres Vaterlandes als ein verlorener Krieg. Ein Zusammenhalten aller nationalen Kräste in Deutschland kann allein eine Katastrophe verhin dern und Frieden und stärke des Reiches sichern. Das Ausland hofft, del; dir nächsten Reichs- tagswahlcn eine Reichviagsmeyrbeit schaffen, die gegen die Bestrebungen der deutschen Regierung auf Erhaltung seiner militärischen Kräfte arbeiten wird, die ein Znlarnmenarbeltrn mit der Regierung un möglich machen und in wenigen Monaten eine Auf lösung des Reichstags zur Notwendigkeit machen wird. Dieser Augenblick der politischen Zersplitterung im Innern wird den Geg nern Deutschlands die erwünschte Gelegenheit bieten, den Kampf anizunrhrni-n. um Deutschland nicderzuwcrs.en. Mach.en die P n r t « i en zu der Einsicht kommen, daß Deutschlands Zu kunft für die nächsic Zeit van dem Ausgang der I a n n a r w a h l e n obhüng*. Das Ausland must sehen, das; ein einiges Volk hinter seiner Negierung siebt und daß alle Fehler ver aesscn sind in dem Bewußtsein: Zn kritischen Zeiten macht Einigkeit der deutschen Stämme allein stark. SchitkrtzrtsrriizsirLN unü HrmsNüL tsyeletz. sstimmungsbild aus dem Reichstage.) ,l. Berlin, 28. November. lTelegr.s Am 18. November, vor der Pause, hatte der Reichstag die zweite Lesung des Wasserstru^engesetzes nicht völlig erledigt. Der Fortschritt hatte damals — es war ein Lonnal>end — mir Anzweiflung der Beschlußfähigkeit des Hauses gedroht. Heute hätte dre Anzweiflung, wenn man nur den Sitzungssaal selbst in Betracht zog. stcllenweiic Sen gleichen Erfolg ver,prock>e>i, aber der Fortschritt legte nunmehr den größeren Wert aus Begründung und Erörterung seiner Wünsche. Ein von ihm eingeorachter Antrag ist, wie der preujuiäfe Elscnbahnminister v. Brei ten dach mit Recht jagte, außerordentlich umfassend. Das Mißtrauen gegen die Regierung ist, wie Abg. Gotheln iFortschr. Bpt.s a rssprach, der Vater des Antrags, der auf eine Erweiterung und Ausdehnung der Einrichtung der Strombeiräte hinaus läuft. Der Gcdanle der Strombeiräte ist eben ent wicklungsfähig. Auch für Flüsse, die nur einem Bundesstaat zugebörcn, soll er nach dem Wunsche Gotheins anqewcndct werden. Nalionallibcrale und Zenirum äugelten sich beute nicht hierzu. Abg. Winkler erklärte sich namens der Kons:'"ativcn dagegen. David namens der Sozialdemokraten da für. Bei der Abstimmung wurde der Antrag a b - gelehnt, ebenso, was sonst noch an Aenderungs- wünstchen gehegt wurde, darunter «in polnischer An- trag, di« Warthe von Posen abwärts abgabenfrei zu lassen, trotz der wohl durch landschaftliche Verhält nisse beeinflußten Unterstützung durch den Grafen Westarp sKons). Beim Heimarbeitsgesetz waren, die sach kundigen Vertreter der Bundesstaaten wieder zur Stell«. Der sächsisch« Geheime Rat Dr. Hall bauer trat zunächst der Schilderung entgegen, die gestern durch den Abg. Schmidt-Berlin sSoz.) von der Lage der sächsischen Heimarbeiter entworfen worden war. Es entbrannte dann eine lange De batte über die Gestaltung der Vorschrift, Lohnver - zeichniss« oder L'o'h n't'a f« l n in den Ar- beitsränmen auszulegen. Man war sich nicht einig darüber, was in diesem Verzeichnis oder Tafeln ausgenommen werden soll, ob Ausnahmen zu lässig sein sollen für Muster usw. Abg. Eocrling sRatl.s vertrat in einer mit Aufmerksamkeit ange- hörten Rede den Gedanken, das, obligatorische Be stimmungen. so gut sie gemeint sein mögen, nicht immer zweckentsprechend seien, und kennzeichnete die auch b«i dieser Gelegenheit von der Sozialdemokratie entwickelt« Tätigkeit als Uebertreibung. Verallgemei nerung und Wiederholung. Für d.e sozialdemokra tische Partei sprachen Al dreck, t, Stadthagen, S ch m i d't'-'Derlin. für die Fortschrittliche Dalks- portei Manz und Goller und für die Regierung der Direktor im Reichsamt des Innern Caspar. Ein Zentrumsantrag empfahl, die Vorschrift für neue Muster außer Kraft zu lassen. Er drang durch im übrigen blieben die Bestimmungen unverändert. Auch in der Folge wurden noch Erweiterungen und Aus dehnungen der den Arbeitern zuredochten Verbesse rungen über die Kommissionsbeschlüste hinaus be antragt. Soviel wir beobachten konnten, wurden sie durchweg obqelehnt. In später Stund« wandte man sich der Beratung der beantragten Lohn- und Tarifümter zu. Oss heilige Kolleg. sVon unserem römischen Mitarbeiter.) Pius X. hat seinem Kardinalstaatssekrctär Merrn del Val die gleiche Genugtuung bereitet, wie Leo X'lll. seinerzeit auch dem starkangefeindeten Rampolla: beide Päpste dokumentierten durch die Ablehnung einer Reihe von Kardinalskandidaturcn vor aller Welt, das; sie nicht gesonnen sind, den Ambi tionen der Gegner ihrer Minister nachzugeben. Rnmpolla ließ sich seine Kardinale von Leo Xlll. ernennen, und Merry del Val folgte den Spuren seines Vorgängers, der es aber seiner seits ganz energisch ablehnt, zu den Freunden seines Nachfolgers gezählt zu werden. Man weif; es nicht erst seit gestern, daß die Rampolliancr und Merry del Valianer sich innerhalb »nd außerhalb des Vati kans befehden. Eine Zeitlang schien es. als hätte die Partei des außer Dienst gebellten Staatssekretärs Leos XIII. wieder Oberwasser bekommen. Die eklatanten Mißerfolge Merry del Vals ließen diese auch in den diplomatischen Kreise» Roms geteilte An nahme sehr plausibel erscheinen. Aber die Vorgänge dec letzten zwei Monate gaben denen recht, die schon im Sommer behouvteten. daß die Rampollioner „unten durch" sind. Eie haben ihre Karten zu früh aufgcdeckt. Merry del Val konnte seinem Herrn und Meister sehr leicht an der Hand von einzelnen Tat sachen nachweisen, dah seine Gegner eine Politik vor bereiteten. welche geeignet wäre, die Grundfesten des von Pius X. mühsam aufgerichteten politischen Ge bäudes wieder einzureißen Darum hat sich der Papst beeilt, diesen Grund festen eine neue Stütze durch Ernennung von Kardinalen zu geben, von denen ihm Merry del Val beteuern kann, daß sie an dem Gebäude nicht rütteln werden. Pius X. ist an die Komplettierung des stark reduzierten heiligen Kollegs herangegangcn, obwohl er vor knapp Jahres frist feierlich versprochen hatte, im „Trauerjahr" keine feierliche Handlung vorzunehmen Kardinals ernennungen aber gebörcn der Tradition nach ;u den freudigen Ereignissen des Vati kans. Und wenn der Heilige Vater sich jetzt veran lasst sicht, lein feierliches Versprechen zckrückzunehmen, so kann man hierfür keineswegs Gründe geltend machen, di« sich auf seine gefährdete Gesundheit be ziehen. Denn schlimmstenfalls hätten auch die 46 Kardinäle des alten heiligen Kollegs die etwa not wendig gewordene Pap st Neuwahl vornehmen können. Freilich wäre diese dann anders ausge fallen als eine Wahl, bei der noch 18 andere Pör- porati in Aktion zu treten haben. Die 46 alten Kardinäle hätten schwerlich in ihrer Mehrheit einem Papst nach dem Herzen Merry del Vals ihre Stimme gegeben. Unter rhnen hatten die Italiener und Nam- pollafrcunde das numerische Uebergcwicht. Dieses hcrabzudrückcn und die Mehrheit der Rampolliancr in ein« Minderheit zu verwandeln, ist der Zweck der jetzigen Karbinalsernennungen gewesen. Sie wirken daher wie ein« Demonstration. Als solche werden sie auch im Parteilager Merry del Vals aus gegeben. Wer sich henk« im Vatikan umtut. kann aus dem Munde der dem gegenwärtigen Kardinal- statts'ekretär zugetanen Prälaten stets die gleich lautende Versicherung hören: „Eine Klärung derLage warnotw endig! Sonst geraten wir in die ärgste Anarchie hinein!" Es fragt sich nur. ob mit einer solchen Gewalt prozedur, wie sie die Abhaltung des gegenwärtigen Konsistoriums darstellt, auch der Geist der Anarchie, der ja unzweifelhaft im Vatikan umgeht, niederge- zwungcn werden kann. An Stellen, die Merry del Val nicht freundlich gesinnt sind, konnte ich in letzter Zeit wiederholt hören, daß das von ihm beliebte Mittel, die Aktion seiner geheimen und offenen Gegner schachmatt zu setzen, keine andere Wirkung haben wird, als die vorhandenen Gegensätze auf die Spitze zu treiben. Natürlich verfolgt die diplomatische Welt, die zum Vatikan in einem näheren oder mittelbaren Verhältnis steht, die neuesten Wahlprozesse der Kurie mit gespanntestem Interesse. In einem politischen Salon gab jüngst der Vertreter einer katholischen Großmacht folgende Definition des heiligen Kollegs zum besten: „Das heilige Kolleg ist eine Gesellschaft roter Männer, in der es weder heilig noch kollegial zugeht!" Die 64 Mitglieder des heiligen Kollegs vertreten in ihrer überwiegenden Mehrheit so gegensätzliche Interessen kirchenpolitischer Art, das; eine Einigung bei einer Papstneuwahl vielen Kennern der Verhältnisse fast unmöglich erscheint. Da wäre zunächst die Partei Merry del Vals. Sie hat eine spanisch-englisch« amerikanische Färbung. Unter den 18 neuen Kardinälen kann man ihr 1 8 Anhänger zurechnen. Die übrigen drei sind „unsichere Kanto nisten". Unter den 46 alten Kardinälen zählt Merry del Val nach den Versicherungen aus seinem Lager 21 Freunde. D«r Papst aber muß mit Zwei- drittel-Maiorität gewählt werden. Es heißt nun, Pius X. werde zu Anfang des neuen Jahres einen abermaligen „K a r d i n a l s s ch u b" vornehmen, um dem Kolleg acht weitere Anhänger der Richtung Merry del Vals zuzuführen. Ihr stehen die Italiener und die deutschen und die österreichisch-ungarischen Kardinäle schroff gegenüber, ohne jedoch über eine ausschlaggebende Mehrheit verfügen zu können. Sie müßten denn im letzten Augenblick die Engländer und Amerikaner und einige Franzosen in thr Lager herüberziehen können. Aber schließlich tränen auch die Italiener den deutschen und vor allem den österreichischen Amts brüdern nicht über den Weg. Denn die Italiener wollen einen Papst, der ihren nationalen Am bitionen Rechnung trägt, indem er ihre letzthin allzu offensichtlich ins Werk gesetzten Bestrebungen einer Aussöhnung zwischen Quirinal u n d V a t i k a n zur Richtschnur seiner Kirchenpolitik macht. Außerhalb Italiens aber wird eine derartige Abschwenkung non den alten Traditionen schwerlich Anhänger finden. Und es dürste sehr wohl der Fall eintreten, daß der nächste Papst kein Italiener sein wird! Wenn aber hier und da in italienischen Blättern die Meldung austaucht, Merry del Val selber trage sich mit größeren Hoff nungen, so kann dem nur entgegengehalten werden: Merry del Val ist selbst bei denjenigen Kardinälen unten durch, die zu seiner Partei halten. Die Freund schaft ist nur äußerlich. Oer Krieg um Tripolis. Die entschiedene ablehnende Haltung der Mächte gegen die von Italien geplante Blockade der Darda nellen hat dazu geführt, daß Italien jetzt offiziell erklärt, auf eine Aktion in den Dardanellen zu ver zichten. Das Konstantinopeler Blatt „Zkdam" meldet: Ter russische Botschafter überreichte dem Großwcsir die A n t w o r t Italiens, woraus hervorgehe, Italien wolle auf die ganze Aktion gegen die Dardanellen verzichten. Der Botschafter er klärte freundschaftlich, die Türkei sollte Verhandlun gen zur Lösung der Tripolisfrage e! IZen. Die amtliche Erklärung, daß Italien gegenwärtig nicht die Avucyt habe^ die Dardanellen zu blockieren, wird vom Mailänder „Serolo", der hierbei den Kopf in den Sand steckt und die wahren Ursachen nicht sehen will, dahin ausgelegt, daß Italien erst dann m der Blockierung schreiten werde, wenn die Besetzung der Oase von Tripolis nicht die Wirkung Haven werde, die Türkei zum Friedens schluß zu nötigen; dann erst werde Italien seine Streitkräfte gegen einen Punkt richten, wo die Lebensinteressen der Türkei berührt werden. 1-leder die Lage in Lrigolis meldet die „Agenzia Stefani" unter dem 28. No- vember: Die Zahl der auf i t a l i e n i s ch e r Seite am 26. d. M. außer Gefecht Gesetzten beziffert sich auf 120 Mann, von denen 16 gefallen und einige Grirkei am KiiüresAsücuö. Zum .'>0. November, «rMichSruck verboten.) Bon allen Los- oder Lurtagen -es Jahres, Tagen, an denen man nach uraltem Glauben einen Blick in die Zukunft zu nm vermag, ist keiner von so aus geprägter Eigenart wie Ser Andreastag, ser große Orateuag aller Heiratslustigen. Wie er zu dieser hohen Beteulung ackomm.n uno weshalb gerade dec heilige Andreas io ost in Liebesangeleqeiil-eiten an- geiuien wirs, jit freilich nicht recht erpchNich. Anoreas, der Bruder des Simon Petrus und Jünger des Herrn, tritt in der Darstellung der Evangelien nur wenig hervor, noch der Legens« soll er die Kirche zu Bvzanz gegründet haben uns auf seinen Mijjionsrcisen bis an sie Wolga oo>gedrungen sein. Daher ist er ja auch ser denmoere Sct'utzpanon Rußtanos, und der höchste rusimhe Orden, von Peter l. am AnSreasmgc des Jahres 1698 begründet, ist nacb ihm venannt. Im Jahre 69 n. Ehr. wü er zu Patras in Ackaja den Märtyrertod erlitten halben, und zwar an einem Kreuz mit quergestelllen Batken. Sein Leden bietet alio lein« Erklärung sür die Tatiache, daß er zum Schutzpatron aller Heirats lustigen wurse, nNd so hat man denn die ver- schieoenslen Mutmaßungen ausgestellt. Weil sich in den am Andreasobend geübten Bräuckfen vielfach Anklänge an das germanische Heidentum finden, folgern die einen, daß aus den heiligen Andreas ein Teil der Bedeutung des altdeutschen Gortes Frö oder Freyr, der den Sterblichen Liebeslust «inslößte und das Haus mit blühens«» Kindern füllte, über gegangen sei; die ansere» ober haben auf die Be deutung des griechischen Namens Andreas hin gewiesen. Andreas ist nämlich von einem Wort ab- zuleiten, das soviel wie Mann bedeutet, und so bat man den Namen in „Mannbescherer" rierdeutscht. Wie dem aber auch ;ei, soviel fleht fest, daß der Andreas tag der groß« Orakeltag aller Heiratslustigen ist. Selbstverständlich ist es hauptsächlich di« bcirats lustige weibliche Jugend, die der Zukunft Schleier zu lüsten such». Nur selten wird es noch Vorkommen, daß die Burschen, wie einst lin Harz, am Andreas- abcnd «ine Planke vom Erbzau» reisfen, sie um Mitternacht im Ofen verbrennen uns nun vor dem brennenden Stück in der Hoffnung sitzen bleiben, daß die zukünftige Braut komme und sich am Feuer wärme. Oder daß sie, wie es im Riesengebirge früher Brauch war, zwei Körnlein Hafer in eine mit Wasser gefüllte Schüssel werfen und aus deren Zusammen schwimmen ihr« baldige Vereinigung mit einem holden Kinde schließen. Anders di« jungen Mädchen! In allen Teilen Deutschlands veriammelt sich bald hier, bald da noch heule am Ansreasabend ein« bunte Schar, um die mannigfaltigsten Orakel zu befragen oder auch einsam im stillen Kämmerlein zu „andreeslen". Sehr beliebt ist das Echubwersen. Die jungen Mädchen werfen ihren Schuh rückwärts über den Kopf, indem ne sprechen: „Lchückiel aus, Lchüchel ei, wo werd' ich übers Jahr sei?" und schließen ans der Lag« des niedergesallenen Schubes auf ihre . nahe oder ferne Hochzeit. Zeigt die Spitz« oes geworfenen Schuhes nach der Tür, so wird das Mädchen im folgenden Jahre als Braut ,um Hause hinausgesührt werden. Im Vogtland, in der Lausitz und in Schwaben Hilden die Mädchen einen Kreis und stellen in dessen Mitte «inen Gänserich, dem die Augen verbunden worden sind. Welchem Mädchen sich der u>eissagence Vogel zuerst zuweudrt, dem winkt im nächsten Jahre der Brautkranz. Ma» füllt wohl auch. z. B. in Sachsen, eine Schüssel mir Wasser und legt einen kleine» Stroh oder Myrtenkranz, einen Ring und eine kleine Puppe hinein. Ergreift ein Möschen bei abgcwandtem Ge sicht den Kranz, so wirs es im nächsten Jahre Braut, ergreift es den Ring, so erfolgt die Trauung, ergreift es aber die Puppe, so stellt sich eine kleine lebend« Puppe ein. Üederhaupt nichts zu ergreifen, gilt als Anzeichen des bevorstehenden Todes. Ist di« wichtigste Frage in beglückender Weise ge löst, so will man nun gern auch noch Näheres über den zukünftigen Gatte» erfahren. Um über seine Stellung im bürgerlichen Leben Aufschluß zu erhalten, gießt man Blei oder Eiweiß in eine mit Wasser ge lullte Schüssel und schließt aus den sich ergebenden Figuren aus den Beruf des Geliebten. Im Erz gebirge legr man auch neunerlei Gegenstände aus den Ti'ch uns bedeckt sie mit je einer Obertasse. Unter einer der Tassen muß sich ein Salzhäuschcn befinden, das kunstvoll ausgerichtet worden ist. Jedes der an wesenden Mädchen muß sich daraus, ohne daß es gc- jedcn hat. wie die Gegenstände liegen, eine Taste aus jucken. Liegt unter ihr vielleicht ein Stückchen Werg, so bekommt es einen Seiler, liegt ein Tuchstückchen darunter, einen Schneider usw. Das Salchäuschcn aber entscheidet über Leben und Tod; hebt ein Mädchen die Taste auf. so stirbt es im nächsten Jahre, ivenn das Häufchen eingefallen ist. Ein anderes Orakel besteht darin, die Buchstaben des Alphabets mit Kreide an die Tür zu schreiben und dann bei ver bundenen Augen danach zu fasten. Der getroffen« Buchstabe ist der Anfangsbuchstabe vom Namen des Eriennten. Man schaut wohl auch um die Stunde der Mitternacht in gewisse Brunnen und Ouellen oder während der Mette ins Ofcnlocb und erblickt darin den zukünftigen Schatz. Der Apfel, der schon bei unseren Borfaoren ein Sinnbild der Liebe war, wird auch in vielfacher Zveise als Liebesorakel verwendet. Di« heiratslustigen Mädchen schälen am Andreas- abend einen Apfel, indem sie das Mester oben ein setzen und rundherum bis zum Stiele führen. Er halten sie dabei die Schale nnzerristen, so steht ihnen im nächsten Jahre ein großes Glück bevor. Um nun auch derr Namen des künftige» Eheherrn zu erfahren, werfen sie die Apselsckale rückwärts mit der rechten Hand über die linke Schulter und suchen aus den Ver schlingungen jenen herauszulesen. Ist ein Madckcen in der glücklichen und doch auch schwierigen Lage, mehrere Freier zu besitzen, ohne sich für «inen bestimmte» entscheide» zu können, so schreibt es die Namen derselben am Andrcasabend auf klein« Zettel, steckt diese in Tonkugeln und wirft sie in eine mit Wasser gefüllte Schüssel. Hier lösen sie sich bald auf, und der zuerst aufiauchende Zettel gibt die Ent scheidung. Oft werden die Zettel am Abend auch unter das Kopfkissen gelegt und von dem Mädchen, sobald «s am Morgen erwacht, einer hcrvorgezogcn. Ist einem Mädchen das Glück nicht hold, will sich kein Herz zum Herzen finden, so muß es am Andreasabend von dem Gesicht eines Bienenstockes, das man gewöhn lich da cingeschnilten findet, wo die Fluglöcher sind, «in Spänchen abschneiden und immer bei sich tragen, dann wird gar bald ihr Sehnen sich erfüllen. Mitunter verläßt auch eins der in der Stube „orakelnden" Mädchen heimlich den Kreis der Freun dinnen und schleicht sich hinaus an das Fenster des Nachbars, um zu „horchen". Aufmerksam lauscht es dem in der Stud« geführten Gespräch; hört es zuerst ein „Ja", so heiratet es bald, und der hierauf ge sprochene Name ist der des zukünftigen Gatten. Andere schleichen um die Mitternachtsstunde an die Tür des Hühnerstalles, stoßen mit einer Stange in denselben und sprechen: „Gackert der Hahn, so krieg ich en Mann. Gackert die Henn, so krieg ich noch kenn." Selbst der Schwcinestall wird ausgesucht, und je nachdem eine alte oder junge Bewohnerin grunzt, je nachdem ist der Zukünftige alt oder jung. Auch zum Garten lenken die Mädchen ihre Schritte. Vielfach ist es am Andreasabend Sitte, in aller Stille ei» Zweig lein von einem Baume zu brechen und in ei» Glas Wasser zu stellen. Blühen die Knospen im warme» Zimmer bis zu den „heiligen Zwölfen" aus. so wird im nächsten Jahre der Brautkranz blühen. Man geht auch zu einem Erbzaun, schüttelt ihn und spricht: „Lrbzaun. ich schüttle dich. Lieber Andreas, ich bitte Sich, Laß mir erscheine» Den Herzallerliebsten meinen, Wie er geht, wie er steht, Wie er mit mir zum Altar gehr." Dabei rufen sie wohl auch noch in die Nacht hinein: „Kommst? Ja?" Hören sie das Echo: „Ja!", so heiraten sie, und zwar in di« Gegend, aus der das Echo ertönt. Der Andreasabend bzw. die Andreasnacht gehört im Volksglauben zu den gesegneten Zeiten, in denen das junge Mädchen den zukünftigen Gatten unter Umstünden sogar leibhaftig erblicken kann. Die Heiratslustige schließt sich mit Einbruch der Nacht in ihre Schlaskammer ein, entkleidet sich vollständig, nimmt zwei Becher, gießt in den einen Wasser, in den anderen Wein und stellt beide auf den weißgedeckten Tisch. Dann spricht sie: „O du lieber Andreas mein, Hier steh ich vor meinen Bcttsäulen, Las; meinen Liebste» bei mir erscheinen; Soll ich mit ihm leiden Not, Laß ihn erscheinen bei Wasser und Brot. Soll ich mit ihm leiden kein«, Laß ihn erscheinen mit Semmel und Weine." Nach Aufsagung dieses Spruches, der auch mit den Worten: mens, heiliger Andreus! Laß mir er ¬ scheinen usw. eingeleitet wird, erschien natürlich auch die Gestalt des zukünftigen Gatten, manchmal nur im Traume, meist aber in Spukgestalt und trank aus einem der Becher. Weit verbreitet war und ist zum Teil noch jetzt die Sitte des Bcttretens. Das Mädchen stellt sich in der Mitternachtsstunde nackend aus die scharfe Kante der Leitcnwand des Bettes und spricht: ..Bettspond sVcttbrett). ich trete dich. Sankt Andreas, ich bitte dick, Laß doch erscheinen Den Herzallerliebsten meinen." In anderen Gegenden legt sich die neugierige Jungfrau am Abend umgekehrt ins Bett, den Kopf am Fußend«. wied«r in anderen wirst man um die Mitternachtsstunde das Bett heraus, legt zwei Bit bretter kreuzweise auf den Boden, stellt sich darauf und spricht das gleich« Berschen. Im Erzgebirge ge nügt es auch, dreimal mit der großen Zehe bei Auf sagung des Spruches an den Bettstollen zu stoßen. Mitunter kehrte» die Mädchen auch um die Miller« nachtsstunde im bloßen Hemd rückwärts gehend ihre Stube und sahen dann ihren zukünftigen Liebhaber im Spiegel oder hinter dem Spiegel sitzen oder auch, wenn es nicht zur Heirat kommen sollte, einen Sarg. Die hierbei und bei den vorher erwähnten Brauche» geforderte Nacktheit der Jungfrauen hatte durchaus nichts Anstößiges an sich, sondern war von sakraler Bedeutung. Durch sie sollte die Jungfrau abgelöst werden dom Alltagsleben, und dadurch, daß sie das gewöhnlich Verborgene offenbar macht, sollte sie würdig werden der Offenbarung des verborgenen Schicksals. Nicht immer sind aber die jungen Mädchen so an spruchsvoll, ihre» zukünftigen Gatten am Antreas- abend in leibhaftiger Gestalt oder doch als schemen haft« Ersck-einung vor sich sehen zu wolle», sehr oft begnügen sie sich auch mit dessen Erscheinen im Traume. Zn diesem Zwecke spreche» sie außer den schon erwähnten Versen beim Niederlegen auch den folgenden: „Andreasabend ist heut«. Schlafen alle Leute. Schlafen alle Menschenkind. Die zwischen Himmel und Erd« sind. Bis auf den einzigen Mann, Der mir zur Ehe werden kann." Zn Ostpreußen streut man eine Handvoll Hafer und Leinsaat unter Las Kopfkisten und spricht dazu: ..Hafer und Lein, ich säe dich. Heil'ger Andreas, ich flehe dich: Laß mir im Traum erjchein'n Heute den Liebsten mein, Wie er geht, wie er steht. Was er im Herzen trägt." Zn Schwaben bettelt sich das junge Mädchen von einer Witwe einen Apfel, ißt nachts 12 Uhr die Hälfte und legt die andere Hälfte unters Kopfkissen, dann erscheint der Geliebte im Traum. Bei den Sieben, bürger Sachsen legen sich die Mädchen ein Männer- kleid unter das Kopfkissen, und in der Hofer Gegend verzehren sie sogar vor dem Schlafengehen mit Todes verachtung einen Hering frisch aus der Tonne, ohne «inen Schluck Wasser darauf zu trinken, im Traume aber kommt dann der Zukünftige, um der von heftigstem Durst Gequälten einen Trunk zu bieten. Ob der heilige Andreas wohl nun stets die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt und sich als „Gütigster der Heiligen" gezeigt hat? Wer vermag es zu sagen? Diejenigen, die sich getäuscht sahen, werden klüglich darüber schweigen, diejenigen aber, denen er hold war, n'erdeir neue Gläubige seiner Fahne zugeführt haben. Corvinus warnt zwar in einem heiteren Ge dicht die heiratslustige weibliche Zugeird: „Ach, sparet, bitt ich, euer Beten, Womit ihr den Andreas plagt. Ihr werdet iir das Trübe treten, Sobald ihr einen Mann erjagt. Legt euch auf eure Oehrchen nieder Und schlaft dafür in solcher Nacht. So ruhen doch indes die Glieder. Die man durch Wachen müde macht." Ob aber je solch« Mahnungen etwas gefruchtet haben? Wir glauben es nicht. 8.
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