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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.08.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-08-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110825023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911082502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911082502
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-08
- Tag 1911-08-25
-
Monat
1911-08
-
Jahr
1911
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BezuAS Preis für L«wlta «,»» tioiorr« d,rch »nler» Irage, »nd Svedtteur« 2mal tialtch in» »an» g«dra«r «t Pf. monatig L.7U Mk. vteneUährl. Bei «nlera Filialen «. An nahmestellen adaeholt 7S Vs. «onail- LL Alt. »tenrlsährl. »ne« Nie V«ft: innerhald Deuttchland» und der deutschen Kolonien oteNeljährl. S.«I Mk„ monatl. l.Nl Mt. auellhl. Polidelirllarld Ferner in velgten, Ddnemarl. den Donaultoaten, Italien. Luremburg. Niederlande. Nor wegen Österreich. Ungarn. Nuüland, Schweden, Schwei» w Spanien. In allen übriger. Staaten nur direkt durch di« GeIchutr»keL« de» Blatte» erhältlich. Abend-Ausgabe. Utip.ngcr Tageblatt Da» Leip»»»«» Lagedlatt «richetnr »mal täglich. Sonn, a Fetettag» in» morgen». Adonnemenl—Snnahme Johann,»gaNr 8. ber nnleren Tragern. FUtalen. Spediteuren und Annahmestellen, lowle Postämtern und Lnesttägern. . 1148S2 (Nachtnnlchl»»» f 14«2 l»«cht»»lchl»»r TtU-Änschl.i 14KSS «NltNVetSzetAUNg. Trt.-Itnfchl.ii4W» Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtcs Ser Ltadt Leipzig. 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Bon unterrichteter Seite wird uns aus Berlin geschrieben: Pariser Blätter sprechen jetzt viel von der endgül tigen Formulierung der französischen Forderungen und Zugeständnisse an Deutschland, von dem un widerruflichen Charakter der Beschlüsse der franzö sischen Regierung usw. Nun, es sott schon manchmal vorgekommen sein, daß einem „letzten" Angebot noch ein „allerletztes" folgte. Den gegenwärtigen Lärm wird man aber wohl als Rückzugskanonäoe auffassen dürfen. Frankreich scheint geneigt zu sein, den deut schen Wünschen entgegenzukommen. Ob freilich das Entgegenkommen weit genug sein wird, entzieht sich noch der Beurteilung. Ausgeschlossen ist, daß Frankreich von Deutschland, wie eine Pariser Stimme verlangt, die feste Zusicherung erhält, nach Verbürgung der er teilten wirtschaftlichen Konzessionen in Marokko würden keine neuen mehr angestrebt werden. Zu nächst würde über den Umfang und die Bedeutung der bis dahin von Deutschland erworbenen wirt- schaftlichen Konzessionen nicht leicht Einigkeit herge stellt werden. Durch eine solche Abmachung würde also neuen Streitigkeiten Tor und Tür geöffnet werden. Man Lenkt aber auch in Deutschland gar nicht daran, sich die wirtschaftliche Zukunft in Ma rokko zu verbauen oder zu verengen. Wenn von Kongoentschädigungen die Rede ist, so sind diese keinesfalls als Ausgleich für die Aufgabe der wirt schaftlichen Gleichberechtigung in Marokko gedacht. Der von mehreren Seiten vorgcbrachte Wunsch, es möchte der deutschen Oeffcntlichkeit in der einen oder anderen Form Kenntnis vom Stande der Verhandlungen gegeben werden, hat in der aller nächsten Zeit noch nicht Aussicht auf Erfüllung. Für den Fall einer entscheidenden Wendung oder beim Abbruch der Verhandlungen würde die deutsche Regierung zweifellos nicht auf das Recht verzichten, an die Oefsintlichkeit zu appellieren. Aber so lange die Verhandlungen einen regelrechten Fortgang neh» men, will man offenbar von der bisher beobachteten Diskretion nicht abweichen. Nicht unberechtigt dürfte die Vermutung fein, Latz, wenn die deutsche Regie rung einen beschrankten Kreis von Männern ins Vertrauen zöge, etwa die parlamentarischen Führer, auf französischer Seite kein Halt mehr wäre und die dortigen Blätter noch mehr Gelegenheit zu Durch- kreuzungsversuchcn erhielten. Der deutsche Botschafter in Paris, Freiherr von Schoen, hatte am Donnerstagmorgen eine längere Unterredung mit dem Minister des Aeußern de Sclves. Rach dieser Unterredung konferierte de Selvcs längere Zeit mit dem französischen Bot schafter in Berlin Zules Cambon. Zm Laufe Les Freitags soll nochmals ein Ministerrar stattfin- Len, in dem die Haltung der französischen Regie rung endgültig sestgelegr werden soll. Die Pariser Abendblätter, die in den letzten Tagen dringlich die Verlegung der Verhandlungen von Berlin nach Pa ris verlangt haben, wissen bereits zu melden, daß auch die französische Regierung sich entschlossen habe, gleichfalls eine Verlegung der Verhandlungen zu ver langen und ein dementsprechendes Ansinnen an Deutschland gestellt habe. Paris, 25. Aug. (Eig. Drahtm.) Offiziös wird gemeldet, daß der Ministerpräsident sich gestern nach Rambouillet zum Präsidenten Falliöres begeben und mit ihm eine lange Unter redung über die deutsch-französische Marokkoange- leaenheit gehabt hat. Botschafter Cambon ist seit gestern abend etwas leidend, doch hofft man, daß das Unwohlsein bald gehoben sein und ihn nicht ver hindern wird, sich Anfang nächster Woche nach Berlin zu begeben. Paris, 25. Aug. (Eig. Drahtm.) Aus Genf wird mehreren Blättern gemeldet, Latz Staatssekretär von Kiderlen-Wächter sich nach Chamo nix be geben hat. Spanischer Kronrat. Die spanischen Minister werden sich am 1. Sep tember unter dem Vorsi^ des Königs zu einem M i - nist errat in San Sebastian vereinigen, um die internationale Lage zu erörtern. Diesen Ministerbesprechungen mißt man eine große Bedeu tung bei, weil sie alle von Madrid nach Sebastian kommen werden. Man empfindet die internationale Lage auch deshalb als ernst, weil der Staats- Minister, der am Freitag nach San Sebastian geht, bis zum 1. September beim König bleiben wird. Zu der Berliner Marokko-Bersammlung. schreibt die „Nat. Korr.": „Durch die Presse geht die Nachricht von einer in Berlin geplanten großen Marokko-Versammlung, in der Redner aller bürgerlichen Parteien sprechen sollten, so die Abga. Arning, Heckscher, Erzbergei-, Lattmann, von Böhlendorfs u. a. Wir wissen nicht, wie weit die Vorbereitungen zu der Kundgebung gediehen sind. Unrichtig ist aber zum großen Teil die veröffentlichte Rednerliste. Die Abgg. Heckscher und Erzberger haben bereits erklären lassen, daß sie nicht als Red ner auftreten werden. Wie wir erfahren, wird auch der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Dr. A r - ning an der Versammlung nicht teilnehmen." Die Relchsknanzen. „Ueber die Ergebnisse des diesjährigen Reichs haushalts und die Gestaltung des nächstjährigen Etats sickern", so schreibt die „Köln. Ztg.", „bereits einige Angaben durch, die in ihrer Tendenz einen Erfolg der Reichsfinanzreform beweisen möchten. Bekannt lich wurde der Ertrag der vom Reichstag im Zahre 1909 beschlossenen Reform auf jährlich 113 Millionen geschätzt. Zm Etat für 1910 schlug man das Er trägnis der neuen Steuern mit recht vorsichtiger Be scheidenheit auf nur 290 Millionen an. Dieser Behutsamkeit ist es allein zu danken, daß diese Steuern, wie eine offiziöse Korrespondenz mittcilt, einen Mehrertrag gegen Len Voranschlag von ^Mil lionen gebracht haben, obwohl gerade diejenigen Steuern, die der Erfindungsgabe des schwarz-blauen Blocks unter Führung Dr. Roesickes ihre Entstehung verdankten, kläglich Fiasko machen. Für den dies jährigen Etat hat man nun wiederum recht be scheiden den Ertrag der neuen Steuern a u f 320 M i l- lronen veranschlagt, also auf nur 12 Millionen mehr gegen das Erträgnis des Vorjahres. Nun wäre es durchaus nichts Wunderbares, vielmehr ganz naturgemäß, wenn auch dieser Voranschlag bei der guten wirtschaftlichen Konjunktur überschritten würde. Das wird denn auch nach der Korrespondenz eintreten, und zwar soll der Mehrertrag diesmal. wenn nicht alle Anzeichen trügen, noch über den Ueberschuß des Jahres 1910 hinausreichen. Gleich zeitig entnehmen wir aber den weitläufigen offiziösen Auslassungen die Gewohnheit, daß auch im nächst jährigen Etat die neuen Steuern noch nicht mit dem vollen Ertrage von 413 Mil- 1 ionen erscheinen werden, wenn auch die Erreichung dieses Beharrungszustandes in ziemlich naher Zeit in Aussicht gestellt wird. Diese Angabe läßt sich natür lich erst nachprüfen, wenn die Einzetzahlen des Reichshaushaltes vorliegen. Sollten sie zutreffen, so wäre das gewiß für die Reichsfinanzen recht er freulich. An dem Urteil über den Wert der Reichs finanzreform würde das aber wenig ändern." Ueber üre prällüentenmsbl in Lillsbon, bei der, wie bereits berichtet, Arriaga die meisten Stimmen erhielt, und die ohne Zwischenfall verlief, liegen noch folgende Tlegramme vor: Lissabon, 25. August. (Eig. Drahtmeld.) Bei der gestrigen Präsidentenwahl wurden auch für Duar - teleite vier, für Alves de Verga und Ma- galhaas-Lima je eine Stimme abgegeben. Vier Stimmzettel waren leer. Abends war die Stadt beleuchtet, die öffentlichen Gebäude und zahlreiche Häuser beflaggt. Auch in der Provinz wurde die Wahl des Generalprokurators zum Präsi denten der Republik mit Begeisterung ausgenommen. Ueberall herrscht vollkommene Ruhe. Paris, 25. August. (Eig. Drahtmeld.) Der neu gewählte Präsident der portugiesischen Republik Arriaga, der frühere Advokat und seit der Re volution Oberstaatsanwalt war, erklärte einem Be richterstatter des „Matin", daß er alles Ver trauen zu den Tugenden des portugiesischen Volkes habe und überzeugt sei, daß es eine seiner ruhm reichen Ueberlieferungen würdige Zukunft haben werde. Er betonte dabei, daß er einer alten Familie aus dem französischen Vizcaya entstamme und von großer Bewunderung für Frankreich er füllt sei. Der neue Präsident ist ein Mann von 75 Zähren, der als Politiker immer für republikanische Zdeale und Staatsformen gekämpft hat und im bürgerlichen Berufe meist als Rechtsanwalt tätig war. Seit dem 5. Oktober 1910 bekleidete er das Amt eines portu giesischen Generalprokurators und hat als solcher verstanden, durch seine Geschäftsführung das Ver trauen weiter Kreise Portugals zu erwerben. Aller dings war für seine Wahl auch der Umstand maß gebend, daß die Mehrzahl der Mitglieder die Wohl eines Ministers unter allen Umständen verhindert sehen wollte und deshalb seinem Mitbewerber, dem Minister Machado, ihre Stimme versagte. politische Nachrichten. Synodalwahl. Der inzwischen verstorbene Geh. Kirchenrat 1). Meyer in Zwickau hatte sein Mandat zur Landes synode niedergelegt. Infolgedessen machte sich die Nachwahl eines geistlichen Abgeordneten für den 14. Wahlbezirk (Zwickau) nötig. Dabei ist Pfarrer Ende in Planitz gewählt worden. San Giuliano auf Reisen. I>. O. Rom, 25. August. Der Minister Les Aeußern Marquis di San Giuliano wird morgen eine sechsmonatige Auslandsreise antreten, und sich zunächst von Rom nach Wien begeben, wo er mit dem österreichischen Ministerpräsidenten Graf Achrenthal und später mit dem deutschen Reichskanzler von Bethmann Hollweg Zu sammentreffen wird. Angeblich soll der Marquis vom Deutschen Kaiser und von Kaiser Franz Zosef in Audienz empfangen werden. Eröffnung der Umbaustrecke Karibik Windhuk. Nach einem der Orenstein L Koppel—Arthur Koppel-Aktiengesellschaft zugegangenen Telegramm ist der Betrieb aus der Um bau strecke Ka ribik-Windhuk am 22. August durch Eintref fen des ersten fahrplanmäßigen Zuges in Windhuk eröffnet worden. Internationale Eesundheitstonferenz. Paris, 25. August. (Privattelegramm.) Die zwerte Internationale Gesundheits konferenz tritt am 10. O k t o b e r rm Ministerium des Aeußern zusammen. Es werden Vertreter von 40 Staaten teilnehmen. Die Bestimmungen der Konferenz von 1903 werden in wissenschaftlicher und diplomatischer Hinsicht revidiert, um den technischen Errungenschaften und den in den letzten Epidemien gewonnenen Erfahrungen Rechnung zu tragen. Sus Leipzig und Umgegend. Leipzig. 25. August. Wetterbericht der König!. Sächs. Landeswetterwarte zu Dresden. Voraussage für den 26. August. Südost- bis Südwestwinde, wechselnde meist zu nehmende Bewölkung, zunächst trocken, später leichte Rcgenfälle nicht ausgeschlossen. Temperatur des Flutzwaffers. * 2!. August adds. «> Uhr 25. August früh - Uhr 25. August >ntIgs.I2Uhr Eermaniabad (Pleitzc) 20,0« 0 20,0« c,' 20,5'0 Schwimmanstalt(Eljter) 21,0« 0 20,0° 0' 20,0 6 Eemeindebad Schönefeld (Parthc) 19,0° 6 18,0° 0 18,0°v * Unioersitätsnachrichte». Das evangelische Landeskonsistorium zu Dresden hat zum Zwecke der Bewerbung um den aus der von Ammonjchen Stif tung für eine theologische Arbeit ausgesetzten Preis für bas laufende Zahr folgende Aufgabe gestellt: „Läßt sich die Behauptung aufrecht erhalten, daß der Apostel Paulus von einem historisck>en Zesus nichts wisse?" An der Bewerbung um den Preis können außer den Kandidaten der Theologie und de» Predigtamts im Königreich Sachsen auch Studierende der Theologie an der Universitär Leipzig, sowie im Auslande Theologie studierende sächsische Staats angehörige teilnehmen. Die Arbeiten sind bis zum November mit verschlossenem Zettel, der als Aus- schrif: das auch der Arbeit selbst vorzusetzende Kenn wort, im Znnern aber den Namen und Aufenthalts ort des Verfassers enthält, an das Evangel.-luthe- rische Landeskonsistorium einzureichen. Studierende der Theologie und Philosophie (im weitesten Sinne des Wortes), die im kommenden Semester in Berlin zu studieren gedenken, werden auf das studentische Konvikt Mclanchthonhaus aufmerksam gemacht, das den Kommilitonen bill'.ge und behagliche Wohnungen bietet, in denen auch die akademische Freiheit voll gewürdigt wird. Aufnahme-gesuche unter Beifügung des Reifezeugnisses in Abschrift sind rechtzeitig an das Vorstandsmitglied Konsistorialrat Hof- und Nm üer Galümsge. 11s Roman von Marie Stahl. (Nachdruck verboten.) „Sie müssen uns in Störtebeck besuchen," sagte Hutde. „Zch werde Mamalla so viel von Ihnen er zählen, und sie wird sehr neugierig sein, Sie kennen zu lernen." Und zu Frau von Flamberg bemerkte >'.e: „Tante, hast Lu eine entzückende Stütze! So har mir lange nicht jemand gefallen! Wenn ich sie nur mirnehmen tonnte nach Störtebeck, bei der würde ob gleich wirtschaften lernen." Gegen Abend ritten Kuno und Hulde zusammen nych Störtebeck. Sie trafen schon im Vorsaal des Hauses eine lustige Gesellschaft. Und wenn es hier kürzlich Stürme und Katastrophen gegeben hatte, so merkte man letzt jedenfalls nichts mehr davon. Es schien in der Natur dieses Hauses zu liegen, daß es die Leute anzog; es war immer voll Gäste. „Was soll ich denn machen? Zch kann sie doch nicht hinauswerfen, wenn sie uneingeladen kommen", pflegte Frau Alla von Eallwig zu sagen, aber sie war stets eine der vergnügtesten. Man spielte eben Blinde kuh im Vorsaal; das Lachen und Schreien tönte schon bis auf den Hof hinaus. Eine ganze Schar junger Leute tobte und lief durcheinander, Söhne aus der Nachbarschaft, Schüler, Kadetten, junge Landwirte und Leutnants, dazu Freundinnen der Töchter vom Hause. Frau Alla, genannt Mamalla, ihren kleinen, zweijährigen Winnie an der Hand, spielte mit. Leutnant Kuno ließ sich sofort die Augen ver binden, Hulde schürzte ihr Reitkleid und kletterte wie eine Katze auf ein großes, altes Kleiderspind. Das gab eine Hetze! Zuletzt saßen Mamalla und Winnie unter einem Tisch, Tilde war mit drei Jüng lingen in den Schrank gekrochen, aus dem sie alle vier zugleich herauspurzelten, als jemand die Tür etwas plötzlich aufriß; Motte und ein Primaner balancierten auf einem Hängereck, aber Kuno wußte sich aus dem ganzen Schwarm von jauchzenden, schreienden, durch einander rasenden, ihn foppenden Mädchen doch Hulde herauszufangen. Man trieb dies heitere Spiel bis zur Erschöpfung. Zum Abendbrot kamen Schüsseln mit ganzen Türmen und Pyramiden voiz belegten Butterbroten auf den Tisch; dazu trank der eine Bier, der andere Tee oder Milch oder Fruchtlimonade. Der Hausherr kam und saß an der Spitze der Tafel, freundlich, herzlich, mit wohlwollendem Lächeln, aber wie jemand, der bei stcy selbst zu Gast ist und eigentlich nicht dahin gehört. Und er spielte auch gar keine Rolle. Um so mehr war Frau Alla die Seele des Kreises. Sie konnte mit ihren 38 Jahren immer noch für eine bildhübsche Frau gelten, die mit ihren Töchtern rivalisierte. In ihrer Reife war sie wohl die schönste von allen, und ihr glückliches Temperament verbreitete Leben und Heiterkeit um sich Winnie hing wie eine Klette an ihr, Mamalla wurde von allen fünf Kindern ver göttert. Ihr Gatte, ein hoher Fünfziger, hatte die einsamen Augen eines nach innen lebenden Menschen, der sich stark und einseitig zu konzentrieren pflegt. Seine Haltung war gebeugt, was ihn älter ersck-einen ließ. Durch seine Magerkeit hatte er früh die Run zeln und eingefallenen Züge des Greisenalters be kommen. Man hätte ihn für den Vater seiner Frau halten können. Er verschwand sehr bald nach Tisch wieder, und niemand bemerkte es. Man trieb nun Pfänderspiele, und zuletzt wurde auch getanzt. Frau Alla drehte sich unermüdlich mit im Kreise. Das Lachen und Jubilieren nahm kein Ende. Für den schärferen Beobachter gab es einige kleine Zwischenfälle. Einmal fehlte es an einem Taschentuch, um Winnie die Nase zu putzen. Motte wurde geschickt, um es zu holen. „Kind, oben in meiner Kommode, im mittelsten Schubfach, rechts in der Ecke." Motte kam bald zurück. „Mamalla, in deiner ganzen Kommode habe ich nur dies gefunden, und es ist" — Der zerrissene Fetzen wurde ihr mit einem Blick aus der Hand genommen, der sie verstummen ließ. Schließlich hatte Hulde ein gangbares Taschentuch, das dann wiederholt von Mutter und Geschwistern benutzt wurde. Aber das störte niemand in feinem Vergnügen. Ein anderes Mal erschien Mamsell unter der Tür, eine enorm dicke Person mit einem schwammigen, teigfarbenen Gesicht, und winkte Mamalla mit sehr ungnädiger Miene heraus. Draußen entspann sich eine von seilen der Mamsell sehr erregte und von selten Mamallas äußerst sanft geführte Konversation, bei der es sich um etwas Fehlendes zu handeln schien. „Wenn ich nicht zur rechten Zeit Mehl kriege, kann ich zu Ostern keinen Kuchen backen. Ich danke für die Schererei und Hetzerei am letzten Tage!" schri- Mamsell einmal mit erhöhter Stimme, worauf die Hausfrau ihr freundlich und beruhigend zuredete. Tann kam ein anderer kleiner Zwischenfall, der zu denken hätte geben können, wenn jemand in dieser lustig tollen Gesellschaft zum Denken aufgelegt ge wesen wäre. Ottfried, genannt Friedel, der älteste Sohn des Hauses, ein zwölfjähriger Quartaner, der stark in die Flegeljahre geraten war, stürzte plötzlich in das Zimmer mit dem Alarmruf: „Onkel Gebhard kommt!" Frau Alla verfärbte sich bis zur Leichenblässe, sie schien einer Ohnmacht nahe. Sie hatte gerade noch die Geistesgegenwart, die Lampe auszudrehen und zu rufen: „Still! Bleibt alle, wo ihr seid! Rührt euch nicht; ich schließe den Saal ab und werde ihn vorn empfangen." In der plötzlichen Dunkelheit hörte man verschie dene durcheinanderpurzeln und quieken, huschen und flüstern. Einer sagte: „Au, mein Bein!" Und ein anderer: „Bitte, das ist meine Nase!" Und dann rief Friedel: „Aber, Mamalla, es war ja nur Spaß!" Als die Lampe wieder angezündet war, bekam Friedel zunächst eine wohlverdiente Ohrfeige von Hulde. Der armen Mamalla war schlecht geworden, sie mußte mit einem Kognak restauriert werden. Aber schließlich lachte man sehr; in der Dunkelheit hotte man die drolligsten Scherze getrieben. Leutnant Kuno hatte sich mit seiner ungewöhnlichen Körper länge aus Versehen auf ein Seitentischchen in einen Breiteller von Winnie gesetzt, statt auf einen Stuhl, und ein Jüngling war über Motte gefallen, hatte sie zu Boden gerissen, wo beide mit den Köpfen unter ein Sofa gerieten und sich nicht wieder hervorfanden. Zwei hatten sich auf einen Stuhl setzen wollen und brachen mit ihm zusammen, einer war in die Nase ockniffen worden, und ein anderer in das Bein. Tilde behauptete, sie hätte fünf Küsse bekommen, jemand müsse sich in der Person geirrt haben, es sei doch sicher Hulde gemeint gewesen. Sie sah Vetter Kuno herausfordernd au, aber dieser stellte sich dumm. Ein Schüler sagte, er habe eine Ohrfeige be kommen; er hoffe, es sei ebenfalls ein Irrtum in der Person gewesen. Und dann spielte man vergnügt weiter vous plaoer vous und Mokierstuhl. Leutnant Kuno sagte am anderen Tage zu seiner Mutter, das Störtebecker Haus sei eine famose, alte Kiste, und Tante Alla zum Verlieben. Er ritt fortan fast alle Tage hinüber. * * * Kurz vor dem Osterfest kehrte Alexander aus Petersburg zurück. Er hatte ferne Mission glänzend erfüllt und wurde von Geiersmark fast herzlich emp fangen. Frau und Tochter des Ministerpräsidenten weilten an der Riviera, und er wollte zum Fest mit ihnen in Rom Zusammentreffen. Erst nach feiner Rückkehr sollte Alexander in sein Ressort im Ministerium eintreten, und er erhielt bis dahin gern eine erbetene Urlaubsbewilligung. Er traf früher als man ihn erwartete in Satzenfelde ein. Nach einem ausgedehnten Plauderstündchen mit seiner Mutter machte er seinen üblichen Rundgang über den Hof und durch die Stallungen. Der Pferdestatt wurde gründlich besichtigt, im Kuhstall prüfte er genau die Tafeln, di« über die Er tragsfähigkeit jeder einzelnen Kuh Rechenschaft gaben, und besprach mit dem Kuhhirten, was ausrangiert und verkauft und was von der jungen Zucht ein» gestellt werden sollte. Einige Aenderungen im Stall fielen ihm ange nehm auf. Es herrschte überall, sowohl in der Rech- nungsführung wie rn der Sauberkeit eine Exaktheit, die er früher vermißt hatte. Alle Milchgefäße blitzten und blinkten, in Reih und Glied aufgestellt, Seih tücher und Handtücher waren rein und ordnungs gemäß verwahrt, und auf den Backsteinen der Gänge hätte man mit Tanzschuhen spazieren gehen können. „Das lasse ich mir gefallen, das sieht jetzt recht proper bei euch", bemerkte er lobend. „Wer hat denn diese genaue wöchentliche Abrechnung einge führt? Die Zahlen und dies« kaufmännische Rech nungsführung sehen mir nicht nach Frau Kuhlemann aus. Und wie habt ihr denn das Kunststück fertig gebracht, den Mägden Ordnung zu lehren?" Schröder, der Kuhhirt, grlnst« über das ganze stoppelbärtige Gesicht. „Nee, gnädger Herr, die Kuhlemann is det nicht, det is det neie grölen; die is Sie höllisch akkurat. Di« is Sie immer di« erscht« uff 'n Platz Se macht allweil nich vitte Wesens her, aber se müssen s« alle parieren. Die oll« Kuhlemann is woll 'ne ganz gute Frau, aber se hat nich mehr die Forsche und die Ku rasche wie det junge Fristen." (Fortsetzung in der Morgenausgabe.
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