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zu Erzeugung zweckmäßiger Gerätschaften nnd zu entsprechender Verarbeitung des Stoffs den deutschen Gewerken, andererseits künstlerische Schöpferkraft und Befähigung zu Auffindung schöner Formen den deutschen Künstlern nicht abgesprochen werden kann, worin liegt dann der Grund zu jenem Zurückbleiben des deut schen Kunstgewerbes? Das Wesen des Kunstgcwerbes besteht augenscheinlich in der Verbindung des Gewerbes mit der Kunst zum Zweck der Er zeugung schöner Geräthschasten rc. Schön wird ein Erzeugnis! des Kunstgewerbes, wie jeder andere Gegenstand, dann sein, wen« seine Form einerseits die Sinne angenehm berührt, ande rerseits aber auch den Verstand befriedigt nnd das Gemüth an genehm anregt, sodaß im Beschauer ein vollständiges Gleichge wicht durch Befriedigung der Anforderung aller dieser dreier Factoren der geistigen Thätigkeit und dadurch ein geistiges Behagen eintritt. Bei der Anschauung kunstgewerblicher Erzeugnisse nun wird der Verstand hauptsächlich durch das Wahrnehmen wirklicher Zweckmäßigkeit und sachgemäßer Wahl und Verwendung des Stoffs befriedigt; die Sinne verlangen einerseits saubere, ele gante Ausführung, andererseits Gefälligkeit und Grazie der For men, das Gemüth aber, die Phantasie, verlangt, daß zunächst die Ausschmückung nicht im Widerspruch stehe mit der durch die Zweckmäßigkeit und die Natur des Stoffs bedingten Hauptgestalt, daß aber auch ferner sowohl die Ausschmückung, als die Hauptge stalt, ohne die Benutzbarkeit zu erschweren und die Haltbarkeit zu beeinträchtigen, also ohne dem Verstand Anstoß zu geben, über diese niederen materiellen Anforderungen der Aufgabe hinausdeute auf eine höhere geistigere Auffassung dieser Aufgabe. Letzteres Hinaus heben des Dinges über sich selbst ist der eigentliche künstlerische Theil der entwerfenden Thätigkeit und wird gewöhnlich mit dem Namen Jdealifirung bezeichnet. Darin nun, daß sich diese Jdea- lisiruug nicht blos auf die Bestimmung des Gegenstandes, son dern auch auf die Eigenschaften des Stoffes nnd auf die Art seiner Behandlung behufs Erzeugung deS Gegenstandes erstrecken muß, liegt der eigentliche Kern der Frage, denn erst durch solches tiefere Eingehen der Jdealifirung wird die Verbindung von Kunst und Gewerbe aus einer äußerlichen zu einer inneren durchgrei fenden. In dem Fehlen solcher inniger Verbindung eben haben wir die Ursache jenes Zurückgehens deutscher Kunstindustrie zu suchen. Das Vorhandensein derselben ist es, worin wir die Ur sache zu suchen haben für die heute noch unübertroffene, ja un übertreffliche, weil eben tadellose Schönheit der etruskischen Ge fäße, der antiken Sitzmeubles, der mittelalterlichen Kelche, Re- lignienschreine u. s. w. Bon dem Beginn höherer Cultur bis zn der Zeit der Reformation, bis zu jener Zeit, wo der naturge mäße Entwicklungsgang aller geistigen Thätigkeit durch den mächti gen Eingriff des Reformators einen gewaltsamen Ruck erhielt, war jeder Handwerker zugleich selbst Künstler, jeder Künstler zu gleich Handwerker. Das äußere handliche Können war vom geisti gen Können nicht geschieden; der Handwerker studirte zwar weder die Eigenschaften seines Materials, noch die Regeln des Styls rc. theoretisch, aber er wuchs, da ja meist der Sohn das Fach des Vaters ergriff, mitten unter diesen Arbeiten auf, die Materialien und Werkzeuge waren sein Spielzeug, die Stylformen wurden ihm gleich der Muttersprache eingeprägt und so schuf er unbewußt, naiv, nur materialgemäß, nur stylgerecht. Die langsame Ent wicklung der architektonischen Style, welche ja immer an der Spitze der kunstgewerblichen Style standen, ersparte ihm die Ver suchung an den ihm ehrwürdig erscheinenden, weil vom Vater und Großvater überkommenen Hauptformen gewaltsam zu rütteln nnd gewährte ihm dennoch genügenden Spielraum, um im Einzelnen Neues, Originelles zu schaffen, seine eigene Phantasie zu tummeln und so seinerseits wiederum zu jenem langsamen, aber energischen Fortschreiten beizutragen, welches schließlich denn auch auf die Weiterentwicklung der Hauptform zurückwirktc. So schaffte der Kunstgewerke des Mittelalters gemächlich, gber sicher; unbewußt, aber auch unbeirrt traf er stets das Richtige, weil in ihm selbst der das Material liebende und deshalb seine Eigenschaften in un- vassende Formen einzuzwängen unfähige Gewerke mit dem über die ^Bestimmung des Werkes und die innere Natur des Materials nachgrübelnden, nach idealistischem Ausdruck beider ringenden Künst ler vereinigt war. Dies Alles nun mußte anders werden als in der Refor mationszeit mit der wiedererwachenden Kenntniß antiken Lebens und antiker Knnst das gelehrte Element anfing eine Rolle in der Kunst zu spielen. Sitten, Lebensweise und Bedürfnisse ver änderten sich nur langsam. In Bezug auf Bauformen aber, und damit auch in Bezng aus die Form der Geräthe rc.-, die ja mit der Form der Räume harmoniren sollte, war an die Stelle ruhiger nationaler Entwicklung die internationale Mode getreten. Namentlich in Deutschland war der Widerstand gegen dieselbe sehr stark. Der schlichte Gewerke erfuhr und verstand nichts von den Bedingungen, unter denen einst, anderthalb Jahrtausende früher, diese classischen Formen sich gebildet hatten. Aber der gelehrte Künstler, der für den Fürsten, de» Handelsherrn oder die Stadt entwarf, befahl, und der Gewerke mußte gehorchen nnd die verschiedensten antike» Formen an Geräthcn, Gefäßen rc. anbringen, ohne zn fragen, ob diese Formen dem durch Sitte, Clima rc. so weit von der Antike entfernten Zweck des Gegen standes nur im Mindesten entsprachen. Nebenbei schuf der Ge werk für das Volk, welches weder die größere, durch sachwidrige Behandlung des Materials verursachte Mühe, noch auch die theuere Zeichnung und Anweisung des Künstlers bezahlen konnte, ganz in der alten Weise weiter, nur hie und da für den etwas Wohl habenderen, später aber auch an den einfachen Arbeiten eine oder die andere von den neuen Formen anbringcud. Sv entstand ein Gemcngsel einheimischer erexbter und fremder neuer Formen, welches, da der Renaissancestyl in Frankreich und Italien bald zum Barockstyl rc. ausartete und auch diese neueren Formen durch jene gelehrten Künstler in Deutschland eingeführt wurden, immer toller und unschöner werden mußte. Auch als kurz nach der französischen Revolution in Frankreich ein Zurückgchen auf reinere antike Formen versucht ward, als sich dann deutsche Künstler wie Schinkel rc. an die Spitze der Bewegung schwan gen, als nach dem Wiedererwecken der Liebe zur heimisch-gothi- schen Kunst der Streit entfachte, in welchem der bisherigen Style man bauen solle, als aus diesem Streit der hin und her tastende, überall nippende Eklekticismus unserer Zeit erwuchs, konnte un möglich Gedeihliches für die Kunstindustrie daraus entstehen. Der Künstler hat jetzt viel zu viel zu thun, um alle die Gelehrsam keit zu erwerben, die uothwendig scheint in solcher umhertappen den Kunstrichtung, als daß er auch noch die Eigenschaften des Materials rc studiren könnte. Die Gewerbtreibenden aber hegen so manche theils begründete, theils unbegründete Vorurtheile da gegen, direct nach den Entwürfen eines Künstlers zu arbeiten, die ja so häufig dem Material so viel Zwang anthun, daß die Arbeit dadurch bedeutend an Solidität verliert, im Preise aber gesteigert und schießlich in der Benutzbarkeit beeinträchtigt wird. So war denn eine Erkaltung zwischen dem Gewerkstand und der Künstlerschaft eingctreten, welche bei dem Alles gewichtiger und tiefer, inniger auffassenden Deutschen natürlich auch viel tiefer fußte als bei anderen Nationen und daher in Deutschland einer seits später und schwerer überwunden ward, andererseits gewich tigere Folgen hatte als im Ausland. Die Hauptfolge dieses Zerwürfnisses war natürlich, daß nur selten bei Aufstellung von neuen Mustern solcher Kunstindustrie- waaren, die für den Handel oder für das Volk bestimmt waren, ein Künstler zugezogen wurde, und daß daher, weil eben die An frage sehr gering war, auch nur sehr wenige Künstler sich speciell einer Branche der Kunstindustrie widmeten, in welcher sie dann die nöthige Erfahrung zur Entwerfung sachgemäßer Muster sam melten. Da diese wenigen sich zunächst nur empirisch zum Künst ler heranbildeten, so fehlte es ihnen in der Regel an Stylkennt- niß, sodaß ihre Entwürfe zwar leicht ausführbar, aber gewöhn lich styllos waren. Meist wendeten sich die Fabrikanten zu Er langung neuer Muster für courante Artikel ebenso wie die wohl habenden Consumcntcn zu Erlangung von Entwürfen für Außer gewöhnliches an die Architekten. Wenn nun auch ein großer, ja der größte Theil der technischen Kunstzweige im engsten Zu sammenhang mit der Architektur steht, wenn auch namentlich in der Entwicklung der Formen, aus deren Zweck und den Eigen schaften des Stoffs die Architektur dieselben Gesetze zu beachten hat wie alle technischen Künste, so werden doch die meisten Ar chitekten viel zu sehr an die Handhabung von Formen aus dem Gebiete der Steinbehandlung (Stercotomie) und des Gestellwesens (Tektonik) gewöhnt sein, als daß sie immer in den Gebieten der Gefäßkunde (Keramik), der mit Geweben beschäftigten (textilen) Kunst rc. mit Gewandtheit sich bewegen könnten, wodurch die so