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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.03.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-03-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110310010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911031001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911031001
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-03
- Tag 1911-03-10
-
Monat
1911-03
-
Jahr
1911
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veuMer Seichst«-. 143. Sitzung. verli». S. März. (Priv.-Tel.) Lttmmungsvilü. Mehrere zum Postetat eingedrachte Resolu tionen wollen in die eben geschossene Besoldungs ordnung wieder Bresche legen, und Redner von Par- teien, di« eine eigene Resolution nicht eingebracht haben, erweisen doch der einen oder andern Beamten klasse ihr Wohlwollen. Demgegenüber rückt heute der Staatssekretär des Reichsschatzamtes Wermuth mit einer Erklärung an, die weder Hörner, noch Zähne hat, sondern ein deutliches Nein enthält. Die veroündetcn Regierungen, so erfährt man da, werden für eine Aenderung des Beamtenbesoldungv- gesetzes nicht zu haben sein. Die Abgeordneten mögen davon abslehen, bei den Beamten Hoffnungen zu er- wecken, die nicht in Erfüllung gehen und die übrige Be völkerung in Furcht vor neuenOpfern zu versetzen. Zieht man unter allen Umständen die Gewissheit — auch wenn sie unangenehm ist — der Ungewissheit vor, so werden die Beamten dem Staatssekretär die Offen, heil als Verdienst anrechnen dürfen. Daß Herr Wer» muth sich im gegenwärtigen Augenblick nicht einen Ansturm auf die Reichskasse gefallen lassen würde, konnte man voraussagen. Er hat das Haus und dte einzelnen Abgeordneten daran gewöhnt, von ihm offene Erwiderung auf Wünsche und Forderungen zu erhalten, die nach seiner Ansicht unerfüllbar sind, oder früheren Verabredungen widersprechen. Er ist bisher damit gut gefahren. Der Redner, der als Erster nach Wermuth zu Worte kommt, Freiherr von Gamp (Rpt.), will denn auch den Eottesfrieden wahren, der nach seiner Mitteilung zwischen Regle- rung und Reichstag bis 1913 geschlossen ist. Für diese Zeit hätten sich Volk und Reichstag über dle Aufgaben, die dem Etat gestellt find, verständigt. Zu diesen Aufgaben rechnete Gamp die Beseitigung der „schauerlichen Mißwirtschaft", die mit den Finanzen des Reichs getrieben worden sei. Eröffnet war die Debatte durch einen Polen, der sich darüber beschwerte, daß die polnischen Post beamten auf den Aussterbeetat gesetzt worden seien. Die Beamtenfrage hatte vom parteipolitischen Stand punkt aus Abg. Lattmann (Wirsch. V-g.) be handelt, und auch Herr Bruhn hatte es für ange messen gehalten, dem Hause seine Anfichten zu ent wickeln. Abg. Zubeil (Soz.) war so offen, zu er- klären, daß er „olle Kamellen" vorbringen werde, aber er glaubte, daß die alten Klagen über die Stellung und Behandlung der Unterbeamten endlich abgestellt werden müßten. Der Staatssekretär des Reichspostamts Krätke wollte aber den sozialdemo kratischen Abgeordneten als Vertreter der Postunter beamten nicht anerkennen, Vertreter dieser Beamten sei vielmehr er selbst, der Staatssekretär. Die Debatte verlor im weiteren Verlauf nichts an Schärfe. Zwischen dem Staatssekretär Krätke und Herrn Struve (Fortschr. Vpt.) kam es zu einem recht peinlichen Zusammenstoß. Der Staatssekretär warf dem Abgeordneten Verhetzung der Beamten vor; es kann zweifelhaft sein, ob dieser Ausdruck der Ord nung des Hauses entsprach. Zweifellos verletzte aber der Regierungsvertreter die Form, indem er den Ab geordneten „verehrter Herr" anredete, worauf sich dieser rächte, indem er eine lange Ansprache mit immer wiederholtem „Herr Staatssekretär" an Herrn Krätke hielt. Die Gegner des Zentrums wollten nicht darauf verzichten, dieses auf seine Stellung gegenüber den Oberpostasfistenten, die nach ihrer Meinung nicht gerechte Berücksichtigung gefunden haben, festzunageln. Abg. Giesberts (Ztr.) suchte zu retten, was patteipolitisch zu retten war, in dem er eine entsprechende Resolution einbrachte. Aber Beck-Heidelberg (Natl.) war so boshaft, darauf hinzuweisen, daß unter der Resolution bei weitem nicht alle Zentrumsnamen ständen, und daß die Resolution der Budgetkommisfion erheblich weiter ginge. Abg. Bassermann (Natl.) beantragte, um Klarheit zu schaffen, namentliche Abstimmung über die Zulagen der Oberpostassistenten. Heute kam das Haus bis zur Erledigung der allgemeinen Aus- spräche und zur Bewilligung des Gehalts des Staats sekretärs. Für morgen wurde mit einer Abend- ützung gedroht: man will die Einzelberatung der Post' möglichst fördern. Sitzungsbericht. Am Bundesratstische: Staatssekretär Krätke. Präsident v. Schwerin-Löwitz eröffnete die Sitzung 1 Uhr 18 Minuten. — Fortsetzung der Beratung des PostetatS. Abg. Dr. v. Trzcinski (Pole): Wir stimmen den Anträgen zu. Als ungerecht sehen wir an, daß dte Postbeamten in polnischen Landesteilen nicht ange halten werden, der polnischen Sprache im Verkehr mit der Bevölkerung sich zu bedienen, statt dessen werden die polnischen Beamten „im Interesse des Dienstes" in reindeutsche Gegenden versetzt. Die abermals erhöhte Ostmarkenzulage leh nen wirab. Abg. Lattmann (Wirtsch. Vgg.): Die Forderung, die Unterbeamten zu veranlassen, nicht eher zu heiraten, als bis sie etats mäßig an gestellt seien, ist ein großer sozialer Fehler und der Standpunkt des gesättigten Junggesellen, tums. (Sehr gut!) Die Stellen bis zum Post direktor aufwärts sollten der mittleren Beamtenlauf bahn offengehalten werden. Mit der diesjährigen Mehreinnahme von 11 Millionen Mark könnte den Postassistenten in ihren Besoldungs wünschen entsprochen werden. Den Resoluttonen stimmen wir zu, mit Ausnahme derjenigen der Sozialdemokratie, in der eine abermalige Revision des Beamtenbesoldungsgesetzes verlangt wird. Das Verhältnis der Beamten züm Publikum wird durch eine derartig verhetzend« agitatorische Forderung nur noch weiter verschlechtert. (Sehr gut!) Abg. Bruhn (b. k. F.): Die Erregung in der Be völkerung über die Deamtenbesoldungsreform ist nicht berechtigt. Die Aufbesserung war nötig, und deshalb müssen die erforderlichen Steuerlasten, die jedoch auf die leistungsfähigen Schultern gelegt werden können, auch getragen werden. Die An» stellungsverhältnisse der Unterbeamten, insbesondere der Postillione und Landbriefträger, sind reformbedürftig. Abg. Zubeil (Soz.): Für die Unter beamten werden wir eintreten, selbst auf die Ge fahr, olle Kamellen hier vorzubringen. Viele Unter beamte haben heute noch nach dem neuen Dienstregle ment über KO Stunden wöchentlich einen anstrengenden Dienst. Die Sparsamkeit wird von der Verwaltung an der falschen Stelle geübt. Auf dem Lande können die Agenturen durch die Postboten selbst oder durch gehobene Unterbeamte versehen werden und damit reichliche Ersparnisse gemacht werden. Zugleich wäre auch dielen Beamten ge holfen. Auf der andern Seite werden die Beamten wieder überanstrengt. Redner bringt sodann ver schiedene Beschwerden über Berliner Postämter vor Mißstände beständen auch in dem Verhältnis dcr Postoertrauensärzte, der Ver wertung von altem Material, in dem Kantinenwesen, und zwar im ganzen Reiche. Die Verwaltung müsse gezwungen werden, den Wünschen der Postunter, beamten aerecht zu werden. Dte Post leiste der Polizei Handlangerdien sie. Das sei ganz und gar unstatthaft, es sei ein Verbrechen im Amte. Dagegen protestiere seine Partei, di« nach wie vor dte Interessen der Unterbeamten vertreten werde. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Staatssekretär Krätke: Ich will den Herrn Vor redner in seinen Liebhabereien nicht stören, aber ich protestiere dagegen, daß er von den Post- unterbeamten als Vertreter ihrer Interessen gewählt worden sei. (Sehr richtig! rechts. Lärm links.) Ich bin der Vertreter der Beamten, Eie sind es nicht! (Sehr richtig! rechts. Lärm und Unruhe links.) Ganz ent schieden lege ich Verwahrung gegen di« An griffe ein, die der Postverwaltung Verbrechen zur Last legen. Es handelt sich um eine Sache, in der auf eine Klage ein Bescheid noch nicht ergangen ist. Herr Zubeil nannte das Verhalten der Post „nicht fair". Ich halte es nicht für fair, der Verwaltung auf dieser Grundlage vor diesem Haus« ein Ver brechen oorzuwerfen. (Bravo! rechts. Widerspruch und Lachen links.) Staatssekretär Wermuth: Wir haben bisher in vollem Einklang mit dem Reichstage daran fest gehalten, daß die letzte Besoldung» ordnung einen greifbaren Ausgleich für die überaus verschiedenartigen Interessen der Beamten bilden soll, daß diese also länger dauern soll. Es ist unmög lich, die Besoldungsfrage, wenn sie einmal aufgerollt ist, irgendwie zu lokalisieren. Auf der ganzen Linie würde der Wunsch nach neuen Erhöhungen wieder laut werden, selbst bei Beamten, die mit der bis herigen Regulierung der Gehälter ihrer Kruppe ganz einverstanden sind. Endlich übernehmen wir eine große Verantwortung gegenüber den Bundes staaten, die teilweise ihre Gehälter erst nach dem Muster des Reiches regeln wollen. Die Finanzen des Reiches entwickeln sich jetzt gut (Hört, hört!) und scheinen allmählich die Kluft über brücken zu wollen, die sich seit der Finanzgesetzgebung aufgetan hat. Aber selbst bei fortdauernd günstiger Entwicklung der Finanzen sind die Mittel des Reiches bis 1913 vollauf in Anspruch genommen durch die Sanierung unserer Finanzen. Die vor kaum zwei Jahren «ingeführte Besoldungsordnung le-t uns schon 100 Millionen jährliche Belastung auf. Die Regierungen könnten einer Aenderung dieser Besoldunysforoeruna unter solchen Umständen keines wegs zustimmen. (Sehr richtig! rechts.) Abg. Freiherr v. Gamp (Rpt.): Nach Verab- chiedung der allgemeinen Erhöhung der Gehälter ollte diese Frage nun für eine Reihe von Jahren er- edigt sein. Eine bessere Bezahlung der Beamten könnte nur erfolgen nach Ein schränkung der Beamtenzahl. Bei der Einberufung von Anwärtern ist man früher systemlos vorgegangen, und das rächt sich jetzt gewaltig. Wir wollen den Unterbeamten eine bessere Karriere er öffnen, indem wir ihre Zahl verringern und mehr gehobene Unterbeamten schaffen wollen. Die Ab lehnung der Postassistentenwünsche wird dem schwarz blauen Block zugeschoben. Die Sache fängt an, ge schmacklos zu werden. In diesem Falle trifft der Vorwurf noch nicht einmal zu, da die Nationallibe ralen selber mit umgefallen sind. Die Ostmarkenzu lage soll nur eine Entschädigung für die Mehrarbeit sein, die die gemischtsprachigen Bezirke mit sich bringen. Notwendig ist die Gründung einer Pen sionskasse für die Postarbeiter. (Beifall rechts.) Abg. Struve (Fortschr. Vpt.): Tatsächlich sind trotz der Besoldungsreform bei den Unter beamten Notstände vorhanden, di« baldigst beseitigt werden müssen. Unsere Resolution will die unbeabsichtigten Hätten beseitigt wissen, i»m volle Zu- friedenhert zu schaffen. Die Beförderung der Unter beamten und die etatsmäßige Anstellung der Post beamten sollte beschleunigt werden. Das Peti tionsrecht der Unterbeamten darf nicht be schnitten werden; sie müssen sich mit Vertrauen an den Reichstag und die einzelnen Abgeordneten wenden können. (Beifall links.) Staatssekretär Krätke: Zufriedenheit hat der Vorredner nicht erzielt mit seiner Rede, er hat viel mehr aufreizend und aushetzend ge wirkt. (Große Unruhe links.) Die Folgen sind gar nicht abzusehen. Alle Wünsche der Beamten sind nicht erfüllbar. Die Aufbesserung der Nnterbeamten ist reichlicher gewesen, als die Beamten selbst ge wünscht hatten. (Hört, hört?) Ich'habe mich in der Kommission verwahrt dagegen, daß eine Maßnahme, eine Wohltat, die 100 Millionen kostet, als er bärmlich bezeichnet wird. Jeder Abgeordnete sollte das unterschreiben. (Sehr richtig! rechts. Große Unruhe links. — Dr. Struve: Habe ich nicht getan!) Wenn die Posttarriere so schlecht wäre, wie kommt es dann, daß wir mit Personal angeboten überschüttet werden und uns viele Beamte ihre Kinder zuschicken? Es ist nicht angängig, unsere Disziplinargerichte in der Art, wie es geschehen ist, herunterzusetzen. Die von ihnen gefällten Urteile sind durchaus gerechtfertigt. Eine Krankenkasse für die Angehörigen unserer Beamten zu gründen, ist seit langem unser Wunsch. Wir müssen aber naturgemäß mit den finan ziellen Verhältnissen rechnen. (Bravo!) Abg. Lehmann (Soz.): Ein einheitliches, billiges Auslandsporto wie mit Oester reich und Amerika ist ein dringendes Bedürfnis. Mit der Vermehrung der Postscheckämter soll man nicht so langsam vorgehen. Wir vertreten die Interessen der Unterbeamten nach unserer Ueberzeugung, nicht nach äußeren Rücksichten. Diese wie andere Angriffe auf unsere Fraktion find durchaus unberechtigt. Das Ver halten der Verwaltung, die Bezahlung der Beamten ist kleinlich. Darum protestieren wir gegen die Ausführungen des Staatssekretärs. Abg. Giesberts (Ztr.) begründet eine neu ein gebrachte Zentrumsresolution, wonach die älteren Postassistenten nach 24jähriger ctatsmäßiger Dienstzeit eine persönlich« Zulage von 300 F jährlich erhalten und die Unterbeamten nach lOjähriger Dienstzeit etatsmäßig angestellt werden. Mit dieser Forderung stehe die Haltung des Zentrums bei Be ratung des Besoldungsgesetzes nicht im Widerspruch. Auch läßt sich diese Resolution ohne Schwierigkeit durchführen. Die Sozialdemokraten vertreten die Wünsche der Arbeiter nicht in der richtigen Weise. Auch wollen die Beamten nichts von ihnen wissen. (Lärm links, Bravo rechts und in der Mitte.) Abg. Eickhoff (Fortschr. Vpt.) begründet «ine jedenfalls neu «ingebrachte fortschrittliche Resolutton, wonach die Telegraphenarbeiter nach spätestens zehn jähriger Dienstzeit etatsmäßig angestellt werden. Abg. Struve (Fortschr. Dpt.): Der Herr Staats sekretär hat mir so heftig geantwortet, daß ich da gegen meine Verwunderung und Verwah rung einlegen muß. (Zustimmung links.) Die Zu friedenheit der Beamten wird wachsen, wenn der Staatssekretär den Anregungen des Reichstages ent spricht und nicht, indem er mir unberechtigte Vor würfe macht. . Dabei sind die Klagen der Beamten schaft berechtigt. Ich bestreite, dag ich irgendwie hetzerisch gesprochen habe, und hitte, mir das aus den unkorrigierten Stenogrammen nschzuweisen. Abg Beck-Heidelberg (Natl ): Ich beantrage, den Oberpost- und Telegrapheuasfistenten sowie den Vor- stehern der Postämter dritter Klasse, die vor dem 1. Januar 1900 in den Dienst eintraten und seit drei Jahren im Genüsse der Höchstgehälter stehen, eine persönliche Zulage von 300 zu gewähren. Staatssekretär Krätke: Die Resoluteonen auf An stellung der llnterbeamten und Arbeiter nach zehn jähriger Dienstzeit sind aus technischen Gründen nicht durchführbar. Herrn Struve hab« ich zu sagen, daß ich wie er, meinen Ausführungen nichts hinzuzusügen hab«. Nach weiteren Ausführungen der Abgg Giesberts (Ztr.), Zubeil (Soz.) und Beck Heidelberg (Natl.) wird das Gehalt des Staatssekretärs bewilligt. Die Wetterberatung wird auf Freitag 1 Uhr vertagt. Aus der Tagesordnung steht außerdem noch der Etat des Innern. Der Präsident stellt für morgen eine Abendsitzung in Aussicht. Auf Antrag des Abg. Bassermann (Natl.) wird morgen über die Reso lution Beck (Natl.) (Zulage für alte Assistenten usw.) namentlich abgestimmt werden. Schluß 8 Uhr. Bus -en Keichsts-simmmillillnen. Aerzte und Reichsoersicherungsordnung. Zn der Mittwochsfitzung der Reichsversicl-erungs- kommission wurde die Besprechung der Arztfrage fort gesetzt. Es liegt ein neuer Kompromiß antrag vor, der an Stelle Les von denselben Par teien gestellten Antrages treten soll, über den wir am 3. Marz berichtet haben. Dieser Antrag will bis zum Erlaß eines besonderen Gesetzes nur eine vorläufige Regelung der Arztfrage schaffen. Seine wesentlichen Bestimmungen sind folgende: 8 378. Die Beziehungen zwischen Krankenkassen und Aerzten werden durch schriftlichen Ver trag geregelt; die Bezahlung anderer Aertte kann die Kasse, von dringenden Fallen abgesehen, ab lehnen. 8 379. Soweit es die Kasse nicht erheblich mehr belastet, soll sie ihren Mitgliedern die Auswahl zwischen mindestens zwei Aerzten freilassen. Die Satzung kann jedoch bestimmen, daß der Behandelte während desselben Versicherungsfalles oder ltze schäftsjahres den Arzt nur nnt Zustimmung des Vorstandes wechseln darf. 8 380. Wird bei einer Krankenkasse die ärztliche Versorgung dadurch ernstlich gefährdet, daß die Kasse keinen Vertrag zu angemessenen Bedingungen mit einer ausreichenden Zahl von Aerzten schliegen kann, oder daß die Aerzte den Vertrag nicht einhal ten, so ermächtigt das Oberverficherungsamt (Be schlußkammer) dle Kasse auf ihren Antrag wider ruflich, statt der Krankenpflege oder sonst erforder lichen ärztlichen Behandlung ein« bare Leistung bis zu zwei Dritteln des Durchschnitts betrages ihres gesetzlichen Krankengeldes zu ge währen. Das Oberverficherungsamt (Beschluß kammer) kann zugleich bestimmen, 1) wie der Zu stand dessen, der die Leistungen erhalten soll, an ders als durch ärztliche Bescheinigungen nachgewiesen werden darf; 2) daß die Kasse ihre Leistungen so lange einstellen oder zurückbehalten darf, bis em ausreichender Nachweis erbracht ist; 3) daß die Leistungspflicht der Kasse erlischt, wenn binnen einem Jahre nach Fälligkeit des An spruches kein ausreichender Nachweis erbracht ist; 4) daß die Kasse diejenigen, denen sie ärztliche Be handlung zu gewähren hat, in ein Kranken ha u s verweisen darf, auch wenn die Voraus setzungen des 8 199 Aos. 2 nicht vorliegen. Gegen den Beschluß des Oberversicherungsamtes (Abs. 1, 2) hat der Kassenvorstand die Beschwerde bei der obersten Verwaltungsbehörde. Von Len Antragstellern werden diese Bestimmun gen begründet. Im übrigen erstreckte sich die Dis kussion wiederum auf die Frage oer freien Arztwahl und des Kassenarztsystems, ohne wesentlich Neues zu tage zu bringen. Die Kurpsuschergesetzkommisfion. Wie wir bereits mitteilten, hat die Reichstags kommission für das Kurpfuschergesetz den 8 3 der Vor lage in folgender Fassung angenommen: „Die entgeltliche Behandlung mittels mysti scher Verfahren (Gesundbeten, Besprechen, Sympathie, Spiritismus oder eines ähnlichen Ver fahrens, wenn die Heilbehandlung auf der Behaup tung beruht, dem Behandelnden wohne eine Wun der wirkende Kraft bei) ist verbot« n." Dieser Beschlußfassung ging eine hockinteressante Debatte voraus, über die wie folgt berichtet wird: Ein konservatives Mitglied hält eine lln- erscheivung für erforderlich zwischen absolutem Un- ug und dem, was nicht einwandfrei sei. Das „Be- prechen" helfe bei Menschen und Vieh, wie er aus einer 30jährigen Erfahrung wisse. Es bestehe eine ge heimnisvolle Beziehung zwischen dem Besprechenden und dem Besprochenen. Man könne Las nicht verbie ten, das sei ein Eingriff gewissermaßen in heilige Dinge. Von sozialdemokratischer Seite wird dann die vorstehend wiedergegebene, später zum Be schluß erhobene Bestimmung beantragt und wie folgt begründet: Es soll kein Gewissenszwang emgeführr, aber die Ausbeutung Les Aberglaubens verhindert werden. Aerzte und Kurpfuscher sol len gleich behandelt werden. Sympathie und Hypnose wirkten unter Umständen heilend. Suggestion und Hypnos« sollen auch gegen Entgelt ausgeübt wer den können, mystisches Verfahren aber nur unentgelt lich. Ein Vertreter des Zentrums fragt: Was ist wunderbar, und was ist Kraft? Auch der Begriff der Unentgeltlichkeit lasse sich gar nicht fassen. Es gebe Vertreter der Wissenschaft, die die Elnwttkung des Magnetismus auf die Heilung anerkennen. Wenn jemand so dumm sei, daß er sein gebrochenes Bein vom Besprecher heilen lassen wolle, so könne man ihm nicht helfen. Die Grenze zwischen Glaube und Aber glaube sei so schwer zu ziehen, daß es zu gefährlich sei, hier definieren zu wollen. Selbst rn den kirch lichen Wallfahrtsorten trage sich manches zu, was auf dieser Grenzlinie liege, und es wäre ein Ein griff in die konfessionelle Freiheit, wenn man hier definieren wolle. Bis jetzt sei der, Aber glaube noch nicht unter Strafe gestellt, und das dürfe auch in Zukunft nicht geschehen. Ein Regierungsvertreter führt folgendes aus: Hypnose sei eine Art Schlafzustand, hervorge rufen durch die Einwirkung der Suggestion. Mystisches Verfahren sei etwas ganz anderes. Nichts sei darin, was einer ernsten wissenschaftlichen Prüfung standhält. Die Gesundbeter behaup ten, daß sic imstande seien, durch Versenken in gewisse Gedanken den Irrwahn des Krankseins zu ver scheuchen. Es besteht eine Heilanstalt, in der junge Mädchen im Gesundbeten ausgebildet werden; es wird ein Buch darüber vertrieben und ein Abonnement auf ein« Monatsschrift. Beim Hetl- magnetismus werde namentlich die Unerfahren heit weiblicher jugendlicher Personen ausaebeut«». Gewöhnliche» Wasser werde dabei als heilkräftiges Wasser verkauft. Besprechen und Sympathie seien eine Art Zauberei. Der Spiritismus zitiert Geister der Toten mit dem Erfolg, daß die Be teiligten meist in hochgradige Erregung versetzt und gesundheitlich geschädigt werden. Wenn Aerzte ein mystisches Verfahren, z. B gegen die Rose oder Warzen, empfohlen hätten, so sei das nicht zu billigen. Der Vertreter der Reichspartei schließt sich den Regsierunasvertretern an. Das von diesen vor gelegte Material bietet den Beweis, Laß 99 Prozent des mystischen Verfahrens auf Schwindel hinaus laufen. Von konseroati oer Seite wird der An trag gestellt, die Verbotsbestimmung zu richten gegen „die Behandlung mittels Gesundbelens, mittels Magnetismus, mittels Spiritismus". Wie der An tragsteller ausführt, hat er das Wort „entgeltlich" weggelassen, weil sonst auch die approbierten Aerzte getroffen würden. Durch seinen Antrag solle aber keinem verboten werden, zu beten oder für sich beten zu lassen. Ministerialdirektor Dr. v. Joncquieres bittet dringend, doch irgendeinen von den Anträgen anzu nehmen, damit nicht im Publikum die Vorstellung entstehe, als ob die Kurpfuschcrkommission alle mysti schen Verfahren freilassen wolle. Der Antrag der Sozialdemokraten gehe reichlich weit, weil „ent geltlich" bedeutend weiter gehe als „gewerbs- mäßi g". Die Regierung könnte sich auch damit ein verstanden erklären, daß nur einzelne Begriffe der mystischen Verfahren genannt ,verden. Er warnt in des vor Ausdrücken, die dehnbar seien. Es werden verschiedene Vorschläge gemacht zur Abänderung der vorliegenden Anträge. Die Schlußabstimmung ergibt dann die Ablehnung des Verbots des Magne tismus. Dagegen wird das Verbot der gewerbs mäßigen Behandlung mittels Gesundbetens, Be sprechens, Sympathie, Spiritismus und „ähnlicher Verfahren" angenommen. preußisches Abgeordnetenhaus Berlin, 9. März. Am Ministcrtische Kultusminister von Trott zu Solz. Präsident o. Kröcher eröffnete die Sitzung um 11 Uhr 15 Min. Die zweite Beratung des Kulturetats witt fortgesetzt. Abg. Liebknecht (Soz.): Wir verlangen Freiheit der religiösen Betätigung und Trennung von Kirche und Staat. Bezeichnend ist, daß das Ober haupt über die Landeskirche und die Armee in einer Person vereinigt ist. Der Fall Iatho zeigt, daß durch das Jrrlehrengesetz Denunziationen und Ketzergerichte provoziert werden. Wir sind die einzig wahren Christen. sGelächter rechts.) Kultusminister o. Trott zu Solz: Der Vorredner stellte die Dinge Lar, wie sie für seine Zwecke passen, unbekümmert, ob die Behauptungen richtig sind. Was er über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche sagte, war zum allergrößten Teil direkt falsch. Ganz unrichtig ist, daß die Kirche immer mehr in die Staatsgewalt hereingezogen werde. Durch die Gesetzgebung wurde die Kirche immer freier. Im Falle Iatho handelt es sich gar nicht um ein Disziplinarverfahren, sondern der evangelische Ober kirchenrat richtete ein besonderes Spruch kollegrum ein, um derartige Fälle aus dem Disziplinarverfahren herauszunehmen. Die un begründeten Angriffe des Abgeordneten Liebknecht gegen die Geistlichen hinsichtlich ihrer Tätigkeit in der Eeneralvormundschaft, besonders gegen Pfarrer Pfeiffer, weise ich mit Entschiedenheit zurück. Auch die Tätigkeit der Geistlichen der Binnenschiffer bemängelte der Vorredner. 2venn in diesen Kreisen das Wort gesprochen wird: „Wir fürchten Gott und ehren den König", so sind wir dankbar für solche Ge sinnung. (Lebhafter Beifall.) Nach kurzen Ausführungen der Abgg. Wartens- lcben (Kons.) und Delius (Freis.), denen der Kultusminister und Ministerialdirektor Chappuis Prüfung zusagten, bat Abg. Ernert (Freis.) um sorgfältige Auswahl der Anwärter bei der Aufnahme in Seminare Abg. Woyna (Freikons.): Die Vielgestaltigkeit des Bildungswesens wollen wir aufrechterhalten. Das Schematisieren auf dem Gebiete des Bildungswesens ist verkehrt. Abg. Schmitt-Düsseldorf (Ztr.) bat, daß der Besuch des Schulgottesdienstes obligatorisch werde. Abg. Cassel (Freii.) beschwerte sich über die Be anstandung des Spruches der Berliner Schuldcputation feiten» des Provinzialschulkollegiums. Geheimrat Bremen sprach Schmitt seine Zustim mung aus. Der Schulgottesdienst sollte möglich st gefördert werden. Abg. Hintzmann (Natt.) stimmte den Ausfüh rungen des Abg. Schmitt zu. Zu dem Kapitel Elementarunterrichts wesen liegt eine Resolution der Budgetkommission vor, die Regierung solle erwägen, wie die Oberlehrer stellen an Dolksschullehrerseminaren zu vermehren seien. Abg. Clairond - Houssonville (Kons.) führte aus: Wir sind damit einverstanden, die Lehrerinnen seminare sollten vermehrt werden. Abg. Glattfelder (Ztr): In mancher Beziehung steht das Elementarschulwesen in England günstiger als bei uns; jedenfalls wird unsere Auf wendung in dieser Hinsicht außerordentlich hoch. Wir wollen bei den Kindern Gottesfurcht, Vaterlands liebe und Liebe zum angestammten Herrscherhaus er zielen. Der Unterricht der Mädchen, namentlich der oberen Klassen, sollte Lehrerinnen obliegen. Abg. Campe lNatl ): Die Ausführung des Lehrer besoldungsgesetzes ist als eine durchaus loyale, viel leicht liberale zu bezeichnen. Hinsichtlich der Miets- entschädiguna ist eine gleichmäßige Ausgestaltung der Tarife erwünscht. Abg. ». Zedlitz (Freikons.): Der Lehrermangel ist
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