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Nr. 23 Sächsische 16. August 1912 Rad- u. Motorfahrer-Zeitung Organ für Radfahrer, Motorfahrer, Automobilisten Zeitung des Sächsischen Radfahrer-Bundes Erscheint aller 14 Tage Freitags Adresse für alle Einsendungen: Wilhelm Vogt, Leipzig, Promenadenstr. 21. — Nachdruck von Original-Artikeln, soweit nicht ausdrücklich verboten, nur mit genauer Quellen angabe »Sächsische Rad- u. Motorfahrer-Zeitung' gestattet. — Für Rückgabe unverlangter Manuskripte keine Verbindlichkeit Märchen im Das Treiben einzelner Versandhäuser ist dazu an getan, beim Publikum eine falsche Vorstellung zu er wecken über den Begriff und die Leistungsfähigkeit eines Versandhauses im Gegensatz zu der Leistungs fähigkeit eines Fahrradhändlers als Vertreter einer Fahr radfabrik. Die Zahl der Märchen, die dem Publikum vor getragen werden, nimmt überhand. Nennt sich ein Versandhaus Fahrradfabrik, so findet ein anderes wieder den Ausdruck Fabrik noch zu klein und nennt sich sogar Werk. Wenn man genauer hinsieht, existiert wirklich eine ganze Reparaturwerkstatt dort. Dadurch wollen die so handelnden Versandhäuser beim Publikum die Vorstellung erwecken, jenes kaufe in diesem Falle direkt von einer Fabrik unter Ausschließung des Zwi schenhandels, und es würde billiger bedient als beim Händler. Dazu ist ausdrücklich zu bemerken, daß es in Deutschland nicht eine einzige Fahrradfabrik gibt, die direkt an das Publikum liefert. Ein Versandhaus aber ist ein Fahrradhändler genau so, wie ihn das Publikum in seinen Wohnorten findet, nur ist ein Unterschied vorhanden, und zwar zuungunsten des Versandhauses, und der besteht darin, daß ein Versandhaus die größeren Reklamespesen hat. Diese Reklamespesen müssen aber wieder einkommen, sonst wird der größte Sack einmal leer. Es gibt Versandhäuser, die jährlich eine halbe Million für Reklame ausgehen. Zur Rekla*me rechnen wir Kataloge, Inserate und dann die Riesenportis der direkten Reklame. Aber es gibt unseres Wissens auch nicht eine einzige Fahrradfabrik, die diese Reklameun kosten auch nur annähernd erreicht, und trotzdem jonglieren gewisse Versandhäuser, die dem reellen Fahr radhändler auch nicht das kleinste Geschäft mehr gönnen, mit der widersinnigen Behauptung, Räder, für die eine Rennreklame gemacht wird, sind künstlich verteuert. Das ist richtiger Mumpitz. Das verstehen entweder diese Versandhausbesitzer nicht, oder sie wollen es nicht verstehen. Es hat noch nie eine Fabrik gegeben, die in dem Moment, wo sie mit der Rennreklame einsetzte, auch den Preis ihrer Räder erhöhte, andererseits hat es aber auch keine Fahrradfabrik gegeben, die, als sie mit der Rennreklame aufhörte, den Preis ihrer Räder änderte. Die Rennreklame ist eine Reklame so gut wie andere Reklame, und eine Fabrik, die Rennreklame macht, spart zu dieser Zeit auf einer anderen Stelle mit der Reklame. Wenn wirklich ein großes Werk einigen Renn fahrern etwas zu verdienen gibt, was im Interesse des Sports sehr zu begrüßen ist, so kommt dies bei einem vernünftig wirtschaftenden Werk, wie es unsere Riesen werke sind, als besonders bemerkbare Belastung gar nicht in Frage. Da sich durch die Rennreklame fast regelmäßig der Umsatz des in Frage kommenden Fabri kates hebt, eben weil die Nachfrage steigt, so bringt die erhöhte Produktion unter Umständen eine Verbilligung mit sich, also das Gegenteil von dem, was die Versand häuser behaupten. Da gewisse Versandhäuser aber fort- Anzeigen-Pröis: die viergespaltene Petitzeile 30 Pfg., bei größeren Auf ¬ trägen und Wiederholungen entsprechenden Rabatt. — Schluß der Schriftleitung: Freitag vor Erseheinungstag Schluß der Anzeigen-Annahme: Dienstag vor Erscheinungstag Fahrradhandel gesetzt versuchen, durch derartige Verhetzungen das Publikum für sich zu gewinnen, so soll hier ernryal die Sache näher beleuchtet werden, wer die größeren Rekla- mekosien auf das Rad zu schlagen hat. Das Publikum kann das aber nicht immer von selbst wissen, aber der Mann der Branche weiß es. Die allergrößten Reklamespesen hat immer das Ver sandhaus. Wenn aber ein gewisses Versandhaus immer behauptet, es erspare durch Weglassung der Rennreklame Riesensummen, die den Käufern der Versandhausräder zugute kommen, so ist das barer Unsinn. Diesem Ver sandhaus fehlt die Ahnung, welche Beträge in Frage kommen. Aber es läßt sich ganz leicht beweisen, weshalb ein Versandhaus darauf angewiesen ist, viel bedeutendere Mittel für Reklame aufzuwenden als eine renommierte Markenfabrik. Eine Fahrradfabrik hat je nach der Be deutung etwa 1500 bis 3000 deutsche Fahrradhändler als Vertreter angestellt, verfügt also über 1500 bis 3000 Verkaufsstellen. Diese Verkaufsstellen braucht die Fabrik nicht zu unterhalten. Diese unterhalten sich selbst, und, wie ausdrücklich bemerkt wird, nicht allein durch den Verdienst am Verkauf neuer Räder, sondern insbesondere durch umfangreiche Reparaturen, die diese Verkaufsstellen ausführen, und durch den Verkauf an derer Artikel. Jede Fabrik macht nun wohl mehr oder weniger starke Allgemeinreklame, um den Namen ihrer Marke nicht in Vergessenheit kommen zu lassen. Aber auch hierfür sind die Aufwendungen immer im Ver hältnis zur Größe des Werkes verhältnismäßig gering. Ganz anders bei einem Versandhaus. Das Versandhaus muß 60 000 000 Menschen in Deutschland direkt be arbeiten. Es muß davon einen nicht unerheblichen Teil mit Riesenkatalogen überschwemmen, und muß enorme Aufwendungen für Inserate machen, damit über haupt jemand kauft oder anfragt. Wenn schon dieses oder jenes Versandhaus einmal ein paar Zwischenver mittler hat oder einmal ein paar Filialen unter hält, so kommt das für das Endergebnis kaum in Frage, denn gegenüber der werbenden Tätigkeit der insgesamt 14 000 deutschen Fahrradhändler ist das null. Um den Nachteil, unter dem ein Versandhaus gezwungen ist, zu arbeiten, wenigstens etwas auszugleichen, muß es riesenhaft ins Zeug gehen mit Reklame. Wenn aber dieses oder jenes Versandhaus einmal einen sogenannten Lockpreis macht, so ist das nur bei ganz billigen Modellen der Fall, die sowieso die wenigsten kaufen. Das Organ des Kartells deutscher Fahrradhändler' in Leipzig berichtet folgendes: Es sind offenbar überhaupt für die Versandhäuser in unserer Branche die guten Tage vorbei, wenigstens läßt sich ein Versandhaus, und zwar das größte — und das muß es ja wohl wissen —, über die Geschäfts lage folgendermaßen vernehmen: „Die bereits in meinem vorjährigen Geschäfts bericht geäußerten Befürchtungen hinsichtlich des