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benutzen, zu deren Behufe denn auch die Landstraße in den letzten Jahren mit lobenswerthester Sorgfalt immer mehr ausgebessert wird. Das mochte allerdings ein „tief gefühltes Bedürfniß" sein, denn noch jetzt macht der wechselnde Zustand derselben es unmög lich, die Fahrzeiten mit Zuverlässigkeit vorher zu bestimmen. Wir brauchten, da es längere Zeit nicht geregnet hatte, die vergleichs weise kurze Frist von 38 Stunden, um nach der vielgefeierten alten Maurenstadt zu gelangen, von wo wieder der Schienenweg in 16 Stunden nach Madrid hinaufführt. Madrid ist in jeder Beziehung die Hauptstadt desReiches, denn sie ist es auch für den Handel — ich meine nämlich den Binnen handel — der sich hier viel bedeutender gestaltet, als man gewöhn lich anzunehmen pflegt. Es werden von hier aus alle Geschäfte nach den Provinzen gemacht, und ich habe oft mein Erstaunen nicht verhehlen können, wenn ick in den Küstenstädten ausländische Fa brikate traf, welche von Madrid aus bezogen waren, also den theuern Weg von der Küste bis mitten ins Land und wieder zurück gemacht hatten, und trotz dieser Ueberlast von verlorner Zeit und Spesen immer noch ihren Ertrag abwarfen. Die Erwägung nur dieses einen Verhältnisses wird dem spekulativen Kaufmann eine Aussicht aufdecken, was in Spanien noch zu machen sei; ich füge noch den Umstand hinzu, daß man nach einmal durchgesetzter Ein leitung von Gewerbs- und Verkehrsanstalten, auf deren ungestörte Entwicklung man hier sicherer als anderwärts rechnen darf, inso fern wenigstens, als für Spanien mehr als für andere Staaten die Möglichkeit gegeben ist, bei bevorstehenden allgemeinen Welt wirren sich seitwärts zu halten und hinter seinen Pyrenäen das Austoben der Stürme ruhig abzuwarten. So viel für heute und für meine mehrerwähnte Absicht, die Aufmerksamkeit der deutschen Industriellen für Spanien zu erregen; in einem der nächstenHefte dieser Zeitschrift gedenke ich auf einzelne bestimmte Zweige deutscher Erzeugnisse speciell einzugehen, erbiete mich aber gern — wie es auch schon meine Pflicht als Verwalter des k. spanischen Cosulats für Bayern mit sich bringt— inzwischen auf dahin einschlägige Anfragen, so weit sie in meinen Bereich fallen, möglichst einläßliche Antwort zu ertheilen. Neber Handwcrker-Priifnnlsen. Von Karl Karmarsch. «Als Probe aus dem seit dem Januar d. I. erscheinenden „Monatsblatt des Gewerbevereins für das Königreich Hannover.") Bei der jetzt landläufigen Debatte über die große Frage: „Gewerbefreiheit oder Zunftwesen?" wiederholt sich die in solchen Streitfällen gewöhnliche Erscheinung, daß die Extreme mit der größten Schroffheit hervortreten, von den meisten derjenigen, die das Wort ergreifen, der Gegenstand rein einseitig aufgesaßt, jede der sich entgegenstebenden Ansichten auf die Spitze getrieben und, so zu sagen, das Kind mit dem Bade verschüttet wird. Daß in solcher Weise nur Erbitterung geschaffen, keine Einwirkung durch Ueberzeugung erreicht, der Boden für verbesserte Einrichtungen nicht gewonnen werden kann, ist unzweifelhaft. In der That — wohin soll ein Zustand führen, der eine jede Partei so sehr exaltirt, daß sie starr an ihrem nackten Grundsätze festhält und ganz unfä hig wird, die nächstliegenden praktischen Fragen unbefangen anzu sehen? Zu den Fragen solcher Art, die man namentlich den be geisterten Verteidigern der Gewcrbefreiheit gegenüber gar nicht -aufs Tapet bringen darf, ohne sogleich verketzert zu werden, gehören die eine über zwangsweise Vereinigung der Handwerker in Ge nossenschaften, und die andere über Prüfung der Handwerker. Weil es mit diesen beiden Dingen jetzt herzlich schlecht bestellt ist, will die Gewerbefreiheits-Partei dieselben mit Stumpf und Stiel ausgerottet wissen, gar keinen Gedanken aus deren Beibehaltung in verbesserter Gestalt aufkommen lassen. Ich auch bin aus lange und wohl erwogener Ueberzeugung ein Anhänger der Gewerbe-Freiheit; aber ich kann mir diese recht gut im Verein mit gesetzlicher Regelung und gesetzlicken Be schränkungen denken, wenn letztere beide nicht das nützliche Maß überschreiten. Das täglicke Leben bietet uns Beispiele genug von Zügeln, welche verschiedenen Arten der Freiheit angelegt sind und doch der allgemeinen Billigung sich erfreuen. Die Rauchfreiheit ist zweifelsohne eine sehr unschuldige Freiheit; das Recht zu rau chen gehört sicherlich eben so sehr unter die natürlichen Menschen rechte, wie das Recht, von seinen Fähigkeiten zum Arbeiten Ge brauch zu machen; und als das Rauchen auf offener Straße ver pönt war, empörte sich hiergegen jedes Rauchergemüth mit gerech tem Unmuthe. Aber noch hat Niemand getadelt, daß das Rauchen auf dem Heuboden oder im Pulvermagazin untersagt wird; noch legt jeder gebildete Mann sich selbst das Verbot auf, in dem Putz stübchen einer feinen Dame die Cigarre dampfen zu lassen; und noch gibt jeder vernünftige Vater seinem zwölfjährigen Söhnchen eine derbe Lection, wenn dasselbe auf freundlicke Ermahnungen den Glimmstengel nicht läßt. Mir auch ersckeinen die Zünfte in ihrer jetzigen Beschaffen heit, und das Meisterstückswesen, wie es sehr häufig betrieben wird, als Dinge, von denen ich sagen möchte, daß sie mir ein Greuel sind, wenn der Ausdruck nicht etwas unhöflich wäre. Allein ich fühle, ja ick habe mir sehr klar gemacht, daß es Zünfte (Genossenschaften der Handwerker mit Beitrittszwang) geben könne, welche eine wahre Wohlthat für den Gewerbstand wie für das außerhalb stehende Publikum sein würden; daß eine Art und eine Form für die Prüfung der Handwerker möglich sei, wodurch deren Freiheit nicht beeinträchtigt und mancher große Nutzen her beigeführt wird. Diese beiden Gegenstände lassen sich besprechen, ohne daß man nöthig hat, der Entscheidung über Einführung oder Nichteinsüh- rung der Gewerbefreiheit vorzugreifen; denn meine Zünfte und meine Prüfungen können eben so gut bei vernünftiger Gewerbe freiheit wie bei deren Nichtannahme bestehen. Indem ich mir die Betrachtungen rücksichtlich verbesserter Organisation der Zünfte für einen andern Artikel dieses Blattes Vorbehalte, will ich heute nur von den Handwerker-Prüfungen reden. Es ist zur Genüge erörtert, daß die jetzigen, meist nur in An fertigung eines sog. Meisterstücks bestehenden Prüfungen nicht im Stande sind, den Beweis der erlangten Fähigkeit zum Gewerbs betriebe zu liefern; daß sie nicht die Garantie bieten für reelle Behandlung des Publikums; daß sie nicht geeignet sind, den Leichtsinnigen vom Beginn eines eigenen Geschäftes abzuhalten und dem hiernach erfolgenden Zugrundegehen oder Verarmen vorzu beugen; daß das Prüfungsverfahren bei den Zünften nicht selten darin besteht, dem Gesellen, der das Meisterstück fertigt, Geld bußen um Geldbußen aufzuerlegen für Fehler, die er dabei begeht, schließlich aber dennoch ihn für bestanden zu erklären ; daß häufig blos persönliche Gunst oder die Anwendung unlauterer Mittel einem Unfähigen zum Meisterrechte verholfen haben ; daß überhaupt allenthalben eine nicht geringe Zahl geprüfter Meister zu finden ist, die schlechte Arbeit liefern; daß umgekehrt manchem tüchtigen Gesellen die Fertigung des Meisterstücks durch allerlei Schikane zu erschweren und zu verleiden gesucht wird. Alles dies ist wahr, und Niemand kann es bereitwilliger an erkennen, als ich thue. Aber worin sind denn die aufgezählten Mißstände wesentlich gegründet? Meiner Meinung nach darin: „daß eben die Meisterprüfungen sich nicht das richtige Ziel gesetzt haben, daß sie nicht auf die rechte Weise, im rechten Umfange und von den rechten Personen vorgenommen werden." In den Ländern, wo etwa die Gewerbefreiheit nicht durch dringen, sondern die bisherige „Zunstverfassung" in ihren Grund zügen beibehalten werden sollte, wird man wenigstens eine ernste Reform des Prüsungswesens eintreten lassen müssen. Wo hin gegen die Gewcrbefreiheit zur Herrschaft gelangt, da soll — wie ich, in Uebereinstimmung mit dem württembergischen Gesetzentwürfe, meine — „Niemand zur Meisterprüfung gezwungen" werden; jedock soll es „Jedem freigestellt sein, sick der Prüfung zu unter ziehen" und sollen ihm — besteht er ne gehörig — billige „Vor züge vor dem Nichtgeprüsten" eingeräumt werden. Ich weiß wohl, daß man sick nicht gescheut hat zu sagen, es werde hierdurch eine Art „Aristokratie" unter dem Handwerker stände geschaffen; und mehr als dieses Schlagwortes bedarf es nicht, um in gewissen beschränkten Köpfen sofort einen unbegrenz ten Abscheu bervorzurufen. Beliebt man aber den Vorrang, wel chen höhere Befähigung, größere Thätigkeil und Geschicklichkeit,