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4. veusge. vonnrrstsy, S. März l9ll. Leipziger Tageblatt. Melheiü stolanüs Schicklal. 1V) Roman von Marie Bernhard. (Nachdruck verbaten.) Aber Astrid kam nicht dazu, es zu sagen, wenn sie es überhaupt gewollt hatte, denn Fräulein Goßmann kam zur Religionsstunde herein und sah Astrid wie einen Kampfhahn mit gesträubtem Gefieder und kriegslustig funkelnden Augen dasitzen, mich aber wie vernichtet, mit tränenüberströmtem Gesicht, denn was all die neidischen Sticheleien nicht vermocht hatten, das hatte der Angriff auf mein Elternhaus fertig ge bracht: ich weinte, als sollte mir das Herz brechen. Fräulein Goßmann war ganz erschrocken, mich so zu sehen, sie suchte der Sache auf den Grund zu kommen, bekam aber von mir gar keine Antwort und von Astrid einen höchst ungenügenden Bescheid. Schließlich war sie dazu da, uns Unterricht zu erteilen, nicht aber ünsere kindischen Streitigkeiten zu schlichten ... so sprach sie denn ein paar begütigende Worte und be gann die Religionsstunde, die auf mein Gemüt ganz und gar ihre Wirkung verfehlte. Ich weiß, daß Fräulein Goßmann wohl absichtlich die Bibelworte erklärte: „Liebet eure Feinde, — segnet, die euch fluchen!" — Ich hörte wohl die Worte und deren Aus legung — den Sinn faßte ich nicht — wollte dies auch nicht? Wie? Ich sollte Astrid lieben, die doch meine Feindin war? Ich sollte sie segnen — ihr wohltun — für sie bitten? Fiel mir ja gar nicht ein! Denn hätte ich das getan, so wäre es Heuchelei ge wesen, und diese war mir von allen Lastern immer als das allerschlimmste erschienen! In fiebernder Erregung, ohne von den Unterrichts stunden den kleinsten Gewinn davongetragen, ohne Astrid Adieu gesagt zu haben, schlug ich Len Heimweg ein. Ich konnte gar nicht früh genug nach Hause kommen — ich jagte — ich stürzte — ich konnte es nicht abwarten, mit meinen Eltern zu sprechen — ihre Ansicht zu hören — meine Zukunft mit ihnen zu über legen . . . Astrid mußte, — siemußte gelogen haben, lediglich, um mich zu kränken! Daheim lief ich zuerst Mine Altmann in die Arme, die sofort erklärte, in dem Zustand könne ich meiner Mutter überhaupt nicht vor die Augen kommen. Sie führte mich vor einen Spiegel, und ich sah Larin mein erhitztes Gesicht, die zerzausten Haare, die verweinten Augen — überdies war ich völlig atemlos von dem unvernünftigen Laufen. „Mütterchen ist gar nicht gut zumut heute, — aber gar nicht!" bemerkte Mine, währenL sie Kamm und Bürste hervorholte, einen reinen Kragen für mich herausnahm und frisches Waschwasser eingoß. „Was soll sie Lenken, wenn sie dich so zu sehen bekommt? Bist Loch schon 'n großes Mädchen, Adichen, aber Ver nunft? Noch nicht 'n Spürchen! Wo kann sich einer so zurichten mit Rennen und mit Weinen! Ich hab' das alles kommen sehen mit dem Eetu' mit weiße Kleider und Gedichte und Rosenkränze . . . aber wird wohl ein Mensch kommen und auf mich hören in diesem Haus? Steh' still, Kind, daß ich deine Haare in Ruhe kann bürsten, — siehst aus wie 'n Strauch besen — die Locken alle in Wildernis um den Kopf herum?" Mines selbstgemachte Worte bildeten ost mein Er götzen, — heute natürlich hatte ich nichts dafür übrig. „Mine — du — sag' doch — sag' mir doch: werd' ich schlecht erzogen?" „Erbarmnis!" Mine ließ die Bürste fallen, der Schreck fuhr ihr in die Glieder. „Was d u einen auch alles fragst? Na — Gott — Heidchen — wenn ich sagen soll — meinetwegen könnt' ja da manches anders sein — aber gleich schlecht . . . wer hat das denn gesagt, mein Kätzchen?" „Astrid natürlich!" „Na ---die — die sollt' sich man an ihre eigene Nas' zu fassen kriegen wegen Erziehung! Gott im Himmelsthron! Hat 'ne Mutter wie so 'n Flederwisch, immer wie die Jüngste, und nie zu Haus' und ruiniert den armen Mann auf Stumpf und Stiel mit Spitzen und Schmuckstücke und seidene Unterröcke und so was alles — und e r möcht' ja 'ne Seele von Mensch sein, aber doch man 'n Schwachmatikus und 'ne Suse — und immer still und beide Augen zudrücken . . . und da kommt so 'n ausgefeimeltes Ding wie jene Astrid, und will von andrer Leuts Kinder ihre Erziehung reden?" Der Aerger war mit Mine durchgegangen, — sie hatte sich noch nie so offen über Konsul Holm und dessen Gattin ausgesprochen. Mich interessierte das Thema sehr, und ich hätte gern mehr darüber gehört — aber das gab es nicht! „So — nun ist's gut — nun sieh einen bloß nicht wieder mit Augen an, Kind, als ob du einem möchtst die Seel' aus dem Leib fragen! Ich sag' nichts mehr — nicht 'n Ton! Komm jetzt — siehst ja wieder aus wie 'n Halbwegs anständiges Mädchen — Mutlerchen wird schon warten! Aber sag' ihr man nichts von Erziehung und so was — verstehst, Kätzchen?" „Ja — aber, Mine, . . . bei Tisch, da will ich doch mit meinen Eltern über meine Zukunft sprechen!" „lieber was willst sprechen?" Die sehr hellhörige Mine schien plötzlich taub ge worden zu sein. „lieber meine Zukunft! Ich — ich soll doch zur Bühne gehen!" „W ohin willst gehen?" „Zur Bühne — zum Theater!" Es kam schon sehr kleinlaut heraus. „Sie haben doch gestern alle da gesagt, ich muß zum Theater!" „Nu steh' einem Gott in feine Gnaden bei! Sind sclbst verrückt und machen einem das Kind m i t ver rückt! Na — immer los! Da willst jetzt gleich hin — mit dreizehneinhalb Jahr? Na, — man zu! Dein Vater, der wird dich schon so auslachen, daß dir die Verrücktheiten werden vergehen!" — Richtig — es kam so! — Denn kaum begann ich beim Braten in ernstem, feierlichem Ton von den gestrigen Erlebnissen und Prophezeiungen zu sprechen und meinen Vater allen Ernstes um seine Erlaubnis und Fürsprache bezüglich meines künftigen Berufs zu Litten, als er Messer und Gabel hinlegte und lachte — lachte, — bis er sich die Augen trocknen mußte. Auch meine Mutter lächelte ein wenig, aber als sie mein bestürztes, trauriges Gesicht sah, wurde sie ernst und bat auch meinen Vater, so zu werden — das war aber umsonst. „Nein, Marianne, nein, — verlang' das nicht von mir. Sitzt das Kind nicht mit so todernstem Gesicht da, als wenn es aufs Schafott geführt werden sott? Hat all den Jux für heilige Wahrheit genommen und will nun sofort als künftige Sarah Bernhardt auf die weltbedeutenden Bretter steigen! Mäuschen, Mäuschen — du bist ja ein zu gelungener Apparat!" „Paul — ich bitte dich, — sprich ernst mit dem Kinde — es ist ja unglücklich — es weint" — „Weint? Ja —- wahrhaftig! Na, hör' mal. Heidchen, spar' deine Tränen für wichtigere Anlässe auf, ja? Und wie wär's, meine Lieben, wenn wir erst in Ruhe essen möchten? Der Kalbsrücken ist wirklich nicht ohne, der nimmt das übel, wenn man ihn nicht jetzt verzehrt!" — Ach, — ich konnte keinen Bissen mehr herunterbringen — so saßen die Tränen mir im Halse fest. Ich sah es — hörte es — wußte es — meine herrlichen Pläne und Aussichten zerfielen in nichts! Umsonst, daß meine Mutter mir beschwichtigens zu winkte und liebevoll zu mir sprach, — die immer neu hervorouellenden Tränen blendeten mich derart, daß ich mit Messer und Gabel planlos durch die Luft fuhr und mich, bei dem endlichen Versuch, einen Bissen zu essen, so heftig verschluckte, daß ich beinahe er stickt wäre. Beim Nachtisch wendete sich mein Vater zu mir. „So, — Kleinchen, jetzt können wir mal die Chose beleuchten. Vor allem hör' auf zu heulen und trockne dir vernünftig Las Gesicht mit dem Taschentuch ab. Tränen sind sehr unkleidsam und erzeugen eine rote Nase. Sich mal, ich streite es ja gar nicht ab, daß du eine hübsche Begabung hast .... eine sehr hübsche sogar! Sowohl das Gedicht an sich war erstaunlich gut, als auch deine Art. es vorzutragen — du hast Talent, das unterliegt keinem Zweifel! Ich war ganz überrascht, hab' es auch deiner Mutter schon gesagt... nicht wahr, Marianne? Und ausqcsehen hast du — warum winkst du mir zu, liebe Frau? IH soll es ihr nicht sagen? Lieber Gott, das hat sie gestern von jedermänniglich in allen Tonarten zu hören be kommen, — Las weiß der Fratz ganz genau! Aber nun hör' mal zu, Kätzchen, — der Abend war schon ziemlich weit vorgeschritten, — die Geister — soweit von Geist in dem gestrigen Kreise überhaupt die Rede sein kann! — waren alle, mehr oder minder, illuminiert ich will damit sagen, der Wein hatte den Leuten die Köpfe warm gemacht! Na — da über treibt man leicht 'n bißchen und sagt anstatt „sehr talentvoll" und „sehr hübsch" — gleich „genial" und „entzückend". Das muß man nicht alles wörtlich nehmen . . . aber mein kleines Dummerchen war zunz, erstenmal in seinem Endchen Leben auf großer Ge sellschaft und hat es wörtlich genommen — da liegt der Hase im Pfeffer! Wenn du heute all oie Menschen, die dir gestern gehuldigt haben, fragen würdest — was meinst du. wie viele von ihnen jetzt noch überhaupt etwas von der ganzen Geschichte wissen?" „Es war also alles gelogen —alle s?" brachte ich mit erstickter Stimme heraus. „Auch Las, was was der Regisseur gesagt hat?" „Es war durchaus nicht „gelogen", Lummes Kind, — die Leute waren im Augenblick sehr entzückt von Nr. es. 105. Jahrgang. deiner Begabung und deiner Erscheinung. . . und der Regisseur ... na ja! Der hat mich freilich ganz ernsthaft gebeten, dich ihm in die Schülerklasse seiner Tyeaterschule zu schicken — aber ob der Biedermann das heute noch weiß, das ist mir zum mindesten fraglich!" „Astrid hat auch gesagt, er war bloß betrunken!" „Betrunken ist stark ausgedrückt. Astrid soll ihren frechen Schnabel in acht nehmen. Der Gute hatte n kleinen Spitz, das war alles, aber ereifert hat er sich mächtig um die Sache. Er hat heute noch wollen zu mir kommen oder mir schreiben — warten wir's ab, ob er es tut!" „Und wenn er es tut . . . ." fiel ich in atemloser Spannung ein, „wirst du mich ihm dann geben?" Mein Vater lachte hell auf. „Mitnichten, du Schäfchen! Sollte uns fehlen, mir und deiner Mutter, uns des einzigen Sprößlings, den uns Gott gestattet hat, zu entäußern, um ihn mit dreizehneinhalb Jahren auf die Bühne zu stellen! Abwarten! Tee trinken! Trag' du erst lange Kleider und lern' denken, dann können wir nach Jahren viel leicht wieder mal an die Sache Herangehen!" „Aber mit Astrid — mit Astrid zusammen lern' ich nicht mehr — und verkehr' auch nicht mehr!" rief ich ungestüm. „Wie die gestern und heute scheuß lich zu mir gewesen ist ... . was die alles zu mir ge sagt hat" — „Aber, aber, Heidchen! Ruhe! Wollen sehen, wie sich die Geschichte entwickelt. Wegen solcher kindischen Katzbalgereien" — „Gar nicht kindisch und Katzbalg!" schluchzte ich. „Astrid ist so neidisch und so boshaft, — nichts gönnt sie mir — immer will sie bloß alles allein haben — ich kann sie nicht leiden und sie mich nicht und da soll ich immer weiter hingchen und jeden Tag — und jeden Tag so tun, als ob nichts gewesen ist? Das ist geheuchelt — das ist schlecht — und ich will nicht heucheln und — und ich geh' da. nicht mehr hin!" Ehe mein Vater etwas entgegnen konnte, wurde an die Tür gepocht, und Mine Altmann brachte zwei Briefe herein, die seien soeben abgegeben worden. Den einen dieser Briefe habe ich später an mich gebracht — er liegt zerknittert und cingerisscn vor mir, und ich schreibe ihn ab. „Sehr geehrter Herr Baumeister, ich muß Sic bitten. Ihre Tochter Adelheid nicht mehr zum gc meinsamen Unterricht mit meiner Tochter in unser Haus zu schicken. Es haben sich zwischen den beiden Mädchen Differenzen herausgestellt, die einen wei teren Verkehr außerordentlich erschweren, wenn nicht unmöglich machen würden. Ich glaube überdies, daß Ihre Tochter Adelheid keinen guten Einfluß auf meine Astrid ausübt, und da beide Mädchen allgemach den Kinderschuhen entwachsen, so könnte dies für ihr späteres Leben verhängnisvolle Folgen haben. Ich muß Sie, sehr geehrter Herr Roland, schon bitten, meinen Wunsch, eine Trennung der beiden Mädchen herbeizuführen, sofort in Kraft treten zu lassen, da es nicht angebracht erschein!, Alstrid und Adelheid noch einmal zusammenzuführen. Mit bester Empfehlung an Sie wie an Ihre Frau Gemahlin, ergebenst Eoeline Holm." (Fortsetzung folgt.) Berlin, Friedrichstr. 3V, hat ihre Fabrikate zu dieser Messe Atrrsstr. 18 ausgeßM. ÄkMiilit: sleureuRn. - Von Donnerstag ab Muster-Verkauf. LS. S/LZ. von Vzn^e/ez-, r/zre? ^zezrez- Mor/eZ/ezr. <Z> Spsz^e ^e^ez/ezr zzr Dek/- Lzzzr/ ^z/a6u)chö6e. NLüvLvürwor Sprinftwürmer, auch ««karldcn genannt, werden defeMftl durch da« spe,tftsch wirtende neue Ubinirxittstl „liüriki". MU genauer Unweis. i,ro^>, bet «inj. »an l,«0 frank». a., »»», Labaratartum Lea Dresden ». I» Sa» I» Leipzig: Gngelapa t^ dirschapat»., Hofapotb., Lalowonisapatheke. EN W, »»r- Nr12SS:bl2»0.— I«X«0X10Z cw la Lick« ««lt-gus»1oliung krllssvl 1010 vrsim Prix küira^öseL. 8vki»vidti»«rlrs, 8tUbl« Iciosl- öüvbvvsvkvrinirs chlrtsnsvki'Lnlr» us« psbeilc in KOkikt l-sgov in Lll»n gi»d»«oi»«n 8tSckt»n b-slprig I bomaseing 18 ru»«L /Mo» llatbaus ori«5 r tlK.Tkaumann S in d k). t.atprts VurkSrutkerei kdvrik unü Kontos Nr-57 öeschüfksdurher öericdtUcfteuiwkormulare kapier unü Scb rvid vo arvn Kan ülunL UniversitLtsstr- Nr 14 Oetker kereple ^lbert-viskuit. Zutaten: 125 g Kutter, 4 Lier, 250 g Tucker, 1 PZckcken von Dr. Ootlrsr» VsnllllnTuoker, 750 g klebt, 1 PZck- cken von Dr. Oatkor's ksckpulver. Tubereitung: Die Kutter rütire ru 8abne, gib Lier, Tucker unck Vanillin-Tucker binru unck ruletrt ckas mit ckem öackpulver gemiscbte klebt Ilan rolle cken leig 2 klesser- rücken ckick aus unck stecke mit einem ^Veingtase 8cbeiben au», ckie mit einer 8tricknackel ckurciistoctien vercken ocker über ckie man ein Reibeisen ckrückt. ^uk einem mit Kutter adgeriebenen ölecb vercken ckie 8ckeiben gelbbraun ge backen unck nscb ckem Lrkalten in einer ölocbckose sukbe- vabrt. Diese kiskuits sknck ein beliebtes Teegebäck. In klitcb aukgeweicbt bieten sie eine besonckers gute 8peise kür kftncker. Soeben erschienen: i»c xmi Mlll».tIW AuS dem Inhalt: Welche Papiere gewählt werbe» sollten, Wie man Gewinne er.ielen kann. Wie ein Verlust in emen Gewinn »erwanbelt werbe« kann, ' Amerikanische Papiere, Fingerzeige für Spekulanten, Winke f-r Kapitalisten re. re. Kostenfrei erhältlich durch: vroPkkl Lsvitls L 8ros., 83 Usw Oxloril 8trvstt, i.onoon. ciors»«